StB 39/24
BUNDESGERICHTSHOF StB 39/24 BESCHLUSS vom 21. August 2024 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland hier: Beschwerde des Zeugen A. gegen die Anordnung und Vollstreckung von Beugehaft sowie die Auferlegung von Kosten ECLI:DE:BGH:2024:210824BSTB39.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. August 2024 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
1. Die Beschwerde des Zeugen A. gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juni 2024 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I. 1 Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart fand die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland statt. Die Generalstaatsanwaltschaft warf ihm vor, sich von Januar 2014 bis zum 9. Februar 2023 in Deutschland als Führungsfunktionär an der türkischen Organisation DHKP-C beteiligt zu haben. Er habe deren Komitee für das Gebiet M. angehört. 2 Im Hauptverhandlungstermin am 11. Juni 2024 wurde der Zeuge A. vernommen. Er war am 18. Dezember 2023 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt worden; diese Entscheidung war zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Nach den Urteilsgründen hatte sich der Zeuge im Zeitraum von März 2014 bis November 2019 für die DHKP-C in dem Gebietskomitee M.
betätigt. Nach der Vernehmung zur Person machte der Zeuge - entgegen dem Hinweis des Vorsitzenden des Staatsschutzsenats - geltend, ihm stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, und verweigerte Angaben zur Sache.
Nachdem die Festsetzung von Ordnungsmitteln keine Änderung des Aussageverhaltens bewirkt hatte, hat das Oberlandesgericht noch am Tag der Vernehmung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Beschluss gegen den Zeugen Beugehaft von zunächst einer Woche sowie ihre sofortige Vollstreckung angeordnet und ihm die durch seine Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Sodann ist der Zeuge in Haft genommen worden. Er hat gegen die Entscheidung - einschließlich „der Aufbürdung von Kosten“ - „sofortige Beschwerde“ erhoben. Mit Beschluss vom 14. Juni 2024 hat der Staatsschutzsenat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.
Im Hauptverhandlungstermin zur Fortsetzung der Vernehmung am 18. Juni 2024 hat der Zeuge weiterhin keine Angaben zur Sache gemacht. Das Oberlandesgericht hat daraufhin die angeordnete Beugehaft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten aufgehoben. Anschließend hat der Zeuge erklärt, dass sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Beugehaft „erledigt haben dürfte“, und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses beantragt.
II.
1. Das Rechtsmittel des Zeugen ist als (einfache) Beschwerde auszulegen. Soweit sich diese auf die Beugehaft nach § 70 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StPO bezieht, ist sie nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1989 - StB 15 u. 16/89, BGHSt 36, 192, 195 f.; vom 18. Dezember 2012 - StB 16/12, juris Rn. 5) und auch im Übrigen zulässig (s. § 306 Abs. 1 StPO). Durch die zwischenzeitliche Aufhebung der Haft wird das Rechtsmittel nicht infolge prozessualer Überholung unzulässig (s. BVerfG, Beschluss vom 9. September 2005 - 2 BvR 431/02, BVerfGK 6, 197; MüKoStPO/ Maier, 2. Aufl., § 70 Rn. 55; ferner BGH, Beschlüsse vom 30. März 2017 - StB 7/17, NStZ 2017, 418, 419; vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, NStZRR 2018, 386, 387). Soweit sich der Zeuge gegen die Auferlegung der Kosten gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 StPO wendet, ist die Beschwerde hingegen nicht statthaft; denn insofern liegt kein in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO angeführter Fall vor, in dem ausnahmsweise eine Entscheidung des im ersten Rechtszug zuständigen Oberlandesgerichts angefochten werden kann (s. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - StB 32/09, juris Rn. 4).
