35 W (pat) 412/13
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 412/13 Verkündet am 15. Dezember 2016
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BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
BPatG 154 05.11
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betreffend das Gebrauchsmuster 20 2009 009 934.2 hier: Löschungsantrag hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2016 unter Mitwirkung des Richters Eisenrauch als Vorsitzenden sowie der Richter Dipl.-Chem. Univ. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Univ. Dr. Freudenreich beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 wird der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. November 2012 (mit Gründen versehene Fassung vom 5. Dezember 2012) aufgehoben und der Löschungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten beider Rechtszüge hat die Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 zu tragen.
Gründe I.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 sowie die weitere Verfahrensbeteiligte sind die beiden im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu Grunde zu legenden, eingetragenen Inhaberinnen des Gebrauchsmusters 20 2009 009 934.2 (Streitgebrauchsmuster) mit der Bezeichnung „Faltschachtel für Tiefkühlkost und Vorrichtung zum Herstellen der Faltschachtel“. Das Streitgebrauchsmuster wurde am 20. Juli 2009 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet und am 26. November 2009 mit 38 Schutzansprüchen eingetragen. Die Schutzansprüche 1 bis 21 betreffen eine Faltschachtel für Tiefkühlkost, wobei es sich bei den Schutzansprüchen 1, 3, 5, 10, 15 und 17 um Nebenansprüche handelt, an die sich jeweils rückbezogenen Schutzansprüche (2, 4, 6 bis 9, 11 bis 14, 16 und 18 bis 21) anschließen. Die Schutzansprüche 22 bis 33 betreffen einen Zuschnitt zum Herstellen einer Faltschachtel, wobei die Schutzansprüche 22, 23, 25, 27, 29 und 31 auf die Schutzansprüche 1 bis 21 (Faltschachtel) rückbezogen sind. Hieran schließt sich der nebengeordnete Vorrichtungsanspruch 34 mit seinen auf ihn rückbezogenen Vorrichtungsansprüchen 35 bis 38 an.
1. Gemäß den im Streitgebrauchsmuster enthaltenen Angaben werden bei der erfindungsgemäßen Faltschachtel aufgrund ihres Einsatzzwecks lebensmittelverträgliche Materialien verwendet. Als Ausgangsmaterial wird Primärfaserkarton (Frischfaserkarton) verwendet, da Sekundärfaserkarton (Recycling-Karton) aus hygienischen Gründen nicht eingesetzt werden dürfe. Der Primärfaserkarton ist an der Innenseite mit Polyethylen (PE) beschichtet, damit sich das Material nicht mit Fett bzw. Flüssigkeit vollsauge (vgl. Schrift des Streitgebrauchsmusters = U1Schrift: [0002]).
Laut dem genannten Stand der Technik seien Faltschachteln bekannt, welche sich durch Heraustrennen eines durch eine Perforation begrenzten Aufreißstreifens öffnen ließen. Diese seien aber nicht handhabungsfreundlich und nicht wiederverschließbar. Außerdem könnten beim Öffnen Kartonreste in das Lebensmittel hineingelangen, insbesondere wenn unsaubere, ausgefaserte Trennkanten entstünden (vgl. U1-Schrift: [0003]).
2. Das Streitgebrauchsmuster sieht davon ausgehend die Aufgabe darin, eine Faltschachtel für Tiefkühlkost mit günstigeren Handhabungseigenschaften zu schaffen. Daneben wird auch eine Vorrichtung zur Herstellung der erfindungsgemäßen Faltschachtel beschrieben (vgl. U1-Schrift: [0004]).
Gelöst wird diese Aufgabe durch die folgenden, unabhängigen Schutzansprüche. Im Folgenden kennzeichnet die erste Ziffer die Nummer des jeweiligen Schutzanspruchs. Durch Fettschrift werden die prägenden Merkmale hervorgehoben.
a) Die eingetragenen und verteidigten unabhängigen Schutzansprüche 1, 3, 5, 10, 15 und 17, welche auf eine Faltschachtel gerichtet sind, lauten nach Merkmalen gegliedert wie folgt.
Dabei wird Schutzanspruch 1 aus systematischen Gründen bezüglich der Schutzansprüche 3, 5, 10, 15 und 17 um das dem Merkmal 1.4 inhärente Merkmal 1.3 ergänzt.
Faltschachtel für Tiefkühlkost mit 1.1 Wänden (2 bis 5) aus einem Karton aus Primärfasern mit einer Schicht (38) aus einem Polyolefin an der Innenseite (32), die ein Volumen zur Aufnahme von Tiefkühlkost begrenzen,
1.2 einem in mindestens einer Wand (2 bis 5) erstreckten Aufreißstreifen (28),
1.3 wobei die mindestens eine Wand (2 bis 5) an der Innenseite (32) entlang des Aufreißstreifens (28) mit einem Verstärkungsstreifen verbunden ist und
1.4 wobei die mindestens eine Wand (2 bis 5) an der Innenseite (32) entlang des Aufreißstreifens (28) eine längliche Vertiefung (33) aufweist, in der ein Verstärkungsstreifen (34) angeordnet ist, der mit der Schicht (38) aus Polyolefin verbunden ist und dessen Stärke maximal etwa der Tiefe der Vertiefung (33) entspricht.
Die Merkmale 1, 1.1, 1.2 und 1.3 bleiben bei allen nebengeordneten Schutzansprüchen 3, 5, 10, 15 und 17 dieselben.
Bei Schutzanspruch 3 schließt sich an:
3.4 wobei die mindestens eine Wand (2 bis 5) in der Außenseite (31) beidseitig des Aufreißstreifens (28) Ritzlinien (29, 30) aufweist, deren Tiefe so bemessen ist, dass sie in die Schicht (38) aus Polyolefin an der Innenseite (32) nicht eindringen oder diese Schicht (38) nicht durchdringen.
Bei Schutzanspruch 5 schließt sich an:
5.4 mindestens eine Wand (2) am längsseitigen Rand und/oder am querseitigen Rand eine Klebelasche (20) aufweist, die mit der Innenseite der benachbarten Wand (5) verklebt ist, und
5.5 die benachbarte Wand (5) im Bereich ihrer Überlappung mit der Klebelasche (10) ein Laschenende (36) des Aufreißstreifens (28) aufweist, das etwas über den Rand der Wand (2) hinaussteht, der die Klebelasche (10) aufweist.
Bei Schutzanspruch 10 schließt sich an:
10.4 10.5 die Wände an längsseitigen Rändern aneinander gelenkte und zu einer Röhre geschlossene Wände (2 bis 5) und an querseitigen Rändern der vorgenannten Wände angelenkte weitere Wände (11, 12), die die endseitigen Öffnungen der Röhre schließen, umfassen und wobei der Aufreißstreifen (28) vollständig über die Wände (2 bis 5) umläuft, die an längsseitigen Rändern aneinander gelenkt sind, oder vollständig über die Wände umläuft, die an querseitigen Rändern aneinander gelenkt sind, so dass die Faltschachtel durch Heraustrennen des Aufreißstreifens (28) in zwei Teile (42, 43) trennbar ist.
Bei Schutzanspruch 15 schließt sich an:
15.4 der Aufreißstreifen von einem Ende einer weiteren Faltlinie in einer Wand (2 bis 5) ausgehend über mindestens eine Wand verläuft und am anderen Ende der weiteren Faltlinie endet, so dass nach Heraustrennen des Aufreißstreifens (28) eine Klappe gebildet wird, die um die weitere Faltlinie klappbar ist.
