3 Ni 21/11 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 21/11 (EP) verbunden mit 3 Ni 39/11 (EP)
(Aktenzeichen)
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am 7. November 2012
…
In der Patentnichtigkeitssache
…
…
betreffend das europäische Patent 1 466 983 (DE 602 25 478)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, der Richter Dipl.-Chem. Dr. Gerster und Schell sowie der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Münzberg für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 466 983 wird im Umfang der Ansprüche 31 bis 55 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 27. Dezember 2002 als internationale Patentanmeldung PCT/JP2002/013766 angemeldeten, u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland vor dem europäischen Patentamt in der regionalen Phase erteilten europäischen Patents 1 466 983 B1 (Streitpatent). Das Streitpatent nimmt die Priorität der japanischen Patentanmeldung 2001398545 vom 27. Dezember 2001 in Anspruch und wird vom deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 602 25 478 geführt. Es betrifft „Verfahren zur Herstellung des Coenzyms Q10“ und umfasst in der erteilten Fassung 55 Patentansprüche, von denen die beiden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 31 in der deutschen Übersetzung wie folgt lauten:
„1. Verfahren zum Herstellen des reduzierten Coenzyms Q10, dargestellt durch die folgende Formel (I):
wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst: a) die Kultivierung von Mikroorganismen, die das reduzierte Coenzym Q10 herstellen, in einem Kulturmedium, das eine Kohlenstoffquelle, eine Stickstoffquelle, eine Phosphorquelle und einen Mikronährstoff enthält, um mikrobielle Zellen zu erhalten, die das reduzierte Coenzym Q10 in einem Verhältnis von nicht weniger als 70 mol% unter den gesamten Coenzymen Q10 enthalten, (b) gegebenenfalls das Zerstören der mikrobiellen Zellen und (c) das Extrahieren des so hergestellten reduzierten Coenzyms Q10 mit einem organischen Lösungsmittel unter der Bedingung, dass das reduzierte Coenzym Q10 vor einer Oxidationsreaktion geschützt wird,
um so einen Extrakt zu erhalten, der nicht weniger als 70 mol% reduziertes Coenzym Q10 unter dem gesamten Coenzym Q10 enthält.
31. Verfahren zum Herstellen des oxidierten Coenzyms Q10, dargestellt durch die folgende Formel (II):
wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst: die Kultivierung von Mikroorganismen, die reduziertes Coenzym Q10 herstellen, in einem Kulturmedium, das eine Kohlenstoffquelle, eine Stickstoffquelle, eine Phosphorquelle und einen Mikronährstoff enthält, um mikrobielle Zellen zu erhalten, die reduziertes Coenzym Q10 in einem Verhältnis von nicht weniger als 70 mol% unter den gesamten Coenzymen Q10 enthalten, gegebenenfalls das Zerstören der mikrobiellen Zellen und entweder das Oxidieren des so hergestellten reduzierten Coenzyms Q10 zu oxidiertem Coenzym Q10 unter Verwendung eines Oxidationsmittels und anschließendes Extrahieren des Resultierenden mit einem organischen Lösungsmittel oder das Extrahieren des so hergestellten reduzierten Coenzyms Q10 mit einem organischen Lösungsmittel, gegebenenfalls Reinigen, und Oxidieren des Resultierenden zu oxidiertem Coenzym Q10 unter Verwendung eines Oxidationsmittels.“
Die Patentansprüche 2 bis 30 und 32 bis 55 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 bzw. 31.
Mit ihren Nichtigkeitsklagen greifen die Klägerinnen das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 31 bis 55 an und machen geltend, die patentgeschützte Lehre sei im angegriffenen Umfang nicht neu bzw. beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Zudem sei der Gegenstand des Streitpatents insoweit unzureichend offenbart.
In ihrem Vorbringen stützen sich die Klägerinnen u. a. auf folgende Dokumente:
NK1 NK2 NK5 NK20 EP 1 466 983 B1 (Streitpatent) US 3 769 170 Englische Übersetzung der japanischen Patentoffenlegung JP-53-133687 Schriftsatz der Nichtigkeitsbeklagten vom 25. Oktober 2011 im Verletzungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 4a O 224/10 sowie auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Dokumente „Prüfungsbescheid des US Patentamtes vom 8. Juni 2007 betreffend die US-Anmeldung mit der U.S. Serial No. 10/500 249“ (Anlage 1 zum Protokoll) und „M. Ondarroa et al, Bioscience Reports,1986, 6, 783 bis 796“ (Anlage 2 zum Protokoll).
