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4 Ni 56/10

BUNDESPATENTGERICHT Ni 56/10 (Aktenzeichen)

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am 14. Mai 2013

…

In der Patentnichtigkeitssache

…

BPatG 253 08.05 betreffend das deutsche Patent 197 28 384 hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Engels, des Richters Dr. agr. Huber, der Richterin Dr. Mittenberger-Huber und der Richter Dipl.-Ing. Rippel und Dr.-Ing. Dorfschmidt für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 197 28 384 C5 (Streitpatent), das am 03.07.1997 angemeldet worden ist und ein „Rotierendes Schaftwerkzeug“ betrifft. Das Patent umfasst in der Fassung, die es durch die Entscheidung der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Juli 2009 erhalten hat, 10 Patentansprüche, von denen die Patentansprüche 1 bis 6 angegriffen sind.

Die mit der Teilnichtigkeitsklage angegriffenen Patentansprüche 1 bis 6 lauten:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist.

2. Reibahle nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der engste Querschnitt (24) des Spanraumes (14) im Bereich der Hauptschneide (23) liegt.

3. Reibahle nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) an den engsten Querschnitt (24) des Spanraumes (14) anschließt.

4. Reibahle nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) in zumindest einen sich daran anschließenden Abschnitt (21) des Spanraumes (14) übergeht,

der vorzugsweise einen größeren Querschnitt als der engste Querschnitt (24) aufweist.

5. Reibahle nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Abschnitt (21) des Spanraumes (14) einen konstanten Querschnitt aufweist.

6. Reibahle nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Spanraumabschnitt (21) eine kontinuierliche Verjüngung durch eine Seitenfläche (26) eines Innenspanraumes (27) und eines Spangrundes (28) aufweist.

Wegen der – nicht angegriffenen – Patentansprüche 7 bis 10 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Darüber hinaus seien die Patentansprüche 1 bis 6 nicht ausführbar und die Patentansprüche 3 bis 6 gegenüber dem Inhalt der beim Deutschen Patentamt ursprünglich eingereichten Anmeldung unzulässig erweitert.

Sie beruft sich hierzu auf folgende – teilweise - vorveröffentlichte Druckschriften:

Nk3a Nk3b Nk3c Nk3d Nk3e Nk3f Nk3g DE 43 07 553 A1 DE 197 07 549 A1; angemeldet 26.02.1997, offengelegt 04.09.1997 DE 446 198 A DE 694 04 788 T2 DE 697 09 966 T2, angemeldet am 13.02.1997, offengelegt 20.08.1997 JP 03142116 AA; Abstract in englischer Sprache FR 874 600 A Nk3h Nk3i Nk3j Nk3k Nk3l Nk3m Nk3n Nk3o Nk3p DE 197 19 892 A1; angemeldet 12.05.1997, offengelegt 19.11.1998 DE 197 24 855 A1; angemeldet 12.06.1997, offengelegt 19.11.1998 DE 197 19 893 A1; angemeldet 12.05.1997, offengelegt 19.11.1997 DE 44 21 922 C1 DE 195 44 556 A1 JP 09277108 AA ; Abstract in englischer Sprache Vladimir Ro ek, „Versuche mit ungleich schrägen Reibahlenzähnen“, Technische Rundschau 10/85 Dieter Kress: Werkzeugmaschine, Bd. 4 „Reiben mit hohen Schnittgeschwindigkeiten“, Vogel-Verlag 1975, S. 6-108 DE 33 14 349 A1 Die Klägerin ist der Auffassung, die Druckschriften Nk3c, Nk3h, aber auch die Druckschrift Nk3i offenbarten jeweils alle Merkmale von Patentanspruch 1 des Streitpatents, weshalb dessen Gegenstand nicht mehr neu sei. Patentanspruch 1 beruhe ferner bei Kombination der Druckschriften Nk3k und Nk3a bzw. Nk3k und Nk3d oder bei einer Kombination von Nk3k und Nk3f oder Nk3p mit Nk3c nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Gegenstand des Anspruchs 3, der von den Ansprüchen 4 bis 6 umfasst werde, sei gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 3 unzulässig erweitert, da er in der geltenden Fassung nicht mehr das Merkmal „düsenförmig ausgebildet“ aufweise. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 6 seien schließlich nicht ausführbar für den Fachmann, da die erforderliche Herstellung eines Unterdrucks zum Erzeugen einer Sogwirkung sich wegen des VenturiEffektes nicht einstelle. Im Gegenteil, es bilde sich ein Über- statt eines Unterdrucks.