2. Die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft gerichtete Beschwerde bleibt in der Sache erfolglos.
a) Dem Beschwerdeführer stand ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu.
aa) § 55 Abs. 1 StPO gewährt dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Ein solches Risiko ist anzunehmen, wenn eine Ermittlungsbehörde einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 152 StPO) veranlassen oder die zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts führen könnte. Hierfür genügt, wenn der Zeuge bestimmte Tatsachen angeben müsste, die lediglich mittelbar den Verdacht einer Straftat begründen. So kann es im Einzelfall selbst dann liegen, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen, jedoch „als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude“ zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte (s. BGH, Beschluss vom 13. November 1998 - StB 12/98, NJW 1999, 1413 mwN). Für die Verfolgungsgefahr muss es allerdings konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus (s. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1999 - StB 10/98, NStZ 1999, 415, 416; vom 4. März 2010 - StB 46/09, NStZ-RR 2010, 246, 247).
Eine Gefahr straf- oder bußgeldrechtlicher Verfolgung besteht grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt und somit die Strafklage verbraucht ist oder wenn die Tat verjährt oder aus anderen Gründen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er für sie noch verfolgt werden könnte. Im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung ist indes die Verfolgungsgefahr nicht auszuschließen, falls zwischen der abgeurteilten Tat und anderen prozessualen Taten, deretwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat das Risiko der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen dieser anderen Taten mit sich bringt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2011 - StB 8 u. 9/11, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 11 Rn. 11; vom 18. Dezember 2012 - StB 16/12, NStZ 2013, 241). Die Besorgnis, die Aussage des Zeugen könnte den Angeklagten dazu veranlassen, jenen möglicherweise über die bereits bekannte Tat hinausgehend zu belasten, ist allerdings vom Schutzzweck der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit nicht umfasst (s. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 2 BvR 281/03, BVerfGK 1, 156, 157; BGH, Urteile vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 326/06, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 9 Rn. 20; vom 6. April 2017 - 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547 f.).
Selbst wenn eine Verfolgungsgefahr angenommen wird, ist der Zeuge nach § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Lediglich ausnahmsweise ist er zu einer umfassenden Verweigerung befugt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass im Umfang des vorgesehenen Vernehmungsgegenstands nichts übrig bleibt, wozu er gefahrlos der Wahrheit gemäß aussagen könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 2005 - StB 12/05, NStZ-RR 2005, 316 mwN; vom 4. März 2010 - StB 46/09, NStZ-RR 2010, 246, 247).
bb) Eine Verfolgungsgefahr in diesem Sinne, die den Zeugen berechtigt hätte, gar keine Angaben zur Sache zu machen, hat er weder dargelegt oder glaubhaft gemacht (§ 56 StPO), noch ist sie sonst ersichtlich.
(1) Ausweislich des angefochtenen Beschlusses und der vorausgegangenen Entscheidung über Ordnungsmittel sollte die Zeugenvernehmung dazu dienen, die Stellung und Tätigkeit des Angeklagten im Komitee der DHKP-C für das Gebiet M.
bezogen auf die Zeit von März 2014 bis November 2019 weiter aufzuklären. In diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils selbst Mitglied des Komitees. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er, hätte er diesen Vernehmungsgegenstand betreffende Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, Angaben hätte machen müssen, die Rückschlüsse auf eine andere prozessuale Tat als die abgeurteilte zulassen oder wenigstens im Rahmen einer mosaikartigen Beweisführung für die Begründung bzw. Erhärtung eines derartigen Tatverdachts Bedeutung gewinnen können.
(2) Entgegen der in der Beschwerderechtfertigung dargelegten Ansicht kommt es insoweit nicht darauf an, ob der Verdacht bestand, dass der Zeuge nach seinem Beitritt zur DHKP-C bereits im November 2013 für das Gebietskomitee tätig gewesen oder - anders als in den Gründen des rechtskräftigen Urteils festgestellt - dessen Vorsitzender war. Derartige tatsächliche Umstände wären vom Strafklageverbrauch (Art. 103 Abs. 3 GG) umfasst. Sie gehören zu derselben für die Grenzen der Rechtskraft maßgebenden Tat im verfahrensrechtlichen Sinne. Im Einzelnen:
Es liegt lediglich eine einheitliche materiellrechtliche Tat vor; denn die tatbestandliche Handlungseinheit der von § 129a Abs. 1 Alternative 2 i.V.m. § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB erfassten Beteiligungshandlungen des Mitglieds schließt zumindest solche weiteren - auch zeitlich vorgelagerten - vereinigungsbezogenen Betätigungen ein, die nicht zugleich gegen eine andere Strafrechtsnorm versto- ßen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2007 - StB 19/06, BGHR StGB
§ 129a Konkurrenzen 5 Rn. 6; vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 25 ff.). Dies geht im vorliegenden Fall mit prozessualer Tatidentität einher.
