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1 Ni 15/17 (EP)

BUNDESPATENTGERICHT Ni 15/17 (EP) (Aktenzeichen)

…

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am 9. November 2017

…

In der Patentnichtigkeitssache betreffend das europäische Patent 2 637 917 (DE 60 2012 003 358)

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richter Dipl.-Ing. Sandkämper, Dr.-Ing. Baumgart, Richterin Grote-Bittner und Richter Dipl.-Phys. Univ. Dr.-Ing. Geier für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 2 637 917 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

ECLI:DE:BPatG:2017:091117U1Ni15.17EP.0 II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand Mit der Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des europäischen Patents 2 637 917 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 637 917, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 60 2012 003 358 geführt wird und dessen Erteilung u.a. mit dem Bestimmungsland der Bundesrepublik Deutschland am 8. Oktober 2014 in englischer Verfahrenssprache veröffentlicht worden ist. Das am 8. August 2012 angemeldete Streitpatent ist aus der PCT-Anmeldung PCT/IB2012/054043 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-Voranmeldungen 201161523215 vom 12. August 2011 hervorgegangen. Es trägt die Bezeichnung „A dual steerable vehicle“ („Fahrzeug mit zwei Steuerungsmodi“).

Das Streitpatent, das vollumfänglich angegriffen wird, umfasst 8 Patentansprüche mit einem Hauptanspruch 1 und 7 auf diesen direkt oder indirekt rückbezogene Untersprüche.

Der Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

“1. A tricycle (800, 810) operable between a first mode of operation steerable by a tricycle rider, and a second mode of operation steerable by an individual pushing the tricycle, the tricycle comprising: a pair of rear wheels (400); a front wheel (100) having opposing sides and a front wheel axis; a head tube (707); a frame (700) configured to rotatably support the rear wheels (400) and configured to support the head tube (707); a pair of pedals (141, 142), each pedal configured for connection about the front wheel axis to rotate the front wheel (100); a fork (133) having at least one blade (130, 131) configured to support the front wheel (100) in a manner permitting the front wheel (100) to rotate about the front wheel axis; a stem (305) configured to extend from the head tube (707) in a manner permitting the stem (305) to rotate, the stem (305) including a rod having a minimum diameter that is at least three times smaller than a width of the front wheel (100); a rider handle (200), configured to turn the fork (133) about a stem axis extending transverse to the front wheel axis, the rider handle in the first mode being configured to be rotationally coupled with the stem (305) in a manner permitting a tricycle rider to exert forces on the rider handle (200) and thereby turn the fork (133), and the rider handle (200) in the second mode, where the stem axis leads the front wheel axis, being configured to be rotationally uncoupled from the stem (305), preventing forces on the rider handle (200) from turning the fork (133) and permitting the individual pushing the tricycle to turn the fork (133) via pushing force; and wherein the stem (305) extends from the fork (133) at an angle of between about 165 degrees and 179 degrees and wherein an offset distance between the stem axis and the front wheel axis is between 15 mm and 40 mm.”

Gemäß der deutschen Übersetzung des Streitpatents lautet der Patentanspruch 1:

„Dreirad (800, 810), das auf Folgende Weise betrieben werden kann: in einem ersten Betriebsmodus, in dem es von einem Dreiradfahrer gelenkt wird, und in einem zweiten Betriebsmodus, in dem es von einer Person gelenkt wird, die das Dreirad schiebt, wobei das Dreirad Folgendes umfasst: ein Paar Hinterräder (400); ein Vorderrad (100), das gegenüberliegende Seiten und eine Vorderradachse aufweist; ein Steuerrohr (707); einen Rahmen (700), der so konfiguriert ist, dass er die Hinterräder (400) drehbar stützt, und der so konfiguriert ist, dass er das Steuerrohr (707) stützt; ein Paar Pedale (141, 142), wobei jedes Pedal zur Verbindung mit der Vorderradachse konfiguriert ist, um das Vorderrad (100) zu drehen; eine Gabel (133), die mindestens eine Gabelscheide (130, 131) aufweist, die so konfiguriert ist, dass sie das Vorderrad (100) in einer Weise stützt, dass sich das Vorderrad (100) um die Vorderradachse drehen kann; einen Schaft (305), der so konfiguriert ist, dass er sich von dem Steuerrohr (707) in einer Weise erstreckt, dass sich der Schaft (305) drehen kann, wobei der Schaft (305) eine Stange umfasst, die einen Mindestdurchmesser aufweist, der mindestens dreimal kleiner ist als die Breite des Vorderrades (100); eine Lenkstange (200), die so konfiguriert ist, dass sie die Gabel (133) um eine Schaftachse dreht, die sich quer zur Vorderradachse erstreckt, wobei die Lenkstange in dem ersten Modus so konfiguriert ist, dass sie rotationsmäßig mit dem Schaft (305) in einer Weise gekoppelt ist, die einem Dreiradfahrer ermöglicht, Kräfte auf die Lenkstange (200) auszuüben und dadurch die Gabel (133) zu drehen, und wobei die Lenkstange (200) in dem zweiten Modus, in dem die Schaftachse die Vorderradachse führt, so konfiguriert ist, dass sie rotationsmäßig von dem Schaft (305) entkoppelt ist, wodurch verhindert wird, dass Kräfte, die auf die Lenkstange (200) ausgeübt werden, die Gabel (133) drehen können, und der Person, die das Dreirad schiebt, ermöglicht wird, die Gabel (133) über die Schubkraft zu drehen; und wobei sich der Schaft (305) von der Gabel (133) in einem Winkel von etwa 165 Grad bis 179 Grad erstreckt und wobei ein Versatzabstand zwischen der Schaftachse und der Vorderradachse 15 mm bis 40 mm beträgt.“

Wegen des Wortlauts der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 wird auf den Inhalt der Streitpatentschrift verwiesen.

