XI ZR 130/23
BUNDESGERICHTSHOF XI ZR 130/23 BESCHLUSS vom 17. September 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:170924BXIZR130.23.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2024 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg, die Richterin Dr. Derstadt, den Richter Dr. Sturm und die Richterin Ettl beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 19. Juni 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin betreffend den mit dem Berufungsantrag zu 1 geltend gemachten Zinsanspruch zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen werden die Beschwerden der Klägerin und der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt bis 1.500.000 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz wegen Verstoßes gegen eine Mitverkaufsklausel, die in einem "Shareholders Agreement" enthalten ist, das einen Aktienkaufvertrag aus dem Jahr 2007 über 1.000.000 Aktien der W AG (künftig: W AG) ergänzt.
Mit ihrer im August 2013 eingereichten und den Beklagten am 24. September 2013 zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Auskunft und zur Zahlung von 3.100.000 € Zug um Zug gegen Übertragung von 1.000.000 Aktien der W AG nebst Rechtshängigkeitszinsen begehrt. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2014 hat die Klägerin den Zahlungsantrag dahingehend modifiziert, dass sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrags nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt hat. Das Landgericht hat die Beklagten mit Teilurteil vom 17. März 2016 zur Auskunft verurteilt.
Nach Erteilung der Auskunft hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. November 2017 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 3.099.352,28 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übertragung von 1.000.000 Aktien der W AG, begehrt.
Im Juli 2018 veräußerte die Klägerin die von ihr gehaltenen Aktien der W AG zu einem Kaufpreis von 1.900.000 €. Daraufhin hat die Klägerin ihren Zahlungsantrag auf 1.199.352,28 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit beschränkt.
Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.199.352,28 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 2,25% vom 18. November 2017 bis zum 31. Dezember 2018 und in Höhe von 2% ab dem 1. Januar 2019 verurteilt. Die Beschränkung des Zahlungsantrags hat es als teilweise Klagerücknahme angesehen und gemäß §§ 92, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu 61% der Klägerin und im Übrigen den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Dagegen haben die Klägerin und die Beklagten Berufung eingelegt. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren ihren Zahlungsantrag betreffend die Zinsforderung umgestellt und die Zahlung von Zinsen aus 3.099.352,28 € in Höhe von 3,5% ab Rechtshängigkeit bis zum 31. Dezember 2013, in Höhe von 3,25% vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2014, in Höhe von 3% vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 und in Höhe von 2,25% vom 1. Januar 2017 bis zum 9. Juli 2018 sowie aus 1.199.352,28 € in Höhe von 2,25% vom 10. Juli 2018 bis zum 31. Dezember 2018 und in Höhe von 2% seit dem 1. Januar 2019 beantragt. Die Beklagten haben ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat beide Berufungen zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, soweit ihre Berufung betreffend den mit dem Berufungsantrag zu 1 geltend gemachten Zinsanspruch und hinsichtlich der Verteilung der erstinstanzlichen Kosten zurückgewiesen worden ist. Die Beklagten begehren mit der von ihnen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde weiterhin die vollständige Klageabweisung.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat teilweise Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Insoweit verletzt die angegriffene Entscheidung den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; Senatsbeschlüsse vom 1. April 2014 - XI ZR 276/13, WM 2014, 989 Rn. 12 und vom 14. März 2023 - XI ZR 83/22, juris Rn. 11).
2. Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig das Vorbringen der Klägerin zu dem von ihr mit der Berufung geltend gemachten Zinsanspruch unberücksichtigt gelassen.
Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz zum einen ihren Zinsanspruch gegenüber der ersten Instanz erweitert und zum anderen unter Verweis auf eine genau bezeichnete Kommentierung geltend gemacht, das Landgericht habe verkannt, dass die Rechtshängigkeit schon deutlich früher als von ihm angenommen eingetreten sei. Außerdem hat die Klägerin hinsichtlich der Zinshöhe konkret auf das in der ersten Instanz eingeholte Sachverständigengutachten Bezug genommen. Mit diesem Vorbringen hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Es hat die Zurückweisung der Berufung der Klägerin nur insoweit begründet, als die Klägerin über das landgerichtliche Urteil hinaus die Erstattung der Kosten für ein Privatgutachten begehrt hat. Dagegen enthält die rechtliche Würdigung in Teil II der Gründe des Berufungsurteils überhaupt keine Ausführungen zu dem geltend gemachten Zinsanspruch. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu einem weitergehenden Zinsanspruch bei seiner Entscheidung nicht hinreichend beachtet hat (vgl. BVerfG, NJW-RR 2018, 694 Rn. 18 mwN; BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 - IV ZB 4/20, WM 2021, 701 Rn. 17, vom 1. Juni 2023 - I ZR 154/22, juris Rn. 12, vom 23. April 2024 - VIII ZR 35/23, WM 2024, 1485 Rn. 12 und vom 13. Juni 2024 - IX ZR 100/23, ZIP 2024, 2038 Rn. 9).
3. Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 62, 392, 396; 65, 305, 308). Das Berufungsgericht hat die Erweiterung des geltend gemachten Zinsanspruchs nicht gemäß § 533 ZPO, der im Übrigen auf Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 ZPO keine Anwendung findet (BGH, Urteile vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 305 f., vom 27. Februar 2007 - XI ZR 56/06, WM 2007, 731 Rn. 30 und vom 15. Dezember 2022 - I ZR 135/21, WM 2023, 79 Rn. 40 f.), als unzulässig zurückgewiesen. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin nach dem luxemburgischen Recht, das nach den Feststellungen der Vorinstanzen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch maßgeblich ist, ein Zinsanspruch ab dem Tag der Entstehung des Schadens zusteht, der über die vom Landgericht zuerkannten Zinsen aus 1.199.352,28 € für die Zeit seit dem 18. November 2017 hinausgeht.
III.
Im Übrigen haben die Beschwerden der Klägerin und der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Urteil keinen Erfolg, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Ellenberger Grüneberg Sturm Ettl Vorinstanzen: LG Flensburg, Entscheidung vom 14.04.2022 - 4 O 226/13 OLG Schleswig, Entscheidung vom 19.06.2023 - 18 U 32/22 - Derstadt