Die Klägerin beantragt daher,

das deutsche Patent 197 28 384 C5 im Umfang der Ansprüche 1 bis 6 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 8; an die Hilfsanträge 1, 2, 3 und 4 schließen sich die Patentansprüche 2 bis 6 unter Rückbeziehung auf die (jeweils) geänderte Fassung des Patentanspruchs 1 an; an Hilfsantrag 3a schließen sich die erteilten Ansprüche 3 bis 6 an; an Hilfsantrag 5 die erteilten Ansprüche 4 bis 6; an Hilfsantrag 6 die erteilten Ansprüche 2, 3, 5 und 6 an; an Hilfsantrag 7 die erteilten Ansprüche 2, 3 und 6 an und an Hilfsantrag 8 schließen sich die erteilten Ansprüche 2 bis 5 als abhängige Ansprüche an.

[Änderungen in den Hilfsanträgen gegenüber dem Hauptantrag sind jeweils mit doppelten Unterstreichungen gekennzeichnet]

Hilfsantrag 1:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) zentral in dem Schaft (12) und dem Schneidkopf (13) verläuft und eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, um Kühl-/Schmiermittel in die Sacklochbohrung zu führen, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung auf weist.

Hilfsantrag 2:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der an dem Schneidkopf (13) vorgesehene Spanraum (14) einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22) umfasst, wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist.

Hilfsantrag 3:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermitte! vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, so dass sich ein Venturi-Effekt in dem Bereich ergibt, in dem der größte Teil der Späne anfällt.

Hilfsantrag 3a:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermitte! vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, und wobei ein engster Querschnitt (24) des Spanraumes (14) im Bereich der Hauptschneide liegt, so dass sich ein Venturi-Effekt in dem Bereich ergibt, in dem der größte Teil der Späne anfällt.

Hilfsantrag 4:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) zentral in dem Schaft (12) und dem Schneidkopf (13) verläuft und eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, um Kühl-/Schmiermittel in die Sacklochbohrung zu führen, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, so dass sich ein Venturi-Effekt in dem Bereich ergibt, in dem der größte Teil der Späne anfällt.

Hilfsantrag 5:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, dass ein engster Querschnitt (24) des Spanraumes (14) im Bereich der Hauptschneide (23) liegt, und dass der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) an den engsten Querschnitt (24) des Spanraumes (14) anschließt.

Hilfsantrag 6:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, und wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) in zumindest einen sich daran anschließenden Abschnitt (21) des Spanraums (14) übergeht, der einen größeren Querschnitt als der engste Querschnitt (24) aufweist.

Hilfsantrag 7:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, und wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) in zumindest einen sich daran anschließenden Abschnitt (21) des Spanraums (14) übergeht, der einen größeren Querschnitt als der engste Querschnitt (24) aufweist, und wobei der Abschnitt (21) des Spanraums (14) einen konstanten Querschnitt aufweist.

Hilfsantrag 8:

1. Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, mit einem Schaft (12), in dem zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen ist, mit einem Schneidkopf (13), der zumindest eine Schneide (19) und einen Spanraum (14) aufweist, wobei der Längskanal (17) eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) angeordnete Öffnung aufweist, gekennzeichnet durch einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22), wobei der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) eine gleichförmige Querschnittsverjüngung aufweist, und wobei der Spanraumabschnitt (22) eine kontinuierliche Verjüngung durch eine Seitenfläche (26) eines Innenspanraumes (27) und eines Spangrundes (28) aufweist.

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Es sei zum einen – trotz einer unrichtigen Darstellung der physikalischen Zusammenhänge – ausführbar, da es dem Fachmann ohne weiteres möglich sei, die Funktionsweise des Gegenstands des Streitpatents zu erkennen. Der Gegenstand von Anspruch 3 sei in den ursprünglich eingereichten Unterlagen bzw. jedenfalls in der dort offenbarten technischen Lehre aufgezeigt. Im Übrigen sei der Gegenstand von Patentanspruch 1 neu und erfinderisch. Dies gelte auch für die weiteren von ihm abhängigen Ansprüche.

Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf den Hinweis vom 10. Januar 2013 wird Bezug genommen (Bl. 134/135 d. A.).

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt allen Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, denn der Senat konnte nicht feststellen, dass dem Gegenstand des Streitpatents einer der von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung, mangelnden Ausführbarkeit oder fehlenden Patentfähigkeit nach §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 PatG entgegensteht, insbesondere, dass die beanspruchte Lehre gegenüber dem Stand der Technik nicht neu ist oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die angegriffenen, abhängigen Unteransprüche 2 bis 6 haben mit Patenanspruch 1 Bestand. Auf die Hilfsanträge kommt es daher nicht an.

II.

1. Der Streitpatentgegenstand betrifft nach seinem geltenden, im Einspruchsverfahren beschränkten Anspruch 1 eine Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen. Nach der Beschreibungseinleitung Absatz [0002] sind zur Bearbeitung von Bohrungen, insbesondere zur Fein- oder Hochleistungsbearbeitung, bereits rotierende Schaftwerkzeuge in Form von Ein- oder Mehrschneidenreibahlen bekannt. Die Reibahlen weisen einen Schaft auf, in dem sich zumindest ein Längskanal für Kühl-/Schmiermittel erstreckt. Der Schaft ist mit einem Schneidkopf verbunden, der zumindest einen Spanraum bzw. Spannut hat. Dieser Spanraum weist zumindest im Bereich der Haupt- und Nebenschneide einen konstanten Querschnitt auf. Dieser kontinuierliche Querschnitt des Spanraumes kann in einen Nutenauslaufbereich übergehen, der dann zumeist gegenüber dem kontinuierlichen Querschnitt des Spanraumes vergrößert ist.

