VIa ZR 76/22
Berichtigt durch Schreibfehlerberichtigung vom 4.4.25 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 76/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:250325UVIAZR76.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs - hinsichtlich des weiterverfolgten Klageantrags zu 1 allerdings lediglich in Höhe von 21.966,98 € nebst Verzugszinsen und im Umfang der von dem Landgericht festgestellten Erledigung der Hauptsache sowie unter Zurückweisung der weitergehenden Revision - zu seinem Nachteil erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb im September 2013 von der Beklagten einen von ihr hergestellten neuen Mercedes-Benz GLK 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Er hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat in erster Instanz zuletzt die Zahlung von 25.041,72 € nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe eines weiteren Betrags (Klageantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 3) begehrt.
Das Landgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung und mangelbedingten Rücktritts vom Kaufvertrag zur Zahlung von 21.966,98 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt, die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 2.481,36 € und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt sowie die Beklagte zur Erstattung eines Teilbetrags der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Dagegen haben beide Parteien Rechtsmittel eingelegt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung die vollumfängliche Abweisung der Klage begehrt. Der Kläger hat mit seiner Berufung den Klageantrag zu 1 mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass er zuletzt die Zahlung von 22.960,59 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt und den Antrag im Übrigen einseitig für erledigt erklärt hat. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen.
Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten sowie seinen Berufungsantrag weiter, soweit er die Anträge auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Entscheidungsgründe: 6 Die Revision des Klägers hat im tenorierten Umfang Erfolg.
I. 7 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet: 8 Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB nicht zu. Nach seinem Vortrag habe die Beklagte hinsichtlich des Thermofensters und hinsichtlich der KSR nicht sittenwidrig gehandelt. Der Kläger habe weder eine Funktionsweise nach Art einer Umschaltlogik schlüssig dargelegt noch sonstige Umstände aufgezeigt, aus denen sich eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten ergebe. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV bestehe ebenfalls nicht. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften.
II.
Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO. Die Teilzurückweisung der Revision beruht darauf, dass hinsichtlich des von dem Landgericht aberkannten Teils der von dieser Teilzurückweisung betroffenen Hauptforderung die Berufung des Klägers nicht ordnungsgemäß begründet worden (§ 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO) und eine Erweiterung des Klagebegehrens durch Anschlussberufung angesichts des bereits eingetretenen Fristablaufs (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO; vgl. etwa BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - X ZR 120/15, GRUR 2017, 785 Rn. 38) insoweit nicht mehr möglich ist.
Im Umfang der Aufhebung stellt sich das Berufungsurteil nicht aus anderen Gründen als richtig dar, § 561 ZPO. Der Senat kann insoweit nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger - ohne dass es insoweit einer Anschlussberufung bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2024 - VIa ZR 1132/22, WM 2024, 1143 Rn. 12 ff.) - Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen und einen entsprechenden Zahlungsantrag zu stellen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Ostwaldt Möhring Tausch Katzenstein Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 28.07.2020 - 23 O 117/19 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 03.01.2022 - 23 U 396/21 - Verkündet am: 25. März 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Bundesgerichtshof VIa. Zivilsenat VIa ZR 76/22 Schreibfehlerberichtigung Das Vorinstanzdatum des OLG Stuttgart in dem Urteil des Senats vom 25.03.2025 wird aufgrund eines Übertragungsfehlers wie folgt berichtigt: OLG Stuttgart, Entscheidung vom 17.12.2021 - 23 U 396/21 Karlsruhe, den 4. April 2025 Dr. C. Fischer