AnwZ (Brfg) 25/21
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 25/21 BESCHLUSS vom
19. Januar 2022 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache wegen Entschädigungsansprüchen aus Vorstandstätigkeit ECLI:DE:BGH:2022:190122BANWZ.BRFG.25.21.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 19. Januar 2022 durch den Vorsitzenden Richter Grupp, den Richter Prof. Dr. Paul und die Richterin Ettl sowie den Rechtsanwalt Dr. Kau und die Rechtsanwältin Merk beschlossen:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gewährt. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom 22. März 2021 wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 250 € festgesetzt.
Gründe: I.
Der Kläger war Vorstandsmitglied der Beklagten. Mit drei Schreiben vom 14. Oktober 2016 verlangte der Kläger für diverse Tätigkeiten im Jahr 2012 eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 5.046,20 €. Zu den Tätigkeiten gehörte auch die Bearbeitung von Beschwerden. Gemäß § 19 Abs. 4 der Beitrags-, Gebühren-, Entschädigungs- und Zwangsgeldordnung der Beklagten ist für jede abschließend bearbeitete Beschwerde eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 50 € zu gewähren.
Die Beklagte berief sich mit Schreiben vom 12. Dezember 2016 hinsichtlich einer Vielzahl von Positionen auf den Eintritt der Verjährung und zahlte - nach Verrechnung mit dem vom Kläger zu zahlenden Kammerbeitrag für das Jahr 2016 in Höhe von 360 € - nur einen Betrag von 1.740 € an den Kläger aus.
Der Kläger legte dagegen mit Schreiben vom 16. Januar 2017 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 5. Juli 2017 rechnete der Kläger mit seinen Aufwandsentschädigungsansprüchen für 2013, hilfsweise für 2014, gegen die Forderung der Beklagten auf Zahlung des Kammerbeitrags für das Jahr 2017 in Höhe von 360 € auf. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers am 12. Juli 2017 zurück.
Der Kläger hat Klage erhoben und mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2017 beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2017 zu verpflichten, den Kläger gemäß den Abrechnungen vom 14. Oktober 2016 unter Abzug des bereits gezahlten Betrags in Höhe von 1.740 € und des weiteren bereits verrechneten Betrags in Höhe von 360 € positiv zu bescheiden.
Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen und ist dabei davon ausgegangen, dass der Großteil der vom Kläger erhobenen Forderungen verjährt ist. Dem Kläger habe nur eine weitere Aufwandsentschädigung in Höhe von 250 € zugestanden, weil der Kläger in fünf Beschwerdesachen seine abschließenden Voten erst im Jahr 2013 an die Beklagte übersandt habe, so dass der Anspruch auf diese Aufwandsentschädigung erst im Jahr 2013 fällig geworden und insoweit keine Verjährung eingetreten sei. Allerdings sei diese Forderung durch die vom Kläger erklärte Aufrechnung mit seinen Aufwandsentschädigungsansprüchen für das Jahr 2013 gegen den Anspruch auf Zahlung des Kammerbeitrags 2017 erloschen. Der Kläger habe mit dem Anspruch aufrechnen können. Denn bei der Aufwandsentschädigung nach § 19 der Beitrags-, Gebühren-, Entschädigungs- und Zwangsgeldordnung der Beklagten entstehe der Anspruch bereits mit Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und nicht erst mit Erlass des begehrten Verwaltungsakts durch die Beklagte. Da dem Kläger kein Zahlungsanspruch mehr zustehe, komme die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines entsprechenden Bescheids zur Festsetzung der Aufwandsentschädigung nicht mehr in Betracht.
Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und zulässig. Zwar hat der Kläger die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags nicht gewahrt. Dem Kläger war jedoch gemäß § 112e Satz 2 BRAO, §§ 60, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags zu gewähren, da er im Einzelnen dargelegt und durch eine anwaltliche Versicherung sowie eine Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht hat, aufgrund einer unvorhersehbaren, unvermeidbaren und nicht rechtzeitig behebbaren Störung eines Servers unverschuldet an der Wahrung der Begründungsfrist gehindert gewesen zu sein.