Derartige bekannte Reibahlen weisen nach den Ausführungen in Absatz [0003] der Streitpatentschrift aber den Nachteil auf, dass insbesondere bei der Bearbeitung von Sacklochbohrungen eine ausreichende Spanabfuhr für einen störungsfreien Betrieb nicht gegeben ist. Zwar wird nach den Ausführungen der Patentschrift die Kühl-/Schmiermittelflüssigkeit mit hohen Drücken über einen Längskanal in die Sacklochbohrung eingebracht, um in dem Grund der Bohrung umgelenkt zu werden, damit das Kühl-/Schmiermittel über die Spanräume aus der Sacklochbohrung nach oben austreten und die Späne abtransportieren kann. Die aus der Sacklochbohrung nicht abtransportierten Späne bewirken aber, dass eine Beeinträchtigung der zu bearbeitenden Bohrungsoberfläche gegeben ist, wodurch Werkstücke für den weiteren Einsatz unbrauchbar werden.

Daher liegt dem Streitpatent gemäß den Ausführungen in Absatz [0004] der Streitpatentschrift die Aufgabe zu Grunde, eine Reibahle zu schaffen, bei der das Strömungsverhalten des Kühl-/Schmiermittels derart optimiert ist, dass ein effizienter Abtransport der Späne, insbesondere aus dem Bereich einer Schneide der Reibahle gewährleistet ist.

Gelöst wird dies nach Hauptantrag durch die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1, der sich wie folgt gliedern lässt: 1. Reibahle

1.1. zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, 2. mit einem Schaft (12),

2.1. in dem Schaft ist zumindest ein Längskanal (17) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen

3. mit einem Schneidkopf (13), 3.1. der Schneidkopf (13) hat zumindest eine Schneide (19)

3.2. der Schneidkopf (13) hat zumindest einen Spanraum (14) 4. der Längskanal (17) weist eine an einer Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13)

angeordnete Öffnung auf, - Oberbegriff (Hauptantrag)-

5. die Reibahle hat einen Spanraumabschnitt (22) 5.1. der Spanraumabschnitt (22) verjüngt sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) 5.2. der sich verjüngende Spanraumabschnitt (22) weist eine gleichförmige Querschnittsverjüngung auf. - Kennzeichen (Hauptantrag)-

3. Als für die Beurteilung der streitgegenständlichen Problemstellung berufener Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulausbildung der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Konstruktion von Schneidwerkzeugen anzusehen.

4. Nach dessen maßgeblichem Verständnis und einer am Gesamtzusammenhang orientierten Betrachtung (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2010 - Xa ZR 149/07, GRUR 2011, 129 – Fentanyl-TTS; Urt. v. 03.06.2004 - X ZR 82/03, GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung, m. w. N.) ist zu beurteilen, welche technische Lehre Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist und welcher technische Sinngehalt den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zukommt (BGH, Urt. v. 12.03.2002 - X ZR 168/00, GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; Urt. v. 07.11.2000 - X ZR 145/98, GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher, jeweils m. w. N.). Die Patentschrift stellt deshalb im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe auch ihr eigenes Lexikon dar (BGH, Urt. v. 02.03.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; Mitt. 2000, 105, 106 – Extrusionskopf). Der Senat legt danach dem erteilten Patentanspruch 1 folgendes Verständnis zu Grunde:

Der Streitpatentgegenstand nach Hauptantrag betrifft eine Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen. Der Fachmann kennt eine Reibahle als ein Werkzeug, das zur Feinbearbeitung von bereits existierenden Bohrungen durch Reiben verwendet wird. Verbessert werden sowohl die Oberflächengüte als auch die Form- und Maßgenauigkeit, wobei durch die Reibahle nur noch einige Zehntelmillimeter des Materials abgetragen werden.

Das Merkmal 1.1 legt fest, dass die streitpatentgemäße Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen vorgesehen ist. Sacklochbohrungen werden üblicherweise bis zum Bohrungsgrund (mit Ausnahme der vordersten Spitze) bearbeitet.

Die Merkmale 2 und 3 bis 3.2 beschreiben die typischen und notwendigen Merkmale einer Reibahle mit einem Schaft, einem Schneidkopf sowie Schneide und Spanraum. Dabei ist gemäß den Ausführungen in Absatz [0002] der Streitpatentschrift, die zwar die Problematik beim Stand der Technik beschreiben, dessen Begriffsdefinitionen jedoch nach fachgerechter Auslegung auch beim Streitpatentgegenstand gelten, als Spanraum der Raum im Bereich der Spannuten zu verstehen, wobei die Spannuten im Bereich der Haupt- und Nebenschneiden liegen und Teil des Schneidkopfes sind. Der Nutenauslaufbereich ist nach diesen Ausführungen nicht mehr Teil des streitpatentgemäßen Spanraumes.