Bei Schutzanspruch 17 schließt sich an:
17.4 der Aufreißstreifen (28) in mindestens einer Wand eine zusammenhängende Fläche vollständig umgrenzt, so dass nach Heraustrennen des Aufreißstreifens (28) der von diesem umgrenzte Teil der mindestens einen Wand aus dieser herausnehmbar ist.
b) Die eingetragenen und verteidigten unabhängigen Schutzansprüche 22, 23, 25, 27, 29 und 31, welche auf einen Zuschnitt gerichtet sind, entsprechend vollumfänglich den jeweiligen Schutzansprüchen 1, 3, 5, 10, 15 und 17, mit der Maßgabe, dass ggf. Merkmale, welche durch die fertig zusammengefaltete Faltschachtel „ausgeführt“ sind, in diesen Schutzansprüchen als „ausführbar“ bezeichnet sind. Eine Wiederholung erübrigt sich daher.
c) Der eingetragene und verteidigte Schutzanspruch 34 ist auf eine Vorrichtung zum Herstellen von faltbarem Flachmaterial zur Bildung einer streitgebrauchsmustergemäßen Faltschachtel oder eines Zuschnittes zum Herstellen einer solchen Faltschachtel gerichtet. Er gliedert sich in folgende Merkmale:
34
34.1 34.2 34.3 34.4 Vorrichtung zum Herstellen von faltbarem Flachmaterial zur Bildung einer Faltschachtel für Tiefkühlkost mit einem Aufreißstreifen oder eines Zuschnittes zum Herstellen einer solchen Faltschachtel gemäß einem der auf die Faltschachtel bzw. den Zuschnitt bezogenen Schutzansprüche mit einem Nutrad (46) zum Einbringen einer länglichen Vertiefung (33) in ein Bahnmaterial (49) aus Karton mit einer Schicht (38) aus einem Polyolefin an der Innenseite, einer das Nutrad drehbar lagernden Zustelleinrichtung (47), mit der das Nutrad (46) mit einer einstellbaren Andruckkraft gegen die Innenseite des Bahnmaterials (49) pressbar ist, einer drehbar gelagerten Gegenwalze (48), deren Achse parallel zur Achse des Nutrades (46) angeordnet ist, gegen deren Umfang das Nutrad (46) pressbar ist, einer Einrichtung zum Zuführen des Bahnmaterials (49) zwischen Nutrad (46) und Gegenwalze (48),
34.5 34.6 34.7 einem Sensor (54) zum Ermitteln der Tiefe der mittels des Nutrades (46) in die Innenseite des Bahnmaterials (49) eingeprägten Vertiefung (33), der in Durchlaufrichtung des Bahnmaterials (49) hinter dem Nutrad (46) angeordnet ist, einer mit dem Sensor (54) und der Zustelleinrichtung verbundenen Regeleinrichtung (55), die die Andruckkraft des Nutrades (46) in Abhängigkeit von der mittels des Sensors (54) ermittelten Tiefe der Vertiefung (33) steuert, und einer Einrichtung zum Zuführen (50) eines Verstärkungsstreifens (34) in die längliche Vertiefung (33) des Bahnmaterials (49) und eines Klebemittels zwischen Verstärkungsstreifen (34) und Vertiefung (33).
Zur Fassung der jeweils nachgeordneten Schutzansprüche wird auf die U1-Schrift verwiesen.
3. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 hat am 18. November 2010 unter der Bezeichnung „V… GmbH & Co. KG“ beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die vollumfängliche Löschung des Streitgebrauchsmusters beantragt, wobei sie ihren Löschungsantrag auf den Löschungsgrund einer mangelnden Schutzfähigkeit nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG gestützt hat. Sie hat als Stand der Technik ausschließlich Vorbenutzungen angeführt und hierzu folgende Unterlagen eingereicht:
(Anl-1) (Anl-2) (Anl-3)
DE 20 2009 009 934 U1 (Schrift des Streitgebrauchsmusters = U1-Schrift); 4 Fotografien ( 1, 2, 3, 4) einer Waschmittelverpackung („Persil“), ohne Datierung; Auftragsmappe zu Anl-2: Auftragsnummer 10/04/000535/1 – Normal, für H… GmbH, 2 Seiten;
(Anl-4a) (Anl-4b) (Anl-4c) (Anl-5)
V1… GmbH: Rechnung für H… GmbH vom 6. September 2004, 5 Seiten; V1… GmbH: Rechnung für H… GmbH vom 5. August 2004, 4 Seiten; V1… GmbH: Rechnung für H… GmbH vom 6. Juli 2004, 3 Seiten; V2…: Unterlagen zum Bandeinkleben an Extruder und Querschneider, 1985 beginnend, K…, 31. Oktober 2011, 12 Seiten.
Die Gebrauchsmusterabteilung I des DPMA hat zur offenkundigen Vorbenutzung des Gegenstandes nach Anl-5 Beweis durch uneidliche Vernehmung des Zeugen Herrn R… erhoben. Sodann hat sie hierauf gestützt mit Beschluss vom 22. November 2012 (mit Gründen versehene Fassung vom 5. Dezember 2012) das Streitgebrauchsmuster teilweise gelöscht und zwar insoweit, als es über die Schutzansprüche 3 bis 10, 18 bis 21 und 23 bis 28 des einen Hilfsantrags hinaus ging, und im Übrigen den Löschungsantrag zurückgewiesen. Die Kosten des Löschungsverfahrens wurden zu 1/3 der Antragstellerin und zu 2/3 den Antragsgegnerinnen auferlegt.
In der Sache war die Gebrauchsmusterabteilung zur Auffassung gelangt, dass es sich bei den aus der Anl-5 hervorgehenden Waschmittelkartons und Zuschnitten für Waschmittelverpackungen um Vorbenutzungen handelte, von denen sich der eingetragene Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nicht in erfinderischer Weise abhob. Für den Durchschnittsfachmann habe es keines erfinderischen Schritts bedurft, die aus der Anl-5 vorbekannten Merkmale einer Waschmittelverpackung, die die Gestaltung des Aufreißstreifens und die zugehörige Vertiefung betrafen, für eine Faltschachtel für Tiefkühlkost gemäß dem Streitgebrauchsmuster heranzuziehen. Der Fachmann hätte zwangläufig den von der Waschmittelverpackung vorbekannten Verstärkungsstreifen bei einer Gefriergutverpackung mit der Innenschicht aus Polyolefin verbunden und einen dort vorhandenen Aufreiß- streifen in gleicher Weise verstärkt. Als auf einen erfinderischen Schritt beruhend hat die Gebrauchsmusterabteilung erst zwei hilfsweise verteidigte, eingeschränkte Ausführungsformen angesehen. Erfinderisch sei eine Ausführungsform, die entweder unterhalb des über den Schachtelrand hinausragenden Laschenendes zusätzlich (zur besseren Greifbarkeit der Lasche) eine Tiefenprägung aufweise oder die mindestens an zwei einander gegenüberliegenden Wänden Faltlinien vorsehe, um die nach Betätigung des Aufreißstreifens entstandenen, voneinander getrennten Teile der Schachtel wieder leichter ineinanderstecken zu können.