In der Fassung des Hilfsantrags 1 lautet der Patentanspruch 1 im letzten Halbsatz (Ergänzungen/Streichungen gegenüber der erteilten Fassung durch Unterstreichung/Durchstreichung gekennzeichnet):

“…wherein the lower end of the stem (305) extends from is connected to the upper end of the fork (133) in a manner such that the stem axis and a fork axis of the fork (133) form at an angle (x) of between about 165 degrees and 179 degrees there between and wherein an offset distance between the stem axis and the front wheel axis is between 15 mm and 40 mm.”

In der Fassung des Hilfsantrags 2 lautet der Patentanspruch 1 mit den vorgenannten Änderungen des Hilfsantrags 1 und mit zudem folgender Änderung (Ergänzungen/Streichungen gegenüber der Fassung nach Hilfsantrag 1 durch Unterstreichung/Durchstreichung gekennzeichnet):

“… a rider handle (200), configured to turn the fork (133) about a stem axis extending transverse to the front wheel axis, the rider handle in the first mode, where the stem axis trails the front wheel axis, being configured to be rotationally…..”

Wegen des weiteren Wortlauts der Anspruchsfassungen nach den Hilfsanträgen 1 und 2 wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017, in der die Beklagte die Hilfsanträge 1 und 2 eingereicht hat, Bezug genommen (Bl. 368 bis 371 d. A.).

Die Klägerin macht geltend, dass der Gegenstand des Streitpatents nach Patentanspruch 1 und nach den Unteransprüchen 2 bis 8 weder neu noch erfinderisch (Art. 138 Abs. 1 Buchstabe a) EPÜ i. V. m. Art. 54 und 56 EPÜ i. V. m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG) sei und begründet dies.

Die Klägerin stützt ihr Vorbringen auf folgende Entgegenhaltungen:

D1: FR 2 955 080 A1, D2: FR 2 930 929 A1, D3: DE 22 28 716 B2, D4: DE 29 03 818 A1, D5: US 5 590 896 A, D6: US 6 302 421 B1, D7: CN 2 405 850 Y, D8: DE 35 28 357 C1, D9: DE 29 39 603 A1,

D10: Video auf www.youtube.com, verdeutlich durch Screenshot, URL: https://www.youtube.com/watch?v=auaUThyvGwk&feature=youtu.be Hochgeladen auf youtube.com am 15. April 2011,

D11: JP 2006 – 298161 A, D12: NL 1 023 930 C, D13: CN 2 018 25 196 U, D14: US 2011/0278815 A1 und D15: US 5 085 063 A,

sowie - eingereicht mit Schriftsatz vom 2. November 2017 - D16: Anleitung zu einem Dreirad vom Typ „Smart Trike Dream (159)“, D17: Kopie einer Rechnung der Smart Trike MNF PTE Ltd. vom 8. April 2012 über Dreiräder vom Typ „159 – Dream Team“, D18: Katalog der Smart Trike MNF PTE Ltd. zu Dreiradprodukten, D19: Unterlagen zum Schiedsverfahren vor dem Richter Dr. Amiram Binyamini

(Tel Aviv) D20: Auszug aus www.Amazon.co.uk, Dreiräder der Smart Trike MNF PTE Ltd.

Die Klägerin meint, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber den Druckschriften D2 und D4 und aufgrund Vorbenutzung nicht neu sei, wobei sich die Beklagte nicht wirksam auf die Priorität aus der US-Voranmeldung berufen könne, da das Streitpatent Erweiterungen enthalte. Zum Stand der Technik gehörten daher alle vor dem 8. August 2012 veröffentlichten Dokumente. Zum Nachweis der Vorbenutzung verweist die Klägerin auf eingereichte Abbildungen der Dreiräder „Gold“ und „Caddy“ des Herstellers P… und der Dreiräder „Smart Trike Dream“ und „SmarTrike Safari Zoo“ der Beklagten nebst Verkaufsdokumenten. Zudem bietet sie zum Beweis für den Vertrieb des Dreirads „Smart Trike Dream“ der Beklagten mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 im Juni 2012 Zeugnis des Herrn Y… an, eines früheren Mitarbeiters der Beklagten.

Den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 hält die Klägerin jedenfalls nicht für erfinderisch, da dieser für den maßgeblichen Fachmann insbesondere aus den Druckschriften D1 oder D2 jeweils in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder in Kombination mit den Druckschriften D3 oder D4 oder aus einer der Vorbenutzungen in Kombination mit einer der eingereichten Druckschriften nahegelegt sei.

