VIa ZR 1590/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 1590/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:010425UVIAZR1590.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Messing, Dr. Katzenstein und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Oktober 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2017 bei einem Händler einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten Mercedes-Benz V 250 CDI 4-Matic Blue Efficiency mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6).
Seine Klage, mit der er im Wesentlichen so gestellt werden möchte, wie wenn er den Kaufvertrag nie abgeschlossen hätte, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Das Inverkehrbringen des mit einem Motor der Baureihe OM 651 Euronorm 6 und einem SCR-Katalysator versehenen Fahrzeugs stelle keine sittenwidrige Handlung der Beklagten gegenüber dem Kläger dar. Weder aus dem Vortrag des Klägers noch einem von ihm in Bezug genommenen Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) ergebe sich, dass einer der im streitgegenständlichen Motor eingesetzten SCR-Modi ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviere. Zudem fehle es auch in subjektiver Hinsicht an einem vorsätzlich sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Schließlich stehe dem Kläger auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil diese Vorschriften nicht den Schutz des Käufers vor Abschluss eines ungewollten Vertrags bezweckten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision insoweit erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20,
WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), sondern hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Katzenstein Brenneisen F. Schmidt Messing Vorinstanzen: LG Halle, Entscheidung vom 25.03.2022 - 6 O 146/21 OLG Naumburg, Entscheidung vom 14.10.2022 - 5 U 63/22 - Verkündet am: 1. April 2025 Wendt, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle