XII ZB 183/25
BUNDESGERICHTSHOF XII ZB 183/25 BESCHLUSS vom 11. Juni 2025 in der Unterbringungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein FamFG § 319 Abs. 1, Abs. 4
§ 319 Abs. 4 FamFG schließt die Möglichkeit, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen, zwar nicht völlig aus. Diese Möglichkeit ist jedoch auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt. Macht das Gericht von ihr Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305).
BGH, Beschluss vom 11. Juni 2025 - XII ZB 183/25 - LG Regensburg AG Regensburg ECLI:DE:BGH:2025:110625BXIIZB183.25.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juni 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Günter und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 20. März 2025 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Gründe: I.
Die Betroffene wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Verlängerung ihrer Unterbringung.
Auf Antrag der Betreuerin genehmigte das Amtsgericht nach einer am 25. Juli 2024 durchgeführten persönlichen Anhörung der Betroffenen zunächst deren Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 10. Februar 2025. Am 27. November 2024 wurde die Betroffene vom Bezirkskrankenhaus R. in das Pflegeheim W. verlegt. Das Amtsgericht W., in dessen Bezirk sich das Pflegeheim befindet, lehnte eine Übernahme des Verfahrens ab.
Im vorliegenden Verfahren zur Verlängerung der Genehmigung der Unterbringung hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung der Betroffenen im Wege der Rechtshilfe am 6. Februar 2025 deren Unterbringung in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 5. Februar 2027 genehmigt. Ihre Beschwerde hat das Landgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 5. Februar 2026 genehmigt wird. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Verfahren schon deshalb unter einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, weil das Landgericht die Betroffene im Beschwerdeverfahren nicht erneut angehört hat.
1. Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Diese Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG in einem Unterbringungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (st. Rspr. des Senats, vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13. November 2024 - XII ZB 282/24 - FamRZ 2025, 383 Rn. 7 mwN).
2. Gemessen daran durfte das Landgericht im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen, weil die im Wege der Rechtshilfe durchgeführte Anhörung durch das Amtsgericht rechtsfehlerhaft war.
a) Zwar schließt es der Wortlaut des § 319 Abs. 4 FamFG nicht völlig aus, die vor der Genehmigung einer Unterbringungsmaßnahme zwingend gebotene Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe vorzunehmen. Die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift bringt allerdings zum Ausdruck, dass der Richter, der über eine Unterbringungsmaßnahme zu entscheiden hat, in der Regel den Betroffenen persönlich anzuhören und sich selbst einen persönlichen Eindruck von dessen Lebensumständen zu verschaffen hat. Dieser besonderen Bedeutung der in § 319 Abs. 1 FamFG enthaltenen Verfahrenshandlungen kann grundsätzlich nur dadurch angemessen Rechnung getragen werden, dass das zur Entscheidung berufene Gericht den Betroffenen persönlich anhört und sich einen persönlichen Eindruck von ihm verschafft. Außerdem gehört die persönliche Anhörung zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert, zum Verfassungsgebot erhebt und so mit grundrechtlichem Schutz versieht. Sie ist Kernstück der Amtsermittlung (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 2016 - XII ZB 258/15 - FamRZ 2016, 804 Rn. 12 mwN). Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die nach § 319 Abs. 1 FamFG notwendigen Verfahrenshandlungen im Wege der Rechtshilfe vornehmen zu lassen, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 12 mwN).
b) Auf dieser rechtlichen Grundlage durfte das Amtsgericht im vorliegenden Fall die Anhörung der Betroffenen nicht im Wege der Rechtshilfe vornehmen.
Das Amtsgericht hat diese Verfahrensweise damit begründet, dass sich an der Sachlage nichts geändert habe und die Betroffene dem sachbearbeitenden Richter aus der früheren Anhörung bereits bestens bekannt sei. Rechtliches Gehör sei der Betroffenen durch die Anhörung durch den ersuchten Richter ausreichend gewährt worden. Dies rechtfertigt es im vorliegenden Fall nicht, von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen durch den erkennenden Richter abzusehen. Die persönliche Anhörung nach § 319 Abs. 1 FamFG sichert im Unterbringungsverfahren nicht nur den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Durch sie soll auch sichergestellt werden, dass sich das Gericht vor der Entscheidung über den mit einer Unterbringung verbundenen erheblichen Grundrechtseingriff einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, eingeholte Sachverständigengutachten (§ 321 FamFG), ärztliche Stellungnahmen oder sonstige Zeugenaussagen zu würdigen (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 FamRZ 2011, 805 Rn. 11 mwN).
Im vorliegenden Fall wurde der Entscheidung über die Genehmigung der Verlängerung der Unterbringung mit dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten vom 26. Dezember 2024 eine neue Tatsachengrundlage zugrunde gelegt. Aufgrund der im Verfahren zur erstmaligen Genehmigung der Unterbringung durchgeführten persönlichen Anhörung vom 25. Juli 2024 war der erkennende Richter nicht in der Lage, die Ausführungen das Sachverständigen in dem aktuellen Gutachten vom 26. Dezember 2024 kritisch zu überprüfen und auf ihre Plausibilität und Überzeugungskraft hin zu würdigen. Das Amtsgericht ist zwar davon ausgegangen, dass sich unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen an der bisherigen Sachlage nichts geändert habe. Es wäre jedoch gerade Aufgabe des Amtsgerichts gewesen, durch eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen sich selbst einen Eindruck davon zu verschaffen, ob diese Einschätzung des Sachverständigen tatsächlich zutrifft. Hinzu kommt, dass durch den zwischenzeitlichen Umzug der Betroffenen in ein beschützendes Pflegeheim sich deren Lebensumstände gegenüber dem Zeitpunkt der Anhörung vom 25. Juli 2024 wesentlich geändert haben.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist insoweit auch unerheblich, dass die Betroffene mittlerweile in einer Einrichtung untergebracht ist, die in einem anderen Gerichtsbezirk liegt, und eine Übernahme des Unterbringungsverfahrens durch das Amtsgericht W. abgelehnt worden ist. Zwar hat der Senat bereits entschieden, dass dem mit der Verpflichtung zur persönlichen Anhörung eines Betroffenen in Unterbringungssachen für das zuständige Gericht verbundenen erheblichen Zeit- und Reiseaufwand durch die Abgabe des Verfahrens nach § 314 FamFG oder durch die Genehmigung einer vorläufigen Unterbringungsmaßnahme nach § 331 Satz 1 FamFG begegnet werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 2016 - XII ZB 258/15 - FamRZ 2016, 804 Rn. 16 ff.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich die Unterbringungseinrichtung befindet, eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat und eine vorläufige Unterbringungsmaßnahme nicht mehr getroffen werden kann, ohne Vorliegen weiterer Umstände die Anhörung des Betroffenen stets im Wege der Rechtshilfe durchgeführt werden kann. Denn die Durchführung der in § 319 Abs. 1 FamFG genannten Verfahrenshandlungen im Wege der Rechtshilfe kann nicht allein dadurch gerechtfertigt werden, dass eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch das nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 FamFG zuständige Gericht mit einem erheblichen Zeit- und Reiseaufwand verbunden wäre (Senatsbeschluss vom 2. März 2016 - XII ZB 258/15 FamRZ 2016, 804 Rn. 15).
Guhling Krüger Klinkhammer Recknagel Günter Vorinstanzen: AG Regensburg, Entscheidung vom 06.02.2025 - XVII 1746/23 LG Regensburg, Entscheidung vom 20.03.2025 - 53 T 58/25 -