Die Klägerin rügt Verspätung der in der mündlichen Verhandlung neu eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 der Beklagten. Sie hält die Anspruchsfassungen nach den Hilfsanträgen aber auch für unzulässig, da deren Gegenstände nicht ursprünglich offenbart seien.

Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 21. Juni 2017, auf den Bezug genommen wird, mit einer Stellungsnahmefrist von zwei Monaten übermittelt. Der Hinweis ist den Parteien am 26. Juni 2017 zugestellt worden. In der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 hat der Senat einen weiteren Hinweis erteilt.

Die Klägerin beantragt,

das europäische Patent 2 637 917 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 übergebenen Hilfsanträge 1 und 2 erhält.

Die Beklagte, die die verspätete Vorlage der von der Klägerin eingereichten Entgegenhaltungen D16 bis D20 rügt, tritt der Auffassung der Klägerin in allen Punkten entgegen. Die beanspruchten speziellen geometrischen Maßangaben nach den Merkmalen betreffend den Durchmesser der vom Schaft umfassten Stange, den Winkel der Erstreckung des Schafts und den Versatzabstand seien keinem der klägerseits eingereichten Entgegenhaltungen zu entnehmen, weshalb sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als neu erweise. Der erteilte Patentanspruch 1 sei aber auch für den Fachmann nicht nahegelegt. Die Klägerin gelange hierzu nur aufgrund einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe Die zulässige Klage ist begründet, da der Gegenstand des Streitpatents sich sowohl in der erteilten Fassung als auch in der hilfsweise verteidigten Fassung nach Hilfsantrag 2 in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (Art. 138 Abs. 1 Buchstabe a) i. V. m. Art. 54 und 56 EPÜ i. V. m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG). Die nach Hilfsantrag 1 verteidigte Fassung der Patentansprüche ist unzulässig.

I.

Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten neuen Hilfsanträge und die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 2. November 2017 neu eingereichten Dokumente zur behaupteten Vorbenutzung waren nicht bereits als verspätet zurückzuweisen.

Zwar fällt die Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents ausdrücklich unter die Präklusionsvorschrift des § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG, wenn sie wie hier von der Beklagten erst nach Ablauf der nach § 83 Abs. 2 Satz 1 PatG gesetzten Frist vorgebracht wird. Eine Zurückweisung als verspätet kommt jedoch nicht in Betracht, da die neuen Anträge der Beklagten ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden konnten und somit eine Vertagung nicht erforderlich machten.

Es kann ferner dahinstehen, ob die von der Klägerin eingewendete Vorbenutzung des Gegenstands des erteilten Patentanspruchs 1 begründet ist. Die Frage der Vorbenutzung ist nicht entscheidungserheblich.

II.

1. Zum Gegenstand des Streitpatents

1.1 Das Streitpatent betrifft ein Dreirad.

Solche Dreiräder dienen gemäß Absatz [0002] der Streitpatentschrift, im folgenden SPS genannt, dem Transport oder der Erholung und können von Fahrern unterschiedlicher Größe und Fähigkeit genutzt werden. Sie werden von diesen angetrieben und gelenkt. In üblichen Fällen benutze der Fahrer dabei zum Antrieb des Dreirades am Vorderrad befestigte Pedale und zum Steuern des Dreirads eine Lenkstange, die in der Regel mit dem Vorderrad verbunden ist. In einigen Anwendungsfällen seien die Dreiräder ferner so konstruiert, dass sie auch von hinten von einer Person angeschoben werden können, zum Beispiel dann wenn ein Kind als Fahrer von einem Erwachsenen geschoben werde. Diese Dreiräder beinhalteten hierzu manchmal einen mechanischen Lenkmechanismus, der es dem Erwachsenen, während er hinter dem Dreirad geht, gleichzeitig ermögliche das Vorderrad mechanisch zu drehen.

Zum Stand der Technik nennt das Streitpatent die Druckschriften D1 und D2 und führt aus, dass beide Druckschriften jeweils ein Dreirad offenbaren würden, das einen Lenkmechanismus beinhalte, welcher ein bewegbares Kupplungssystem zwischen der Lenkstange und der Gabel des Vorderrades umfasse. Dieses Kupplungssystem ließe zum einen eine direkte Verbindung zwischen Lenkstange und Gabel zu, so dass mittels der Lenkstange die Gabel und somit das Vorderrad gedreht werden könne, zum andern könne die Lenkstange auch von der Gabel entkoppelt werden.

Das streitpatentgemäße Dreirad soll in einer besonders vorteilhaften Weise ebenso in zwei Modi betrieben werden können und zwar in einem ersten Betriebsmodus, in dem es von einem Dreiradfahrer gelenkt wird, und in einem zweiten Betriebsmodus, in dem es von einer Person gelenkt wird, die das Dreirad schiebt, wobei die Lenkstange im zweiten Betriebsmodus so konfiguriert ist, dass sie vom Schaft und der Gabel des Vorderrades drehentkoppelt ist.

1.2 Als Fachmann ist bei der nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik sowie für das Verständnis des Streitgegenstandes von einem Durchschnittsfachmann auszugehen, der als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau (FH) ausgebildet ist. Dieser ist bei einem Hersteller für Dreiräder, insbesondere Kinderdreiräder, mit der Entwicklung und Konstruktion solcher Dreiräder befasst und verfügt auf diesem Gebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung.