Der Senat braucht hier nicht zu klären, ob und inwieweit der Anfangsverdacht einer neuen Tat im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO ausnahmsweise in Fällen gegeben sein kann, in denen sich über die Vorverurteilung hinaus weitere nicht anderweitig strafbare mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen herausstellen
(so im Ansatz BGH, Urteil vom 30. März 2001 - 3 StR 342/00, BGHR VereinsG
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Organisationsdelikt 1 mwN; Beschluss vom 30. März 2001
- StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 358). Jedenfalls etwaige vereinigungstypische mitgliedschaftliche Betätigungen des Beschwerdeführers im Rahmen des Gebietskomitees M.
vor März 2014 unterfallen der abgeurteilten Tat, weil anderenfalls - worauf er in anderem Zusammenhang zutreffend hingewiesen hat - ein einheitlicher Lebensvorgang unnatürlich aufgespalten würde (zum für Art. 103 Abs. 3 GG maßgebenden prozessualen Tatbegriff vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, BGHSt 64, 1 Rn. 20 ff. mwN).
(3) Für - noch unverjährte - gemäß §§ 129a, 129b StGB oder § 20 VereinsG strafbare Unterstützungshandlungen des Zeugen zugunsten der DHKP-C vor dem Beitritt zu der Organisation bestand kein Anhalt. Gleiches gilt für andere Delikte als Zuwiderhandlungen gegen Vereinigungsverbote. Darüber hinaus spricht nichts dafür, dass ein solches Geschehen vom avisierten Vernehmungsgegenstand berührt worden wäre. Hätten sich wider Erwarten einzelne Nachfragen auf ein anderes strafbares Verhalten erstreckt, wäre es dem Zeugen unbenommen gewesen, etwaige selbstbelastende Antworten zu verweigern. Ein „verdichtetes“ Recht, überhaupt nicht zur Sache auszusagen, wird indes dadurch für ihn nicht begründet. So hat auch der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen vermocht, welche neuen Ermittlungsansätze sich hätten ergeben können, wenn er zu der Frage Auskunft gegeben hätte, ob er der DHKP-C angehörte.
Bei einem wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung vorverurteilten Zeugen kann zwar ein für § 55 Abs. 1 StPO bedeutsamer enger Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und anderen verfolgbaren Taten gegeben sein, wenn der Zeuge so in die Strukturen der Organisation eingebunden, insbesondere in einer derart herausgehobenen Stellung tätig war, dass er schon deswegen der weiteren Taten verdächtig ist, die aus der Vereinigung heraus begangen wurden und für die in seiner Person Strafklageverbrauch nicht eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - StB 16/12, NStZ 2013, 241 f.). Jedoch stand weder eine entsprechende Position des Beschwerdeführers innerhalb der DHKP-C noch seine Beteiligung an in Verfolgung des Vereinigungszwecks begangenen Delikten im Raum.
(4) Soweit der Beschwerdeführer am 14. Juni 2024, nach der Anordnung der Beugehaft, erstmals auf von der Staatsanwaltschaft I.
„offenbar“ gegen seinen Sohn geführte Ermittlungen verwiesen hat, erschließt sich der Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Vernehmungsgegenstand nicht. Jedenfalls ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht ergibt sich daraus ebenso wenig.
b) Auch im Übrigen war die Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft rechtmäßig.
aa) Die Maßnahme gemäß § 70 Abs. 2 StPO steht - anders als diejenigen nach § 70 Abs. 1 StPO - im gerichtlichen Ermessen. Dabei sind die Pflicht zur Sachaufklärung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (s. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).
bb) Der angefochtene Beschluss war wie schon die Vernehmung des Zeugen von der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gedeckt.
