XII ZB 140/25
BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 140/25 BESCHLUSS vom 13. August 2025 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:
ja nein ja nein FamFG § 278 Abs. 2 Satz 3 a) Aus der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG folgt keine Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers im Termin zur persönlichen Anhörung des Betroffenen eines Betreuungsverfahrens.
b) Hat das Gericht den Verfahrenspfleger von der beabsichtigten Anhörung des Betroffenen in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit gegeben, an dem Anhörungstermin teilzunehmen, ist die Anhörung nicht deswegen verfahrensfehlerhaft, weil der Verfahrenspfleger von einer Teilnahme an diesem Termin abgesehen hat.
BGH, Beschluss vom 13. August 2025 - XII ZB 140/25 - LG Nürnberg-Fürth AG Erlangen ECLI:DE:BGH:2025:130825BXIIZB140.25.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. August 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. März 2025 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12. März 2025 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe: I.
Die Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung und Erweiterung der für sie eingerichteten Betreuung.
Die Betroffene leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit im Vordergrund stehender paranoider Symptomatik. Für sie wurde erstmals im Jahr 2017 eine Betreuung eingerichtet, die sodann im November 2019 verlängert wurde.
3 Nach dem Tod des Vaters der Betroffenen hat die damalige Betreuerin im August 2022 eine Erweiterung der Betreuung um erbrechtliche Angelegenheiten angeregt, während die Betroffene die Aufhebung der Betreuung beantragt hat. Das Amtsgericht hat den Antrag der Betroffenen abgelehnt, die Betreuung verlängert und um den Aufgabenbereich der erbrechtlichen Angelegenheiten erweitert. Zudem hat es die damalige Betreuerin entlassen und den Beteiligten zu 3 zum Vereinsbetreuer bestellt. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels den Aufgabenbereich der strafrechtlichen Angelegenheiten aus der Betreuung herausgenommen, den Beteiligten zu 3 als Betreuer entlassen und einen Berufsbetreuer bestellt. Dieser Beschluss ist auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen durch den Senatsbeschluss vom 17. Januar 2024 (XII ZB 334/23 - FamRZ 2024, 723) aufgehoben worden.
Nach Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Betroffene persönlich angehört. Unter neuerlicher Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels hat es den Aufgabenbereich der strafrechtlichen Angelegenheiten aus der Betreuung herausgenommen, den Beteiligten zu 3 als Betreuer entlassen und die Beteiligte zu 4 zur Berufsbetreuerin bestellt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Mit ihrer Rüge, die Anhörung der Betroffenen durch das Landgericht sei verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil der Verfahrenspfleger dabei nicht zugegen gewesen sei, vermag die Rechtsbeschwerde nicht durchzudringen.
a) Nach der gemäß § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch im Verlängerungsverfahren anzuwendenden Vorschrift des § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören und dessen Wünsche zu erfragen. Diese Anhörung soll zwar gemäß § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG in Anwesenheit des Verfahrenspflegers stattfinden, wenn das Gericht dem Betroffenen einen solchen bestellt hat. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt aus der letztgenannten Vorschrift jedoch nicht, dass die Anhörung an einem Verfahrensfehler leidet, wenn der Verfahrenspfleger von einer Teilnahme am Anhörungstermin abgesehen hat.
aa) Bereits nach der zur bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Rechtslage ergangenen Senatsrechtsprechung musste das Betreuungsgericht durch die Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen konnte. Diese Notwendigkeit hat der Senat aus dem Umstand hergeleitet, dass der gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG bestellte Verfahrenspfleger die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten soll und daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen beteiligt werden muss. Zudem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2022 - XII ZB 129/21 - FamRZ 2022, 1225 Rn. 16 und vom 21. Juni 2017 - XII ZB 45/17 - FamRZ 2017, 1610 Rn. 11). Erfolgte die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, war sie verfahrensfehlerhaft und verletzte den Betroffenen in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 - XII ZB 45/17 - FamRZ 2017, 1610 Rn. 11).
Der rechtzeitig vom Anhörungstermin unterrichtete Verfahrenspfleger konnte allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2022 - XII ZB 129/21 - FamRZ 2022, 1225 Rn. 17; vgl. auch Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - XII ZB 166/21 - FamRZ 2023, 639 Rn. 9 mwN, zu Unterbringungsverfahren). Fand die Anhörung des Betroffenen in Abwesenheit des Verfahrenspflegers statt, ohne dass dieser dagegen Bedenken äußerte, stellte dies keinen Verfahrensfehler dar (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Mai 2022 - XII ZB 129/21 - FamRZ 2022, 1225 Rn. 17). Nur im Falle einer unfreiwilligen Abwesenheit des Verfahrenspflegers war die Anhörung in der Regel verfahrensfehlerhaft (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - XII ZB 166/21 - FamRZ 2023, 639 Rn. 10 mwN, zu Unterbringungsverfahren).
bb) An diesen Grundsätzen hat sich durch die zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Neufassung der Vorschrift des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882, 914) nichts Wesentliches geändert.
