V ZR 181/24
BUNDESGERICHTSHOF V ZR 181/24 BESCHLUSS vom 3. Juli 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:030725BVZR181.24.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Juli 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel, Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Dr. Grau beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main - 13. Zivilkammer vom 19. September 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 579.000 €.
Gründe: I.
Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Er ist Alleineigentümer einer Wohnung nebst Tiefgaragenstellplatz und zu 99/100 Miteigentümer einer weiteren Wohnung nebst Tiefgaragenstellplatz. Bis 2018 war er der bestellte Verwalter der Klägerin. In der Eigentümerversammlung vom 2. März 2021 wurde eine neue Verwalterin gewählt. In der Folgezeit gab der Beklagte die Verwaltungsunterlagen nicht an die neue Verwalterin heraus und erklärte, in Eigentümerversammlungen vom 3. März 2021,
4. März 2021 und 1. März 2022, zu denen sämtliche Eigentümer schriftlich eingeladen worden seien, erneut unter Abwahl der neu gewählten Hausverwaltung zum Verwalter gewählt worden zu sein. In der Eigentümerversammlung vom 27. Mai 2022 wurde beschlossen, den Beklagten aufzufordern, aus der Gemeinschaft auszuscheiden und die Veräußerung der Miteigentumsanteile seiner Wohnungen bis zum 7. August 2022 nachzuweisen; eine Abmahnung war zuvor nicht erfolgt.
Die GdWE nimmt den Beklagten gemäß § 17 WEG auf Veräußerung seines Wohnungseigentums in Anspruch. In der Klageschrift hat sie dies darauf gestützt, dass der Beklagte die Hausgelder nicht gezahlt und zudem Hausgelder veruntreut habe, sich beharrlich verweigert habe, Abrechnungen zu erstellen, und die Einsicht in die Abrechnungsunterlagen verweigert habe. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Veräußerung seines Wohnungseigentums verurteilt. Das Landgericht hat seine Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wendet sich der Beklagte mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Aus Sicht des Berufungsgerichts hat das Amtsgericht einen Verfahrensfehler begangen. Es habe die Klagebegründung ausgetauscht, indem es die Verurteilung des Beklagten darauf gestützt habe, dass er jahrelang vorgegeben habe, zum Verwalter gewählt worden zu sein, obwohl die betreffenden Versammlungen entweder gar nicht oder lediglich mit dem den Beklagten unterstützenden „Lager“ stattgefunden hätten, während die Eigentümer des anderen „Lagers“ jeweils bewusst nicht eingeladen worden seien. Diesen Vortrag habe die Klägerin in erster Instanz nicht gehalten. Vielmehr habe das Amtsgericht in unzulässiger Weise den Inhalt beigezogener Akten verwertet bzw. zum Parteivortrag erhoben, ohne sie zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen oder die in Bezug genommenen Teile zur Verfahrensakte zu nehmen und den Parteien zur Verfügung zu stellen. Soweit es sich um dienstlich bekannt gewordene und nach § 291 ZPO in den Prozess einzuführende Tatsachen handele, hätte das Amtsgericht zuvor darauf hinweisen müssen, dass es deren Verwertung beabsichtige.
Das habe sich im Ergebnis aber nicht ausgewirkt. Im Schriftsatz vom 26. April 2023 habe die Klägerin vorgetragen, dass es der Beklagte verstanden habe, sich durch neue Beschlussfassungen im Zusammenspiel mit zwei weiteren Miteigentümern zum Verwalter bestellen zu lassen, indem die Einladungen zu den Versammlungen gegenüber den anderen Eigentümern fingiert bzw. nicht zugestellt worden seien. Die anderen Eigentümer hätten danach keine Einladung erhalten bzw. diese seien abgefangen worden. Dieser Vortrag sei noch ausreichend substantiiert und in erster Instanz unstreitig geblieben. Das erstmalige Bestreiten dieses Vortrags durch den Beklagten in der zweiten Instanz sei nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Aus dem Vortrag ergebe sich ein so schwerer Pflichtenverstoß gegenüber der GdWE, dass die Fortsetzung der Gemeinschaft unzumutbar sei und keine Wiederholungsgefahr nachgewiesen werden müsse. Er rechtfertige die Entziehung auch ohne Abmahnung, die den Beklagten ohnehin unbeeindruckt gelassen hätte.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht - wie die Beschwerde zu Recht rügt - den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Es verletzt den Anspruch einer Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn ihr Angriffs- oder Verteidigungsmittel deswegen unberücksichtigt bleibt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat (ständige Rechtsprechung; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Mai 2023 - V ZR 203/22, ZfIR 2024, 42 Rn. 4 mwN).