Die Klägerinnen 1 und 2 beantragen,
das europäische Patent 1 466 983 im Umfang der Patentansprüche 31 bis 55 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 und 2 gemäß Schriftsatz vom 22. Mai 2012 erhält.
Hilfsantrag 1 ändert den Patentanspruch 31 des Streitpatents dahingehend ab, dass die Kultivierung der Mikroorganismen unter aeroben Bedingungen erfolgt.
Hilfsantrag 2 beschränkt den Anspruch 31 gemäß 1. Hilfsantrag auf ein Verfahren, bei dem das reduzierte Coenzym Q10 erst extrahiert und dann oxidiert wird.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und ist der Auffassung, das Streitpatent weise, soweit angegriffen, Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik auf. Durch die Gesamtoffenbarung der Streitpatentschrift werde dem fachmännischen Leser zudem die notwendige technische Information vermittelt, um mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage zu sein, die Erfindung erfolgreich auszuführen.
Mit Beschluss vom 25. September 2012 wurden die Nichtigkeitsklagen 3 Ni 21/11 (EP) und 3 Ni 39/11 (EP) miteinander verbunden.
Entscheidungsgründe I.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Ausführbarkeit (Art. 138 Abs. 1 lit. b; Art. 83 EPÜ i. V. m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG) sowie mangelnder Patentfähigkeit (Art. 138 Abs. 1 lit. a; Art. 52, 54, 56 EPÜ i. V. m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG) gestützten Klagen sind zulässig. Sie erweisen sich auch als begründet, da sich der Gegenstand des Streitpatents im angegriffenen Umfang weder in der erteilten noch in den hilfsweise verteidigten Fassungen gegenüber dem Stand der Technik als neu erweist.
II.
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von oxidiertem Coenzym Q10.
Coenzym Q10 fungiert in den Zellen des menschlichen Körpers als Elektronenüberträger zwischen den Komplexen der Atmungskette in der mitochondrialen Membran. Es stellt damit ein wichtiges mitochondriales Antioxidans dar, obwohl es zugleich an der Bildung von Sauerstoff beteiligt ist. Bekannt ist ferner, dass sich oxidiertes und reduziertes Coenzym Q10 im menschlichen Körper in einem Gleichgewicht befinden und sich gegenseitig reduzieren bzw. oxidieren. Neben dem körpereigenen Coenzym Q10 nimmt der Mensch dieses Enzym auch über die Nahrung, zum Beispiel durch Fisch, Fleisch oder Hülsenfrüchte in seiner natürlichen trans-Konfiguration (E-Isomer) auf. Als pharmazeutisch und physiologisch effektive Substanz wird vor allem oxidiertes Coenzym Q10 für eine Vielzahl von Krankheiten in pharmazeutischen Produkten, aber auch in Nahrungsergänzungsmitteln und kosmetischen Produkten angewendet. Reduziertes Coenzym Q10 hat dagegen bisher noch kaum praktische Anwendung gefunden. Coenzym Q10 kann entweder mittels chemischer Synthese oder mikrobiologisch hergestellt werden. Nachteilig an der chemischen Synthese ist insbesondere im Falle des reduzierten Coenzyms Q10, dass dieses Verfahren kompliziert, riskant und kostenaufwendig ist. Zudem ist es erforderlich, dabei die Entstehung von und die Kontamination mit einem (Z)-Isomer zu unterdrücken, da angenommen wird, dass dadurch die Qualität der Produkte beeinträchtigt wird. Zur Herstellung von reduziertem Coenzym Q10 können aber auch mikrobielle Zellen verwendet werden, die das reduzierte Coenzym Q10 herstellen, wobei das reduzierte Coenzym Q10 große Mengen an oxidiertem Coenzym Q10 enthält. Die Enzym-Mischung bzw. das reduzierte Coenzym Q10 wird dann anschließend durch weitere Oxidation in oxidiertes Coenzym Q10 überführt. Im Stand der Technik wird reduziertes Coenzym Q10 damit als Zwischenprodukt bei der Herstellung von oxidiertem Coenzym Q10 verwendet, ohne jedoch das Verhältnis von reduziertem Coenzym Q10 unter den gesamten Coenzymen Q10 in den mikrobiellen Zellen zu kennen. Auch die Herstellungsmengen von Coenzymen Q10 in der Kultur sind im Stand der Technik nicht beschrieben (vgl. EP 1 466 983 B1, Abs. [0004 bis 0016]).
2. Ausgehend davon liegt dem Streitpatent die technische Aufgabe zugrunde, ein sicheres sowie einfaches und im industriellen Maßstab effizientes Verfahren zum Herstellen von oxidiertem Coenzym Q10 durch Kultivierung von Mikroorganismen bereitzustellen (vgl. EP 1 466 983 B1, Abs. [0020]).
3. Gelöst wird die Aufgabe durch das im erteilten Patentanspruch 31 beschriebene Verfahren mit den folgenden Merkmalen:
a) Verfahren zum Herstellen von oxidiertem Coenzym Q10, wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst:
b) die Kultivierung von Mikroorganismen, die das reduzierte Coenzym Q10 herstellen, in einem Kulturmedium, das eine Kohlenstoffquelle, eine Stickstoffquelle, eine Phosphorquelle und einen Mikronährstoff enthält, um mikrobielle Zellen zu erhalten,
c) die das reduzierte Coenzym Q10 in einem Verhältnis von nicht weniger als 70 mol% unter den gesamten Coenzymen Q10 enthalten,
d) gegebenenfalls das Zerstören der mikrobiellen Zellen und e1) entweder das Oxidieren des so hergestellten reduzierten Coenzyms Q10 zuoxidiertem Coenzym Q10 unter Verwendung eines Oxidationsmittels und anschließendes Extrahieren des Resultierenden mit einem organischen Lösungsmittel e2) oder das Extrahieren des so hergestellten reduzierten Coenzyms Q10 mit einem organischen Lösungsmittel, gegebenenfalls Reinigen und Oxidierendes Resultierenden zu oxidiertem Coenzym Q10 unter Verwendung eines Oxidationsmittels.
4. Zuständiger Fachmann ist vorliegend ein Team, das aus einem organischen Chemiker, dem die Rolle des Coenzym Q10 im Organismus bekannt ist, und einem Biologen mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Mikrobiologie, der mit Fermentationsverfahren vertraut ist, besteht.
III.
1. Ob der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit vorliegt, weil - wie von den Klägerinnen vorgetragen wurde - im Streitpatent keine für den Erhalt von Zellen, die nicht weniger als 70 mol% an reduziertem Coenzym Q10 unter den gesamten Coenzymen Q10 enthalten, geeigneten Kultivierungsbedingungen offenbart seien, kann dahingestellt bleiben, da das Verfahren des Patentanspruchs 31 jedenfalls nicht neu ist.
2. Die nach Hauptantrag sowie nach den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Fassungen des Patentanspruchs 31 erweisen sich jedenfalls gegenüber der als englischer Übersetzung vorliegenden japanischen Veröffentlichung JP-53-133687 (= NK5) als nicht neu i. S. v. § 3 PatG bzw. Art. 54 EPÜ.
2.1 In der Druckschrift NK5 wird ein industriell anwendbares Verfahren zur Herstellung von Coenzym Q beschrieben. Die Beispiele 1, 3 und 4 belegen, dass sich dieses Verfahrens insbesondere zur Herstellung von oxidiertem Coenzym Q10 eignet (vgl. NK5, S. 6, Z. 25 bis S. 7, Z. 25 und S. 8, Z. 23 bis S. 9, Z. 2 i. V. m. S. 11, Punkte (1) und (4)). Demzufolge erfüllt das Verfahren der Druckschrift NK5 das patentgemäße Merkmal a) des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag.
