5 StR 215/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 215/24 BESCHLUSS vom 20. August 2024 in der Strafsache gegen wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:200824B5STR215.24.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. Januar 2024 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die bestehen bleiben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte spätestens seit dem Jahr 2016 an einer paranoiden Schizophrenie mit wiederkehrenden Wahnvorstellungen. Er ist davon überzeugt, zwei Bekannte, die er ebenfalls in jenem Jahr kennengelernt und mit denen er auf Partys Drogen konsumiert hatte, hätten ihm eine (weitere) psychoaktive Substanz in einen Joint gemischt, um ihn zu kontrollieren. Zu demselben Zweck hätten sie ihm außerdem einen Chip eingepflanzt und könnten so auch mit ihm aus der Ferne kommunizieren. Der Angeklagte hört seit der Zeit die Stimmen der Zeugen, die er nur mit ihren Spitznamen „L. “ und „D. “ anspricht, in seinem Kopf; sie würden sich über ihn lustig machen, ihn bloßstellen, ihn bedrohen und ihm Schmerzen zufügen. Da der Angeklagte die Zeugen in der Folgezeit mehrfach mit diesen Vorwürfen konfrontierte, kam der Kontakt zu ihnen zum Erliegen; er suchte aber nach einem Weg, die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen und versuchte deshalb weiterhin, zu „L. “ Kontakt aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund beging der Angeklagte die drei verfahrensgegenständlichen Taten jeweils zum Nachteil seines Vaters:
Am 13. Dezember 2020 forderte er ihn auf, ihm 10.000 Euro zu geben. Er wollte das Geld dazu verwenden, um die Stimmen in seinem Kopf zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, ohne dass die Strafkammer hat klären können, wie das hätte bewerkstelligt werden sollen. Nachdem sein Vater die Zahlung mehrfach abgelehnt hatte, hielt ihm der Angeklagte ein Brotmesser mit 12,5 Zentimeter langer Klinge vor und verlangte erneut das Geld; andernfalls werde er ihn umbringen. Die Drohung ernst nehmend verließ der Vater unter dem Vorwand, das Geld bei der Bank abheben zu müssen, die Wohnung, nahm aber noch ein Telefon mit, um die Polizei anzurufen. Dieses entriss ihm der Angeklagte und nahm nunmehr an, sein Vater werde jetzt zur Bank gehen und ihm das Geld bringen. Der bat aber nur einen Passanten, die Polizei anzurufen, die kurze Zeit später erschien (Fall 1 der Urteilsgründe). Zu dieser Tat hat die Strafkammer festgestellt, dass entgegen der Annahme des Sachverständigen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit infolge des erlebten Wahns und des daraus resultierenden Drangs, die Stimmen in seinem Kopf zu beseitigen oder beseitigen zu lassen, nicht ausgeschlossen sei.
Etwa ein halbes Jahr später, im Juni des Jahres 2023, litt der Angeklagte erheblich unter dem Eindruck, dass „L. “ und „D. “ aus der Ferne zu ihm sprächen, ihn kontrollierten und quälten. Er fühlte gar körperliche Schmerzen und forderte seinen Vater deshalb mehrfach auf, ihn zu der von ihm als „L. “ bezeichneten Zeugin zu fahren. Er wollte mit ihr ein klärendes Gespräch führen, von dem er sich ein Ende des Stimmenhörens versprach. Der Vater vertröstete ihn indes auf einen späteren Zeitpunkt, was der Angeklagte nicht hinnehmen wollte. Er ergriff deshalb ein Küchenmesser und drang damit am 24. oder spätestens am Morgen des 25. Juni 2023 auf seinen Vater ein und führte ihm über den ganzen Körper verteilt mehr als 30 leichte Schnittverletzungen zu. In der Folge beruhigte sich der Angeklagte, nachdem sein Vater ihm in Aussicht gestellt hatte, später zu der Zeugin zu fahren. Dies geschah spätestens am Vormittag des 25. Juni 2023 auch tatsächlich, ohne dass es allerdings zu einem direkten Gespräch mit der Zeugin kam, weil der Angeklagte bereits wieder in das Auto seines Vaters gestiegen war, als die Zeugin zur Tür kam (Fall 2 der Urteilsgründe).