Die (kennzeichnenden) Merkmale 5 bis 5.2 beschreiben Einzelheiten, wie ein Teilbereich des Spanraums, nämlich der Spanraumabschnitt (22) ausgebildet sein soll. Demnach soll sich der Spanraumabschnitt (22) zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) hin verjüngen, und zwar gleichmäßig verjüngen.

Die Merkmale 2.1 und 4 legen eine besondere Art der Reibahle fest, nämlich eine Reibahle mit einem Längskanal für Kühl-/Schmiermittel, der eine an einer Stirnseite des Schneidkopfes angeordnete Öffnung aufweist. Jedoch ist nach fachgerechter Würdigung der gesamten Lehre des Streitpatents dieser Längskanal für Kühl-/Schmiermittel nicht nur auf eine reine Kühl- und Schmierfunktion des Kühl-/Schmiermittels reduziert. Unter Berücksichtigung des Merkmals 1.1, wonach die Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen vorgesehen ist, sowie des im Streitpatent genannten Problems, bei dem es um die Optimierung des Strömungsverhaltens des Kühl-/Schmiermittels bei der Reibbearbeitung einer Sacklochbohrung geht, damit ein effizienter Abtransport der Späne, insbesondere aus dem Bereich einer Schneide der Reibahle erreicht werden kann, erschließt sich dem Fachmann, dass vorliegend die Merkmale 5 bis 5.2 die technische Lösung bilden, um bei einer Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen das Strömungsverhalten des Kühl-/Schmiermittels bei der Reibbearbeitung einer Sacklochbohrung derart zu beeinflussen, dass die entstehenden Späne nicht zum Boden des Sackloches gelangen können, sondern durch das Kühl- oder Schmiermittel direkt in Richtung Werkzeugaufnahme ausgespült werden.

Genau diese Problematik ist auch im Absatz [0003] und [0006] der Streitpatentschrift im Zusammenhang mit den Nachteilen herkömmlicher Reibahlen ausführlich erläutert und zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Streitpatent.

5. Der Senat konnte nicht feststellen, dass die unstrittig gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen gemäß den angegriffenen Patentansprüchen 1 bis 6 des Streitpatents die Voraussetzungen eines in § 22 PatG genannten Nichtigkeitsgrundes erfüllt.

5.1. Die dem Streitpatent in der geltenden Fassung zugrunde liegenden Unterlagen gehen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

Die Merkmale 1.1 bis 3.2 sowie 5 und 5.1 des geltenden Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag sind im ursprünglichen Patentanspruch 1 offenbart. Die

(zulässige) Beschränkung auf eine Reibahle nach Merkmal 1 ergibt sich aus Spalte 1, Zeile 6 bis 11 der ursprünglichen Beschreibung (Anlage Nk1b). Das Merkmal 4 ist im ursprünglichen Anspruch 8 offenbart. Das Merkmal 5.2 ergibt sich aus Spalte 2, Zeilen 46 bis 50 der ursprünglichen Beschreibung. Die Merkmale der geltenden Patentansprüche 2 bis 10 (nach geänderter Patentschrift) sind in den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 10 offenbart.

Soweit die Klägerin beanstandet, dass der Gegenstand des Anspruchs 3, der auch von den Ansprüchen 4 bis 6 umfasst werde, gegenüber dem ursprünglich eingereichten Anspruch 3 unzulässig erweitert sei, weil er in der geltenden Fassung nicht mehr das Merkmal „düsenförmig ausgebildet“ aufweise, trifft dies bereits deshalb nicht zu, weil die Offenbarung der Anmeldung durch die Ansprüche 1 und 2 eine derartige Beschränkung nicht aufweist. Im Übrigen erschließt sich aus dem Merkmal des Patentanspruchs 1, wonach die Reibahle „einen sich zur Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) verjüngenden Spanraumabschnitt (22)“ aufweist, bereits ein im herkömmlichen Sprachgebrauch „düsenförmiger“ Verlauf des Spanraumabschnitts (22), der nicht auf ein bestimmte Form festgelegt ist, da Düsen einen beliebigen Querschnittsverlauf haben können.

5.2. Die Erfindung nach Patentanspruch 1 ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Nach Auffassung der Klägerin sind die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche 1 bis 6 für den Fachmann nicht ausführbar, da die erforderliche Herstellung eines Unterdrucks zum Erzeugen einer Sogwirkung sich wegen des Venturi-Effektes nicht einstelle. Im Gegenteil, es bilde sich ein Über- statt eines Unterdrucks.