4. Sowohl die Antragstellerin als auch die beiden Antragsgegnerinnen haben gegen die Teillöschung des Streitgebrauchsmusters Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerinnen haben nur eine Beschwerdegebühr entrichtet, wobei allerdings in der übersandten Einzugsermächtigung auch nur die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin 1, nämlich die Firma A… GmbH, genannt war. Die Antragstellerin hat Beschwerde (wie zuvor auch den Löschungsantrag) unter der Bezeichnung V… K… GmbH & Co. KG eingereicht, was nicht der im Handelsregister eingetragenen Firmenbezeichnung entspricht, die nämlich V3… GmbH & Co. KG lautet.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 hält die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 für unzulässig, da diese wegen der bei Beschwerdeeinlegung gegebenen Falschbezeichnung nicht eindeutig identifizierbar gewesen sei. In der Sache werde im angefochtenen Beschluss zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Fachmann anhand des Gegenstandes der Anl-5 habe erkennen können, dass durch eine Verstärkung des Aufreißstreifens mit einem Streifen aus Kunststoffmaterial ein vorzeitiges Abreißen des Aufreißstreifens verhindert werden könne. Diese Annahme sei deshalb nicht zutreffend, weil bei den bekannten Tiefkühlverpackungen bereits eine Innenbeschichtung aus Polyolefin vorhanden sei und diese Beschichtung die Funktion, die bei Waschmittelverpackungen dem Verstärkungsstreifen zukomme, nämlich den Aufreißstreifen zusammenzuhalten, erfülle.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 hat den Antrag gestellt,
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. November 2012 (mit Gründen versehene Fassung vom 5. Dezember 2012) aufzuheben und den Löschungsantrag zurückzuweisen; hilfsweise hat sie die Aufrechterhaltung des Streitgebrauchsmusters im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 6 aus dem Schriftsatz vom 7. Dezember 2016 beantragt.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 hat den Antrag gestellt,
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. November 2012 (mit Gründen versehene Fassung vom 5. Dezember 2012) aufzuheben und das Streitgebrauchsmuster in vollem Umfang zu löschen.
Sie hat mit ihrer Beschwerde die folgenden, weiteren Vorbenutzungstatbestände vorgetragen:
(Anl-6) (Anl-7) (Anl-8)
4… GmbH: Kalkulationszeichnung, Fuellgut: Gemuese, Kunde: I…, CAD Progr.: Maierbacher 10.10.96, 4 Seiten; E…: Block Aufreißer, Präsentation der Firmen V2… und V1… GmbH für die Firma I… in R1…, 30. Juni 2009, 4 Seiten; 4… GmbH: Masszeichnung, Packungsart: CAMBOFORM, Kunde: I…, CAD Progr.: Maierbacher 04.12.92, 1 Seite.
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, die Gebrauchsmusterabteilung sei in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, dass mit der Bezeichnung „Faltschachtel für Tiefkühlkost“ bereits eine bestimmte Konstruktion und damit Gattung einer Verpackung vorgegeben sei. Richtig sei vielmehr, dass der einschlägige Fachmann grundsätzlich jede beliebige Kartonverpackung, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, so ausgestalten könne, dass diese für Tiefkühlkost geeignet sei. Darüber hinaus sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters gegenüber den nunmehr nachgetragenen, offenkundig vorbenutzten Tiefkühlkostverpackungen nach Anl-6, Anl-7 und Anl-8 nicht neu. Jedenfalls hebe sich dieser Gegenstand nicht in erfinderischer Weise von diesen Tiefkühlverpackungen ab. Dies treffe im Übrigen auch auf die Gegenstände zu, die die Antragsgegnerin mit ihren 6 Hilfsanträgen verteidige.
5. Der erkennende Senat geht davon aus, dass es sich bei dem zuständigen Fachmann um einen Diplomingenieur (FH) oder Bachelor der Fachrichtung Verpackungstechnik handelt, der über eine mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung von Verpackungen verfügt, insbesondere von solchen aus Karton für Lebensmittel.
Hierbei hat der erkennende Senat bezüglich der dem genannten Fachmann zurechenbaren allgemeinen Kenntnisse die Beteiligten auf die folgenden Lexikonartikel und Lehrbücher verwiesen:
(D1) (D2)
HEISS, Rudolf: Verpackung von Lebensmitteln, Anwendung der wissenschaftlichen Grundlagen in der Praxis, Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 1980, S. 72–82. – ISBN 3-540-10194-2; BUCHNER, Norbert [u. a.]: Foods, 4. Food Packaging, in: Ullmann‘s Encyclopedia of Industrial Chemistry, Volume 14: Fire Extinguishing Agents to Foods, 4. Food
(D3)
(D4) (D5) (D6)
Packaging, Sixth, Completely Revised Edition, Weinheim: WILEY-VCH, 2003. S. 697–735. – ISBN 3-527-30385-5; PATT, Rudolf [u. a.]: Paper and Pulp, in: Ullmann‘s Encyclopedia of Industrial Chemistry, Volume 25: Paper and Pulp to Phenol Derivatives, Sixth, Completely Revised Edition, Weinheim: WILEY-VCH, 2003, Kapitel 11.3. Paper, Board, and Cardboard for Packaging, S. 123–125. – ISBN 3-527-30385-5; GÖTTSCHING, Lothar, KATZ Casimir [Hrsg.]: Papier Lexikon. Band 1, A–F, Gernsbach: Deutscher BetriebswirteVerlag, 1999, Eintrag „Chromokarton“, S. 228. – ISBN 3-88640-080-8; GÖTTSCHING, Lothar, KATZ Casimir [Hrsg.]: Papier Lexikon, Band 2, G–Q. Gernsbach: Deutscher BetriebswirteVerlag, 1999, Eintrag „Lebensmittelverpackungspapiere“, S. 239–240 – ISBN 3-88640-080-8; DR. OETKER: Lebensmittel Lexikon, 4. Auflage, ohne Ortsangabe: Dr. Oetker Verlag, 2004, Einträge „Chromokarton“, S. 155, „Karton“, S. 417, „Tiefkühlverpackung“, S. 812. – ISBN 3-7670-0590-5.
6. Der erkennende Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 zu den von der Antragstellerin mit der Beschwerde nachgereichten Dokumenten gemäß Anl-6 und Anl-7, die die behaupteten, offenkundig gewordenen Tiefkühlverpackungen aus dem Jahr 1996 bzw. 2009 betreffen, jeweils Beweis durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Herrn E… und Herrn S… erhoben. Hinsichtlich des Wortlauts der Zeugenaussagen wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2016 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten sowie der Fassung der Schutzansprüche nach den Hilfsanträgen 1 bis 6 der Antragsgegnerin wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
A. Die form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden sind jeweils zulässig.
1. Beschwerde der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 Mit Beschwerdeschriftsatz vom 3. Januar 2013, der am selben Tag beim DPMA eingegangen war, hatten die A… GmbH und die W… GmbH, die damaligen Gebrauchsmusterinhaberinnen und Antragsgegnerinnen, gegen den hier in Rede stehenden Teillöschungsbeschluss der Gebrauchsmusterabteilung I Beschwerde eingelegt, jedoch nur eine Beschwerdegebühr entrichtet. Dies steht im Widerspruch zur Vorbemerkung in Teil B des Gebührenverzeichnisses zu § 2 Abs. 1 PatKostG, wonach die Beschwerdegebühr für jeden Beschwerdeführer gesondert erhoben wird (vgl. BGH GRUR 2015, 1255 ff. – „Mauersteinsatz“). Im vorliegenden Fall ist dies für die Beschwerde insoweit folgenlos, als den Antragstellerinnen der glückliche Umstand zu Gute kommt, dass in der für die Beschwerdegebühr vorgelegten Einzugsermächtigung lediglich die A… GmbH genannt war. Damit wirkte sich die vorliegende Unterzahlung in Form einer nur einfach entrichteten Beschwerdegebühr nach der genannten BGH-Entscheidung dahingehend aus, dass diese Gebühr der A… GmbH zugeordnet werden konnte und insoweit eine wirksame Beschwerde vorliegt. Die in der Einzugsermächtigung nicht genannte W… GmbH, der keine Gebührenzahlung zugeordnet werden konnte, ist dagegen keine Beschwerdeführerin geworden, sondern partizipiert am vorliegenden Beschwerdeverfahren nur als notwendige Streitgenossin und damit lediglich als „weitere Antragsgegnerin“ ohne eigenes Antragsrecht.
Die ursprüngliche Antragsgegnerin, nämlich die A… GmbH, ist allerdings laut Handelsregister durch Verschmelzung in der G… GmbH aufgegangen; diese wiederum ist Mitte des Jahres 2014 auf gleiche Weise, d. h. ebenfalls im Wege einer Gesamtrechtsnachfolge und ohne dass eine Liquidation stattgefunden hätte, mit der G1… GmbH verschmolzen worden. Da in solchen Fällen die Regelung des § 265 Abs. 2 ZPO nicht zur Anwendung kommt (vgl. Bühring/ Schmid, GebrMG, 8. Aufl., § 16 Rn. 61 a. E.), war die Bezeichnung der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin 1 entsprechend zu berichtigen.
Dagegen hat der Umstand, dass das Streitgebrauchsmuster danach noch in rechtsgeschäftlicher Form auf die A1… GmbH mit Sitz in K1… und die W1… (F…) übertragen und umgeschrieben wurde, keinen Einfluss auf die Beteiligten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. In diesem Falle bleiben die bisherigen Inhaber des Gebrauchsmusters auch die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens. Nach § 265 Abs. 2 ZPO hätte es zu einem Beteiligtenwechsel der Zustimmung der Antragstellerin bedurft (vgl. z. B. auch: BGH GRUR 2008, 87, 88 – „Patentinhaberwechsel im Einspruchsverfahren“). Diese hat jedoch mit Schriftsatz vom 11. Juni 2014 eine Zustimmung zu einem Beteiligtenwechsel verweigert.
2. Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 Im Zusammenhang mit der Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin 2 ist zu beanstanden, dass eine Gesellschaft mit der Bezeichnung V… K… GmbH & Co. KG – wie bereits auch im Löschungsantrag genannt – so nicht existierte. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin folgte hieraus aber nicht die Unzulässigkeit dieser Beschwerde. Wie bei einem Einspruch gegen ein Patent genügt es, wenn sich die Identität eines Rechtsbehelfsführers bei verständiger Würdigung der öffentlich zugänglichen Informationen und aufgrund einer exakten Adressangabe zweifelsfrei bestimmen lässt (vgl. Busse/Engels, PatG,
8. Aufl., § 59 Rn. 51). Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt des Löschungsantrags, also Ende 2010, unter der einschlägigen Firmenadresse (U… Straße in K…) eine V3… GmbH & Co. KG, die entsprechende Komplementär-GmbH (V4… Beteiligungs-GmbH) und eine V5… GmbH nachweisbar. Ferner war zur V5… GmbH zuvor im Jahr 2009 im Handelsregister vermerkt worden, dass von dieser der „Teilbetrieb Faltschachtel mit Standorten K… und P… bei K2…“ auf die V3… GmbH & Co. KG übertragen worden war. Unter diesen Umständen verblieben keine durchgreifenden Zweifel, dass die Löschungsantragstellerin und spätere Beschwerdeführerin 2, von Anfang an die „V3… GmbH & Co. KG“ war.
B. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg.
Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters ist schutzfähig. Er ist neu und beruht im Sinne von § 1 Abs. 1 GebrMG auch auf einem erfinderischen Schritt. Für eine Teillöschung des Streitgebrauchsmusters – wie im angefochtenen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I vom 5. Dezember 2012 ausgesprochen – gibt es daher keinen Raum.
Die Antragstellerin hat ausschließlich Benutzungshandlungen (offenkundige Vorbenutzungen) nach den Dokumenten der Anl-2 (i. V. m. Anl-3, 4a, 4b und 4c), Anl-5, Anl-6, Anl-7 und Anl-8 vorgetragen.
I. Die zu den Dokumenten Anl-2, Anl-5 und Anl-8 behaupteten Benutzungshandlungen können beim Streitgebrauchsmuster weder die Neuheit seines Gegenstandes noch das Vorliegen eines erfinderischen Schritts in Frage stellen, selbst wenn der Senat unterstellt, dass sie zum Stand der Technik gehören.
1. Neuheit (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 GebrMG).
1.1. Das Dokument der Anl-2 zeigt vier Fotos von Waschmittelverpackungen, deren Benutzung durch die Anl-3, 4a, 4b und 4c zusätzlich belegt sein soll. Die Fotos werden vom Senat im Folgenden durchnummeriert.
Auf Foto 1 ist ein (roter) Verstärkungsstreifen auf einem (beigen) Karton (Zuschnitt) zu sehen.
Foto 2 zeigt auf der rechten Seite einen Karton mit Faltlinien, der mit einer Aufschrift auf der (weißen) Außenseite bedruckt ist (Merkmale 1 [ohne „Tiefkühlkost“], 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], Merkmal 20). Auf der (zurückgeklappten) Innenseite (linke Seite des Fotos) ist der (rote) Verstärkungsstreifen von Foto 1 zu sehen. Der Verstärkungsstreifen dürfte sich auch über mindestens eine Wand erstrecken (Merkmale 1.2, 1.3 // siehe auch Foto 1). Auf der Außenseite sind seitlich des Verstärkungsstreifens Ritzlinien angebracht (Merkmal 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“]. Das Laschenende („Hier aufreissen“, „tirez ici“) ist trapezförmig gestaltet (Merkmal 8) und ragt über die Kartonkante hinaus (Merkmal 5.5).
Foto 3 und Foto 4 zeigen einen von der Innenseite des Kartons teilweise abgezogenen Verstärkungsstreifen, welcher aus einem Kunststoffmaterial bestehen dürfte und wohl auf den Karton aufgeklebt war, da Faseranhaftungen an der dem Karton zugewandten Seite des Verstärkungsstreifens zu sehen sind (Merkmal 21 [ohne „Schicht aus Polyethylen“]).
Somit sind – die Offenkundigkeit und der Zusammenhang der Druckschriften Anl-2 bis Anl-4 unterstellt – im Grundsatz die Merkmale 1 [ohne „Tiefkühlkost“], 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], 1.2, 1.3, 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“], 5.4, aus der Anl-2 bekannt. Die Merkmale 1.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“] und 10.4. waren nach der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen Herrn R… bei Schachteln der vorliegenden Art allgemein vorbekannt (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung der Gebrauchsmusterabteilung I vom 22. November 2012: S. 2).
Damit sind die Gegenstände aller Schutzansprüche des Streitgebrauchsmusters wegen Fehlens einer Schicht aus Polyolefin neu gegenüber der Anl-2.
1.2. Das Dokument der Anl-5 stellt nach Art und Aufmachung eine Präsentation des erstinstanzlich vernommenen Zeugen Herrn R… vom 31. Oktober 2011 dar. In der Anl-5 werden durchweg Zuschnitte gezeigt, die an die Firma S1… / U1… geliefert worden sein sollen, wobei laut seiner Zeugenaussage der Entwurf auf Seite 12 so nicht verwirklicht wurde, sondern allein eine einseitige Prägung zur Umsetzung gelangte (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung der Gebrauchsmusterabteilung I vom 22. November 2012: S. 2).
a) Auf der Seite 3 der Anl-5 ist ein schwarzer Strich auf grauem Untergrund mit der handschriftlichen Datumsangabe „18.2.85“ und dem Vermerk „Gegenrolle, 0,2 mm“ zu erkennen.
b) Auf der Seite 4 mit der Überschrift „Bild vom 02.05.1985 (Querschneider)“ sind für das vorliegende Verfahren keine relevanten Informationen zu entnehmen.
c) Die Seiten 5 bis 6 stellen einen Verbesserungsvorschlag dar („Capital Expenditure Proposal“), der das Datum „30.08.1985“ trägt (vgl. Anl-5: S. 5, linke Seitenhälfte, unten). Bei Waschmittelschachteln werde an der Ritzung des Aufreißers ein Kunststoffband mit hoher Reißfestigkeit hinterlegt, damit ein funktionsgerechtes Öffnen und damit auch Wiederverschließen gewährleistet sei (vgl. S. 5, rechte Seitenhälfte, Abs. 2 // Merkmale 1.2, 1.3, 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“]). Bisher seien die Selbstklebebänder (bei SUNIL und OMO, Marken der Firma U1…) nach dem Drucken eingeklebt worden. Zukünftig sollten die Aufreißbänder vor dem Druckgang auf dem Querschneider rotativ eingeklebt werden (vgl. S. 5, rechte Seitenhälfte, Abs. 2–3 // Merkmal 21 [ohne „Schicht aus Polyethylen“]).
Aus Seite 6 geht hervor, dass das Aufreißband zukünftig teilweise in den Karton eingepresst werden sollte. Diese hätte den Vorteil gehabt, dass die Stapel (also Zuschnitte für Waschmittelverpackungen) hätten plan liegen können, weil der Karton auf beiden Seiten verdichtet worden wäre, so dass das Band im entstehenden Freiraum ohne aufzutragen Platz gehabt hätte (vgl. Anl-5: S. 6, rechte Seitenhälfte // Merkmal 1.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“ und „Tiefe der Vertiefung“]).
d) Die Seiten 7 bis 9 zeigen sechs Fertigungsvorschriften für Kaschierware und unkaschierte Ware mit den Daten vom 5. März 1986, 24. Februar 1986 und 6. März 1986. Daraus geht hervor, dass rote Aufreißbänder mit einer Dicke von 0,1 mm und einer Breite von 6 mm mit einer Anpressrolle, welche eine Prägewirkung hat, auf die Zuschnitte aufgebracht werden (vgl. S. 5 bis 9, jeweilige Seitenhälften Mitte rechts, „Aufreißband“, „Anpreßrolle“).
e) Die Prinzipzeichnung des Bandeinklebers auf Seite 10 ist für die offenkundige Vorbenutzung unerheblich, da aus ihr für das Erzeugnis nichts Wesentliches hervorgeht und die öffentliche Zugänglichkeit einer derartigen Vorrichtung weder offensichtlich gegeben ist noch behauptet wird. Folglich ist sie auch für die Merkmalsgruppe 34 nicht relevant.
f) Die Seite 11 zeigt das Bild eines Klebebandapplikators, „QS-Simplex“ (vom Juni 1986), welcher Prägerollen (Teilmerkmal 1.4) aufweisen soll.
g) Die Seite 12 zeigt eine Skizze mit den Bezeichnungen „QS-Simplex – vorprägen + Band einlegen“ mit handschriftlichem Datum vom 22. Juli 1986. Die Skizze scheint auf einem Karton angefertigt zu sein, da auf der rechten Seite ein roter (Aufreiß-) Streifen zu sehen ist. Aus der Skizze geht hervor, dass die Stärke des Bandes etwa der Tiefe der Prägung entspricht (Merkmal 1.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“]).
Laut der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Herrn R… (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I vom 22. November 2012: S. 2) soll der Entwurf nur insoweit verwirklicht worden sein, als eine einseitige Prägung erfolgt sei. Aufgrund dieser Aussage und des Umstandes, dass der Verbesserungsvorschlag auch die Stapelbarkeit der Zuschnitte berücksichtigen sollte, nimmt der Senat zu Gunsten der Antragstellerin an, dass die Tiefe der Prägung dem Merkmal 1.4 entspricht.
Der erstinstanzliche Zeuge Herr R… hat zudem ausgesagt, dass die Erzeugnisse gemäß der Anl-5 sowohl als Zuschnitte als auch als Faltschachteln zur Firma S1… in M… (als Zuschnitt ab 1986) und zur Firma H1… in G2… (als Faltschachtel ab 2004) geliefert worden seien. Sie seien dort aufgerichtet und befüllt worden, wobei der Zeuge Informationen zum Aufrichten und Befüllen bei der Firma H1… auf Auskünfte von Kollegen stützt (Merkmale 1 [ohne „Tiefkühlkost“], 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], 10.4). Diese sollen laut der im Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung gewürdigten Zeugenaussage ab dem Jahr 1986 an die Firma S1… nach M… geliefert worden sein (vgl. das Protokoll zur mündlichen Verhandlung der Gebrauchsmusterabteilung I vom 22. November 2012: S. 2).
Somit sind aus der Anl-5 – die Offenkundigkeit und der Zusammenhang der Einzeldokumente der Druckschrift Anl-5 unterstellt – im Grundsatz nur die Merkmale 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], 1.2, 1.3, 1.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“] bekannt, sowie aus der erstinstanzlichen Zeugenaussage nur die Merkmale 1 [ohne „Tiefkühlkost“], 1.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“] und das Merkmal 10.4 bestätigt worden.
Damit sind auch hier die Gegenstände aller Schutzansprüche des Streitgebrauchsmusters wegen Fehlens einer Schicht aus Polyolefin neu gegenüber der Anl-5.
1.3. Bei den Zeichnungen des (aus nur einer Seite bestehenden) Dokuments nach Anl-8 soll es sich um Konstruktionszeichnungen der Antragstellerin von Zuschnitten für Faltschachteln handeln, die seit dem Jahr 1992 für die Firma I… produziert wurden, was die Antragsgegnerin auch hier mit Nichtwissen bestritten hat.
Die Konstruktionszeichnungen der Anl-8 dürften gemäß dem Aufdruck „17.02.1993“ an diesem Tag vom Produktionsleiter freigegeben worden sein. Bei diesen Zeichnungen geht es ausschließlich um das Merkmal bezüglich einer Tiefprägung der Wand, an der das Laschenende über den Rand hinaussteht. Sie zeigen auf der rechten Seite eine Faltlinie für die Seitenwand, welche durch zwei entgegengesetzt gekrümmte, bogenförmige Linien unterbrochen wird. Diese Linien bilden eine konkave Linse („Olive“). Der damit umgrenzte Bereich soll nach dem Aufrichten der Faltschachtel in den Innenraum derselben hineinstehen und das Greifen der Grifflasche erleichtern. Dagegen zeigt die Anl-8 nicht die Merkmale 1.3, 1.4, 3.4, 5.5, 5.5, 10.5, 15.4 oder 17.4. Die Gegenstände aller Schutzansprüche sind daher auch neu gegenüber der Anl-8, wobei dieses Dokument so weit vom Gegenstand des Streitgebrauchsmusters entfernt ist, dass es dem Fachmann offensichtlich keine brauchbaren Anregungen liefern konnte. Damit erübrigt sich auch eine spätere Prüfung, ob ein erfinderischer Schritt gegeben ist oder sein Gegenstand tatsächlich offenkundig geworden ist.