Nach der Rückkehr in die Wohnung äußerte der Angeklagte erneut und wiederholt den Wunsch, zu „L. “ gefahren zu werden. Sein Vater versuchte erneut, ihn auf einen späteren Zeitpunkt zu vertrösten, womit sich der Angeklagte nicht zufriedengab. Er holte aus seinem Zimmer ein Klappmesser und stach damit seinem Vater in die rechte Ellenbeuge, der dadurch eine stark blutende Wunde erlitt (Fall 3 der Urteilsgründe). Der Angeklagte ließ daraufhin von ihm ab. Er wurde von den herbeigerufenen Polizeibeamten in eine Klinik gebracht und anschließend nach dem Bremer PsychKG untergebracht.
Bei den Taten im Juni 2023 ist das Landgericht im Einklang mit der Einschätzung des Sachverständigen davon ausgegangen, dass – bei erhaltener Einsichtsfähigkeit – die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich eingeschränkt gewesen sei. Sie sei aber nicht gänzlich aufgehoben gewesen, denn der Angeklagte sei im Tatzeitraum nicht völlig ungesteuert oder unansprechbar gewesen und er habe seine Gewaltanwendung dosieren können.
2. Die Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Denn die Urteilsgründe tragen nicht die Annahme, der Angeklagte sei im Sinne des § 21 StGB lediglich vermindert schuldfähig gewesen, die Voraussetzungen des § 20 StGB hätten zu den Tatzeitpunkten indes jeweils nicht vorgelegen. Dies entzieht dem Schuld- und dem Rechtsfolgenausspruch die Grundlage.
a) Im Fall 1 der Urteilsgründe ist der Sachverständige von einer voll erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Zwar habe auch bei dieser Tat die paranoide Schizophrenie vorgelegen und es sei von einem Wahnerleben auszugehen; dies führe aber nicht automatisch dazu, dass das Handeln des Betroffenen durch die Krankheit gesteuert werde. Beim Angeklagten hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass er unter einem „derart hohen Handlungsdruck gestanden habe, der ihn entsprechend eingeschränkt hätte.“ Denn er habe mit dem Messer nur gedroht, dieses aber nicht – wie bei den späteren Taten – auch eingesetzt.
Dieser Einschätzung ist die Strafkammer letztlich nicht gefolgt; vielmehr hat sie nicht ausschließen können, dass der Angeklagte aufgrund des ständigen wahnhaften Stimmenhörens und des daraus resultierenden, auch körperlich wahrgenommenen Leidensdrucks in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei und sich in der Tatsituation gegenüber seinem ihm ablehnend gegenübertretendem Vater nicht anders zu helfen gewusst habe, als ihn zur Herausgabe des geforderten Geldbetrages zu nötigen. Weitere Hinweise auf das Vorliegen eines psychotischen Wahns zur Tatzeit ergäben sich zudem daraus, dass der Angeklagte gegenüber dem die Tat aufnehmenden Polizisten einen sehr sprunghaften Eindruck gemacht und gewirkt habe, als lebe er in seiner eigenen Realität.
Damit in Einklang steht die Feststellung der Strafkammer, dass der Angeklagte das von ihm geforderte Geld benötigte, um die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen, ohne dass geklärt werden konnte, wie das bewerkstelligt werden sollte. Mithin ist auch insoweit ein wahnhaft motiviertes Vorstellungsbild des Angeklagten denkbar. Wenn aber aus Sicht der Strafkammer ein akutes psychotisches Wahnerleben zur Tatzeit nicht ausgeschlossen werden kann, bleibt offen, warum dieses lediglich zu einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit, nicht aber auch zu ihrer Aufhebung geführt haben könnte. Eigene Überlegungen hat die Strafkammer insoweit nicht erkennbar angestellt; auf die Einschätzung des Sachverständigen, dem sie bei seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit weitgehend nicht gefolgt ist, konnte sie sich nicht ohne nähere Ausführungen zum Vorliegen einer eigenen Sachkunde berufen (vgl. zur möglichen Abweichung von einem Sachverständigengutachten zur Schuldfähigkeit etwa BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 – 5 StR 385/18 Rn. 14 ff. mwN).