Für die Frage der Ausführbarkeit der beanspruchten technischen Lehre durch den angesprochenen Fachmann ist es jedoch irrelevant, ob die in der Beschreibung angegebene technische Erläuterung zutrifft oder nicht, was hier auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird. Solange die in der erklärenden Beschreibung angegebene Wirkung nicht zugleich funktionelles Merkmal des Patentanspruchs selbst ist, und damit Teil der beanspruchten Lehre, kommt es für die Ausführbarkeit einer technischen Lehre i. S. v. § 34 PatG nicht darauf an, ob für die konkret offenbarte Lehre eine zutreffende theoretische bzw. technische Begründung oder Erklärung gegeben wird (Schulte/Moufang, PatG, 8. Aufl., § 34 Rdn. 346).

5.3. Die streitpatentgemäße Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen nach dem Patentanspruch 1 des Streitpatents ist unter Berücksichtigung des im Verfahren befindlichen Stands der Technik neu.

Die Anlage Nk3c (DE 446 198 A) zeigt ein zylindrisches Bohrwerkzeug, mit welchem gemäß den Ausführungen in der Beschreibung Seite 1, Zeilen 9 bis 12, besonders tiefe Löcher in einem Arbeitsgang gebohrt werden können. Die Anlage Nk3c offenbart somit keine Reibahle, also kein Werkzeug zur Feinbearbeitung von existierenden Bohrungen, sondern ein Bohrwerkzeug zum Herstellen von Bohrungen. Schon deshalb ist der Streitpatentgegenstand neu gegenüber der Druckschrift nach der Anlage Nk3c. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Führungsrippen des bekannten Bohrers zusätzlich als Reibschneiden (Seite 2, Z. 29-31) ausgebildet sind, weil das streitpatentgemäße Werkzeug trotzdem ein Bohrer bleibt.

Die Anlage Nk3h zeigt eine Reibahle zur Bearbeitung von Bohrungen, mit einem Schaft (2) und einem Schneidkopf, der mehrere Schneiden (16) sowie mehrere Spanräume (18) aufweist. Die bekannte Reibahle nach der Nk3h hat in den Ausführungsbeispielen ab Figur 6a in ihrem jeweiligen Schaft (2) auch zumindest einen Längskanal (20) für Kühl-/Schmiermittel. In diversen Ausführungsbeispielen ab Figur 6a wird dieser Kühl-/Schmiermittelkanal unterschiedlich ausgebildet. Gemeinsam ist allen Ausführungsbeispielen, dass der zentrale Längskanal (20) Abzweigbohrungen (22) und/oder koaxiale Zuleitbohrungen (24) sowie Austrittsbohrungen (26) hat. Nach allen Ausführungsbeispielen münden die Austrittsbohrungen (26) immer in dem radial gelegenen Schneidbereich der Reibahle. Zwar verlaufen (herstellungsbedingt) die koaxialen Zuleitbohrungen 24, teilweise auch der zentrale Längskanal (20) bis zur Stirnseite des Schneidkopfs, jedoch werden sie stets an der Stirnseite durch Stopfen (24a) verschlossen, bzw. hermetisch abgedichtet (Sp.10, Z.17). Aus diesem Grund fehlt der Reibahle nach Anlage Nk3h das Merkmal 4, weil ein verschlossener Kanal letztendlich im Betrieb der Reibahle keine Öffnung hat. Bei der Neuheitsbetrachtung kommt es aber auf die Lehre eines einsatzfertigen Zustandes des Werkzeuges an.

Die Druckschrift Nk3i, die erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden ist, zeigt eine Reibahle mit einem Schaft (12) und einem Schneidkopf (13), an dem Schneidplatten (Spalte 3, Zeile 65) und Spannuten (15) angeordnet sind. Die bekannte Reibahle hat einen Kühl- und/oder Schmiermittelkanal (17), der durch den Schaft verläuft und an der Stirnseite des Werkzeugs eine Öffnung aufweist (Fig. 1). Jedoch weist die bekannte Reibahle gemäß Nk3i keinen Spanraum auf, der sich zur Stirnseite verjüngt. Denn der Spanraum ist eine Vertiefung zwischen den Werkzeugschneiden an zerspanenden Werkzeugen. Der Bereich zwischen dem zylindrischen Schaft (12) und der Bohrungswandung ist daher kein Spanraum, weil dort keine Schneiden mehr sind. Der Bereich des Spanraumabschnitts verjüngt sich danach nicht, sondern weist einen konstanten Querschnitt auf.

Gegenüber den übrigen Druckschriften hat die Klägerin fehlende Neuheit nicht geltend gemacht; der Senat sieht insoweit auch keine Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung.

