5 StR 719/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 719/24 BESCHLUSS vom 25. Februar 2025 in der Strafsache gegen wegen Brandstiftung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:250225B5STR719.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Februar 2025 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 12. Juni 2024 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung, sowie wegen versuchter Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt, hiervon neun Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit einer Verfahrens- und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Über die Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus bedarf Folgendes der Erörterung:
1. Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht berechtigt, das zunächst abgekürzt abgefasste Urteil nach Kenntnis vom Eingang der Revisionseinlegung in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO zu ergänzen, so dass die Rüge nach § 338 Nr. 7 StPO unbegründet ist (vgl. zur unterschiedlichen revisionsrechtlichen Behandlung des gerügten Mangels BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340 mwN).
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde: Nachdem das Urteil am 12. Juni 2024, dem vierten Hauptverhandlungstag, in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers gesprochen worden war, legte der Angeklagte über seinen Verteidiger am 13. Juni 2024 form- und fristgerecht Revision ein. Der Schriftsatz wurde wirksam elektronisch an das Landgericht übermittelt, aber vom Geschäftsstellenbeamten aufgrund einer „technischen Fehlbedienung“ nicht abgerufen und vorgelegt, so dass die für die Urteilsabfassung zuständigen Richter keine Kenntnis davon hatten. Sie fassten deshalb ein abgekürztes Urteil ab. Dieses ging – mit einem Rechtskraftvermerk versehen – dem Verteidiger am 26. August 2024 mit einfacher Post zu. Der Verteidiger rief am gleichen Tag den Vorsitzenden der Strafkammer an und zeigte sich über den Rechtskraftvermerk verwundert. Auf Aufforderung des Vorsitzenden ermittelte der zuständige Geschäftsstellenbeamte, dass die Revisionseinlegung unbearbeitet im elektronischen Postfach lag. Am folgenden Tag forderte der Vorsitzende die Akten an, die unmittelbar anschließend bei ihm eingingen. Die Strafkammer fasste daraufhin ein ergänztes vollständiges Urteil ab und gab dieses am 7. Oktober 2024 auf die Geschäftsstelle. Es wurde dem Verteidiger anschließend zugestellt.
b) Das Gericht war zur Ergänzung der Urteilsgründe in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO berechtigt.
aa) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Möglichkeit zu späterer Urteilsergänzung in entsprechender Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO besteht, wenn das Gericht unverschuldet keine Kenntnis von der Revisionseinlegung hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340 mit zust. Anm. Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3; vom 29. April 2024 – 6 StR 18/23; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 397/17; vom 20. Dezember 2011 – 2 StR 405/11,
NStZ-RR 2012, 118; vom 12. Juni 2008 – 5 StR 114/08, BGHR StPO § 267 Abs. 4 Ergänzung 2; vom 8. August 2001 – 5 StR 211/01, Becker, NStZ-RR 2002, 257, 261; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Februar 1990 – 2 StR 638/89, bei Holtz MDR 1990, 490; KG, Beschluss vom 15. September 2022 – 121 Ss 118/22, StraFo 2022, 471; BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2020 – 201 ObOWi 881/20).
