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6 StR 320/22

BUNDESGERICHTSHOF StR 320/22 BESCHLUSS vom 19. Oktober 2022 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2022:191022B6STR320.22.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2022 beschlossen:

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. Mai 2022 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen – außer denjenigen zum äußeren Tatgeschehen – aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkte, auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

1. Nach den Feststellungen infizierte sich der zur Tatzeit 46 Jahre alte Beschuldigte, der zuvor weder in psychischer noch in strafrechtlicher Hinsicht auffällig geworden war, im November 2021 mit dem Corona-Virus und isolierte sich entsprechend einer behördlichen Vorgabe vom 17. bis zum 30. November 2021 in seiner Wohnung. Während der Isolation entwickelte er wahnhafte Vorstellungen. Er glaubte schließlich insbesondere, von Gott auserwählt worden zu sein,

um die Welt zu retten. Nachdem er seine Wohnung am 30. November 2021 wieder verlassen hatte, versuchte er wahnbedingt zunächst, sich mit einem Messer in die Brust zu stechen, woran er von seiner Freundin gehindert werden konnte. Kurze Zeit später stach er mehrmals wahnbedingt auf eine Nachbarin ein, bis es deren Ehemann sowie der Freundin und der Mutter des Beschuldigten gelang, ihm das Messer abzunehmen.

2. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung darauf beruht. Um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, muss es sich bei dem Defektzustand darüber hinaus um einen länger andauernden, nicht nur vorübergehenden handeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385; vom 13. Juni 2017 – 2 StR 24/17, BGHR StGB § 63 Zustand 46). Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter ununterbrochen schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig ist; es genügt vielmehr, wenn seine Befindlichkeit infolge einer Grunderkrankung derart beschaffen ist, dass unter bestimmten Bedingungen bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit in Bezug auf eine konkrete Tat auslösen können (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 – 2 StR 426/07, NStZ-RR 2008, 141; vom 15. Dezember 2020 – 4 StR 385/20, NStZ-RR 2021, 71). Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. Juli 2020 – 2 StR 121/20 Rn. 7 mwN.).

b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beschuldigte zur Tatzeit aufgrund einer akuten psychotischen Dekompensation unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen (§ 20 StGB). Die Annahme, dass ein dauerhafter krankhafter Zustand vorliegt, aufgrund dessen künftig weitere erhebliche rechtswidrigen Taten des Beschuldigten zu erwarten sind, wird von den Urteilsgründen aber nicht getragen.

aa) Das Landgericht hat dazu ausgeführt:

Aus Sicht des Sachverständigen seien bei dem Beschuldigten mehrere Symptome wie Verfolgungsgefühl, Größenphantasien, sexuelle Enthemmung sowie Wahn in Form eines Kampfes zwischen Gott und dem Teufel seit dem 30. November 2021 für einen Zeitraum von mehr als vier Wochen „darstellbar“ gewesen. Es ergebe sich daher im Längsschnitt die diagnostische Einschätzung des Vorliegens einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Alternativ sei auch eine cerebrale Beteiligung der Corona-Infektion des Beschuldigten und des damit einhergehenden Schlaf- und Flüssigkeitsmangels sowie seiner Isolation nach der Corona-Erkrankung denkbar. In der Gesamtschau sei es „am wahrscheinlichsten“, dass die akute psychotische Dekompensation zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs die Folge eines multifaktoriellen Geschehens und einer Kombination verschiedener Faktoren wie einer paranoiden Schizophrenie, der cerebralen Mitbeteiligung der Covid-19-Infektion sowie der Auswirkungen im Rahmen der Corona-Isolation auf den Beschuldigten gewesen sei. Mittlerweile habe sich der psychische Zustand des Beschuldigten aufgrund der – zwischenzeitlich sogar verringerten – Medikation zwar deutlich stabilisiert, es seien aber immer noch Restsymptome erkennbar. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte im Falle einer erneuten psychischen Dekompensation wieder irgendeine Person aus seinem weiteren sozialen Umfeld angreife.

Gestützt und untermauert würden die Erläuterungen des Sachverständigen durch die Bekundungen des den Beschuldigten während der einstweiligen Unterbringung behandelnden sachverständigen Zeugen T. . Auch aus dessen Sicht habe der Beschuldigte bei der Aufnahme in die Psychiatrie am 9. Dezember 2021 noch eindeutige psychotische Symptome gezeigt. Bis zum 17. Dezember 2021 habe sich das Wahnerleben aufgrund der Medikation deutlich zurückgebildet. Auch nach Einschätzung des Zeugen T.

sei von einer „mindestens vorübergehenden“ akuten psychotischen Störung im Sinne der ICD-10 auszugehen. Auslösende Faktoren seien jedenfalls die akuten Belastungen für den Beschuldigten im Rahmen der Isolation, verbunden mit der Angst zu sterben,

einer starken Körperbezogenheit, dem Flüssigkeitsmangel sowie Schlafstörungen. Ob zudem eine paranoide Schizophrenie vorliege, welche die gleichen Symptome verursache, „könne noch nicht sicher gesagt werden“, weil sich dies erst im weiteren Verlauf der Behandlung feststellen lasse. Zwar erkrankten die meisten Menschen im Alter zwischen 17 und 23 Jahren an einer paranoiden Schizophrenie, eine spätere Erkrankung sei aber durchaus möglich.

bb) Diese Ausführungen belegen nicht das Vorliegen eines länger andauernden psychischen Defektzustands. Ihnen lässt sich lediglich entnehmen, dass der den Feststellungen zufolge bislang psychisch gesunde Beschuldigte an einer – vorübergehenden – akuten psychotischen Dekompensation litt. Das Vorliegen einer fortdauernden „Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis“ bzw. einer paranoiden Schizophrenie oder einer anderweitigen Grunderkrankung, die unter bestimmten Bedingungen eine erneute psychotische Dekompensation zur Folge haben könnte, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar dargetan.

3. Die Sache bedarf daher insoweit – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

Sander von Schmettau Tiemann Arnoldi Wenske Vorinstanz: Landgericht Hannover, 04.05.2022 - 39 Ks 1912 Js 119999/21 (3/22)

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