5.4. Die Klägerin vermochte den Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass die Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen nach dem Patentanspruch 1 in der geltenden Fassung des Streitpatents gemäß Hauptantrag sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ergab. Für die Frage der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist entscheidend, um welche Leistung der Stand der Technik bereichert wird, was die Erfindung also gegenüber diesem tatsächlich leistet (BGH, Urt. v. 16.12.2008 - X ZR 89/07, GRUR 2009, 382 - Olanzapin; Urt. v. 18.06.2009 - Xa ZR 138/05, GRUR 2009, 1039 – Fischbissanzeiger), wobei möglicherweise verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (GRUR 2004, 317 – Programmartmitteilung) und zu fragen ist, ob der Fachmann Veranlassung hatte, diesen Stand der Technik zu ändern.

5.4.1. Den Ausgangspunkt des Standes der Technik, den der Fachmann bei seinem Bemühen um eine Problemlösung heranzog, mag vorliegend die Druckschrift Nk3p bilden, weil sie - soweit zwischen den Parteien unstrittig – von den im Verfahren befindlichen vorveröffentlichten Druckschrift die einzige ist, die eine Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen zeigt und zumindest einen Längskanal für Kühl-/Schmiermittel aufweist. Insbesondere hat die bekannte Reibahle nach der Nk3p auch einen Schneidkopf (4) und einen Schaft (3), in dem der zentrisch angeordnete Längskanal für Kühl-/Schmiermittel (6, 8) verläuft und an der Stirnseite (18) des Schneidkopfes (13) mit einer dort angeordneten Öffnung endet. Am Schneidkopf (4) sind Schneiden (9) und Spanräume in Form von Spannuten (10) angeordnet.

Die Druckschrift Nk3p weist somit alle Oberbegriffsmerkmale 1 bis 4 des geltenden Patentanspruchs 1 des Streitpatents auf, jedoch nicht die Merkmale 5.1 und 5.2, weil über die Form der Spannuten (10) in der gesamten Druckschrift nichts erwähnt ist. Im Hinblick auf die auf Seite 9, Zeile 35 beschriebene Wirtschaftlichkeit bei der Herstellung der bekannten Reibahle handelt es sich somit zweifellos um herkömmliche Spannuten gleichbleibenden Querschnitts, wie sogar die Klägerin zugesteht (Seite 5 der Klageschrift), weil sie besonders einfach und kostengünstig herzustellen sind.

Da, wie vorstehend begründet, die Nk3p keinerlei Offenbarungsgehalt hinsichtlich der Merkmale 5.1 und 5.2 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweist, konnte der Inhalt der Nk3p für sich gesehen deshalb dem Fachmann bereits aus diesem Grund keine Anregung zur Schaffung einer streitpatentgemäßen Gestaltung des Spanraumabschnittes gemäß Patentanspruch 1 als Problemlösung geben. Es fehlt mithin bereits jegliche Veranlassung, den Weg der Erfindung zu beschreiten, und deshalb an einem Naheliegen der beanspruchten Lehre. Denn hierzu bedarf es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH, Urt. v. 30.04.2009 - Xa ZR 92/05, GRUR 2009, 746, Tz.20 Betrieb einer Sicherheitseinrichtung), insbesondere reicht es nicht aus, dass nur keine Hinderungsgründe zutage treten (BGH, Urt. v. 08.12.2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407, Tz. 17 - einteilige Öse).

5.4.2. Die Anlage Nk3c (DE 446 198 A) zeigt, wie bereits zur Neuheit ausgeführt, ein zylindrisches Bohrwerkzeug, mit welchem besonders tiefe Löcher in einem Arbeitsgang gebohrt werden können und somit keine Reibahle im Sinne des Streitpatentgegenstandes. Das bekannte Bohrwerkzeug weist einen Schaft (h) auf, in dem Längskanäle (m, l) für Kühl-/Schmiermittel vorgesehen sind. Die Längskanäle (l) enden jeweils an schrägen Schneidflächen (f) des Schneidkopfes und haben demzufolge dort Öffnungen. Weiterhin hat der bekannte Bohrer einen Schneidkopf mit zwei Hauptschneiden an den Schneidflächen (f), sowie zwei Nebenschneiden (hinterschliffene Schneidrippen (a)), die sich längs der Mantelfläche des Schneidkopfs erstrecken. Daneben hat das bekannte zylindrische Bohrwerkzeug hinterschliffene Führungsrippen (b), die einerseits zur Führung dienen und gleichzeitig als Reibahle wirken (Seite 2, Zeilen 26 bis 31). Zwischen den Schneid- und Führungsrippen weist der Schneidkopf zwei unterschiedliche Arten von jeweils zwei Spanräumen auf.

Die erste Art von Spanräumen, in der Nk3c als Spanführungsnuten bezeichnet, ist unmittelbar vor den Schneidrippen angeordnet und dient dazu anfallende Späne abzuführen. Die zweite Art von Spanräumen, als Leerkammern bezeichnet, ist unmittelbar vor den Führungsrippen angeordnet und jeweils durch eine Stirnwand (c) in Schaftrichtung verschlossen, wobei die Stirnwand zur Verschraubung des Schneidkopfes mit dem Halter mittels Schrauben (p) vorgesehen ist.

