IX ZB 5/24
BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 5/24 BESCHLUSS vom 26. September 2024 in dem Insolvenzverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein InsO § 35 Abs. 1, § 203, §§ 286 ff Die Erteilung der Restschuldbefreiung steht einer Nachtragsverteilung nicht entgegen, wenn diese einen Gegenstand der Masse betrifft.
InsO § 35 Abs. 1; AO § 46 Abs. 1; ZPO § 850e Nr. 3 Die Beurteilung der Massezugehörigkeit des Steuererstattungsanspruchs ist unabhängig von der Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens. BGH, Beschluss vom 26. September 2024 - IX ZB 5/24 - LG Bamberg AG Bamberg ECLI:DE:BGH:2024:260924BIXZB5.24.1 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Dr. Schultz, die Richterin Dr. Selbmann, die Richter Dr. Harms, Weinland und Kunnes am 26. September 2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bamberg vom 27. Dezember 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe:
I. 1 Mit Beschluss vom 13. März 2019 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter und stellte die Restschuldbefreiung in Aussicht. Mit Beschluss vom 16. Mai 2022 erteilte das Insolvenzgericht dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung. Mit weiterem Beschluss vom 18. Oktober 2022 hob das Gericht das Insolvenzverfahren nach Durchführung des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren und Vollzug der Schlussverteilung auf. Zugleich beschloss es, dass der Insolvenzbeschlag für näher bezeichnete Steuererstattungsansprüche des Schuldners für die Veranlagungszeiträume 2019 bis 2022 und für solche, die bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, aufrechterhalten bleibe. Es ordnete die Nachtragsverteilung der Erstattungsbeträge an und beauftragte den weiteren Beteiligten mit ihrem Vollzug.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen diese Entscheidung hat das Landgericht durch den Einzelrichter zurückgewiesen. Mit der von dem Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner erreichen, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts insoweit geändert wird, als dieses einen fortbestehenden Insolvenzbeschlag von Steuererstattungsansprüchen bejaht und insoweit die Nachtragsverteilung angeordnet hat.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, § 6 Abs. 1 Satz 1, § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist. Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was von dem Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2019 - IX ZB 5/19, WM 2019, 1461 Rn. 4 f; vom 18. Februar 2021 - IX ZB 6/20, ZIP 2021, 642 Rn. 4 mwN zur st. Rspr.).
2. Für das weitere Verfahren vor dem Beschwerdegericht weist der Senat auf folgende rechtliche Gesichtspunkte hin:
a) Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners ist am 13. März 2019 eröffnet worden. Anwendbar sind daher die Vorschriften der Insolvenzordnung in der Fassung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I. S. 2379; Art. 103k EGInsO).
b) Eine Nachtragsverteilung hat grundsätzlich auch noch nach Erteilung der Restschuldbefreiung zu erfolgen, falls unbekannte Vermögensgegenstände des Schuldners aufgefunden werden, wie der Senat bereits entschieden hat (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 - IX ZB 172/07, NZI 2008, 560 Rn. 9). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Es trifft nicht zu, dass eine Nachtragsverteilung nach Erteilung der Restschuldbefreiung keinen Sinn mehr mache, weil die Insolvenzgläubiger mit ihren Forderungen endgültig ausgeschlossen seien (so aber Holzer in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2019, § 203 Rn. 35; FK-InsO/ Kießner, 9. Aufl., § 203 Rn. 3). Aus dem Umstand, dass Insolvenzforderungen mit der Restschuldbefreiung zu "unvollkommenen", also zwar erfüllbaren, aber nicht mehr zwangsweise durchsetzbaren Verbindlichkeiten werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - IX ZR 24/10, WM 2011, 271 Rn. 15 mwN), folgt nicht, dass die Gläubiger nicht mehr Anspruch auf Teilhabe an solchen Vermögenswerten des Schuldners haben, die an sich vor Beendigung des Insolvenzverfahrens hätten verteilt werden müssen, aber noch nicht für die Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung standen. Der Schuldner, der von der Restschuldbefreiung profitieren will, ist gerade verpflichtet, sein gesamtes pfändbares Vermögen seinen Gläubigern zur Verfügung zu stellen (vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 300 Rn. 52; Jungmann, WuB 2016, 352, 356).
c) Das Beschwerdegericht hat auch zutreffend erkannt, dass der Anspruch des Schuldners auf Erstattung von Steuern gemäß § 35 Abs. 1 InsO grundsätzlich zur Masse gehört, wenn und soweit der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340 Rn. 13 ff; Urteil vom 13. Januar 2022 - IX ZR 64/21, ZIP 2022, 332 Rn. 8 ff; BFHE 212, 436, 438). Der für die insolvenzrechtliche Betrachtung maßgebliche Rechtsgrund für eine Steuererstattung wird bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, weil der Steuerpflichtige schon zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erstattung unter der aufschiebenden Bedingung erlangt, dass am Jahresende die geschuldete Steuer geringer ist als die Summe der Vorauszahlungen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006, aaO Rn. 16 ff).
