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IX B 121/18

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.6.2019, IX B 121/18 ECLI:DE:BFH:2019:B.050619.IXB121.18.0 Wiedereinsetzung - Versendung einer Datei aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) - Verwendung von unzulässigen Umlauten und Sonderzeichen in der Dateibezeichnung - Besetzungsrüge - Unzulässige Selbstentscheidung bei Eingehen auf den Akteninhalt Leitsätze

1. Wird ein aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandter fristwahrender Schriftsatz vom Intermediär-Server nicht an den BFH weitergeleitet, weil die Dateibezeichnung unzulässige Zeichen enthält, kommt Wiedereinsetzung von Amts wegen in Betracht, wenn der Absender nicht eindeutig darauf hingewiesen worden ist, dass entsprechende Zeichen nicht verwendet werden dürfen und wenn er nach dem Versenden an Stelle einer Fehlermeldung eine Mitteilung über die erfolgreiche Versendung des Schriftsatzes erhalten hat.

2. Die Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist schon dann willkürlich, wenn die Ablehnung des Gesuchs ein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand, den Verfahrensstand oder den Akteninhalt erfordert.

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 27.09.2018 - 11 K 2862/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Gründe

1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) versäumt, weil die elektronisch übermittelte Datei mit der Begründung nicht fristgerecht beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Dem Kläger ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Er hat die versäumte Handlung innerhalb der dafür geltenden Frist nachgeholt. Die Fristversäumung war unverschuldet. Die für die Beurteilung des Verschuldens maßgeblichen Tatsachen sind gerichtsbekannt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers versandte den Begründungsschriftsatz rechtzeitig aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) und nutzte dafür die von der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verfügung gestellte Webanwendung. Zur Bezeichnung der versandten Datei verwendete der Prozessbevollmächtigte offenbar (ohne dies zu wissen) technisch nicht zulässige Zeichen (Umlaute und Sonderzeichen). Die Nachricht wurde deshalb vom zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs nicht dem BFH zugestellt, sondern in ein Verzeichnis für "korrupte" Nachrichten verschoben. Auf diesen Server hat der BFH keinen Zugriff; der BFH ist von dem Vorgang auch nicht benachrichtigt worden, so dass ein Hinweis nach § 52a Abs. 6 FGO nicht erteilt werden konnte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhielt die Mitteilung, seine Nachricht sei erfolgreich versandt und zugegangen. Auch er konnte nicht erkennen, dass die Nachricht angehalten und dem BFH nicht zugegangen war. In Hinweisen der örtlichen Anwaltskammern wird zwar darauf hingewiesen, dass Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnungen zu vermeiden seien. Es wird aber nicht erläutert, welche Folgen die Verwendung haben kann.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das Finanzgericht (FG) gemäß § 116 Abs. 6 FGO. Die Besetzungsrüge greift durch. Das FG hat über das Befangenheitsgesuch des Klägers zu Unrecht im Urteil selbst entschieden.

a) Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 45 ZPO nach vorheriger dienstlicher Äußerung des abgelehnten Richters ohne dessen Mitwirkung. Etwas anderes kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Ablehnungsgesuch offensichtlich rechtsmissbräuchlich oder aus anderen Gründen unzulässig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. März 2014 - VII B 131/13, BFH/NV 2014, 1055; vom 3. Juli 2014 - V S 15/14, BFH/NV 2014, 1574). In Betracht kommt die Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers oder ein Gesuch, das offenbar grundlos ist und erkennbar nur der Verschleppung des Rechtsstreits dienen soll (Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14, juris, Rz 15, m.w.N.).

Die Selbstentscheidung des abgelehnten Richters ist vor dem Hintergrund der Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) nur gerechtfertigt, soweit die durch den Ablehnungsantrag erforderliche Entscheidung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters und damit keine Entscheidung in eigener Sache voraussetzt. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. nur BFH-Beschluss vom 29. Dezember 2015 - IV B 68/14, BFH/NV 2016, 575, Rz 4; BVerfG-Beschlüsse vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01, BVerfGK 5, 269, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 3410, unter IV.2.a, und vom 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14, juris, Rz 17). Grundsätzlich wird eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nur in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein --ohne jede weitere Aktenkenntnis-- offenkundig die Ablehnung nicht zu begründen vermag; ist hingegen ein --wenn auch nur geringfügiges-- Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus (BVerfG-Beschluss vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11, juris, Rz 30). Dann ist die Entscheidung durch den abgelehnten Richter selbst willkürlich (BFH-Beschluss vom 5. April 2017 - III B 122/16, BFH/NV 2017, 1047).

b) So liegt der Streitfall. Das am Tag der mündlichen Verhandlung um 01:59 Uhr per Fax übermittelte Ablehnungsgesuch des Klägers ist nicht nur auf die vom Kläger für unrichtig erachtete Ablehnung seines Antrags auf Verlegung des Termins gestützt, sondern auch auf die sachliche Behandlung des Akteneinsichtsgesuchs seines in einem anderen Verfahren mandatierten Prozessbevollmächtigten und die Verlegung des auf denselben Tag anberaumten Verhandlungstermins in jenem Verfahren auf Antrag des dortigen Bevollmächtigten sowie die seines Erachtens im vorliegenden Verfahren fehlende Beiziehung von Akten. Diese Erwägungen sind nicht aus sich heraus offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Das FG hat dies auch erkannt und ist darauf eingegangen, indem es im Urteil ausgeführt hat, der Prozessbevollmächtigte habe sich im vorliegenden Verfahren (noch) nicht legitimiert, er habe auch weder Akteneinsicht noch die Beiziehung von Akten beantragt. Das Gericht setzt sich insoweit mit dem Akteninhalt auseinander und verlässt den Rahmen einer reinen Formalentscheidung. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben.

c) Gestützt wird diese Beurteilung durch den Umstand, dass über den Ablehnungsantrag des Klägers auch noch der 11. Senat des FG ohne Mitwirkung der abgelehnten Richterin entschieden hat, nämlich durch Beschluss vom 1. Oktober 2018. Richtigerweise hätte die abgelehnte Einzelrichterin die mündliche Verhandlung absetzen und die Entscheidung des 11. Senats abwarten müssen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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