Nach Anspruch 1 der Nk3c erweitert sich der Querschnitt der Spanführungsnuten "inhaltlich" von der Bohrerspitze aus nach hinten, so dass sich - anders ausgedrückt - der Spanraumabschnitt des bekannten Bohrers zur Stirnseite des Schneidkopfes hin verjüngt. Dies erfolgt entsprechend den Ausführungen auf Seite 2, Zeilen 9 bis 16 "stetig", also nach fachgerechter Auslegung "gleichförmig" zu dem Zweck, dass ein Festfressen der Späne im Bohrloch vermieden wird und eine schnelle unbehinderte Spanabführung erreicht wird. Anders als beim Streitpatentgegenstand erfolgt hier die Späneabfuhr jedoch rein mechanisch über die bei Bohrern übliche Wendelform der Spanführungsnuten und betrifft ganz offensichtlich ausschließlich die sogenannten „Bohrspäne“, weil die Spanführungsnuten, die tatsächlich den Span direkt abführen können, den Hauptschneiden des Bohrers zugeordnet sind. Über einen Späneabtransport von „Reibspänen“ die möglicherweise an den als Reibschneiden ausgebildeten Führungsrippen entstehen, findet sich in der gesamten Druckschrift Nk3c kein Offenbarungsgehalt. Wegen der nach oben durch die Stirnwand (c) verschlossenen Leerkammern erschließt sich dem Fachmann, dass anfallende „Reibspäne“ entweder in den Leerkammern verbleiben oder allenfalls über die Quernut (o) in der Schneidfläche (f) oder über Spalträume zwischen den Hauptund Nebenschneiden zu den Spanführungsnuten gelangen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Druckschrift Nk3c keine Reibahle, sondern allenfalls ein Kombinationswerkzeug zum Bohren und gleichzeitigen Reiben zum Inhalt hat. Das Reiben einer existierenden Sacklochbohrung ist mit diesem bekannten Kombinationswerkzeug schon deshalb nicht möglich, weil für diesen Fall das durch die Längskanäle (m, l) zugeführte Kühl-/Schmiermittel über die Öffnungen in den Schneidflächen (f) in die existierende Sackbohrung und von dort wirkungslos über die Spanführungsnuten abfließen würde. Wegen der durch die Stirnwände (c) verschlossenen Leerkammern ist weder ein effektives Kühlen oder Schmieren der hinterschliffenen Reibschneiden (Führungsrippen (b)), noch ein Abführen der Reibspäne über das Kühl-/Schmiermittel möglich.

5.4.3. Auch eine Kombination der Druckschriften der Nk3p mit der Nk3c kann den Fachmann unter Einbeziehung seines Fachwissens nicht in naheliegender Weise zur streitpatentgemäßen Reibahle führen. Denn ausgehend von der Druckschrift Nk3p mag sich zwar – entsprechend dem Vortrag der Klägerin - dem Fachmann möglicherweise eine andere objektive Aufgabe stellen, als diejenige, die im Streitpatent genannt ist. Abweichend von der Auffassung der Klägerin, die als übergeordnete Aufgabe die Verbesserung des Späneabtransports ansieht, liegt nach Überzeugung des Senats die objektive Aufgabe eher darin, den Spanraum einer Reibahle hinsichtlich seines Strömungsverhaltens derart geometrisch auszugestalten, dass entstehende Späne – anders als bei der bekannten Reibahle nach der Nk3p - nicht zum Boden des Sackloches gelangen können, sondern durch das Kühl- oder Schmiermittel direkt in Richtung Werkzeugaufnahme ausgespült werden.

Unter Berücksichtigung dieser Aufgabe kann sich der Fachmann bei der Ausgestaltung einer Reibahle nach der Nk3p von dem bekannten Schneidwerkzeug nach der Nk3c, bei dem die Späneabfuhr rein mechanisch über die bei Bohrern übliche Wendelform der Spanführungsnuten erfolgt, keinerlei Hinweise hinsichtlich eines strömungsbasierten Späneabtransports mittels des Kühl-/Schmiermittels erwarten. Vielmehr wird ein Fachmann diese Druckschrift bereits von vornherein nicht für die ihm gestellte Aufgabe in Betracht ziehen und aus der Hand legen, da das Problem des Strömungsverhaltens von Kühl/Schmiermittel im Spanraum einer Reibahle in der Nk3c nicht angesprochen ist.

Aber selbst wenn der Fachmann entsprechend dem Vortrag der Klägerin, ausgehend von der bekannten Reibahle nach der Nk3p, sich die allgemeine Aufgabe der Verbesserung des Späneabtransports stellt, so führte diese nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatents. Denn für eine Reibahle würde der Fachmann die sich erweiternden, gewendelten Spanführungsnuten zur mechanischen Abfuhr von Bohrspänen des bekannten Schneidwerkzeugs nach der Nk3c schon deshalb nicht in Betracht ziehen, weil sie in der Herstellung deutlich teurer sind und weil beim Reiben bereits grundsätzlich deutlich weniger Spanvolumen anfällt als beim Bohren.