Wird dem Schuldner allerdings während des Insolvenzverfahrens Restschuldbefreiung erteilt, gehört das Vermögen, das der Schuldner nach dem Ende der Abtretungsfrist oder - wie im vorliegenden Fall - nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO erwirbt, gemäß § 300a Abs. 1 InsO nicht mehr zur Insolvenzmasse (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - IX ZB 23/13, WM 2014, 569 Rn. 5). Das gilt namentlich auch für einen (anteiligen) Steuererstattungsanspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014, aaO Rn. 5 f; Urteil vom 13. Januar 2022 - IX ZR 64/21, ZIP 2022, 332 Rn. 11 ff). Vorliegend ist dem Schuldner am 16. Mai 2022 (vorzeitige) Restschuldbefreiung erteilt worden. Die Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO werden noch davor eingetreten gewesen sein. Dass auch die Steuererstattungsansprüche des Schuldners für das Jahr 2022 vollständig massezugehörig wären, kann vor diesem Hintergrund nicht ohne weiteres angenommen werden.
d) Entgegen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, dass Steuererstattungsansprüche des Schuldners gerade darauf beruhen sollen, dass sein Einkommen - und infolgedessen gemäß § 850e Nr. 3 ZPO auch der gemäß §§ 35, 36 InsO an die Masse abzuführende pfändbare Betrag (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. März 2024 - IX ZB 47/22, WM 2024, 793 Rn. 15 f) - im Hinblick auf einen in den Gehaltsabrechnungen durch seinen Arbeitgeber gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG pauschal angesetzten Nutzungsvorteil wegen der Überlassung eines Dienstwagens höher gewesen sein soll, als es der tatsächlichen Nutzung des Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte entsprochen habe.
In diesem Zusammenhang trifft es zwar zu, dass der Steuererstattungsanspruch kein Arbeitseinkommen darstellt, weil er öffentlich-rechtlicher Natur ist und nicht den Charakter eines Einkommens hat, das dem Berechtigten aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses zusteht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340 Rn. 9 mwN). Seine Pfändbarkeit ergibt sich jedoch aus § 46 Abs. 1 AO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006, aaO Rn. 13). Er gehört daher grundsätzlich zur Masse. Die Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens ist davon unabhängig. Für die Beurteilung der Massezugehörigkeit des Steuererstattungsanspruchs kommt es insbesondere nicht darauf an, ob die - hier ersichtlich durch den Drittschuldner erfolgte - Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - IX ZB 27/17, NZI 2018, 528 Rn. 5) richtig ist oder nicht.
e) Das Beschwerdegericht wird erneut zu prüfen haben, ob ein Grund für die Anordnung einer Nachtragsverteilung angenommen werden kann.
aa) Der vom Beschwerdegericht herangezogene Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist weit auszulegen. Er setzt nicht voraus, dass die Existenz oder der Aufenthaltsort eines Massegegenstands dem Verwalter während der Dauer des Insolvenzverfahrens unbekannt war. Die Vorschrift erfasst vielmehr auch Gegenstände, von deren Existenz der Verwalter wusste, die er aber irrtümlich für nicht verwertbar hielt und deswegen nicht zur Masse zog (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2005 - IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 Rn. 6; vom 2. Dezember 2012 - IX ZB 184/09, WM 2011, 79 Rn. 11). Gleiches gilt, wenn Gegenstände während der Verfahrensdauer tatsächlich (noch) nicht verwertbar waren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2012, aaO).
bb) Das Beschwerdegericht ist von dem zweitgenannten Fall ausgegangen und hat angenommen, ein Steuererstattungsanspruch sei bei Insolvenzverfahren natürlicher Personen allgemein erst nach der Verfahrensbeendigung realisierbar. Dies hat es damit begründet, dass der Erstattungsanspruch von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfasst sei.
Die Anwendung von § 287 InsO steht jedoch nicht in Frage. Vielmehr ist allein § 80 Abs. 1 InsO und somit der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundene Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Masse gehörende Schuldnervermögen auf den Insolvenzverwalter maßgeblich. Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AO als Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners wahrzunehmen (vgl. BVerwG, DStR 2018, 2441 Rn. 21). Demzufolge trifft ihn insbesondere auch eine Steuererklärungspflicht des Schuldners (vgl. BFH/NV 2008, 334). Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis schließt es darüber hinaus ein, dass der Insolvenzverwalter selbst dann Steuererstattungsansprüche des Schuldners zu Gunsten der Masse geltend zu machen hat, wenn keine steuerrechtliche Verpflichtung des Schuldners zur Abgabe einer Steuererklärung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2013 - IX ZB 161/11, ZIP 2013, 2413 Rn. 6).
Schultz Weinland Selbmann Kunnes Harms Vorinstanzen: AG Bamberg, Entscheidung vom 18.10.2022 - 4 IN 376/18 LG Bamberg, Entscheidung vom 27.12.2023 - 12 T 2/23 -