2. Erfinderischer Schritt (§ 1 Abs. 1 GebrMG).
2.1. Die Gegenstände aller unabhängigen Schutzansprüche sind gegenüber dem vorstehend unterstellten Stand der Technik nicht nur neu, sondern beruhen auch auf einem erfinderischen Schritt.
Unter Berücksichtigung des Streitgebrauchsmusters, des unterstellten Standes der Technik nach den Dokumenten der Anl-2, Anl-5 und der (deutlich weiter entfernt liegenden) Anl-8 sowie der Kenntnisse des Fachmanns (vgl. D1 bis D6) liegt in Übereinstimmung mit dem Streitgebrauchsmuster die Aufgabe darin, eine Faltschachtel für Tiefkühlkost mit günstigeren Handhabungseigenschaften zu schaffen, insbesondere bezüglich a) der Öffnung der Verpackung und b) ihres Wiederverschlusses. Ferner soll eine Vorrichtung zur Herstellung einer solchen Faltschachtel geschaffen werden.
2.2. Für den oben genannten Fachmann gehört es gemäß den Druckschriften D1 bis D6 zu seinen allgemeinen Kenntnissen, dass für Verpackungen von Gefriererzeugnissen LDPE-beschichtete Kartone in weitem Umfang verwendet werden (D1: S. 80, letzter Abs., insbesondere letzter Satz // D2: S. 704, rechte Sp. Abschnitt 6.4, Z. 17–21 // Merkmale 1, 1.1 [ohne „Primärfasern“]). Der Sinn der Beschichtung liegt darin, z. B. Fettdichtigkeit zu erreichen (D5: S. 240, linke Sp., Z. 3–18) und die Tiefkühlverpackung nassfest zu machen (D6: S. 812, „Tiefkühl- verpackung“). Eine Kunststoffbeschichtung verleiht dem Papier / Karton eine fast beliebige Dichtigkeit (D1: S. 75, Satz unter „Kunststoffbeschichtete Papiere“). Darüber hinaus sind gesetzliche Vorschriften zu erfüllen (D3: S. 123, rechte Sp. Satz 1).
Ein Karton kann auch auf beiden Seiten (innen und außen) beschichtet werden. Die innere Beschichtung dient dann als Flüssigkeitsbarriere, um Flüssigkeit im Inneren zu halten. Die äußere Beschichtung verhindert Probleme mit kondensiertem Wasser (D2: S. 704, rechte Sp. Abschnitt 6.4, Z. 21–25). Sogenannter Chromokarton ist eine gängige Kartonsorte für Lebensmittelverpackungen (vgl. D1: S. 78–80, insbesondere Tabelle 8 und S. 80, Mitte „Chromokarton“ // D6: S. 417, „Karton“ // Merkmal 19). Dabei handelt es sich um einen einseitig gestrichenen, lackier- und bronzierbaren Karton, an den besondere Anforderungen hinsichtlich seiner Stanz-, Rill- und Ritzbarkeit gestellt werden (D4: S. 228, „Chromokarton“ // D6: S. 155, „Chromokarton“).
Während in Mitteleuropa für Kartonverpackungen häufig solche Kartone mit einem hohen Anteil an Altpapierstoffen verwendet werden, werden in Nordeuropa und den USA dafür überwiegend Primärfasern eingesetzt (D5: S. 239, rechte Sp., letzter Abs. // Teilmerkmal 1.1 [„Primärfasern“]).
2.3. Faltschachteln für Tiefkühlkost mit den Merkmalen 1 und 1.1 sind dem Fachmann allgemein bekannt. Dabei weisen gattungsgemäße Faltschachteln bereits Aufreißstreifen (Merkmal 1.2) und Ritzlinien (Merkmal 3.4 [ohne „Tiefenbemessung“]) auf.
Ein Fachmann, der davon ausgehend das Öffnen der Verpackung verbessern wollte, was nichts anderes bedeutet, als dass das Öffnen entlang des Aufreißstreifens zu erleichtern, hätte jedoch nicht auf die Faltschachteln der Anl-2 oder Anl-5 und die damit verbundenen Konzepte zurückgegriffen.
Der erfinderische Schritt zeigt sich bereits in der streitgebrauchsmustergemäßen Verwendung eines Verstärkungsstreifens auf der Schicht aus Polyolefin. Der erfinderische Schritt wird also bereits alleine durch die Merkmale 1 i. V. m. 1.1 bis 1.3 getragen. Bei Tiefkühlverpackungen ist zwingend eine Innenschicht aus Polyolefin erforderlich, welche bereits im Sinne eines Verstärkungsstreifens für den Aufreißstreifen wirkt. Die Funktion des Durchtrennens wird bei diesen herkömmlichen Tiefkühlverpackungen bereits durch die Schicht aus Polyolefin übernommen. Deshalb war es ausgehend von herkömmlichen Tiefkühlverpackungen nicht naheliegend, auf eine bereits vorhandene Polyethylen-Beschichtung (PE-Beschichtung) zusätzlich noch einen Verstärkungsstreifen aufzubringen. Nach dem Stand der Technik löst der Fachmann die in Rede stehende Aufgabe bereits dadurch, dass er einen geeigneten Karton sowie eine der Aufgabe entsprechend beschaffene und dimensionierte PE-Beschichtung auswählt und sodann die im Karton einzubringenden Ritzlinien hierauf abstimmt.
Anders ist dies bei den Waschmittelverpackungen der Anl-2 und Anl-5. Solche Verpackungen haben eine PE-Beschichtung innenliegend zwischen dem Papier und dem Graukarton (bzw. außen), was den dort beschriebenen Aufreißstreifen erfordert, um den Karton der Waschmittelverpackung zu durchdringen. Nicht gefolgt werden kann daher der sowohl von der Gebrauchsmusterabteilung als auch der Antragstellerin vertretenen Ansicht, es habe für den Fachmann – ausgehend von den vorbekannten Waschmittelverpackungen – auch für Faltschachteln von Tiefkühlkost nahegelegen, einen (zusätzlichen) Verstärkungsstreifen auf der Innenfolie anzubringen, obwohl bei diesen zwingend eine folienartige Innenbeschichtung vorhanden ist, die im Bereich des Aufreißstreifens bereits verstärkend wirkt. Hiergegen spricht, dass ein zusätzlicher Verstärkungsstreifen herstellungstechnisch mit mindestens einem weiteren Arbeitsschritt verbunden ist, damit zur Erhöhung von Produktionszeiten und -kosten führt und deshalb bereits vom Fachmann vermieden worden wäre. Die Anbringung eines solchen zusätzlichen Streifens kann sich zudem nachteilig auf die Stapelfähigkeit der Zuschnitte und damit auf die automatisierte Befüllung der Schachteln mit Gefriergut auswirken. Dies wiederum zwingt den Fachmann zu weiteren Überlegungen – und zwar nicht nur dazu, ob er einen Verstärkungsstreifen möglicherweise nur in Verbindung mit und in einer entsprechenden Tiefenprägung vorsehen kann.