Der Antrag des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund des § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht auch die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 - AnwZ (Brfg) 13/15, juris Rn. 3 mwN und vom 30. Juni 2021 - AnwZ (Brfg) 40/20, juris Rn. 9). Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen.
a) Soweit der Kläger ausführt, dass der Anwaltsgerichtshof nur über den ursprünglichen Klageantrag und nicht über den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in der dort formulierten Fassung entschieden habe, begründet dies keine Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses.
Zwar hat der Anwaltsgerichtshof im Tatbestand nur den in der Klagebegründung enthaltenen Antrag aufgeführt, wonach die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids verpflichtet werden sollte, den Kläger gemäß den Abrechnungen vom 14. Oktober 2016 unter Abzug des bereits gezahlten Betrags von 1.740 € und des bereits verrechneten Betrags von 360 € [bezogen auf den Kammerbeitrag 2016] positiv zu bescheiden. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diesen Antrag um die Anrechnung „eines zweiten bereits verrechneten Betrages in Höhe von 250,00 €“ [bezogen auf die Aufrechnung gegen den Kammerbeitrag 2017] ergänzt. Der Anwaltsgerichtshof hat über das gesamte Klagebegehren entschieden, auch wenn er diese Ergänzung nicht erwähnt hat.
Bei der Erfassung des Klagebegehrens ist das Gericht nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 88 VwGO an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern hat das tatsächliche Rechtsschutzziel zu ermitteln. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Maßgebend ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (BVerwG, Beschlüsse vom 17. Mai 2004 - 9 B 29/04, juris Rn. 5 und vom 26. Juli 2016 - 10 B 15/15, juris Rn. 8 mwN). Dabei ist es dem Gericht verwehrt, eine dem erkennbaren Klageziel nicht voll entsprechende Fassung des Antrags als maßgeblich zu erachten und auf diese Weise einen Teil des Klagebegehrens auszuklammern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1997 - 1 B 209/96, juris Rn. 10).
Eine solche Ausklammerung liegt hier jedoch nicht vor. Das Klageziel bestand darin, eine neue Entscheidung über die vom Kläger aufgelisteten Entschädigungsansprüche zu erreichen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger lediglich den Inhalt der von ihm begehrten neuen Entscheidung dahingehend konkretisiert, dass diese zusätzlich eine Anrechnung in Höhe von 250 € ausweisen sollte. Damit hat der Kläger auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin reagiert, bei welcher der Anwaltsgerichtshof einen weitergehenden Erstattungsanspruch von 250 € in den Raum gestellt hatte, während die Beklagte jedoch insoweit auf die von dem Kläger vorgenommene Aufrechnung gegen den Kammerbeitrag 2017 hingewiesen hatte. Nach Ansicht des Klägers muss der neue Bescheid eine Festsetzung des weitergehenden Anspruchs in Höhe von 250 € enthalten und schließlich zusätzlich die weitere Anrechnung in Höhe von 250 € aufführen. Der Anwaltsgerichtshof hat bei der Prüfung des Anspruchs auf Erlass eines neuen Verwaltungsakts sämtliche vom Kläger geltend gemachten Entschädigungspositionen geprüft und ist rechtlich davon ausgegangen, dass der weitere Entschädigungsanspruch in Höhe von 250 € durch die vom Kläger erklärte Aufrechnung erloschen ist, so dass in einem Verwaltungsakt kein auszuzahlender Entschädigungsbetrag mehr festgesetzt werden könnte. Damit hat der Anwaltsgerichtshof das Klagebegehren des Klägers vollständig geprüft und ist lediglich aufgrund einer anderen Rechtsauffassung nicht zu dem vom Kläger erwünschten Ergebnis gelangt.
b) Auch soweit der Kläger die rechtliche Beurteilung in der Sache angreift, begründet dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Der Kläger ist der Ansicht, dass der weitergehende Entschädigungsanspruch in einem neuen Bescheid festzusetzen sei. Denn erst wenn dieser Anspruch festgesetzt sei, bestehe überhaupt eine Aufrechnungslage. Nur der bestands-/rechtskräftig festgesetzte Erstattungsanspruch sei dem Grunde und der Höhe nach einer Erfüllung zugänglich. Dies sei auch aus dem Steuer- und dem Sozialrecht bekannt. Zunächst erfolge die Festsetzung und erst in einem zweiten Schritt könne eine Anrechnung - zum Beispiel von Vorauszahlungen - erfolgen.