2. Zur erteilten Fassung Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung beruht ausgehend von der Druckschrift D2 unter Berücksichtigung des Fachkönnens des Fachmanns nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ i. V. m. Art. 56 EPÜ gegeben ist.

2.1 Der erteilte Patentanspruch lässt sich wie folgt gliedern:

M1 A tricycle (800, 810) M1.1 operable between a first mode of operation steerable by a tricycle rider, and a second mode of operation steerable by an individual pushing the tricycle, the tricycle comprising:

M2 a pair of rear wheels (400); M3 a front wheel (100) having opposing sides and a front wheel axis; M4 a head tube (707); M5 a frame (700) configured to rotatably support the rear wheels (400)

and configured to support the head tube (707); M6 a pair of pedals (141, 142), each pedal configured for connection about the front wheel axis to rotate the front wheel (100); M7 a fork (133) having at least one blade (130, 131) configured to support the front wheel (100) in a manner permitting the front wheel (100) to rotate about the front wheel axis; M8 a stem (305) M8.1 having a stem axis extending transverse to the front wheel axis, M8.2 configured to extend from the head tube (707) in a manner permitting the stem (305) to rotate, M8.3 the stem (305) including a rod having a minimum diameter that is at least three times smaller than a width of the front wheel (100), M8.4 wherein the stem (305) extends from the fork (133) at an angle of between about 165 degrees and 179 degrees, M8.5 wherein an offset distance between the stem axis and the front wheel axis is between 15 mm and 40 mm M9 a rider handle (200), M9.1 configured to turn the fork (133) about the stem axis, M9.2 the rider handle in the first mode being configured to be rotationally coupled with the stem (305) in a manner permitting a tricycle rider to exert forces on the rider handle (200) and thereby turn the fork (133),

M9.3 and the rider handle (200) in the second mode, where the stem axis leads the front wheel axis, being configured to be rotationally uncoupled from the stem (305), preventing forces on the rider handle (200) from turning the fork (133) and permitting the individual pushing the tricycle to turn the fork (133) via pushing force.

2.2 Zur Ermittlung der technischen Lehre, die sich aus Sicht des hier maßgeblichen Fachmanns ergibt, ist der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH GRUR 2007, 410 – Kettenradanordnung). Dies darf allerdings weder zu einer inhaltlichen Erweiterung noch zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH Z 160, 204, 209; GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

Begriffe in den Patentansprüchen sind deshalb so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift und Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2006, 311 – Baumscheibenabdeckung; GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (vgl. BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher, m. w. N.); es ist deshalb maßgeblich, was der angesprochene Fachmann – auch unter Einbeziehung seines Vorverständnisses (BGH GRUR 2008, 878 – Momentanpol II) – danach bei unbefangener Betrachtung den Patentansprüchen als Erfindungsgegenstand entnimmt.

Zwar ist eine einschränkende Auslegung des Patentanspruchs unterhalb des Wortlauts (im Sinne einer Auslegung unterhalb des Sinngehalts) nach ständiger Rechtsprechung dann nicht zulässig, wenn der Fachmann aus der Anspruchsfassung bereits einen klar und eindeutig definierten Gegenstand entnehmen kann

(BPatG 42, 204, GRUR 2000, 794 – veränderbare Daten; BGH Z 160, 204, 209; GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Denn die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs eines Patents gehört, entscheidet sich danach, ob sie in dem betreffenden Anspruch Ausdruck gefunden hat (st. Rechtsprechung vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 959 – Pumpeinrichtung). Allein aus Ausführungsbeispielen darf daher nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, als es dessen Wortlaut für sich genommen nahelegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen ergibt, dass nur bei Befolgung einer solchen engeren technischen Lehre derjenige technische Erfolg erzielt wird, der erfindungsgemäß mit den im Anspruch bezeichneten Mitteln erreicht werden soll (BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 - X ZR 153/05; GRUR 2008, 779, 782 - Mehrgangnabe).

Insoweit ist für das richtige Verständnis wesentlich, dass sich die Auslegung des Anspruchs am technischen Sinngehalt der Merkmale des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit (st. Rspr., BGH GRUR 2011, 129 – Fentanyl-TTS; GRUR 2002, 515 Schneidmesser I, m. w. N.) zu orientieren hat, wobei der Sinngehalt eines einzelnen Merkmals im Kontext der Patentschrift und der Funktion zu sehen ist, die es für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Mithin ist (auch) das Verständnis eines (einzelnen) Merkmals also im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift zu bestimmen (BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum I; GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II).

2.3 Danach betrifft der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung ein Dreirad (tricycle), das in zwei verschiedenen Modi (mode of operation) ordnungsgemäß betrieben werden kann. In dem ersten Betriebsmodus wird das Dreirad von einem Fahrer des Dreirades gelenkt, während in dem zweiten Betriebsmodus das Dreirad von einer weiteren Person (individual) gelenkt wird, die das Dreirad schiebt (pushing) (vgl. Merkmale M1 und M1.1).

Das beanspruchte Dreirad umfasst dabei folgende Merkmale:

- M2 Ein Paar Hinterräder (rear wheels).

- M3 Ein Vorderrad (front wheel), das gegenüberliegende Seiten und eine Vorderradachse aufweist.