Der Gesetzgeber hat die Folgen eines solchen Geschehens nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt, so dass eine Lücke vorliegt. Diese ist auch planwidrig, weil sie keiner bewussten Entscheidung des Gesetzgebers entspricht. Dass er im Zuge der Gesetzesänderungen zur elektronischen Aktenführung und zum elektronischen Rechtsverkehr insoweit – anders als für andere Konstellationen (vgl. etwa § 32a Abs. 6, § 32d Satz 3, 4 StPO; dazu BT-Drucks. 18/9416, S. 47 f., 51) – keine Sonderregelung getroffen hat, lässt sich sowohl nach der Gesetzessystematik als auch nach den Gesetzesmaterialien nicht als bewusste, eine planwidrige Regelungslücke ausschließende Entscheidung verstehen (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340). Konnte das Gericht von der Revisionseinlegung keine Kenntnis haben und daher die Voraussetzungen für ein abgekürztes Urteil als gegeben erachten, liegt eine vergleichbare Sachlage vor, wie sie der Gesetzgeber mit § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO geregelt hat. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit der Ergänzung, um zu verhindern, dass ein Urteil nur deshalb aufgehoben wird, „weil die zur Nachprüfung durch das Revisionsgericht erforderlichen Feststellungen fehlen, deren Angabe das Gericht bei der Urteilsabsetzung für entbehrlich halten durfte“ (vgl. BT-Drucks. 7/551, S. 82; BGH aaO). Die der Prozessökonomie dienende Möglichkeit der Urteilsabkürzung nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO wäre zudem faktisch erheblich eingeschränkt, wenn die Gerichte erwarten müssten, abgekürzte Urteilsgründe im Falle eines ihnen nicht bekannten Rechtsmittels nicht mehr ergänzen zu können, und daher vorsorglich davon keinen Gebrauch machen (vgl. BGH aaO).
Allerdings ist eine entsprechende Anwendung wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift auf eng umgrenzte Sachverhalte zu beschränken, in denen das für die Urteilsabfassung zuständige Gericht von der Rechtsmitteleinlegung weder Kenntnis hatte noch nach den konkreten Umständen hätte haben müssen (BGH aaO; vgl. auch KG, Beschluss vom 15. September 2022 – 121 Ss 118/22, StraFo 2022, 471). Abzustellen ist dabei auf die Mitglieder des erkennenden Gerichts, die das Urteil abzufassen haben, denn an sie richtet sich § 267 StPO (vgl. auch Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3).
bb) Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung von § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO liegen nach diesen Maßstäben vor. Ein Verschulden der für die Urteilsabsetzung zuständigen Mitglieder der erkennenden Strafkammer an ihrer Unkenntnis von der Revisionseinlegung ist nicht ersichtlich. Ihnen war die Revisionseinlegung nicht vorgelegt worden und sie hatten – soweit ersichtlich – auch sonst keine Kenntnis von diesem Umstand. Zwar lag kein „technischer“ Fehler vor (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 3 StR 450/23, NJW 2024, 2340), sondern – wie die Revision zutreffend vorträgt – eine Fehlbedienung. Allerdings waren die Kammermitglieder hierfür nicht verantwortlich. Der Fall gleicht damit denjenigen bereits vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen, in denen eine Revisionseinlegung zwar wirksam bei der Poststelle des Gerichts eingegangen war (vergleichbar dem Eingang im elektronischen Postfach), dies aber – ohne dass ein technischer Fehler vorlag – den für die Urteilsabsetzung zuständigen Mitgliedern der erkennenden Strafkammer aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen unbekannt blieb (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2024 – 6 StR 18/23: Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft geht zwar auf der Poststelle ein, gelangt aber nicht zu den Akten; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 397/17: Revision des Angeklagten geht rechtzeitig per Fax ein, gelangt nicht zu den Akten, sondern wird später in einem Lastenaufzug gefunden; vom 20. Dezember 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118: die Revision wird rechtzeitig eingelegt, kann aber im Geschäftsgang verloren gegangen sein, zu den Akten gelangt sie nicht; ebenso Peglau jurisPR-StrafR 15/2024 Anm. 3).
c) Weil das in zulässiger Weise entsprechend § 267 Abs. 4 Satz 4 StPO ergänzte Urteil innerhalb der am 27. August 2024 mit Akteneingang neu beginnenden Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO vollständig auf die Geschäftsstelle gelangt ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO nicht vor.
2. Die Überprüfung des in zulässiger Weise ergänzten Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Insbesondere beschwert es ihn nicht, dass die Strafkammer bei Tat 5 trotz der Brandlegung an einem Mehrfamilienhaus zur Nachtzeit, in dem sich – wie der Angeklagte wusste – mehrere Personen aufhielten, kein versuchtes Tötungsdelikt geprüft hat.
Cirener Mosbacher Köhler von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Kiel, 12.06.2024 - 7 KLs 592 Js 23323/20