XI ZR 149/20
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES XI ZR 149/20 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 1. Juni 2021 Herrwerth Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2021:010621UXIZR149.20.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 17. Mai 2021 eingereicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Dr. Matthias, die Richterin Dr. Derstadt und den Richter Dr. Schild von Spannenberg für Recht erkannt:
Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung der Revision im Übrigen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Februar 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 3. September 2018 hinsichtlich der Klageanträge zu 1, 3 und 4 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Streitwert: bis 35.000 €
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
Der Kläger erwarb im Januar 2016 einen Fiat Freemont Lounge zum Kaufpreis von 32.000 €. Zur Finanzierung des über die geleistete Anzahlung von 2.000 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom 29. Januar 2016 einen Darlehensvertrag über 30.000 € mit einem gebundenen Sollzinssatz von 4,87% p.a. Zins- und Tilgungsleistungen sollten in 72 Monatsraten erbracht werden. Über sein Widerrufsrecht informierte die Beklagte den Kläger auf Seite 4 des Darlehensvertrags wie folgt:
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung und bot der Beklagten an, das finanzierte Fahrzeug an einen von ihr zu benennenden Vertragspartner in seiner Nähe zu übergeben, sobald die Rückerstattung der von ihm bis dahin geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen auf seinem Bankkonto eingegangen sei. Nachdem die Beklagte den Widerruf als verfristet zurückgewiesen hatte, forderte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 23. März 2018 die Beklagte auf, die geleistete Anzahlung sowie die Zins- und Tilgungsleistungen Zug um Zug gegen Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs herauszugeben.
Mit der Klage begehrt der Kläger (1.) die Rückzahlung der von ihm auf das Darlehen bis zum Widerruf erbrachten Leistungen einschließlich der Anzahlung in Höhe von insgesamt 7.180,25 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen, hilfsweise nach Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs, (2.) die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, (3.) die Feststellung, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag ab Zugang der Widerrufserklärung kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Leistung zustehe, (4.) die Rückzahlung der von ihm auf das Darlehen nach dem Widerruf erbrachten Raten in Höhe von insgesamt 9.048 € und (5.) die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist überwiegend begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht wirksam widerrufen. Der Widerruf sei verfristet, weil die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation inhaltlich nicht zu beanstanden sei und die ihm zur Verfügung gestellte Vertragsurkunde alle für die Ingangsetzung der Widerrufsfrist erforderlichen Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB enthalten habe. Dabei könne offenbleiben, ob sich die Beklagte auf den Schutz des gesetzlichen Musters der Anlage 7 zu Art. 247 EGBGB in der bei Vertragsschluss geltenden Fassung berufen könne. Die erteilte Widerrufsinformation genüge den gesetzlichen Vorgaben des § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB. Die Angabe des im Widerrufsfall pro Tag zu zahlenden Zinsbetrags mit "0,00 €" sei dahin zu verstehen, dass die Beklagte im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts zugunsten des Klägers auf die Geltendmachung des Zinsanspruchs verzichtet habe, und daher zutreffend. Die Widerrufsinformation sei auch nicht deshalb fehlerhaft, weil unter der Überschrift "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" auf eine Restschuldversicherung als verbundenen Vertrag hingewiesen werde, obwohl der Kläger eine solche Versicherung nicht abgeschlossen habe. Formularverträge müssten für verschiedene Fallgestaltungen offen sein. Die Angabe zur Restschuldversicherung sei für den verständigen Verbraucher nicht irreführend, weil er erkenne, dass dieser Hinweis für ihn nicht relevant sei. Die dem Kläger erteilten weiteren Pflichtangaben unter anderem über das einzuhaltende Verfahren bei einer Kündigung, den Verzugszinssatz und den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung und dessen Berechnungsmethode seien nicht zu beanstanden.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein wirksamer Widerruf des streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrags nicht verneint werden. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGBGB in der hier maßgeblichen, vom 13. Juni 2014 bis 20. März 2016 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) resultierende Verpflichtung, über das nach § 495 Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren, ordnungsgemäß erfüllt hat.
1. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB" zwar nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB aF ist, dies aber im Geltungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46) in Bezug auf (Allgemein-)Verbraucherdarlehensverträge bei einer richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu verneinen ist (vgl. Senatsurteile vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 13 ff. und vom 10. November 2020 - XI ZR 426/19, WM 2021, 44 Rn. 14 ff.).
2. Die Beklagte kann sich - was das Berufungsgericht offengelassen hat nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB aF berufen. Dies setzt voraus, dass die Widerrufsinformation der Beklagten dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB aF entspricht. Dies ist, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 26), nicht der Fall.
In der Widerrufsinformation hat die Beklagte bei der Unterüberschrift "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag, sondern - zu Unrecht - auch einen Vertrag über eine Restschuldversicherung angegeben. Einen solchen Vertrag hat der Kläger nicht abgeschlossen. Zwar sind optionale Bestandteile in der Widerrufsinformation zulässig, wenn hinreichend konkret angegeben ist, ob sie einschlägig sind (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2016 - XI ZR 101/15, BGHZ 209, 86 Rn. 42 ff.), ohne dass dadurch die Musterkonformität in Frage steht. An einer solchen Angabe fehlt es hier aber (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 19).