- M4:

Ein Steuerrohr (head tube).

- M5:

Einen Rahmen (frame), der so beschaffen ist, dass er sowohl die Hinterräder drehbar stützt, wie auch das Steuerrohr trägt.

- M6:

Ein Paar Pedale (pedals), wobei jedes Pedal zur Verbindung mit der Vorderradachse konfiguriert ist, um dabei das Vorderrad (100) zu drehen.

- M7:

Eine Gabel (fork), die mindestens eine Gabelscheide (blade) aufweist, wobei die Gabel so beschaffen ist, dass sie das Vorderrad in einer Weise aufnimmt, dass sich das Vorderrad um die Vorderradachse drehen kann.

- M8:

Einen Schaft (stem), der derart beschaffen ist, dass er sich von dem Steuerrohr in einer Weise erstreckt, dass sich der Schaft in dem Steuerrohr drehen kann (vgl. Merkmal M8.2). Die Drehung erfolgt dabei um eine Schaftachse, die sich quer zur Vorderradachse erstreckt (vgl. Merkmal M8.1).

Der Schaft umfasst gemäß Merkmal M8.3 eine Stange (rod), die zumindest einen Bereich mit kleinem Durchmesser aufweist, der wenigstens dreimal kleiner ist als die Breite des Vorderrades. Dieses Verständnis steht hierbei im Einklang mit den Ausführungsbeispielen gemäß der Absätze [0024], Zeilen 50 bis 54, und [0028], Zeilen 39 bis 48, der SPS, wonach der Schaft Bereiche unterschiedlicher Durchmesser umfassen kann. Die Ausbildung eines Bereichs mit einem solchen kleinen Durchmesser „kann“ gemäß Absatz [0024], Zei- len 42 bis 44, der SPS dabei eine Reibung so verringern, dass in dem zweiten Betriebsmodus die Lenkkontrolle der schiebenden Person über das Dreirad erleichtert wird. Dies setzt aber zwingend voraus, dass die Lagerung des Schafts in dem Steuerrohr auch im Bereich des minimalen Durchmessers im Sinne einer Gleitlagerung erfolgt, die Drehführung somit dort stattfindet. Auf eine solche Anordnung ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 jedoch weder beschränkt, noch kann schon allein aufgrund der „kann“-Formulierung darauf geschlossen werden, dass nur bei der Befolgung einer solch engen technischen Lehre sich der gewünschte Erfolg einstellt. Dem Merkmal M8.3 kommt hinsichtlich dessen Bemaßung somit lediglich ein eine Dimension bestimmender Charakter zu.

Gemäß Merkmal M8.4 steht der Schaft von der Gabel in einem Winkel von etwa 165 Grad bis 179 Grad ab, wobei das untere Ende des Schafts mit dem oberen Ende der Gabel verbunden ist. Der Winkel ist gemäß Absatz [0028], Zeilen 21 bis 39, der SPS durch einen Winkel zwischen der Schaftachse und einer Gabelachse bestimmt, so wie sie der Figur 4a der SPS als Achse mit dem Bezugszeichen b zu entnehmen ist. Die Gabelachse definiert sich in dieser Figur als Gerade durch den Verbindungspunkt zwischen Schaft und Gabel und zielt in ihrer Orientierung auf die Vorderradachse des Dreirads. Gerade durch den abknickenden Verlauf wird erreicht, dass die Vorderradachse versetzt gegenüber der Schaftachse angeordnet ist und sich dementsprechend ein in der SPS als „Versatz (offset)“ bezeichneter, unmittelbar horizontaler Abstand zwischen Vorderradachse und Schaftachse einstellt, der eine wesentliche Voraussetzung für einen die Lenkeigenschaften des Dreirad bestimmenden Nachlauf bzw. Vorlauf bildet. Der Versatz beträgt gemäß Merkmal M8.5 dabei 15 mm bis 40 mm.

Allerdings stellen die in den Merkmalen M8.4 und M8.5 beanspruchten Werte für den Winkel zwischen Schaftachse und Gabelachse sowie für den Versatz zwischen Schaftachse und Vorderradachse lediglich notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingungen für den die Lenkeigenschaften des Vorderrads bestimmenden Nach- bzw. Vorlauf dar. Denn dieser ist darüber hinaus wesentlich bestimmt durch den Durchmesser des Vorderrades, wie auch durch den Winkel des Steuerrohres, der ein Maß für die Neigung der Schaftachse gegenüber der Vertikalen darstellt. Insofern stellen die Merkmale M8.4 und M8.5 für sich zwar keine mosaikartige Merkmalskombination dar, da sich beide Merkmale ergänzen bzw. bedingen, sie tragen aber nur in technisch üblicher Art und Weise zur Einstellung eines Nach- bzw. Vorlaufs teilweise bei.