(1) Dem Gesetzeswortlaut ist lediglich zu entnehmen, dass die Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit des Verfahrenspflegers erfolgen soll, nicht aber, dass der Verfahrenspfleger zwingend bei der Anhörung anwesend sein bzw. andernfalls Gründe für sein Fernbleiben benennen müsste. Auch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 19/24445 S. 332) bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass durch die Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG eine Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers begründet werden sollte. Darin ist ausgeführt: „Durch den neuen Satz 3 wird ausdrücklich geregelt, dass bei Bestellung eines Verfahrenspflegers die Anhörung des Betroffenen in dessen Anwesenheit durchgeführt werden soll. Dies entspricht der Regelung in § 159 Absatz 4 Satz 3 FamFG für die Kindesanhörung in Kindschaftssachen.“ Zur Vorschrift des § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG wird einhellig die Auffassung vertreten, dass diese zwar ein Anwesenheitsrecht des Verfahrensbeistands in Kindschaftsverfahren vorsieht, aber keine Anwesenheitspflicht begründet (vgl. Dutta/Jacoby/Schwab/ Lack FamFG 4. Aufl. § 159 Rn. 40; MünchKommFamFG/Schumann 4. Aufl. § 159 Rn. 41; Musielak/Borth/Frank/Frank FamFG 7. Aufl. § 159 Rn. 14; Sternal/ Schäder FamFG 21. Aufl. § 159 Rn. 27; jeweils unter Hinweis auf BVerfG FamRZ 2020, 1579 Rn. 16; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11 - FamRZ 2012, 1556 Rn. 14 und BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 45).
Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG eine grundsätzliche Anwesenheitspflicht des Verfahrenspflegers bei der Anhörung des Betroffenen in einem Betreuungsverfahren hat normieren und insoweit etwas an der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Rechtslage hat ändern wollen (so auch Jesgarzewski NJW 2025, 909, 910). Hätte er in Betreuungssachen - anders als in Kindschaftssachen - die Einführung einer Anwesenheitspflicht beabsichtigt, hätte es nahegelegen, dies eindeutig zu erkennen zu geben. Dieses Verständnis entspricht ersichtlich auch der Auffassung im Schrifttum (vgl. BeckOGK/ von Massenbach [Stand: 1. Juni 2025] FamFG § 278 Rn. 76, 78; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Juni 2025] § 278 Rn. 7; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 8. Aufl. § 278 FamFG Rn. 8; Sternal/Giers FamFG 21. Aufl. § 278 Rn. 19).
(2) Soweit vereinzelt vertreten wird, aus dem Sinn und Zweck der Verfahrenspflegerbestellung sei zu folgern, dass die persönliche Anhörung des Betroffenen seit dem 1. Januar 2023 in der Regel im Beisein des Verfahrenspflegers zu erfolgen habe und nur ausnahmsweise - unter Darlegung der Gründe für die Annahme eines Ausnahmefalles - von einer Anwesenheit des Verfahrenspflegers abgesehen werde könne, weshalb es nicht mehr ausreichend sei, dass das Betreuungsgericht dem Verfahrenspfleger lediglich eine Möglichkeit zur Teilnahme verschaffe (vgl. LG Lübeck NJW 2025, 906, 908 f. zur ebenfalls zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Vorschrift des § 319 Abs. 2 Satz 2 FamFG), kann dem nicht zugestimmt werden. Der Verfahrenspfleger hat grundsätzlich in eigener Verantwortung darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen zur sachgerechten Wahrnehmung seines Amtes erforderlich sind und ob er bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen anwesend sein möchte (Jesgarzewski NJW 2025, 909, 910). Im Übrigen hat das Betreuungsgericht keine Möglichkeit, den Verfahrenspfleger zur Teilnahme an der Anhörung des Betroffenen zu verpflichten (vgl. BVerfG FamRZ 2020, 1579 Rn. 16 zu § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG).
(3) Durch die Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG wurde somit lediglich - der Rechtsprechung des Senats entsprechend - klargestellt, dass das Gericht den Betroffenen grundsätzlich in Anwesenheit des Verfahrenspflegers anhören soll und der Verfahrenspfleger deswegen Gelegenheit haben muss, an der Anhörung teilzunehmen. Dagegen ist die Vorschrift nicht dahin zu verstehen, dass ein vom Anhörungstermin benachrichtigter Verfahrenspfleger zur Anwesenheit im Termin verpflichtet wäre oder im Falle seines Fernbleibens Entschuldigungsgründe hierfür vorzubringen hätte.
b) Das Landgericht hat den Vorgaben des § 278 Abs. 2 Satz 3 FamFG Rechnung getragen. Es hat den Verfahrenspfleger durch Übersendung einer Terminsmitteilung über die beabsichtigte Anhörung der Betroffenen in Kenntnis gesetzt. Damit hat es ihm Gelegenheit gegeben, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Der Verfahrenspfleger hat in Kenntnis dieses Termins von einer Teilnahme abgesehen. Anhaltspunkte dafür, dass er unfreiwillig abwesend gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich, so dass die Anhörung der Betroffenen durch das Landgericht verfahrensordnungsgemäß erfolgt ist.
2. Auch in der Sache hält die angefochtene Entscheidung einer Nachprüfung stand. Insbesondere beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Unrecht, das Fehlen eines freien Willens im Sinne von § 1814 Abs. 2 BGB sei nicht hinreichend festgestellt worden. Insoweit und auch im Übrigen wird nach § 74 Abs. 7 FamFG von einer weiteren Begründung der Entscheidung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Krüger Klinkhammer Recknagel Botur Vorinstanzen: AG Erlangen, Entscheidung vom 17.01.2023 - 4 XVII 1204/16 LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 06.03.2025 - 13 T 889/23 -