VIa ZR 293/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 293/23 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:270825UVIAZR293.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 8. August 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Brenneisen, den Richter Dr. F. Schmidt und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 13. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 2 auch begehrten Zinsen auf die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin erwarb im August 2013 von einem Dritten einen neuen Audi A4 Avant Ambiente 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA896Gen2 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am 8. Oktober 2014 verstorbenen Ehemannes.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Sie hat ferner die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge insoweit weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Der unstreitige Einsatz eines sogenannten Thermofensters sei für sich genommen nicht geeignet, dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen, habe die Klägerin nicht aufgezeigt.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwendungen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin als Alleinerbin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Möhring Brenneisen F. Schmidt Pastohr Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 25.08.2021 - 16 O 518/21 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 13.02.2023 - 17 U 3569/21 - Verkündet am: 27. August 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle