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III ZR 417/23

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES III ZR 417/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:

nein BGHR:

ja JNeu:

nein BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 D Bei einer schuldhaft groben Vernachlässigung von Amtspflichten in Bezug auf einen Rettungsdiensteinsatz durch den Disponenten einer Rettungsleitstelle muss die für ihn haftende Körperschaft regelmäßig die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen (Bestätigung und Fortführung von Senat, Urteile vom 11. Mai 2017 - III ZR 92/16, BGHZ 215, 44 und vom 23. November 2017 - III ZR 60/16, BGHZ 217, 50).

BGH, Urteil vom 15. Mai 2025 - III ZR 417/23 - OLG Schleswig LG Lübeck ECLI:DE:BGH:2025:150525UIIIZR417.23.0 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2025 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie die Richter Prof. Dr. Kessen und Liepin für Recht erkannt:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 9. November 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen Tatbestand Die Kläger sind die Eltern und Erben des am 14. Januar 2017 geborenen und am 12. Februar 2018 verstorbenen N. W.

. Sie nehmen die Beklagten wegen Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit einem Rettungsdiensteinsatz auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch.

Die Kläger haben ihren Wohnsitz in der Gemeinde U. im Kreis Nordwestmecklenburg (Beklagter zu 4). Die Beklagten zu 1 bis 3 und 5 sind umliegende Landkreise beziehungsweise kreisfreie Städte, wobei die Beklagten zu 1 bis 3 in Schleswig-Holstein gelegen sind, die Beklagten zu 4 und 5 in Mecklenburg-Vorpommern. Die zu 1 beklagte Hansestadt Lübeck unterhält eine eigene Rettungsleitstelle. Die zu 2 und 3 beklagten Kreise Herzogtum Lauenburg und Stormarn betreiben eine gemeinsame Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe, der Beklagte zu 4 und die zu 5 beklagte Landeshauptstadt Schwerin eine solche in Schwerin. Im Juli 2006 trafen die Beklagte zu 1 und der Beklagte zu 4 eine Vereinbarung über die Leistung von Amtshilfe durch die Beklagte zu 1 für bestimmte, im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu 4 liegende Ortschaften, die sie im Februar 2011 auf die Gemeinde U. erweiterten. Nach dieser Vereinbarung hatte der Beklagte zu 4 die bei ihm eingehenden Notfallmeldungen unmittelbar an die Leitstelle der Beklagten zu 1 weiterzuleiten, falls ihm geeignete Rettungsmittel nicht zur Verfügung standen. Die Beklagte zu 1 hatte im Wege der Amtshilfe Rettungsfahrzeuge zu entsenden, sofern bei ihr entsprechende Kräfte verfügbar waren. Der Beklagte zu 4 sollte für die Einhaltung der Hilfsfrist verantwortlich bleiben und die Beklagte zu 1 außerdem bei einfacher Fahrlässigkeit von Ansprüchen Dritter freihalten.

Einen Monat vor dem errechneten Geburtstermin von N. traten bei der Klägerin am Abend des 13. Januar 2017 gegen 22:20 Uhr Schmerzen auf. Der Kläger rief daher um 22:36 Uhr bei der Hebamme an, die ihm sagte, die Klägerin müsse sofort in ein Krankenhaus gebracht werden. Der Kläger verständigte daraufhin den Rettungsdienst. Das Gespräch ging um 22:41 Uhr in der Leitstelle Bad Oldesloe ein. Der Kläger teilte dem Disponenten der Leitstelle mit, dass die Klägerin starke Schmerzen habe und laut Hebamme sofort in ein Krankenhaus gebracht werden müsse. Der Disponent leitete den Notruf um 22:47 Uhr an die Leitstelle Schwerin weiter. Der Disponent der Leitstelle Schwerin wiederum leitete den Notruf mit der Erklärung an die Leitstelle Lübeck weiter, es gehe um Schmerzen in der Schwangerschaft. Auf die Einschätzung der Hebamme, die Klägerin müsse sofort in ein Krankenhaus gebracht werden, wies er die Leitstelle Lübeck nicht hin.

Der Disponent der Leitstelle Lübeck rief den Kläger an, der ihm mitteilte,

dass es um Schmerzen in der Schwangerschaft gehe, ohne auf die Angaben der Hebamme hinzuweisen. Um 22:51 Uhr alarmierte der Disponent der Leitstelle Lübeck einen Rettungswagen, der - ohne Notarzt - um 22:53 Uhr ausrückte. Der Rettungswagen traf um 23:17 Uhr bei den Klägern ein. Die Anfahrt war aufgrund von Glatteis erschwert. Wegen eines Zusammenbruchs der Klägerin forderte die Besatzung des Rettungswagens um 23:18 Uhr einen Notarzt an, der um

23:30 Uhr bei den Klägern eintraf und um 23:33 Uhr den Transport der Klägerin in das Universitätsklinikum in Lübeck veranlasste. Die Klägerin traf dort um

23:49 Uhr ein. Kurz nach Mitternacht wurde N. durch Notsectio geboren. Bei der Entbindung wurde festgestellt, dass es zu einer vorzeitigen Plazentaablösung gekommen war. Die Notsectio konnte einen erheblichen Gesundheitsschaden aufgrund einer unzureichenden Sauerstoffzufuhr (hypoxisch-ischämische Encephalopathie) nicht mehr verhindern, an dessen Folgen N.

am 12. Februar verstarb.

Die Kläger haben geltend gemacht, es habe eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestanden. Bei der Bearbeitung des Notrufs sei es zu Verzögerungen gekommen, die Amtspflichtverletzungen der Beklagten begründeten. Dasselbe gelte für Informationsverluste zwischen den verschiedenen Leitstellen. Nach den für das Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätzen werde vermutet, dass die Fehleinschätzung, die sofortige Entsendung eines Notarzteinsatzfahrzeugs sei entbehrlich, den Schaden verursacht habe. Ein einzuholendes Sachverständigengutachten werde überdies die Kausalität der Amtspflichtverletzungen für den Schaden beweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen sie ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe Die zulässige Revision der Kläger hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG obliege den Klägern. Eine Beweislastumkehr, wie sie sich bei einem groben Behandlungsfehler aus § 630h Abs. 5 BGB ergebe, komme hier nicht in Betracht. Eine solche Beweislastumkehr könne beim Einsatz nichtärztlichen Personals nur gelten, soweit es um Berufsoder Organisationspflichten gehe, die "ähnlich wie der Arztberuf dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen". Die Pflichten einer Rettungsdienstleitstelle seien aber ärztlichen Pflichten nicht einmal ähnlich. Die Auswahl des geeigneten Rettungsmittels durch die Leitstelle stelle keine medizinische, sondern eine rettungsdienstlich-organisatorische Tätigkeit dar.

Es stehe nicht fest, dass richtigerweise schon in dem Zeitpunkt, zu dem die Leitstelle Lübeck tatsächlich nur einen Rettungswagen entsandt habe, ein Notarzteinsatzfahrzeug zu entsenden gewesen sei. Eine Veranlassung für einen Notarzteinsatz habe nach dem Indikationskatalog der Bundesärztekammer für den Notarzteinsatz nicht bestanden. Zu dieser Frage sei kein Gutachten einzuholen gewesen. Ob eine Indikation des Katalogs gegeben sei, sei eine Frage der Anwendung und Auslegung desselben. Sie obliege den Gerichten und erfordere keine medizinische Ausbildung.

Es habe sich nicht schadensverursachend ausgewirkt, dass die Leitstelle Schwerin die Einschätzung der Hebamme, die Klägerin müsse sofort ins Krankenhaus gebracht werden, nicht an die Leitstelle Lübeck weitergegeben habe. Denn die Leitstelle Lübeck habe sofort einen Rettungswagen zur Klägerin entsandt, damit diese ins Krankenhaus habe gebracht werden können. Die Notwendigkeit, einen Notarzt allein zur Herstellung der Transportfähigkeit hinzuzuziehen, habe die Leitstelle Schwerin nicht kennen können.

Das fehlerhafte Auflaufen des Notrufs bei der Leitstelle Bad Oldesloe beruhe entweder darauf, dass die D. T. AG als Netzbetreiberin den Anruf nicht an die Leitstelle Lübeck weitergeleitet habe oder darauf, dass sich das Mobiltelefon des Klägers in die entsprechende Funkzelle eingewählt gehabt habe. Nicht zu beanstanden sei auch, dass der Notruf des Klägers von der Leitstelle Bad Oldesloe an die örtlich zuständige Leitstelle Schwerin weitergeleitet worden sei und von dieser im Wege des Amtshilfeersuchens auf Grundlage des öffentlich-rechtlichen Vertrags über die Amtshilfegewährung an die Leitstelle Lübeck. Der Leitstelle Bad Oldesloe sei nicht vorzuwerfen, dass sie den Notruf nicht direkt nach Lübeck weitergeleitet habe, denn sie hätte nicht die Entscheidung der Leitstelle Schwerin zu antizipieren gehabt, die sich dann letztlich für ein Amtshilfeersuchen an die Leitstelle Lübeck entschieden habe.

Der erstmals im Senatstermin erhobene Vorwurf, dass die Rettungssanitäter sofort nach ihrem Eintreffen den Transport der Klägerin ins Krankenhaus hätten veranlassen müssen, stelle ein neues und deshalb nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassendes Angriffsmittel dar.

II.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Es begegnet allerdings keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Amtshaftung der Beklagten, insbesondere der Beklagten zu 1, wegen angeblicher Pflichtverletzungen der Rettungssanitäter beim Rettungsdiensteinsatz verneint hat. Die insoweit von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Abs. 1 ZPO abgesehen.