(1) Die Erforschung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses. Die Aufklärungspflicht begründet deshalb für die Verfahrensbeteiligten einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen sowie alle tauglichen und erlaubten Beweismittel erstreckt wird, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1983 - GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 122 f.). Sie kann das Tatgericht nach den Umständen des Falls sogar verpflichten, gegen einen Zeugen, der ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert, die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Zwangsmittel festzusetzen und zu vollstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 1998 - 2 StR 173/98, NStZ 1999, 46; Beschluss vom 10. Januar 2012 - StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 15).
Welche Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung geboten sind, unterliegt dabei in erster Linie der Beurteilung des erkennenden Gerichts, zumal die Aufklärungspflicht in einer Wechselbeziehung mit der tatrichterlichen Überzeugung steht (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 46 mwN).
(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Vorgehen des Oberlandesgerichts frei von Bedenken. Insbesondere hat sich der Staatsschutzsenat - entgegen der in der Beschwerderechtfertigung geäußerten Ansicht - nicht von vorneherein mit der Verlesung der Gründe des gegen den Zeugen ergangenen rechtskräftigen Urteils sowie der Vernehmung von Ermittlungspersonen begnügen müssen. Denn das Tatgericht ist nicht gehindert, sondern vielfach, wenn nicht gar in der Regel gehalten, sich um ein sachnäheres Beweismittel zu bemühen,
selbst wenn es ohne die Beweiserhebung aufgrund bereits genutzter sachfernerer Beweismittel die (unter Vorbehalt stehende) Überzeugung vom Tatvorwurf gewonnen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 2 BvR 659/12,
NStZ-RR 2013, 115 f.; BGH, Beschluss vom 8. April 2003 - 3 StR 92/03, NStZ
2004, 50; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 66 mwN); im Anschluss an die Rechtskraft des gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat das Oberlandesgericht dementsprechend dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung betrieben.
Darüber hinaus hätten konkretisierende Angaben des Beschwerdeführers zur Stellung und Tätigkeit des Angeklagten im Komitee M.
ohne Weiteres Bedeutung für die Strafzumessung gewinnen können.
cc) Die angefochtene Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Da das Gesetz keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutz des Freiheitsgrundrechts vorsieht, hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip besondere Relevanz. Danach muss die Beugehaft nach den Umständen des Falls unerlässlich sein und darf zur Bedeutung nicht außer Verhältnis stehen, welche der Strafsache als solcher sowie der Aussage für den Ausgang des Verfahrens zukommt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 - 2 BvR 26/07, BVerfGK 10, 216, 225; BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 - StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 7; vom 10. Januar 2012 - StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).
Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass eine Aussage des Zeugen zur Sache ohne Beugehaft nicht zu erlangen war. Gemäß den aufgezeigten Maßstäben hat es zudem - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - zutreffend auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Straftat abgestellt. Überdies hat es davon ausgehen dürfen, dass trotz fortgeschrittener Beweisaufnahme Angaben des Zeugen den Ausgang des Strafverfahrens noch beeinflussen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 9). Nach der maßgeblichen Ex-anteSicht genügt es hierfür grundsätzlich, dass die Nutzung des sachnäheren Beweismittels das bisher gewonnene Beweisergebnis voraussichtlich untermauern wird. Wie ausgeführt (s. oben bb] [2]), waren auch für den Strafausspruch bedeutsame Erkenntnisse zu erwarten. Da die Beweisaufnahme vor dem Abschluss stand, hat der Staatsschutzsenat ferner die sofortige Vollstreckung als erforderlich erachten dürfen (zur Zuständigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1989 - I BGs 100/89, BGHSt 36, 155, 156 f.). Schließlich zeigt sich die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und des Beschleunigungsgrundsatzes daran, dass das Oberlandesgericht die Beugehaft umgehend aufgehoben hat, nachdem es im nächsten Vernehmungstermin die Überzeugung gewonnen hatte, der Zeuge werde trotz weiteren Beugehaftvollzugs auf absehbare Zeit zur Sache nicht aussagen.
Darauf, ob der Angeklagte auch ohne die Aussage des Beschwerdeführers dem Anklagevorwurf entsprechend verurteilt worden ist, kommt es deshalb nicht ausschlaggebend an.
Schäfer Berg Kreicker