Soweit die Beklagte hierzu Einwände erhoben und die Auffassung vertreten hat, dass sich der besagte, in Merkmal M8.4 beanspruchte Winkel ausschließlich auf den Übergangsbereich zwischen dem unteren Ende des Schafts und dem oberen Ende der Gabel bezieht und darüber hinaus die Gabel zwingend geradlinig ausgebildet ist, folgt diese Auffassung weder aus dem Wortlaut noch bietet das Streitpatent anderweitig hierfür irgendeinen Anhaltspunkt. Denn diese Auffassung steht im Widerspruch zu den Ausführungen im vorstehend genannten Absatz [0028] der SPS, der diesen Winkel zwischen zwei Achsen und nicht zwischen zwei Bauteilen definiert. Auch darf hinsichtlich der Ausbildung der Gabel hier aus dem abgebildeten Ausführungsbeispiel nicht auf ein engeres Verständnis des Patentanspruchs geschlossen werden, denn weder hat die exakte konstruktive Gestaltung der Gabel bzw. der Gabelscheiden zwischen dem Verbindungspunkt zu dem Schaft und der durch sie festgelegten Vorderradachse in technischer Sicht auf die Nachlaufeigenschaften des Vorderrads einen Einfluss, noch schließt das Streitpatent anderweitig geformte Gabelscheiden explizit aus. Vielmehr führt es in Absatz [0021], Übergang Seite 4 auf Seite 5, der SPS aus, dass die Gabelscheiden jegliche Struktur mit einschließen, sofern diese nur in der Lage sind, ein Vorderrad in drehbarer Weise zu tragen.

- M9:

Eine Lenkstange (rider handle), die derart beschaffen ist, dass mit ihrer Unterstützung die Gabel um die Schaftachse gedreht werden kann (vgl.

Merkmal M9.1).

Dabei ist die Lenkstange in dem ersten Betriebsmodus so konfiguriert, dass sie mit dem Schaft in einer Weise drehgekoppelt ist, die es dem Dreiradfahrer ermöglicht, Kräfte auf die Lenkstange auszuüben und dadurch die Gabel zu drehen (vgl. Merkmal M9.2).

In dem zweiten Betriebsmodus ist die Lenkstange dagegen gemäß Merkmal M9.3 so konfiguriert, dass sie von dem Schaft drehentkoppelt ist, wodurch verhindert wird, dass Kräfte, die auf die Lenkstange ausgeübt werden, die Gabel drehen können. Dabei läuft die Schaftachse der Vorderradachse zumindest in diesem Modus voraus; der in Merkmal M8.5 beanspruchte Versatzabstand ist folglich nach vorn gerichtet. Durch den sich dadurch einstellenden Nachlauf wird sich die Gabel beim Schieben aufgrund der Schubkräfte drehen, entsprechend der Nachlaufwirkung.

Ob im ersten Modus das Dreirad ebenfalls mit einem Nachlauf oder alternativ, wie es das Ausführungsbeispiel des Streitpatents zeigt mit einem Vorlauf, bei dem die Schaftachse der Vorderradachse etwa nachläuft, betrieben wird, ist in dem Patentanspruch 1 hingegen nicht näher spezifiziert, wie auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung einräumt.

2.4 Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 mag neu im Sinne des § 3 PatG bzw. Art. 54 EPÜ gegenüber dem Inhalt der Druckschriften D2 und D4 bzw. den behaupteten Vorbenutzungen sein. Jedoch ergibt sich das vorliegend beanspruchte Dreirad für den Fachmann jedenfalls in naheliegender Weise aus der Druckschrift D2 unter Berücksichtigung seines Fachkönnens.

Die Druckschrift D2 offenbart ein Dreirad. Dieses umfasst einen Rahmen 110, der unter anderem zwei in Längsrichtung des Dreirades angeordnete Rohre 111 beinhaltet (vgl. Seite 6, Zeilen 15 bis 17). Im hinteren Bereich des Rahmens sind an diesen zwei Hinterräder 140 montiert (vgl. Figur 1, Seite 7, Zeile 5), während an seinem vorderen Ende dieser mit einem Gehäuse 61 (vgl. Figur 3) verbunden ist, welches wahlweise an den Positionen 112 oder 113 (vgl. Figur 4) mittels einer Be- festigungseinrichtung 70 – 75 mit dem Rahmen fixiert werden kann. In dem Gehäuse 61 ist eine hohlzylindrische Aufnahme vorgesehen, die als Steuerrohr für eine aufzunehmende Vorderradgabelstruktur dient.

Die Vorderradgabelstruktur umfasst eine Gabel 20 mit zwei Gabelscheiden (vgl. Figur 7), welche ein Vorderrad 25 aufnehmen, so dass sich das Vorderrad 25, welches gegenüberliegende Seiten und eine Vorderradachse aufweist, um die Vorderradachse drehen kann.

Koaxial zu der Vorderradachse ist eine Welle 31 angeordnet, an deren Enden Pedale 30 angebracht sind, mittels derer das Vorderrad gedreht werden kann (vgl. Figur 2; Seite 5, Zeilen 4 bis 11).

Im oberen Bereich der Gabel geht diese in einen Schaft 23 über, der innerhalb des Steuerrohrs angeordnet ist und der an seiner Außenfläche mit Nuten 24 versehen ist (vgl. Figur 6; Seite 4 ab Zeile 30). Der Schaft ist dabei so beschaffen, dass er sich von dem Steuerrohr in einer Weise erstreckt, dass sich der Schaft in dem Steuerrohr drehen kann, wobei die Drehung um eine Schaftachse erfolgt, die sich quer zur Vorderradachse erstreckt und die in Figur 6 als eingezeichnete Linie erkennbar ist.