2. Nicht frei von Rechtsfehlern sind indessen die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht in Bezug auf das Verhalten des Disponenten der Leitstelle Schwerin während des Rettungsdiensteinsatzes einen gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Kläger übergegangenen Anspruch von N. (fortan: Erblasser) gegen die Beklagten zu 4 und 5 aus § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG verneint hat.

a) Der Disponent der Leitstelle Schwerin übte bei der Bearbeitung des Notrufs des Klägers ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG aus. Die Organisation und die Durchführung der Aufgaben des Rettungsdienstes einschließlich der notärztlichen Versorgung sind in Mecklenburg-Vorpommern im Rettungsdienstgesetz vom 9. Februar 2015 (GVOBl. M-V 2015, 50; RDG M-V) öffentlich-rechtlich geregelt (vgl. Senat, Urteil vom 12. Januar 2017 - III ZR 312/16, BGHZ 213, 270 Rn. 9 f zum Thüringer Rettungsdienstgesetz). Bei der flächendeckenden, bedarfs- und fachgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung handelt es sich gemäß § 7 Abs. 1 RDG M-V um eine öffentliche Aufgabe. Nach Absatz 2 sind die Landkreise und kreisfreien Städte Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes jeweils für ihr Gebiet (Rettungsdienstbereich) und nehmen diese Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung wahr.

b) Der Disponent der Leitstelle Schwerin war für den Fall einer entsprechenden Indikation verpflichtet, zur notärztlichen Versorgung der Klägerin und des Erblassers unverzüglich die Entsendung eines Notarztes zu veranlassen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 RDG M-V muss bei einem Rettungsdiensteinsatz im Bedarfsfall eine Ärztin oder ein Arzt eingesetzt werden. Ist der zur Notfallrettung eingesetzte Krankenkraftwagen (Rettungswagen) - wie hier - personell nicht entsprechend besetzt, ist der Notarzt nach § 3 Abs. 2 Satz 2 RDG M-V mit einem Notarzteinsatzfahrzeug an den Einsatzort zu bringen. Die sich daraus ergebende Amtspflicht zur bedarfsgerechten Entsendung eines Notarztes traf den Disponenten der Leitstelle Schwerin, weil diese Leitstelle gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 RDG M-V den Rettungsbereich des Beklagten zu 4 führt, zu dem aufgrund der Zugehörigkeit zum Landkreis die Gemeinde U. gehört. Sie bestand auch gegenüber dem Erblasser als seinerzeit noch ungeborene Leibesfrucht (vgl. BGH,

Urteil vom 11. Januar 1972 - VI ZR 46/71, BGHZ 58, 48, 49 ff zu § 823 Abs. 1 BGB).

c) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den am 22. Februar 2013 vom Vorstand der Bundesärztekammer als Handreichung für Disponenten in Notdienstzentralen und Rettungsleitstellen beschlossenen Indikationskatalog für den Notarzteinsatz (Deutsches Ärzteblatt vom 15. März 2013, S. A 521) als maßgeblich für die Entscheidung der zuständigen Rettungsleitstellen erachtet hat, ob ein Notarzt einzusetzen ist (vgl. KG, Beschluss vom 20. März 2017 - 20 U 147/16, juris Rn. 4, 11). Die Handreichung dient dazu, bundesweit einheitliche Kriterien für den Notarzteinsatz zu gewährleisten. Zugleich eröffnet sie dem Leitstellenpersonal in begründeten Fällen die Möglichkeit, bei der Notarztalarmierung vom Indikationskatalog abzuweichen. Nach § 11 Abs. 4 der Verordnung über die Rettungsdienstplanung und weitere Ausführung des Rettungsdienstgesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 26. September 2016 (GVOBl. M-V 2016, 799) sollen sich die Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes auf der Grundlage dieses Katalogs auf einheitliche Festlegungen in Bezug auf die Bestimmung des geeigneten Rettungsmittels verständigen. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

d) Die die Abweisung der Klage gegen alle fünf Beklagten tragende Annahme des Berufungsgerichts, es stehe nicht fest, dass richtigerweise schon in dem Zeitpunkt ein Notarzteinsatzfahrzeug zu entsenden gewesen sei, in dem die Leitstelle Lübeck nur einen Rettungswagen entsandt habe, beruht indes auf einem Verfahrensfehler. Wie die Revision mit Recht rügt, hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO davon abgesehen, das von den Klägern angebotene Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob wegen des vom Kläger geschilderten Zustands der Klägerin eine Indikation zur sofortigen Entsendung eines Notarztes bestand.

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Beurteilung, ob unter Berücksichtigung des Indikationskatalogs der Bundesärztekammer im Streitfall der Einsatz eines Notarztes indiziert war, um eine Frage, die medizinisches Fachwissen im Bereich des Rettungsdienstes voraussetzt.

(1) Der Indikationskatalog stellt unter Bezug auf den (im Notruf mitgeteilten) Patientenzustand und notfallbezogen allgemeine - medizinische - Kriterien für die Notwendigkeit einer notärztlichen Versorgung auf. Er bedient sich dabei einer Vielzahl medizinischer Fachbegriffe sowie der Beschreibung von Zuständen, deren Feststellung in der Notrufsituation sowohl medizinische Kenntnisse als auch Kenntnisse im Rettungsdienst erfordern. Eine gerichtliche Überprüfung der pflichtgemäßen Anwendung des Indikationskatalogs ist daher im Grundsatz nicht ohne entsprechendes Fachwissen möglich.

Dies folgt überdies daraus, dass sich die Handreichung an im Rettungsdienst besonders geschulte Fachleute richtet. Nach den landesrechtlichen Vorschriften sind die Rettungsleitstellen mit Personen zu besetzen, die über eine besondere Qualifikation im Rettungsdienst verfügen (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Rettungsdienstplanung und weitere Ausführung des Rettungsdienstgesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 26. September 2016 aaO; § 7 Abs. 1 Satz 4 RDG S-H in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. März 2015). Außerdem enthält die Handreichung ausdrücklich den Hinweis, es bedürfe zur Disposition anhand der aufgeführten Zustände, Beispiele und notfallbezogenen Indikationen einer besonderen Schulung des Leitstellenpersonals.

(2) Das Fehlen einer Indikation für den Notarzteinsatz ist vorliegend auch nicht derart offenkundig, dass es ausnahmsweise ohne besonderes Fachwissen festgestellt werden kann.

Bereits die Annahme des Berufungsgerichts, gegen die Indikation "akute starke und/oder zunehmende Schmerzen" spreche, dass sich diese unter dem Funktionsbegriff "Sonstige Schädigungen mit Wirkung auf die Vitalfunktionen" finde, ist nicht nachvollziehbar. Die Vorinstanz hat übersehen, dass der auf den Patientenzustand bezogene Indikationskatalog auch eine eigene Zeile "Schmerz" enthält mit der Zustandsbeschreibung "akute starke und/oder zunehmende Schmerzen" und neben anderen dem Beispiel "Kolik".

Aber auch die Feststellung, das Meldebild falle nicht unter die Indikation "Verdacht auf fehlende oder deutlich beeinträchtigte Vitalfunktion" mit der Funktionskategorie "Sonstige Schädigungen mit Wirkung auf die Vitalfunktionen", hätte nicht ohne sachverständige Hilfe getroffen werden dürfen. Es ist gerade mit der erforderlichen Sachkunde zu klären, ob ein solcher Verdacht angesichts der geschilderten Symptome begründet war. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Schwangerschaft der Klägerin und die Vitalfunktionen des seinerzeit noch ungeborenen Erblassers. Dazu verhält sich das Berufungsgericht nicht.

Überdies macht die Revision mit Recht geltend, dass die Klägerin nach dem Klägervorbringen in den Vorinstanzen nicht "nur" über "Schmerzen in der Schwangerschaft" klagte, sondern - wie aus dem Wortprotokoll des Notrufgesprächs, dessen Inhalt nicht bestritten ist, hervorgeht - der Kläger gegenüber der Leitstelle Bad Oldesloe mitgeteilt hatte, dass die im 9. Monat (nicht 39. Schwangerschaftswoche) schwangere Klägerin äußerst starke Schmerzen habe und sich aufgrund dieser nicht mehr bewegen könne. Unter Berücksichtigung dieses Vorbringens, auf das das Berufungsgericht im Berufungsurteil nicht näher eingegangen ist, kann das Fehlen einer Indikation für einen Notarzteinsatz erst recht nicht als offenkundig erachtet werden. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass aus dem transkribierten Mitschnitt des Gesprächs zwischen den Leitstellen Bad Oldesloe und Schwerin hervorgeht, dass der Bad Oldesloer Disponent mitgeteilt hatte, die Klägerin habe ein "starkes Schmerzsymptom und laut Hebamme soll sie cito in die Universität nach Lübeck." bb) Setzt die Beurteilung der Frage der Indikation eines Notarzteinsatzes demzufolge Fachwissen voraus, hätte das Berufungsgericht insoweit nur von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen dürfen, wenn es entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermocht hätte (st. Rspr. vgl. zB Senat, Urteile vom 9. Februar 2023 - III ZR 117/20, WM 2023, 552 Rn. 32; vom 20. Januar 2022 - III ZR 194/19, WM 2022, 372 Rn. 25; vom 13. Januar 2011 - III ZR 146/10, NJW 2011, 1509 Rn. 16 und vom 23. November 2006 - III ZR 65/06, CR 2007, 235, 236; BGH, Beschluss vom 12. März 2024 - VI ZR 283/21, VersR 2024, 956 Rn. 10 mwN). Daran fehlt es. Eine eigene medizinische Sachkunde im Bereich des Rettungsdienstes legt das Berufungsgericht in seinem Urteil - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - nicht dar.

e) Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend, soweit das Berufungsgericht ohne nähere Begründung gemeint hat, für die Leitstelle Schwerin sei die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Notarztes allein zur Herstellung der Transportfähigkeit der Klägerin nicht erkennbar gewesen. Die Revision rügt auch insoweit mit Recht, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft kein Sachverständigengutachten zu der Behauptung der Kläger eingeholt hat, der Disponent der Leitstelle Schwerin hätte aufgrund der ihm von der Leitstelle Bad Oldesloe mitgeteilten Informationen zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Beiziehung eines Notarztes notwendig sei.

f) Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist insoweit auch nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Insbesondere ist nach dem bisherigen Sachund Streitstand eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Disponenten der Leitstelle Schwerin nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er den Notruf des Klägers auf der Grundlage der Vereinbarung zwischen der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 4 über die Leistung von Amtshilfe an die Leitstelle Lübeck weitergeleitet hat.

Ob der Disponent der Leitstelle Schwerin bei der Inanspruchnahme von Amtshilfe der Leitstelle Lübeck grundsätzlich verpflichtet war, auf die Indikation eines Notarztes hinzuweisen beziehungsweise im Bedarfsfall die Weiterleitung des Notrufs mit dem (ausdrücklichen) Ersuchen hätte verknüpfen müssen, einen Notarzt zu entsenden, bedarf hier keiner Entscheidung. Dafür spricht allerdings, dass Amtshilfe im Allgemeinen ein Ersuchen voraussetzt, in dem die ersuchende Behörde konkret bezeichnet, welche Unterstützungshandlung von der ersuchten Behörde erbeten wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 2019 - 6 VR 2/19, NVwZ 2020, 151 Rn. 29; Schmitz/Prell in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl., § 4 Rn. 31). Ebenso war nach der Amtshilfevereinbarung zwischen der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 4 von Bedeutung, welches Rettungsmittel konkret zu entsenden war, weil die Amtshilfe der Beklagten zu 1 hiernach unter dem Vorbehalt stand, dass dem Beklagten zu 4 keine geeigneten Rettungsmittel (Rettungswagen und/oder Notarzteinsatzfahrzeug) zur Verfügung standen, während der Beklagten zu 1 eine entsprechende Entsendung möglich sein musste.

Auf der Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Disponent der Leitstelle Schwerin im vorliegenden Fall bei pflichtgemäßem Handeln die Leitstelle Lübeck ausdrücklich um die Entsendung eines Notarztes hätte ersuchen müssen. Die Amtshilfe durch die Leitstelle Lübeck führte zu keiner Änderung der Zuständigkeit hinsichtlich des Rettungsdiensteinsatzes (vgl. Senat, Urteil vom 2. Juli 1981 - III ZR 63/80, juris Rn. 14 mwN). Der Beklagte zu 4 war weiterhin dafür verantwortlich, dass im Bedarfsfall ein Notarzt eingesetzt wurde (vgl. Senat aaO Rn. 21). Der Disponent der Leitstelle Schwerin konnte allenfalls darauf vertrauen, dass der Disponent der Leitstelle Lübeck die Indikation eines Notarzteinsatzes erkennen und danach handeln werde (vgl. Senat aaO Rn. 18), wenn er ihm alle wesentlichen Informationen über den Rettungsdiensteinsatz zur Verfügung stellte. Davon kann nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht ausgegangen werden. Unstreitig informierte der Disponent der Leitstelle Schwerin die Leitstelle Lübeck jedenfalls nicht über die Auskunft der Hebamme, dass ein sofortiger Transport der Klägerin in ein Krankenhaus notwendig sei. Weitere Feststellungen zu den von den Klägern behaupteten "Informationsverlusten" zwischen den beteiligten Leitstellen hinsichtlich der vom Kläger gegenüber der Leitstelle Bad Oldesloe geschilderten Beschwerden der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

3. Als rechtsfehlerhaft erweist sich ebenfalls die Ablehnung eines Amtshaftungsanspruchs des Erblassers gegen die Beklagte zu 1.

a) Der Beklagten zu 1 erwuchsen durch die übernommene Hilfeleistung beim Rettungsdiensteinsatz eigene Amtspflichten. Neben der Alarmierung eines eigenen Rettungswagens gehörte hierzu die Übernahme der weiteren Leitung und Lenkung des Einsatzes. Der ausführende Disponent der Leitstelle hatte dabei die Interessen der Klägerin und des Erblassers zu wahren. § 3 Abs. 1 Satz 1 des für den Streitfall maßgeblichen Gesetzes über die Notfallrettung und den Krankentransport vom 29. November 1991 des Landes Schleswig-Holstein (GVOBl. S-H 1991, 579; künftig: RDG S-H aF) gibt ebenso wie § 4 Abs. 1 Satz 1 RDG M-V vor, dass bei einem Rettungsdiensteinsatz im Bedarfsfall eine Notärztin oder ein Notarzt eingesetzt werden muss. Dem Disponenten der Leitstelle Lübeck oblag damit ebenfalls, bei einer entsprechenden Indikation unverzüglich die Entsendung eines Arztes zur notärztlichen Versorgung zu veranlassen. Für amtspflichtwidrige Versäumnisse haftet die Beklagte zu 1 (vgl. Senat aaO Rn. 43).

b) Unbegründet ist allerdings der sinngemäß von der Revision erhobene Einwand, der Disponent hätte bereits deshalb unverzüglich einen Notarzt alarmieren müssen, weil er - wenn auch irrtümlich - von einer bevorstehenden Geburt ausgegangen sei. Darauf lässt sich eine Amtspflichtverletzung des Disponenten nicht stützen. Nach dem Katalog der Bundesärztekammer (aaO) gehört zwar eine "unmittelbar einsetzende Geburt" zu den notfallbezogenen Indikationen für den Notarzteinsatz. Darum ging es bei dem vorliegenden Notfallgeschehen jedoch unstreitig nicht. Selbst wenn der Disponent der behaupteten Fehlvorstellung unterlegen sein sollte, handelte er daher objektiv rechtmäßig, sofern nicht aus einem anderen Grund eine Indikation für die Alarmierung eines Notarztes bestand.

c) Ebenfalls ohne Erfolg rügt die Revision zudem als gehörsverletzend die Annahme des Berufungsgerichts, der Vorwurf der Kläger, wonach die Leitstelle Lübeck bei ihrer Anamneseerhebung keinen Fragekatalog abgearbeitet und insgesamt das Telefonat mit dem Kläger nicht pflichtgemäß geführt habe, sei zu pauschal, um ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass die Gesprächsführung und Anamnese standardunterschreitend gewesen seien. Sie legt bereits nicht dar, dass eine und welche andere Art der Befragung des Klägers zu weitergehenden Erkenntnissen zum Zustand der Klägerin geführt hätte. Dementsprechend zeigt die Revision auch kein Klägervorbringen auf, aus dem sich ergibt, dass solche Erkenntnisse für die Beurteilung der Indikation eines Notarzteinsatzes von Bedeutung gewesen wären.

d) Wie bereits ausgeführt (siehe vorstehend unter II 2 d), beruht jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, es stehe nicht fest, dass richtigerweise schon in dem Zeitpunkt ein Notarzteinsatzfahrzeug zu entsenden gewesen sei, in dem die Leitstelle Lübeck nur einen Rettungswagen entsandt habe, auf einem Verfahrensfehler.

4. Der vorbezeichnete Verfahrensfehler führt schließlich dazu, dass auch die Ablehnung eines Amtshaftungsanspruchs des Erblassers gegen die Beklagten zu 2 und 3 keinen Bestand haben kann. Falls aufgrund des Notrufs des Klägers der Einsatz eines Notarztes indiziert war, ist nicht ausgeschlossen, dass dem Disponenten der Leitstelle Bad Oldesloe ebenfalls ein amtspflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.

aa) Der Disponent der Leitstelle Bad Oldesloe führte bei der Entgegennahme des Notrufs des Klägers ein öffentliches Amt im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG aus. Die Organisation und die Durchführung der Aufgaben des Rettungsdienstes sind ebenfalls öffentlich-rechtlich geregelt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 RDG S-H aF; vgl. jetzt § 3 Abs. 1, 4 und 5 RDG S-H nF).

bb) Der Notruf des Klägers betraf zwar nicht die Rettungsdienstbereiche der Beklagten zu 2 und 3. Dem Disponenten der Leitstelle Bad Oldesloe oblag aber gleichwohl, den Notruf entgegenzunehmen und im Anschluss daran die gebotenen rettungsdienstlichen Maßnahmen zu veranlassen. Ob er dazu bereits aufgrund einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Notfallrettung (vgl. § 1 Abs. 1 RDG S-H aF; siehe auch Senat, Urteil vom 14. Juni 2018 - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 53) beziehungsweise deswegen verpflichtet war, weil nach § 7 Abs. 4 RGD S-H aF die Träger des Rettungsdienstes den Rettungsdienstträgern anderer Länder auf Aufforderung Unterstützung zu leisten haben, kann hier auf sich beruhen. Denn jeder Amtsträger ist verpflichtet, sich bei seiner Amtsausübung rechtswidriger Eingriffe in den Rechtskreis der Bürger, insbesondere unerlaubter Handlungen, zu enthalten (Senat, Urteil vom 7. Februar 1980 - III ZR 153/78, NJW 1980, 1679 mwN). Der den Notruf des Klägers annehmende Disponent der Leitstelle war daher schon mit Blick auf die gemäß § 323c StGB strafbewehrte Pflicht zur Hilfeleistung verpflichtet, in den Grenzen des Zumutbaren erforderliche rettungsdienstliche Maßnahmen zu ergreifen (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 255/11, BGHZ 197, 225 Rn. 6 ff zur Schutzgesetzeigenschaft von § 323c StGB). Das Berufungsgericht hat es unterlassen, hierzu vollständige Feststellungen zu treffen, was der Senat im Revisionsverfahren nicht nachholen kann.