2. Gemessen daran ist dem Berufungsgericht eine Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei mit seinem Bestreiten der klägerischen Behauptung, der Beklagte habe sich durch neue Beschlussfassungen im Zusammenspiel mit zwei Miteigentümern zum Verwalter bestellen lassen, indem die Einladungen zu den Versammlungen gegenüber den anderen Eigentümern fingiert bzw. nicht zugestellt worden seien, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz ausgeschlossen, ist offenkundig fehlerhaft.
a) Das Berufungsgericht nimmt allerdings zutreffend an, dass es sich bei dem Bestreiten des Klägervortrags um ein neues Verteidigungsmittel handelt. Neu i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO ist ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, wenn es bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht vorgebracht worden und daher im erstinstanzlichen Urteil unberücksichtigt geblieben ist. Ein im zweitinstanzlichen Verfahren erstmals vorgebrachtes Bestreiten bildet stets - und so auch hier - ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2016 - VIII ZR 178/15, NJW-RR 2017, 72 Rn. 20, 22 zum Zeugenbeweis). Der Beklagte hat die Behauptung der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz bestritten. Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde ist er dem Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 26. April 2023 nicht mit seinem Schriftsatz vom 14. September 2023 entgegengetreten. Darin hat der Beklagte nur das Vorbringen der Klägerin aus dem Schriftsatz vom
23. Juni 2023 bestritten, er geriere sich weiterhin als Verwalter und sei der Auffassung, dass er in den Eigentümerversammlungen vom 3. März 2021 und 4. März 2021 zum Verwalter bestellt worden sei, nicht jedoch die Manipulation der Einladungen zu den Versammlungen.
b) Zu Unrecht meint aber das Berufungsgericht, ohne unter den Tatbestand der Norm zu subsumieren, das erstmals in der Berufungsinstanz vorgebrachte Bestreiten sei nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Voraussetzungen für dessen Zulassung liegen jedenfalls gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vor.
aa) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Jede Partei ist grundsätzlich gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist. Sorgfaltsmaßstab ist dabei die einfache Fahrlässigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 253). Maßgeblich ist somit auch, ob die Partei bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt die Entscheidungsrelevanz des betreffenden Vorbringens überhaupt hätte erkennen können (vgl. Senat, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 303; Stein/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 531 Rn. 19).
bb) Gemessen hieran ist das Bestreiten zuzulassen. Dass der Beklagte das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 26. April 2023 nicht bereits erstinstanzlich bestritten hat, beruht nicht auf Nachlässigkeit (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Der Beklagte musste in erster Instanz nicht damit rechnen, dass ein Bestreiten notwendig sein könnte. Denn die Klage war auf andere Entziehungsgründe gestützt, nämlich die Nichtzahlung der Hausgelder, die Veruntreuung von Hausgeldern, das beharrliche Verweigern des Erstellens der Abrechnungen sowie die Verweigerung der Einsicht in die Abrechnungsunterlagen. Angesichts dessen hatte der Beklagte keinen Anlass, den Vortrag der Klägerin zu bestreiten, er habe sich unter Fingierung von Einladungen zu Versammlungen oder deren Nichtzustellung an andere Miteigentümer zum Verwalter bestellen lassen. Diesen Entziehungsgrund hat die Klägerin nicht angeführt. Den genannten Vortrag hat sie vielmehr nur gehalten, um hervorzuheben, dass der Beklagte die behaupteten, zur Entziehung des Eigentums führenden Pflichtverletzungen unter Ausnutzung seiner nach Auffassung der Klägerin unwirksamen Bestellung als Verwalter begangen hat.
cc) Ob das Bestreiten des Beklagten in der Berufungsinstanz - wie die Nichtzulassungsbeschwerde meint - ebenfalls nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bzw. - angesichts des von dem Berufungsgericht festgestellten Verfahrensfehlers des Amtsgerichts - nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen ist, kann daher dahinstehen.
3. Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Bestreitens zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen des Entziehungsanspruchs nach § 17 WEG nicht gegeben sind und die Entziehungsklage erfolglos bleibt.
IV.
Der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör des Beklagten führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht muss - ggf. unter Erhebung etwaig angebotener Beweise - aufklären, ob der Vorwurf einer Manipulation der Einladungen zu den Versammlungen zutrifft und ob sich daraus ein Entziehungsgrund ergibt. Soweit ein solcher anzunehmen ist, obliegt es der tatrichterlichen Würdigung, ob eine Abmahnung hier ausnahmsweise entbehrlich ist (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 19. Januar 2007 - V ZR 26/06, BGHZ 170, 369 Rn. 15).
Brückner Malik Göbel Grau Hamdorf Vorinstanzen:
AG Offenbach am Main, Entscheidung vom 09.11.2023 - 310 C 47/22 LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 19.09.2024 - 2-13 S 2/24 -