Im oberen Bereich des Schafts 23 weist dieser ein rohrförmiges zylindrisches Ende 21 mit sich nach oben stufenweise verjüngendem Durchmesser auf (Figur 6; Seite 4, Zeilen 26 bis 29). Dieses rohrförmige Ende wird von einer auf diesem Ende aufgesetzten Hohlwelle 12 umgriffen, welche ebenfalls an ihrer Außenfläche mit Nuten 13 versehen ist. Am anderen Ende der Hohlwelle 12 ist ein Lenker 10 montiert (Figuren 1 und 6; Seite 4, Zeilen 17 bis 25).

Ferner ist eine verschiebliche Kupplung 40 vorgesehen, die mit innenliegenden Keilnuten 42 versehen ist (Figur 6; Seite 5, ab Zeile 21). Je nach vertikaler Lage der Kupplung 40 ist die Hohlwelle 12 mit dem rohrförmigen zylindrischen Ende 21 und somit mit dem Schaft 23 aufgrund des Eingreifens der Nuten 13 und 24 in die Keilnuten 42 entweder drehfest gekuppelt oder von diesem entkuppelt. Somit kann das Dreirad in einem ersten Modus betrieben werden, in dem das Dreirad von dem Fahrer des Dreirades gelenkt wird, oder in einem zweiten Modus betrieben werden, in dem das Dreirad von einer weiteren Person geschoben wird. Im zweiten Betriebsmodus sind die Gabel 20 sowie das Vorderrad 25 frei um 360° drehbar, so dass aufgrund eines Versatzes zwischen Vorderradachse und Schaftachse das Vorderrad im zweiten Betriebsmodus wegen des Nachlaufeffekts eine nach hinten versetzte Stellung einnehmen wird, so wie dies der Figur 5 (zweiter Modus) im Vergleich zu der Figur 1 (erster Modus) entnehmbar ist. Im zweiten Betriebsmodus liegt die Schaftachse dabei vor der Vorderradachse, wie dies eindeutig die Figur 5 zeigt und wie es auf Seite 7, Zeile 7 bis Seite 8, Zeile 7 ausgeführt wird.

Die Druckschrift D2 beschreibt somit unstreitig ein Dreirad entsprechend dem gebotenen Verständnis der Merkmale M1 bis M8.2 sowie M9 bis M9.2.

Der einen konstruktiven Nachbau des in der Druckschrift D2 offenbarten Dreirad anstrebende Fachmann entnimmt den in den Figuren der Druckschrift D2 dargestellten schematischen Ausführungsbeispielen darüber hinaus, dass das hier speziell für Kinder (vgl. Seite 1, Zeilen 2 und 3) entwickelte Dreirad, wie in diesem Segment üblich, mit relativ breiten Vorderädern ausgebildet ist, wobei deren Breite das rohrförmige zylindrische Ende 21 in seinem Durchmesser zumindest deutlich übertrifft (vgl. Figur 7).

Auch ist die Schaftachse nicht fluchtend mit der Gabelachse angeordnet, sondern schließt mit dieser einen Winkel ein. Denn anderweitig kann sich weder der deutliche Unterschied in der Radstellung zwischen dem ersten Betriebsmodus und dem zweiten Betriebsmodus, der den Figuren 1 und 5 entnehmbar ist, ergeben, noch könnte sich selbstständig ein Wechsel zwischen Vorlauf im ersten Betriebsmodus und Nachlauf im zweiten Betriebsmodus vollziehen, wie jedenfalls für das Ausführungsbeispiel offenbart. Dieser Winkel bedingt in der Folge zwingend - und ebenfalls den Figuren auch eindeutig entnehmbar - einen Versatz zwischen Vorderradachse und Schaftachse.

Somit offenbart die Druckschrift D2 auch bereits die durch die Merkmale M8.3 bis M8.5 bewirkte technische Funktionalität, sowie die grundsätzlich in diesen Merkmalen beanspruchten geometrischen Lageorientierungen der einzelnen Achsen bzw. Bauteile zueinander bzw. gibt hierzu die entscheidende Richtung der Bemessungen vor.

Lediglich die einzelnen, darüber hinausgehenden exakten geometrischen Maßangaben, welche in den Merkmalen M8.3, M8.4 und M8.5 beansprucht werden, sind der Druckschrift D2 nicht zu entnehmen. Denn schematische Darstellungen offenbaren in der Regel nur das Prinzip der beanspruchten Vorrichtung, nicht aber deren exakte Abmessungen (vgl. BGH, Beschluss vom 16.10.2012 - X ZB 10/11 -, BPatGE 53, 303 – Steckverbindung).

Diese in der Druckschrift D2 nicht unmittelbar offenbarten Merkmale können eine erfinderische Tätigkeit aber nicht begründen, da sie sich in einer Bemessungsmaßnahme eines Bauteils erschöpfen, die zu den routinemäßigen Aufgaben des Fachmannes im Rahmen seines Fachkönnens gehören (vgl. BPatG, Beschluss vom 17. 10. 2007 – 7 W (pat) 367/04 –, juris, Rn. 42). Dass die im vorliegenden Fall offensichtlich von weiteren, nicht im Anspruch definierten Randbedingungen abhängende Dimensionierung im Hinblick auf die Erzielung eines für den praktischen Bedarfsfall ausreichenden Nachlaufs hin hierbei besonderen Schwierigkeiten begegnet, ist darüber hinaus weder vorgetragen worden noch erkennbar. Auch eine besondere für den Fachmann nicht zu erwartende kombinatorische Wirkung des Merkmals M8.3 zu den Merkmalen M8.4 und M8.5 ist, wie vorstehend in Punkt 2.3 erläutert, nicht erkennbar.