b) Aber auch in den Fällen 2 und 3 der Urteilsgründe, in denen sich das Landgericht der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, hält die Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei lediglich erheblich vermindert, nicht aber aufgehoben gewesen, sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Strafkammer ist mit dem Sachverständigen davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte bei Begehung dieser Taten in einem akuten wahnhaften Zustand befunden habe, in dem er es aufgrund des gestiegenen Leidensdrucks nicht habe aushalten können, dass sein Vater ihn nicht umgehend (erneut) zu „L. “ habe fahren wollen. Gleichwohl sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht vollständig aufgehoben gewesen.
Dies offenbart, dass das Landgericht von falschen Prämissen ausgegangen ist und seine Prüfung der Steuerungsfähigkeit zudem der Nachvollziehbarkeit entbehrt: Bei der Steuerungsfähigkeit geht es um die Fähigkeit, entsprechend der Unrechtseinsicht zu handeln, also um Hemmungsvermögen, Willenssteuerung und Entscheidungssteuerung, nicht aber um exekutive Handlungskontrolle. Entscheidend kommt es auf die motivationale Steuerungsfähigkeit an, also die Fähigkeit, das eigene Handeln auch bei starken Wünschen und Bedürfnissen normgerecht zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger Motivationen zu hemmen. Steuerungsfähigkeit darf nicht mit zweckrationalem Verhalten verwechselt werden. Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 99/22, NJW 2022, 1966, 1967 mwN).
Dies ist der Strafkammer aus dem Blick geraten, als sie – dem Sachverständigen folgend – die jedenfalls teilweise erhaltene Steuerungsfähigkeit damit begründet hat, dass der Angeklagte die Grenzen ausgetestet und die Gewaltanwendung kontrolliert gesteigert habe. Denn dadurch hat sie letztlich nur zum Ausdruck gebracht, dass er funktional zu einer geordneten Tatbegehung in der Lage war; ob er es aber vermochte, den in seinem psychotischen Wahn gehörten Stimmen, die ihn nach den Feststellungen des Landgerichts kontrollierten und quälten, etwas entgegenzusetzen, was ihn von der Gewaltanwendung gegen seinen Vater insgesamt hätte abhalten können, wird dadurch nicht beantwortet. In diesem Zusammenhang unerörtert bleibt auch die Einlassung des Angeklagten, er habe die Tatbegehung eigentlich nicht gewollt, aber es sei für ihn um „Leben und Tod“ gegangen. Damit bleibt im Ergebnis wiederum offen, warum das akut-psychotische Wahnerleben nicht zu einer vollständigen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt haben sollte.
Soweit die Strafkammer mit dem Sachverständigen in diesem Zusammenhang darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe doch den Stimmen, die ihn aufgefordert hätten, seinen Vater zu töten, widerstehen können, hat sie letztlich die Beurteilung der noch erhaltenen Steuerungsfähigkeit auf die Einlassung des auch in der Hauptverhandlung noch wahnhaften Angeklagten und seine Angaben gegenüber dem Sachverständigen zum Umgang mit den Stimmen in seinem Inneren gestützt, deren „Befehlen“ er sich widersetzt habe. Dies begegnet angesichts des Umstands, dass der Angeklagte die Stimmen von „L. “ und „D. “ in wahnhafter Verkennung der Realität nach wie vor für real und nicht krankheitsbedingt hält, durchgreifenden Bedenken.
c) Die Fehler bei der Schuldfähigkeitsprüfung entziehen auch der Anordnung der Maßregel des § 63 StGB die Grundlage.
3. Nach alledem bedarf die Frage der Schuldfähigkeit – naheliegend unter Einschaltung eines anderen Sachverständigen – umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern allerdings nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können deshalb bestehen bleiben.
Cirener Gericke Mosbacher Resch RiBGH Prof. Dr. Werner ist im Urlaub und kann nicht unterschreiben.
Cirener Vorinstanz: Landgericht Bremen, 16.01.2024 - 6 KLs 808 Js 43350/23