4 StR 529/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 529/24 BESCHLUSS vom 12. Februar 2025 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2025:120225B4STR529.24.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und auf Antrag des Beschwerdeführers am 12. Februar 2025 gemäß § 46 Abs. 1 StPO beschlossen:
Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten – unter Aufhebung des Beschlusses des Senats vom 15. Januar 2025 – Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 6. Mai 2024 gewährt.
Gründe:
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen schweren Raubes, besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und „vorsätzlichem“ Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Betruges in zehn Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Zudem hat es eine Kompensationsentscheidung getroffen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 15. Januar 2025 als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei (§ 349 Abs. 1 StPO). Dieser Beschluss ist aufzuheben.
Beruht eine Entscheidung, die das Rechtsmittel als unzulässig verwirft, auf einer – nicht erkennbar – unvollständigen oder falschen Aktenlage, ohne dass jene unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist, wird ausnahmsweise eine nachträgliche Aufhebung bzw. Abänderung von der Rechtsprechung anerkannt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2020 – 4 StR 597/19 Rn. 7 ff.; RGSt 59, 419, 420; BGH, Urteil vom 5. Juni 1951 – 1 StR 53/50, NJW 1951, 771; KG, Beschluss vom 15. Juni 2009 – 2 Ss 132/09, NZV 2009, 575 mwN; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 13 mwN). So liegt der Fall hier. Der Senat hat die Revision als unzulässig verworfen, weil er nach Lage der (nicht vollständigen) Akten davon ausgehen konnte, dass die Begründung der Revision nicht rechtzeitig angebracht worden war. Dabei war ihm eine erhebliche prozessuale Tatsache verborgen geblieben. Denn tatsächlich hatte der Angeklagte bereits mit beim Landgericht am 16. Dezember 2024 eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom selben Tage Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision unter Nachholung derselben beantragt, der allerdings erst am 17. Januar 2025 und damit nach der Verwerfungsentscheidung des Senats beim Bundesgerichtshof einging.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch zulässig und begründet; §§ 44, 45 StPO. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
Auch in der vorliegenden Fallgestaltung des geltend gemachten und dem Angeklagten nicht zuzurechnenden Verteidigerverschuldens für die Fristversäumung (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 5 StR 145/23 Rn. 9 mwN; Beschluss vom 26. Januar 2017 – 1 StR 671/16 Rn. 5) kommt es für die Wahrung der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zwischen Wegfall des Hindernisses und Antragseingang auf die Kenntnis des Angeklagten selbst an (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2024 – 2 StR 382/24 Rn. 2; Beschluss vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 26. Juni 2018 – 3 StR 197/18 Rn. 3 mwN). Jedoch kann ausnahmsweise ein fehlender Vortrag hierzu unschädlich sein, wenn weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt irgendeinen Anhalt dafür bieten, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der Fristversäumung erlangt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2024 – 4 StR 239/24 Rn. 6; Beschluss vom 1. August 2023 – 2 StR 124/23 Rn. 12 f.).
Das ist hier der Fall. Zwar enthält der Wiedereinsetzungsantrag nur Ausführungen dazu, dass dem Verteidiger des Angeklagten erstmals am 10. Dezember 2024 durch Empfangnahme des Antrags des Generalbundesanwalts auf Verwerfung der Revision als unzulässig „aufgefallen“ sei, dass er entgegen der Absprache mit seinem Mandanten das Rechtsmittel nicht begründet habe. Jedoch bietet weder dieser anwaltlich versicherte Vortrag noch der Akteninhalt irgendeinen Anknüpfungspunkt dafür, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der bis dato nicht erfolgten Begründung seiner Revision erlangt haben könnte. Die Wochenfrist ist damit durch den am 16. Dezember 2024 eingereichten Schriftsatz, durch den der Verteidiger auch die versäumte Handlung formwirksam nachgeholt hat, gewahrt.
Wegen der gewährten Wiedereinsetzung ist die Sache dem Generalbundesanwalt zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision des Angeklagten und einer etwaigen Antragstellung nach § 349 Abs. 2 oder 4 StPO erneut zuzuleiten.
Quentin Scheuß Sturm Marks Maatsch Vorinstanz: Landgericht Bielefeld, 06.05.2024 ‒ 20 KLs 1/23 815 Js 425/21