5 StR 499/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 499/23 BESCHLUSS vom 30. Januar 2024 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:300124B5STR499.23.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Januar 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. Mai 2023 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den erheblich vorbestraften und hafterfahrenen Angeklagten unter anderem wegen versuchten Mordes, versuchter schwerer Vergewaltigung und mehrerer Fälle der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und bestimmt, dass zunächst die Unterbringung in der Entziehungsanstalt und zuvor vier Jahre der Strafe zu vollstrecken sind. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten führt – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Anordnung des § 64 StGB entspricht – was das Landgericht beim Urteilsspruch noch nicht berücksichtigen konnte – nicht den Anforderungen der für den Senat nach § 354a StPO, § 2 Abs. 6 StGB anzuwendenden (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2023 – 3 StR 295/23) Neufassung des § 64 StGB. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, belegen die Feststellungen nicht die für die Unterbringungsanordnung erforderliche Erfolgsaussicht der Maßregel.
a) Nach § 64 Satz 2 StGB in der Fassung vom 26. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 203 S. 2) erfolgt eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Der Gesetzgeber wollte durch die im Vergleich zur Altfassung von § 64 Satz 2 StGB geänderte Formulierung die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat“ anheben und die Annahme ausreichender Erfolgsaussicht von einer „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ abhängig machen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2023 – 6 StR 472/23).
b) Diesen verschärften Anforderungen genügen die am alten Rechtszustand ausgerichteten Ausführungen des Landgerichts nicht. Den gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umständen (etwa dissoziale Persönlichkeitsstörung, keine Bemühungen um eine Therapie in den letzten Jahren) hat das Schwurgericht entgegengestellt, dass die drohende Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ein Motiv zur Überwindung dissozialer Verhaltensstile in Verbindung mit der Bearbeitung seiner Alkoholproblematik darstellen könne, der bislang noch nicht therapierte Angeklagte in der Hauptverhandlung ernsthaft seine Therapiebereitschaft erklärt und mit der Kontaktaufnahme zu einem Therapieträger bereits erste Schritte hin zu einer Therapie unternommen habe. Die vom Gesetzgeber nun geforderte „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ eines Therapieerfolges ist damit nicht belegt.
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2003 – 3 StR 96/03, NStZ-RR 2003, 332; vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 355/07, StV 2008, 300; vom 25. März 2014 – 3 StR 11/14, StV 2015, 219) darauf abgestellt hat, an die Feststellung der Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB dürften keine überspannten Maßstäbe angelegt werden, wenn – wie hier – neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch diejenige in der Sicherungsverwahrung infrage stehe, vermag der Senat dem spätestens seit der Neufassung von § 64 Satz 2 StGB nicht zu folgen.
Dem Gesetz sind abgesenkte Anforderungen an eine positive Behandlungsprognose bei gleichzeitiger Anordnung einer weiteren Maßregel nicht zu entnehmen (vgl. zur gleichzeitigen Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Entziehungsanstalt etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2016 – 3 StR 6/16, NStZ-RR 2016, 169; vom 19. September 2023 – 1 StR 199/23). Vielmehr liegt in der zusätzlichen Anordnung einer Maßregel, deren Voraussetzungen nicht vorliegen, eine eigenständige Beschwer des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 3 StR 6/16, NStZ-RR 2016, 169). Wie sich aus dem Wortlaut von § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB ergibt, ist die Wechselwirkung zwischen mehreren Maßregeln nur zu prüfen, wenn auch die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Maßregeln – und zwar für jede gesondert – erfüllt sind. Würde man die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur wegen der gleichzeitigen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von geringeren Anforderungen abhängig machen, bliebe auch unberücksichtigt, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Rechtsmittelzug in Wegfall geraten kann und der Angeklagte dann den Vollzug einer Maßregel (§ 64 StGB) erdulden müsste, deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vorliegen. Dass dem Angeklagten auch bei der bloßen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Strafvollzug geeignete Therapieangebote gemacht werden müssen, um den Vollzug von Sicherungsverwahrung soweit möglich zu vermeiden, ergibt sich zudem aus § 66c Abs. 2 StGB.
c) Weil der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 64 Satz 2 StGB die Anforderungen an eine positive Behandlungsprognose angehoben hat, sieht sich der Senat an die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG gebunden, zumal diese teilweise auf den lediglich nach alter Gesetzeslage relevanten Behandlungserfolg innerhalb einer Höchstfrist von zwei Jahren abgestellt hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. März 2014 – 3 StR 11/14, StV 2015, 219).
2. Die Aufhebung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB zieht auch die Aufhebung der – an sich rechtsfehlerfreien – Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB nach sich.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
Das Landgericht hat von der Möglichkeit einer kumulativen Anordnung beider Maßregeln nach § 72 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht und dies damit begründet, dass deren Zwecke durch jede einzelne von ihnen nicht zu erreichen wären …, vielmehr „zwischen beiden Maßregeln eine gewisse Wechselwirkung“ bestehe … An einer Anordnung allein der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es sich wiederum deshalb gehindert gesehen, weil es trotz der insoweit bejahten Erfolgsaussicht die erforderliche prognostische Sicherheit für eine Beseitigung der Gefahr nicht festzustellen vermochte ...
In Anbetracht dessen wird der Senat nicht von vornherein ausschließen können, dass das neue Tatgericht sachverständig beraten auf umfangreicherer Tatsachengrundlage die Erwartung im Sinne von § 64 Satz 2 StGB und die für eine Anordnung allein der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderliche prognostische Sicherheit bejahen könnte. Einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung bedürfte es für diesen Fall dann nicht.
Dem verschließt sich der Senat letztlich nicht.
3. Weil die bisherigen Feststellungen nicht in Hinblick auf die Neufassung des § 64 StGB ergangen sind, hebt der Senat – dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend – die zu den Maßregelaussprüchen zugehörigen Feststellungen insgesamt auf, um dem zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufenen Schwurgericht neue widerspruchsfreie Feststellungen hierzu zu ermöglichen.
4. Die verhängten Strafen bleiben von der Aufhebung der Maßregeln unberührt, denn eine Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregelanordnung besteht – wie auch hier – grundsätzlich nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2022 – 4 StR 99/22, NJW 2022, 2945 mwN).
Cirener Mosbacher Köhler Resch von Häfen Vorinstanz: Landgericht Leipzig, 26.05.2023 - 1 Ks 300 Js 46621/22