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

Falls das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren eine oder mehrere schuldhafte Amtspflichtverletzungen der Leitstellendisponenten bejaht, wird es sich mit der Schadensursächlichkeit zu befassen haben. Mit Blick auf die allgemeinen Ausführungen des Berufungsgerichts zur Beweislastverteilung sieht sich der Senat insoweit zu folgenden Hinweisen veranlasst:

1. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt grundsätzlich derjenige, der einen Schadensersatzanspruch geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast für dessen Voraussetzungen (st. Rspr., zB Senat, Urteil vom 13. Februar 2025 - III ZR 63/24, NJW 2025, 1116 Rn. 20 m. umfangr. w. N., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist bei der Verletzung rettungsdienstlicher Amtspflichten durch den Disponenten einer Rettungsleitstelle jedoch eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Schadensursächlichkeit in Betracht zu ziehen. Bei einer groben Vernachlässigung seiner Pflichten in Bezug auf einen Rettungsdiensteinsatz muss die für ihn haftende Körperschaft regelmäßig die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen.

a) Im Arzthaftungsrecht führt ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Fehler und dem Gesundheitsschaden (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 - VI ZR 247/15, BGHZ 210, 197 Rn. 11 mwN; siehe auch § 630h Abs. 5 BGB). Diese beweisrechtlichen Konsequenzen knüpfen daran an, dass die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen Behandlungsgeschehens wegen des besonderen Gewichts des ärztlichen Fehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in einer Weise erschwert ist, dass der Arzt nach Treu und Glauben - also aus Billigkeitsgründen - dem Patienten den vollen Kausalitätsnachweis nicht zumuten kann. Die Beweislastumkehr soll einen Ausgleich dafür bieten, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist (BGH aaO).

b) Diese Grundsätze gelten nach der Senatsrechtsprechung wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage entsprechend bei grober Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, sofern diese, analog zum Arztberuf, spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen. Wer eine solche besondere Pflicht grob vernachlässigt hat, kann nach Treu und Glauben die Folgen der Ungewissheit, ob der Schaden abwendbar war, nicht dem Geschädigten aufbürden. Auch in derartigen Fällen kann die regelmäßige Beweislastverteilung dem Geschädigten nicht zugemutet werden. Der seine Pflichten grob Vernachlässigende muss daher die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen (zB Senat, Urteile vom 11. Mai 2017 - III ZR 92/16, BGHZ 215, 44 Rn. 24; vom 23. November 2017 - III ZR 60/16, BGHZ 217, 50 Rn. 24 und vom 4. April 2019 - III ZR 35/18, VersR 2019, 881 Rn. 19).

Anders als das Berufungsgericht meint, kommt es für die Anwendbarkeit dieser Grundsätze nicht darauf an, inwieweit die verletzte Pflicht ärztlichen Pflichten ähnlich ist. Maßgeblich ist, ob mit Blick auf die in Rede stehenden Pflichtverstöße die gegebene Interessenlage mit der im Arzthaftungsrecht wertungsmäßig vergleichbar ist (vgl. Senat, Urteile vom 4. April 2019 aaO Rn. 17 ff und vom 23. November 2017 aaO Rn. 26). Der Senat hat dies für den Fall bejaht, dass der einen Notruf entgegennehmende Mitarbeiter eines Hausnotrufdienstes die diesem obliegenden vertraglichen Schutz- und Organisationspflichten grob vernachlässigt, indem er, obgleich sich die große Wahrscheinlichkeit eines akuten medizinischen Notfalls aufdrängt, die gebotene Alarmierung des Rettungsdienstes unterlässt (Urteil vom 11. Mai 2017 aaO Rn. 24 ff). Gleiches gilt für eine grob fahrlässige Verletzung der Verpflichtung zur Überwachung eines Schwimmbadbetriebs (vgl. Senat, Urteil vom 23. November 2017 aaO Rn. 22 ff; siehe dazu auch BGH, Urteil vom 13. März 1962 - VI ZR 142/61, NJW 1962, 959 f).