Das Steuerrecht und das Sozialrecht enthalten zwar teilweise entsprechende Regelungen. Der Kläger hat aber nicht hinreichend dargelegt, warum diese auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sein sollten.
Will der Steuerpflichtige mit Erstattungsansprüchen aufrechnen, so müssen diese wie jede andere Gegenforderung fällig sein (vgl. § 226 Abs. 1 AO, § 387 BGB). Die Fälligkeit kann dabei je nach den steuerrechtlichen Vorschriften erst mit Bekanntgabe des Steuerbescheides, der den jeweiligen Steuererstattungsanspruch festsetzt, eintreten (vgl. § 220 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO; vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO Rn. 37 mwN (Stand Februar 2019); Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 12. Mai 2005 - 4 K 1409/04, juris Rn. 25 ff.). Im Sozialrecht wiederum bestimmt § 41 SGB I, dass Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen fällig werden, soweit die besonderen Teile des Gesetzbuchs keine Regelung enthalten. Gemäß § 40 Abs. 1 SGB I entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Bei Ermessensleistungen ist hingegen der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung über die Leistung bekanntgegeben wird, es sei denn, dass in der Entscheidung ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist (vgl. § 40 Abs. 2 SGB I).
Da es sich dabei jeweils um spezielle Vorschriften des Fachrechts handelt, die auch unterschiedlich ausgestaltet sind, ist nicht ersichtlich, weshalb sie auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sein sollten. Soweit der Kläger ausführt, dass für den hier streitgegenständlichen Erstattungsanspruch nichts anderes gelten könne und insoweit keine materiell-rechtlich relevanten Sachunterschiede bestünden, trifft dies nicht zu. Bei der Aufwandsentschädigung nach § 19 Abs. 4 der Beitrags-, Gebühren-, Entschädigungs- und Zwangsgeldordnung der Beklagten handelt es sich nicht um eine Ermessensleistung der Beklagten, so dass ein wesentlicher Unterschied zu der Regelung in § 40 Abs. 2 SGB I besteht. Grund und Höhe des Anspruchs ergeben sich unmittelbar aus § 19 Abs. 4 der Beitrags-, Gebühren-, Entschädigungs- und Zwangsgeldordnung der Beklagten. Im Gegensatz zu Steuererstattungsansprüchen ist daher keine aufwendige Bewertung oder Berechnung durch die Beklagte erforderlich.
2. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Soweit der Kläger die Verletzung der Gewährung rechtlichen Gehörs rügt und sich auch insoweit darauf beruft, der Anwaltsgerichtshof habe den zuletzt gestellten Antrag des Klägers übergangen, kann dies keinen Verfahrensfehler begründen. Gleiches gilt für den Vorwurf des Klägers, der Anwaltsgerichtshof habe sich nicht mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt, dass zwischen der Festsetzung des Erstattungsanspruchs und dessen Erfüllung zu differenzieren sei.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte aber nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfG, NVwZ 2018, 1561 Rn. 19 mwN; Senat, Beschluss vom 19. April 2021 - AnwZ (Brfg) 39/20, juris Rn. 15). Wie oben dargestellt, hat der Anwaltsgerichtshof eine umfassende Prüfung des Klagebegehrens vorgenommen, ist dabei aber aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht zu dem von dem Kläger gewünschten Ergebnis gekommen. Der Anwaltsgerichtshof hat sich mit allen rechtlichen Problemen befasst und seine Auffassung ausführlich begründet. Dabei geht auch hervor, dass und warum er eine Festsetzung des weitergehenden Entschädigungsanspruchs nicht für erforderlich hält, um das Bestehen einer Aufrechnungslage zu bejahen.
III. 21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Grupp Kau Paul Merk Vorinstanz: AGH Brandenburg, Entscheidung vom 22.03.2021 - AGH I 7/17 - Ettl