III.
Das Berufungsurteil erweist sich jedoch im Hinblick auf die Klageanträge zu 2 und 5 aus anderen Gründen als richtig, so dass insoweit die Revision zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).
1. Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des finanzierten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, ist unbegründet.
Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB ist auf die Rückabwicklung eines - wie hier - mit einem (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrag verbundenen Vertrag über die Lieferung einer Ware neben § 355 Abs. 3 BGB ergänzend die Vorschrift des § 357 BGB anzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 22). Aufgrund dessen ist der Kläger nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs vorleistungspflichtig. Der Beklagten steht nach § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB - was sie mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat - gegenüber dem Kläger ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat. Dass die Beklagte angeboten hätte, das Fahrzeug beim Kläger abzuholen (§ 357 Abs. 4 Satz 2 BGB), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger ist in der Widerrufsinformation auch darauf hingewiesen worden, dass er die Kosten der Rücksendung der Ware zu tragen hat (§ 357 Abs. 6 Satz 1 BGB).
Die Rückgabepflicht des Klägers ist damit mangels anderweitiger Vereinbarung eine Bring- oder Schickschuld, die der Schuldner dem Gläubiger an dessen Wohnsitz anbieten oder an ihn absenden muss. Der Kläger hat der Beklagten das Fahrzeug nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise nach §§ 293 bis 297 BGB angeboten. Dass der Kläger der Beklagten das Fahrzeug an deren Sitz tatsächlich angeboten oder an sie nachweisbar abgesandt hat (§ 294 BGB), hat er nicht vorgetragen. Seine wörtlichen Angebote waren zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten unzureichend, weil diese seiner Vorleistungspflicht nicht genügt haben. Im Schreiben vom 14. Dezember 2017 hat er die Herausgabe des Fahrzeugs erst nach Zahlung der Beklagten angeboten. Im Anwaltsschreiben vom 23. März 2018 hat er der Beklagten lediglich eine Zugum-Zug-Leistung angeboten. Das in der Revisionsbegründung erfolgte wörtliche Angebot des Klägers ist - ungeachtet der Frage, ob dieses neue Vorbringen in der Revisionsinstanz überhaupt berücksichtigt werden kann - zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten unzureichend, weil dieses im Hinblick auf die Eigenschaft der Verpflichtung zur Herausgabe des Fahrzeugs als Bring- oder Schickschuld (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 24) die Voraussetzungen der §§ 294, 295 BGB nicht erfüllt, sofern die Beklagte - wie hier bislang nicht - nicht erklärt hat, dass sie die Leistung nicht annehmen wird.
2. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht dem Kläger gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Dies setzt voraus, dass der Kläger die von ihm selbst aus dem Rückgewährschuldverhältnis geschuldete Leistung der Beklagten in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 25 mwN). Dies war hier nicht der Fall.
IV.
Soweit sich das Urteil nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO), ist es in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird sich zunächst mit dem Rechtsmissbrauchseinwand der Beklagten zu befassen haben (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 27 f. mwN). Sofern das Berufungsgericht den Widerruf des Darlehensvertrags durch den Kläger für wirksam erachtet, wird es zu bedenken haben, dass der mit dem Antrag zu 1 verfolgte Zahlungsanspruch wegen der Vorleistungspflicht des Klägers (§ 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB) derzeit unbegründet ist. Insoweit verhilft es dem Kläger nicht zum Erfolg, dass er hilfsweise Zahlung "nach" Herausgabe des Fahrzeugs begehrt. Dies setzt in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 BGB voraus,
dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020, aaO Rn. 29). Dies ist aber nicht der Fall. Sofern die Klage zumindest teilweise Erfolg haben sollte, wird sich das Berufungsgericht mit der Hilfsaufrechnung der Beklagten zu befassen haben. Entgegen der Auffassung des Klägers steht der Beklagten gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 7 BGB - worauf sie ihn in der Widerrufsinformation hingewiesen hat - ein Anspruch auf Ersatz für den Wertverlust des finanzierten Fahrzeugs zu (vgl. im Einzelnen Senatsurteil vom 27. Oktober 2020, aaO Rn. 31 ff. mwN).
V.
Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg vom 30. Dezember 2020 (2 O 238/20, juris) und vom 8. Januar 2021 (2 O 160/20, 2 O 320/20, juris) hat keinen Erfolg. Die dort und von der Revision aufgeworfenen Fragen hat der Senat bereits beantwortet (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, BGHZ 227, 253 Rn. 39 und BGH, Urteil vom 29. Januar 2020 - VIII ZR 80/18, BGHZ 224, 302 Rn. 51).
Ellenberger Derstadt Grüneberg Matthias Schild von Spannenberg Vorinstanzen: LG Heilbronn, Entscheidung vom 03.09.2018 - 6 O 161/18 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 11.02.2020 - 6 U 238/18 -