c) Für die grobe Vernachlässigung der Amtspflichten eines Leitstellendisponenten bei einem Rettungsdiensteinsatz trifft dies ebenfalls zu. Gegenstand der Notfallrettung als Teil des Rettungsdienstes ist es, bei lebensbedrohlich Verletzten oder Erkrankten lebensrettende Maßnahmen oder Maßnahmen zur Verhinderung schwerer gesundheitlicher Schäden durchzuführen, gegebenenfalls ihre Transportfähigkeit herzustellen und sie, wenn erforderlich, unter fachgerechter Betreuung in die für die weitere Versorgung nächstgelegene geeignete medizinische Einrichtung zu befördern (vgl. gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 RDG M-V; § 1 Abs. 1 RDG S-H aF, jetzt § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Satz 1 RDG S-H). Den Rettungsleitstellen kommt bei der Notfallrettung eine zentrale Führungs- beziehungsweise Lenkungsfunktion zu (vgl. § 9 Abs. 1 RDG M-V; § 7 Abs. 3 Satz 1 RDG S-H aF). Bereits daraus ergibt sich, dass auch die Amtspflichten der Leitstellendisponenten im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Notrufen zuvorderst der Abwendung von Gefahren für Leben und Gesundheit dienen. Dies gilt insbesondere für die Pflicht, die zur notfallmedizinischen Versorgung erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen (vgl. auch Senat, Urteil vom 12. November 1992 - III ZR 178/91, BGHZ 120, 184, 195 f). Eine Verletzung dieser Pflicht ist zugleich - nicht anders als bei ärztlichen Pflichtverstößen - dazu geeignet, aufgrund der im Nachhinein nicht mehr exakt rekonstruierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineinzutragen, so dass es der Billigkeit entspricht, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem Geschädigten die reguläre Beweislastverteilung nicht mehr zuzumuten (vgl. Senat, Urteile vom 11. Mai 2017 aaO Rn. 28 und vom 23. November 2017 aaO Rn. 27).

d) Daran gemessen wird das Berufungsgericht gegebenenfalls zu prüfen haben, ob den Disponenten der Leitstellen Bad Oldesloe, Schwerin und Lübeck eine grobe Vernachlässigung rettungsdienstlicher Amtspflichten anzulasten ist. Hierzu muss ihnen jedenfalls ein Fehler unterlaufen sein, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er dem Disponenten einer Rettungsdienststelle schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 2017 aaO Rn. 23 mwN). Ob dies der Fall ist, kann der Senat nicht beurteilen, weil es bislang an den dazu erforderlichen Feststellungen fehlt.

2. Gelangt das Berufungsgericht im Rahmen der gebotenen erneuten Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass einer oder mehrere Leitstellendisponenten zwar schuldhaft gegen ihre Amtspflichten verstoßen haben, ihnen aber insoweit keine grobe Vernachlässigung anzulasten ist, wird es zu prüfen haben, ob für die Schadensursächlichkeit eine tatsächliche Vermutung streitet (vgl. Senat, Urteil vom 23. November 2017 aaO Rn. 31). Gegebenenfalls wird es zudem der Frage nachzugehen haben, ob die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO Anwendung finden (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2019 aaO Rn. 26).

3. Bei Amtspflichtverletzungen mehrerer Leitstellendisponenten wird das Berufungsgericht in Bezug auf die Frage der Schadensursächlichkeit die Verursachungsvermutung bei mehreren Beteiligten nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in den Blick zu nehmen haben (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 - V ZR 59/86, BGHZ 101, 106, 108 ff; BeckOGK/Seidel, BGB, Stand: 1. März 2025, § 830 Rn. 54).

4. Hinsichtlich der Beklagten zu 2 und 3 sowie 4 und 5, die jeweils eine gemeinsame Leitstelle betreiben, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls die Passivlegitimation der beteiligten Körperschaften zu prüfen haben (vgl. zur Bestimmung der haftenden Körperschaft bei Kooperationen etwa Senat, Urteil vom 22. Oktober 2009 - III ZR 295/08, juris Rn. 15 ff).

Herrmann Arend Böttcher Kessen Liepin Vorinstanzen: LG Lübeck, Entscheidung vom 06.10.2022 - 5 O 27/21 OLG Schleswig, Entscheidung vom 09.11.2023 - 11 U 18/23 - Verkündet am: 15. Mai 2025 Uytterhaegen, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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Paragraphen in III ZR 417/23

Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit Paragraph
4 34 GG
3 1 RDG
3 4 RDG
3 7 RDG
2 630 BGB
2 839 BGB
2 2 RDG
2 3 RDG
2 9 RDG
2 323 StGB
2 563 ZPO
1 823 BGB
1 830 BGB
1 1922 BGB
1 5 RDG
1 6 RDG
1 286 ZPO
1 287 ZPO
1 531 ZPO
1 561 ZPO
1 562 ZPO
1 564 ZPO

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