5.4.4. Letztlich führt auch die ursprünglich vom Senat in dem qualifizierten Hinweis verfolgte Überlegung nicht in naheliegender Weise zur streitpatentgemäßen Reibahle zur Bearbeitung von Sacklochbohrungen, weil, wie vorstehend begründet, bei dem bekannten Schneidwerkzeug nach der Nk3c die Erweiterung des Querschnitts der Spanführungsnuten ausschließlich hinsichtlich der mechanischen Späneabführung verwirklicht ist.

Somit konnte ein Fachmann, ausgehend von der Nk3p, auch unter Hinzuziehung der Nk3c keine Anregungen erhalten, um in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 zu gelangen. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln insbesondere nicht schon deshalb als nahegelegt bewertet wird, weil lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von dem im Stand der Technik Bekannten zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen. Es bedarf vielmehr – abgesehen von Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist (BGH, Urt. v. 14.05.2009 - Xa ZR 148/05,GRUR 2009, 936 - Heizer; Urt. v. 27.04.2010 - X ZR 79/09, GRUR 2010, 814 – Fugenglätter) – zusätzlich des Anlasses oder der Anregung, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen, da erfahrungsgemäß die technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr oder weniger zwangsläufig darstellen (BGH, a. a. O., – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; a. a. O. – einteilige Öse).

5.4.5. Die übrigen im Zuge des Verfahrens in Betracht gezogenen Druckschriften, die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen worden sind, liegen weiter ab vom Streitpatentgegenstand und stehen deshalb dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 ebenfalls nicht patenthindernd entgegen. Die Druckschriften gemäß den Anlagen Nk3b, Nk3e, Nk3h, Nk3i und Nk3j sind zwar vorangemeldet, jedoch erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht worden und daher hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

Die Druckschrift Nk3k geht nicht über das hinaus, was bereits aus der Druckschrift Nk3c bekannt geworden ist, weil sie ebenfalls keine Reibahle, sondern ein Bohrwerkzeug mit zusätzlichen Reibschneiden zum Inhalt hat, das nicht zum Reiben existierender Sacklochbohrungen, sondern - ähnlich wie die Nk3c - zum Bohren und Reiben in einem Arbeitsgang vorgesehen ist (Spalte 4, Zeilen 15 bis 20). Zudem weist dieses bekannte Bohrwerkzeug auch nicht das Merkmal 5.2 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auf, wie selbst die Klägerin auf Seite 11 ihrer Klageschrift zugesteht.

Auch die Druckschriften Nk3a, Nk3d, Nk3f und Nk3m bleiben demgegenüber noch weiter zurück, weil sie reine Bohrwerkzeuge ohne Reibschneiden zum Inhalt haben. Diese Druckschriften können dem Fachmann daher keine Hinweise zur Ausgestaltung einer Reibahle geben, die für die Bearbeitung von Sacklochbohrungen vorgesehen ist.

Insbesondere führt auch eine Kombination der Druckschrift Nk3k mit einer der Druckschriften Nk3a, Nk3d und Nk3f nicht zum Streitpatentgegenstand, wozu zur Begründung auf die vorstehenden Ausführungen zur Kombination Nk3p und Nk3c verwiesen wird, die hier auch zutrifft.

Auch die Druckschrift Nk3l geht nicht über das hinaus, was bereits aus der Druckschrift Nk3p bekannt geworden ist, weil sie ebenfalls keinerlei Offenbarungsgehalt hinsichtlich der Merkmale 5.1 und 5.2 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweist.

Die Druckschriften Nk3n sowie Nk3o hinsichtlich dem von der Klägerin aufgegriffenen Ausführungsbeispiel, Reibahle Nr. 3, auf Seite 49 zeigen zwar Reibwerkzeuge, jedoch ohne einen Kühl-/Schmiermittelkanal. Aus diesem Grund können diese Druckschriften dem Fachmann keine Hinweise auf die Ausgestaltung von Spanräumen geben, die für die strömungsbasierte Abfuhr von Spänen durch das Kühl- und/oder Schmiermittel in besonderer Weise geeignet sein sollen.

5.5. Die Patentfähigkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag begründet ebenso die Rechtsbeständigkeit der von diesem abgeleiteten und ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2 bis 6. Diese enthalten Ausgestaltungen der Erfindung nach Patentanspruch 1 und werden vom beständigen Hauptanspruch getragen, ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedurfte (BGH Urt. v. 24.01.2012 - X ZR 88/09, Tz. 47; nicht abgedruckt in GRUR 2012, 475ff – Elektronenstrahltherapiesystem; BPatGE 34, 215).

III.

Als Unterlegene hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs.1 PatG, 709 ZPO.

Engels Dr. Huber Dr. Mittenberger-Huber Rippel Dr. Dorfschmidt

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