Ausgehend von der Waschmittelverpackung der Anl-2 und Anl-5 stellt sich damit die Anbringung eines zusätzlichen Verstärkungsstreifens bei Gefriergutverpackungen nicht ohne weiteres als zweckmäßig und wirtschaftlich sinnvoll, sondern eher als mit Schwierigkeiten verbunden oder möglicherweise sogar als untunlich dar. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um gewichtige Anzeichen dafür, dass das Vorbekannte dem Fachmann weder Anlass noch hinreichend Anregung gab, um zur vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (vgl. BGH GRUR 2010, 407, 409 – „Einteilige Öse“; GRUR 2014, 647, 649 – „Farbversorgungssystem“). Hierbei sind die in den beiden Entscheidungen zum Patentrecht niedergelegten Grundsätze ohne weiteres auf die Prüfung des erfinderischen Schritts bei Gebrauchsmustern übertragbar (BGH GRUR 2006, 842 ff. – „Demonstrationsschrank“).
Angesichts dieses Ergebnisses, dass sich die genannten Dokumente auf den Bestand des Streitgebrauchsmusters nicht auswirken können, hatte der erkennende Senat keine Veranlassung, den bereits erstinstanzlich zur Anl-5 vernommenen Zeugen Herrn R… nochmals zu befragen.
II. Die Dokumente Anl-6 und Anl-7 stellen ebenfalls weder die Neuheit noch das Vorliegen eines erfinderischen Schritts in Frage.
1. Die Dokumente Anl-6 und Anl-7 kommen als Tiefkühlverpackungen dem Aufbau einer Faltschachtel gemäß Streitgebrauchsmuster wesentlich näher; allerdings lässt sich für Anl-6 und Anl-7 eine Zugehörigkeit zum Stand der Technik im Sinne von § 3 Abs. 1 GebrMG nicht belegen.
1.1. Die vier „Kalkulationszeichnungen“ nach Anl-6 sollen nach dem Vortrag der Antragstellerin im Jahr 1996 der Firma I… von Mitarbeitern der Antragstellerin vorgestellt worden sein, wobei die Firma I… nicht zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen sein soll.
a) Das Dokument Anl-6 zeigt den Entwurf einer Faltschachtel für Gemüse (Merkmale 1, 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“]). Weiter ist ein Aufreißstreifen mit Ritzlinien (grün) zu sehen, der ein trapezförmiges Laschenende hat (Merkmale 1.2, 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“], 8). Der Aufreißstreifen verläuft bei allen drei Zeichnungen über die gesamte Länge des Kartonzuschnitts, bei den Zeichnungen auf den Seiten 2 und 3 auch parallel zu den Wänden (Merkmal 12), und führt ersichtlich zu einer Faltschachtel, die in zwei Teile trennbar ist (Merkmale 10.4, 10.5). Als Material wird unten rechts jeweils angegeben: „Material (ist): GZ 280g/qm“ und „Material (soll) GC2 + PE“. Dies dürfte bedeuten, dass es sich um einen Chromosulfatkarton handelt (abgekürzt mit GC), welcher mit PE (Polyethylen) beschichtet ist (Merkmale 1.1 [ohne „Primärfasern“], 19). Somit dürften im Grundsatz die Merkmale 1, 1.1 [ohne „Primärfasern“], 1.2, 3.4, 8, 10.4, 10.5, 12 und 19 aus der Anl-6 bekannt sein. Allerdings geht aus keiner der Zeichnungen ein Verstärkungsstreifen gemäß Merkmal 1.3 oder 1.4 hervor.
Die Gegenstände aller Schutzansprüche des Streitgebrauchsmusters sind daher neu gegenüber der Anl-6.
b) Im Zusammenhang mit der Anl-6 stellt sich vorgreiflich die Frage, ob und wann die vier „Kalkulationszeichnungen“ der Anl-6 überhaupt offenkundig und damit Stand der Technik geworden sind. Hiernach soll die Klärung der Frage zurückgestellt werden, ob der Fachmann in Verbindung mit dem allgemeinen Kenntnisstand, wie er sich aus den Dokumenten D1 bis D6 ergab, genügend Anregung erhalten konnte, ohne einen erfinderischen Schritt zum Gegenstand des Streitgebrauchsmusters zu gelangen.
Der Senat hat auf Antrag der Antragstellerin Beweis durch die Vernehmung des Zeugen Herrn E… erhoben. Aufgrund der glaubhaften Aussage dieses Zeugen, an dessen Glaubwürdigkeit ebenfalls keine Zweifel bestehen, kann davon ausgegangen werden, dass die Zeichnungen der Anl-6 der Firma I… etwa 4 Wochen nach dem in den Zeichnungen vermerkten Erstellungsdatum („10.10.96“), also noch im November 1996, zu Bemusterung vorgelegt worden waren. Zur Frage, ob mit der Firma I… eine Geheimhaltung vereinbart worden war, konnte der Zeuge wenig beitragen, da er, wie er selbst eingeräumt hat, an dem Projekt nicht beteiligt war. Bei Entwurfszeichnungen (vgl. Anl-6: Blätter rechts oben, „Kalkulationszeichnung: NICHT verbindlich fuer: Repro, Produktion und Materialbestellung“) besteht aber zwischen künftigen Vertragspartnern grundsätzlich ein Geheimhaltungsinteresse, weil Entwürfe einen Entwicklungsvorsprung darstellen, der der Öffentlichkeit nicht vor Markteinführung bekannt werden soll. In solchen Fällen ist die Offenkundigkeit einer Benutzung regelmäßig zu verneinen (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl., § 3, Rn. 63, Nr. 4 bis 6; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 3 Rn. 50). Im vorliegenden Fall ergibt sich die fehlende Offenkundigkeit der Zeichnungen nach Anl-6 zusätzlich anhand der Aussage des vom erkennenden Senat zusätzlich vernommenen Zeugen Herrn S…, dessen Glaubwürdigkeit nicht in Zweifel steht. Dieser Zeuge hat glaubhaft ausgesagt, dass er stets davon ausgegangen sei, dass die Firma I… Angebote für Neuentwicklungen von Verpackungen, die ihr von Verpackungsherstellern übermittelt würden, vertraulich behandle sowie behandelt habe und in solchen Fällen nicht mit der Weitergabe von technischen Details an Dritte zu rechnen sei.
Damit scheidet die Anl-6 als Stand der Technik für das vorliegende Streitgebrauchsmuster aus.
1.2. Die Anl-7 zeigt eine Präsentation einer Tiefkühlverpackung für (gemäß Aufdruck) Grünkohl, die nach Aussage der Antragstellerin um den 30. Juni 2009 bei der Firma I… in R1… (N…) von dem Zeugen Herrn E…, einem Mitarbeiter der V2… bzw. V1… GmbH, vorgeführt worden sein soll.
a) Die Bilder auf Seite 3 zeigen eine Tiefkühlverpackung mit einem Aufreißstreifen mit trapezförmigem Laschenende. Der Aufreißstreifen teilt die Verpackung aus einer Faltschachtel beim Aufreißen in zwei Teile (Merkmale 1, 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], 1.2, 1.3, 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“], 8, 10.4, 10.5, 20). Die Faltschachtel ist gemäß den Bildern auf der Seite 4 wiederverschließbar. Damit dürften im Grundsatz die Merkmale 1, 1.1 [ohne „Primärfasern“ und „Schicht aus Polyolefin“], 1.2, 1.3, 3.4 [ohne „Schicht aus Polyolefin“], 8, 10.4, 10.5 und 20 aus der Anl-7 unmittelbar bekannt sein. Zwar geht aus keiner der Zeichnungen eine längliche Vertiefung gemäß Merkmal 1.4 hervor, jedoch ist das Merkmal 1.1, nämlich eine Schicht aus Polyolefin an der Innenseite, durch die spätere, glaubhafte Aussage des Zeugen Herrn E… als bewiesen anzusehen. Der mit dem Streitgebrauchsmuster beanspruchte Aufbau einer Faltschachtel für Tiefkühlkost geht damit auch hier nur unwesentlich über den bekannten Aufbau einer Tiefkühlverpackung nach der Anl-7 hinaus; in Verbindung mit dem allgemeinen Kenntnisstand, wie er sich aus der D1 bis D6 ergab, könnte somit hier – Offenkundigkeit der Anl-7 vorausgesetzt – das Vorliegen eines erfinderischen Schritts zweifelhaft sein.
b) Zur entscheidungserheblichen Frage, ob und wann der Inhalt der Präsentation der Anl-7 offenkundig geworden sein könnte, hat der erkennende Senat auf Antrag der Antragstellerin wiederum den Zeugen Herrn E… befragt. Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen, muss insgesamt davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Präsentation um ein tatsächlich stattgefundenes Geschehen handelte, das grundsätzlich auch geeignet war, eine technische Lehre der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und damit zum Stand der Technik im Sinne von § 3 Abs. 1 GebrMG werden zu lassen. Die in der Anl-7 dargestellte, befüllte Tiefkühlverpackung wurde hiernach als Prototyp gefertigt und auch als sol- che präsentiert, so dass in jedem Falle nicht nur eine rein mündliche, nach Gebrauchsmusterrecht unerhebliche Beschreibung vorlag.
c) Der Gegenstand gemäß Anl-7 kann aber deshalb nicht als Stand der Technik herangezogen werden, weil die Antragsgegnerin dessen Offenkundigkeit bestritten hat und es der insoweit beweispflichtigen Antragstellerin nicht gelungen ist, das Gegenteil zu belegen.
Der Zeuge Herr E… hat glaubhaft ausgesagt, dass die vorgenannten Unterlagen und der präsentierte Prototyp um den 30. Juni 2009 und damit noch vor dem Anmeldetag des Streitgebrauchsmusters mehreren Mitarbeitern der Firma I…, insbesondere den in den Präsentationsunterlagen ausdrücklich genannten Herren G3… und N1…, vorgelegen haben. Bei der Anl-7 habe es sich um eine Zusammenstellung gehandelt, die auf Grund eigener Initiative („proaktiv“) erstellt worden sei, ohne dass bereits eine Zusammenarbeit mit der Firma I… konkret in Aussicht gestanden hätte. Der Zeuge hat hinsichtlich der Präsentation ferner ausgesagt, dass mit der Firma I… keine Vereinbarung über eine Geheimhaltung geschlossen worden sei, da man im konkreten Fall, bei dem es lediglich um die Verstärkung eines Aufreißstreifens gegangen sei, keine technische Besonderheit gesehen habe. Allerdings hat er auch bestätigt, dass sich die Präsentation auf die Herstellung einer im Wesentlichen noch zu entwickelnden Tiefkühlverpackung für Gemüse bezog und diese mit einem exklusiven Angebot speziell gerichtet an die Firma I… verbunden war. Vor diesem Hintergrund ist die Sichtweise der Antragstellerin, die Anl-7 zeige bereits eine fertige Verpackung, die keiner Geheimhaltung mehr bedurft hätte, nicht zutreffend.
Im Umstand, dass die präsentierte Tiefkühlverpackung lediglich ein Prototyp einer im Wesentlichen noch zu entwickelnden Verpackung war, liegt der entscheidende Grund dafür, dass die Unterlagen der Anl-7 nicht ohne weiteres als öffentlich zugänglich bewertet werden können. Dies stünde im Widerspruch zur BGH-Entscheidung „Presszange“ (GRUR 2015, 463 ff.). Nach dieser Entscheidung gilt die Vermutung, dass Angebote, die auf die Herstellung eines noch zu entwickelnden Gegenstandes gerichtet sind, grundsätzlich vertraulich behandelt werden und nur ausnahmsweise dann als „offenkundig“ bewerten werden dürfen, wenn mindestens ein konkreter Kommunikationsakt des Angebotsempfängers mit Dritten nachweisbar ist. In diesem Zusammenhang muss nochmals auf den vom erkennenden Senat zusätzlich vernommenen Zeugen Herrn S… verwiesen werden, der glaubhaft ausgesagt hat, dass er stets davon ausgegangen sei, dass die Firma I… Angebote für Neuentwicklungen von Verpackungen vertraulich behandle und auch immer so behandelt habe.
Dem Senat sind keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Praxis der Firma I… oder (im hier konkreten Fall) für einen Kommunikationsakt mit Dritten ersichtlich geworden. Einen Antrag auf Vernehmung weiterer Zeugen, insbesondere solcher, aus dem Lager der Firma I…, die zu einer tiefergehenden Klärung dieser nach der BGH-Entscheidung „Presszange“ (a. a. O.) entscheidungsrelevanten Frage hätten beitragen können, wurde nicht gestellt. Die Antragstellerin hat auch keine weiteren Zeugen benannt.
Insgesamt muss der erkennende Senat vorliegend davon ausgehen, dass es zwar auf der Grundlage der Anl-7 vor dem Anmeldetag des Streitgebrauchsmusters zu einem Informationsaustausch zwischen dem Zeugen Herrn E… und Mitarbeitern der Firma I… gekommen war, dass dieser Kontakt jedoch vertraulich erfolgte und eine Vorbenutzung gemäß Anl-7 für das vorliegende Streitgebrauchsmuster nicht als Stand der Technik heranzuziehen ist.
III. Im Ergebnis sind damit die auf eine Faltschachtel gerichteten unabhängigen Schutzansprüche 1, 3, 5, 10, 15 und 17 des Streitgebrauchsmusters in der eingetragenen Fassung schutzfähig. Gleiches gilt auch für die Schutzansprüche 22, 23, 25, 27, 29 und 31 des Streitgebrauchsmusters, welche auf einen Zuschnitt gerichtet sind, aus welchem eine Faltschachtel hergestellt wird. Zu dem weiteren unabhängigen Schutzanspruch 34 des Streitgebrauchsmusters ist weder druckschrift- lich vorgetragen worden noch ergibt der vorliegende Stand der Technik einen Hinweis auf eine mangelnde Schutzfähigkeit seines Gegenstandes.
Mit den unabhängigen Schutzansprüchen des Streitgebrauchsmusters sind auch die auf diese abhängig rückbezogenen Unteransprüche schutzfähig, die vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Gegenstände dieser unabhängigen Schutzansprüche betreffen.
Nach alledem war auf die Beschwerde der Antragsgegnerin der angefochtene Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I vom 5. Dezember 2012 aufzuheben und der Löschungsantrag zurückzuweisen.
C. Die Beschwerde der Antragstellerin war dementsprechend, wie sich unschwer aus den Ausführungen im vorstehenden Abschnitt II., Teil B, ergibt, zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 17 Abs. 4 und § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Hiernach hat die Antragstellerin und Beschwerdeführerin als die in vollem Umfang unterlegene Partei die Kosten beider Instanzenzüge zu tragen. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.
IV.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4 . ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
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