Mithin ist das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht rechtsbeständig.

3. Zur Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag 1 Der mit dem Hilfsantrag 1 verteidigte Patentanspruch 1 ist unzulässig, da er gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 keine Beschränkung, sondern lediglich eine Klarstellung enthält (vgl. Busse, PatG, 8. Aufl., § 82, Rn. 110; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81, Rn. 120; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 6. Aufl., Rn. 313, 346).

3.1 In dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung das Merkmal M8.4 wie folgt geändert (Änderungen unter- bzw. durchgestrichen).

M8.4H1 wherein the lower end of the stem (305) extends from is connected to the upper end of the fork (133) in a manner such that the stem axis and a fork axis of the fork (133) form at an angle (x) of between about 165 degrees and 179 degrees there between

3.2 Inhaltlich unterscheidet sich das neue Merkmal M8.4H1 jedoch nicht von dem Merkmal M8.4 des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung, insofern wird zur Auslegung auf vorstehende Ausführungen verwiesen. Das neue Merkmal M8.4H1 ist somit auch ursprünglich offenbart.

Damit wird, wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht bestritten, mit dem Merkmal M8.4H1 jedoch nur etwas klargestellt, was durch das Merkmal M8.4 bereits unter Schutz gestellt werden soll. Als bloße Klarstellung bewirkt das Merkmal M8.4H1in der Folge aber keine Beschränkung des Streitpatents, somit ist der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht zulässig (vgl. Benkard, Patentgesetz, 11. Auflage, § 21 Rn. 41; zur Problematik auch BGH GRUR 1988, 757 – Düngerstreuer und BGH GRUR 1989, 103 – Verschlussvorrichtung für Gießpfannen).

4. Zur Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag 2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ist aus denselben Gründen wie der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung nicht schutzfähig.

4.1 In dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 1 zusätzlich in das Merkmal M9.2 ein neues Teilmerkmal mit aufgenommen worden. Das Merkmal M9.2 lautet geändert wie folgt (Änderung unterstrichen):

M9.2H2 the rider handle in the first mode, where the stem axis trails the front wheel axis, being configured to be rotationally coupled with the stem (305) in a manner permitting a tricycle rider to exert forces on the rider handle (200) and thereby turn the fork (133),

4.2 Das neu in den Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 eingefügte Teilmerkmal beschränkt den in Merkmal M9.2 beschriebenen ersten Betriebsmodus derart, dass es nun bestimmt, dass in diesem ersten Betriebsmodus die Schaftachse der Vorderradachse folgt, somit sich in diesem Betriebsmodus ein Vorlauf einstellt.

4.3 Diese somit insgesamt beschränkend wirkende Änderung des Patentanspruchs ist zulässig, denn das gegenüber dem Hilfsantrag 1 aufgenommene zusätzliche Merkmal ist in dem Absatz [0006], Zeilen 16 bis 19, der SPS sowie in den Anmeldeunterlagen wörtlich und auch im Übrigen als zur Erfindung gehörend offenbart.

4.4 Der nunmehr beanspruchte Erfindungsgegenstand erweist sich aber auch mit diesem zusätzlichen Merkmal zumindest nicht als erfinderisch, denn er ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Druckschrift D2 unter Berücksichtigung seines Fachkönnens.

Wie bereits in Abschnitt 2.4 zu der Druckschrift D2 ausgeführt, ist die Gabel 20 um 360° drehbar, wobei das Vorderrad aufgrund Versatzes, der sich aus der Gestalt der hierfür maßgeblichen Komponenten, wie u. a dem Winkel zwischen den Achsen, ergibt, zwischen Vorderradachse und Schaftachse im zweiten Betriebsmodus nach hinten in eine Nachlaufstellung gedreht ist (vgl. Figur 5), während im ersten Betriebsmodus das Vorderrad nach vorne gedreht ist (vgl. Figur 1). In diesem Modus folgt aufgrund des Versatzes die Schaftachse der Vorderradachse.

Folglich fügt das zusätzliche Merkmal dem bereits ausgehend von der Druckschrift D2 als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhendem Dreirad nach dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung lediglich ein weiteres, ebenfalls aus der Druckschrift D2 bekanntes Merkmal hinzu.

Mithin ist das Streitpatent auch im Umfang des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 2 nicht patentfähig.

5. Der Vortrag der Parteien gab keine Veranlassung zu Ausführungen über die Gegenstände der von den Anspruchssätzen mitumfassten abhängigen Ansprüche im Einzelnen.

Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt ist hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche auch nicht geltend gemacht worden und darüber hinaus nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 709 ZPO.

IV.

Rechtsmittelbelehrung Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber innerhalb eines Monats nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt als Bevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, einzulegen.

Schmidt Sandkämper Dr. Baumgart Grote-Bittner Dr. Geier Ko

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