AnwZ (Brfg) 66/19
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 66/19 BESCHLUSS vom
19. Februar 2020 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache wegen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft ECLI:DE:BGH:2020:190220BANWZ.BRFG.66.19.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Paul sowie die Rechtsanwältin Schäfer und den Rechtsanwalt Prof. Dr. Schmittmann am 19. Februar 2020 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das dem Kläger am 5. September 2019 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der im Jahre 1953 geborene Kläger wurde am 9. November 1990 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Strafbefehl vom 28. Januar 2011 wurde der Kläger wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Mit Strafbefehl vom 7. November 2011 wurde der Kläger wegen versuchten Betrugs und versuchter Anstiftung zur Falschaussage unter Einbeziehung der früheren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Mit Strafbefehl vom 9. Juli 2012 wurde der Kläger wegen Beihilfe zum Betrug unter Einbeziehung der früheren Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe ist mit Wirkung vom 9. Mai 2015 erlassen worden. Das zuständige Anwaltsgericht verhängte mit Urteil vom 29. Januar 2014 ein Vertretungsverbot von drei Jahren auf den Gebieten des Strafrechts und des Strafvollstreckungsrechts gegen den Kläger. Mit Bescheid vom 23. Juni 2014 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Als Abwickler der Kanzlei des Klägers wurde ein Rechtsanwalt L. V.
bestellt.
Nach dem Ende der Abwicklung führte Rechtsanwalt L.
V.
die Kanzlei fort. Der Kläger ist als Assessor weiterhin in seiner ehemaligen Kanzlei tätig.
Unter dem 15. September 2016 beantragte der Kläger seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft. Mit Urteil vom 8. Mai 2017 wurde der Kläger wegen Bankrotts zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil vom 4. Juni 2018 wurde der Kläger wegen unbefugten Führens einer Berufsbezeichnung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2018 hat die Beklagte den Antrag des Klägers auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) abgelehnt. Die Klage des Klägers gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Anwaltsgerichtshofs bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 - AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3; vom 15. Dezember 2017 - AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 3). Daran fehlt es hier. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats.
2. Gemäß § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG, NJW 2017, 3704 Rn. 25). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - etwa der Zeitablauf und die zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (BVerfG, aaO; BGH, Urteil vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 11).
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechende Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Soll die Unwürdigkeit mit Straftaten begründet werden, welche der Bewerber begangen hat, ist neben der seither vergangenen Zeit auch zu berücksichtigen, wie der Bewerber mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat (BGH, Urteil vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 50/17, juris Rn. 12 mwN; vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 70/17, juris Rn. 11 mwN; vom 30. September 2019 - AnwZ (Brfg) 32/18, juris Rn. 41 mwN; insoweit in MDR 2020, 127 nicht abgedruckt).
3. Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Er hat eine Gesamtabwägung vorgenommen, in welche er die vom Kläger begangenen Straftaten einerseits, die berechtigten Interessen des Klägers an einer beruflichen und sozialen Wiedereingliederung als Rechtsanwalt andererseits eingestellt hat.
Die Einwände, welche der Kläger in der Begründung des Zulassungsantrags erhebt, sind unberechtigt.
a) Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Anwaltsgerichtshof nicht von festen Fristen ausgegangen, welche zwischen den die Unwürdigkeit begründenden Straftaten und der Wiederzulassung liegen müssten. Im angefochtenen Urteil heißt es ausdrücklich, die Frage nach dem erforderlichen zeitlichen Abstand lasse sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlange eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände. Zu den zu berücksichtigenden Umständen gehört auch das Alter des im Jahre 1953 geborenen Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 70/17, juris Rn. 20 mwN). Anhaltspunkte dafür, dass der Anwaltsgerichtshof diesen Umstand übergangen hätte, gibt es nicht.
b) Der Anwaltsgerichtshof hat nicht verkannt, dass eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verlieren kann, dass es der Zulassung des Bewerbers nicht mehr im Wege steht. Er hat die Tatzeitpunkte der Straftaten festgestellt, die zu den strafrechtlichen Verurteilungen in den Jahren 2011 und 2012 geführt haben, und sodann die seither vergangene Zeit und das Verhalten des Klägers in den auf die Verurteilungen folgenden Jahren gewürdigt.
12 c) Entgegen der Ansicht des Klägers stellen die Straftaten, die zu den strafrechtlichen Verurteilungen vom 8. Mai 2017 und vom 4. Juni 2018 geführt haben, nicht einfach "Ausreißer" und "Dummheiten" dar, die einer Wiederzulassung als Rechtsanwalt nicht entgegenstehen dürfen.
aa) Am 8. Mai 2017 ist der Kläger wegen vorsätzlichen Bankrotts gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Einen vorsätzlichen Bankrott begeht, wer nach Einstellung der Zahlungen, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen oder nach Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse Bestandteile seines Vermögens beiseiteschafft oder verheimlicht, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören. Der Kläger hat nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit Mietvertrag vom 7. Juli 2014 eine Wohnung hinter dem Rücken des Insolvenzverwalters an einen Dritten - den Mittäter der Betrugsstraftaten, wegen derer er in den Jahren 2011 und 2012 wie beschrieben verurteilt worden ist - vermietet, so dass der Insolvenzverwalter sie zunächst nicht für die Masse verwerten konnte.
bb) Am 4. Juni 2018 ist der Kläger wegen vorsätzlichen unbefugten Führens einer Berufsbezeichnung gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Kläger hatte sich nach dem Verlust seiner Zulassung auf seiner Homepage www.
.de und auf verschiedenen Internetportalen als Rechtsanwalt ausgegeben. Gemäß § 154a StPO ist die Verfolgung auf den Zeitraum 30. Mai 2017 bis zum 15. August beschränkt worden.
cc) Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es nicht darauf an, ob die Straftaten, die den strafrechtlichen Verurteilungen in den Jahren 2017 und 2018 zugrunde lagen, für sich genommen eine Zulassung des Klägers wegen Unwürdigkeit ausschließen. Der Kläger hat in den Jahren 2006, 2008 und 2009 die im Tatbestand des angefochtenen Urteils näher beschriebenen Straftaten zum Nachteil von Mandanten begangen, die den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit betreffen und den Schluss auf schwerwiegende Charaktermängel zulassen, welche die Unwürdigkeit erst nach einer hinreichend langen Wohlverhaltensphase entfallen lassen. Zu prüfen war nunmehr, ob trotz der seither vergangenen Zeit und trotz des offensichtlichen Interesses des Klägers an beruflicher und sozialer Integration Umstände vorlagen, die den Kläger weiterhin nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf als nicht tragbar erscheinen lassen.
Diese Frage hat der Anwaltsgerichtshof nachvollziehbar bejaht. Die beiden letzten Straftaten sind zwar nicht dem Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit zuzurechnen und wiegen für sich genommen weniger schwer als die in den Jahren 2006, 2008 und 2009 begangenen Straftaten zum Nachteil von Mandanten. Um "Dummheiten", wie der Kläger nunmehr vortragen lässt, handelt es sich jedoch ebenfalls nicht. Vielmehr hat der Kläger vorsätzlich gegen Strafgesetze verstoßen. Den Straftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 StGB hat der Kläger zudem während laufender Bewährung und nur wenige Monate nach dem Urteil des Anwaltsgerichts vom 29. Januar 2014 verwirklicht. Das Anwaltsgericht hat sich in dem genannten Urteil mit der Frage befasst, ob der Kläger wegen der von ihm begangenen schwerwiegenden Verstöße gegen die Kernpflichten anwaltlicher Tätigkeit gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO aus der Rechtsanwaltschaft auszuschließen sei. Es hat sich mit der milderen Maßnahme eines Vertretungsverbots gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO begnügt, weil zugunsten des Klägers anzunehmen sei, dass er sich das anwaltsgerichtliche Verfahren und die verhängte Maßnahme zur Warnung dienen lasse. Dies war offensichtlich nicht der Fall. Dass der Kläger mit der eigenmächtigen Vermietung seiner Wohnung nicht Mandanten geschädigt, sondern die zur Befriedigung der Gesamtheit seiner Gläubiger dienende Insolvenzmasse verkürzt hat, ist hier von untergeordneter Bedeutung. Das unbefugte Führen einer Berufsbezeichnung gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB hat der Kläger fortgesetzt, nachdem er am 10. April 2017 und am 30. Mai 2017 polizeilich dazu vernommen worden war, ob er unbefugt als Rechtsanwalt tätig sei. Bei der zweiten Vernehmung ist er ausdrücklich auf seine Homepage hingewiesen worden, auf welcher er sich der Wahrheit zuwider als Rechtsanwalt bezeichnete. Beide Straftaten zeigen deutlich die fehlende Bereitschaft des Klägers, sich an das geltende Recht zu halten. Die Schlussfolgerung des Anwaltsgerichtshofs, derzeit könne nicht angenommen werden, dass der Kläger sich als Rechtsanwalt rechtskonform verhalten und sich des Vertrauens und der Achtung, die dem Berufsstand des Rechtsanwalts entgegengebracht werde, als würdig erweisen werde, ist ohne weiteres nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert wurde nach § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO festgesetzt.
Kayser Lohmann Paul Schäfer Schmittmann Vorinstanz: AGH Celle, Entscheidung vom 05.09.2019 - AGH 30/18 (II 25/22) -