2.2 Für den Erhalt des Ausgangsproduktes, einem Coenzym Q-haltigen Rohextrakt, wird in der Druckschrift NK5 sowohl die chemische Synthese als auch die Fermentation, sowie die Gewinnung aus Naturprodukten in Betracht gezogen (vgl. NK5, S. 2, Z. 1/2). Das Beispiel 3 zeigt einen Weg auf, wie reduziertes Coenzym Q10 aus Mikroorganismen gewonnen werden kann. Die für die Kultivierung der Mikroorganismen erforderlichen Bedingungen werden darin allerdings nicht näher beschrieben. Daraus entnimmt der Fachmann, dass deren Kultivierung unter den ihm bekannten Standardbedingungen möglich ist. Entsprechend wird er bei der stofflichen Zusammensetzung des Kulturmediums von einem Medium ausgehen, welches die für ein optimales Wachstum von Mikroorganismen essentiellen Stoffe wie eine Kohlenstoff-, eine Stickstoff-, sowie eine Phosphorquelle und einen Mikronährstoff enthält. Dass es sich dabei um die üblichen Komponenten eines Standardmediums handelt, wird durch die lange vor dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitpunkt veröffentlichte Druckschrift NK2 gutachtlich belegt (vgl. NK2, Sp. 2, Z. 2 bis 17). Nachdem im patentgemäßen Merkmal b) weder die Kultivierungsbedingungen noch die Zusammensetzung des Kulturmediums näher beschrieben werden und auch die allgemeinen Angaben zu deren Auslegung in den Absätzen [0040] bis [0047] des Streitpatents keine detaillierten Informationen liefern, umfasst das patentgemäße Merkmal b) folglich auch diejenigen Standardbedingungen und Standardmedien, die der Fachmann in der Druckschrift NK5 mitliest (vgl. BGH GRUR, 2009, 382 bis 388, Rdn. 25 und 26 - Olanzapin und BGH GRUR, 2010, 123 bis 131, Rdn. 32 - Escitalopram).
2.3 Bei dem in der Druckschrift NK5 beschriebenen Verfahren wird ferner die Zerstörung mikrobieller Zellen, wie sie im Merkmal d) des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag optional vorgesehen ist, durchgeführt. Denn im Beispiel 3 der NK5 werden die Zellen nach ihrer Kultivierung zunächst mittels Zentrifugation gesammelt und das gewonnene Zellpellet anschließend mit einer Lösung aus Hexan und Methanol extrahiert. Gleichzeitig wird die Lösung in Gegenwart von Natriumhydroxid und Pyrogallol erhitzt (vgl. NK5, S. 8, Z. 23 bis 28). In diesen Maßnahmen erkennt der Fachmann eine konventionelle Methode zur Zerstörung mikrobieller Zellen, was gleichfalls durch die Druckschrift NK2 gutachtlich bestätigt wird (vgl. NK2, Sp. 2, Z. 27 bis 32). Eine Zerstörung der Zellen wird der Fachmann in den zuvor genannten Verfahrensschritten auch deshalb erkennen, weil im Beispiel 3 nach diesen Schritten keine Maßnahmen genannt werden, die eine Zerstörung der Zellen und damit eine Isolierung von reduziertem Coenzym Q10 aus den Zellen ermöglichen würden. So wird im Anschluss an diese Schritte die das reduzierte Coenzym Q10 enthaltende Hexan-Phase lediglich mit wässrigem Natriumhydrosulfit neutralisiert, mit Wasser gewaschen und in Gegenwart von Glaubersalz unter reduziertem Druck getrocknet; aus dem so erhaltenen Rückstand wird das reduzierte Coenzym Q10 mit Aceton extrahiert (vgl. NK5, S. 8, Z. 29 bis 36). Damit ist in der Druckschrift NK5 auch das optionale Merkmal d) des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag offenbart.
2.4 Als abschließender Verfahrensschritt sind im Patentanspruch 31 des Hauptantrags unter den Merkmalen e1) und e2) zwei Alternativen vorgesehen, wobei in jeder ein Oxidations- sowie ein Extraktionsschritt durchgeführt wird, allerdings in unterschiedlicher Reihenfolge. Bei dem im Beispiel 3 der NK5 durchgeführten Verfahren wird zur Isolierung der Zwischenstufe, die das reduzierte Coenzym Q10 enthält, eine Extraktion durchgeführt, bei der zuerst eine Mischung aus Hexan und Methanol und danach Aceton verwendet wird. Nach Abzug des Acetons wird ein mit reduziertem Coenzym Q10 angereichertes Öl erhalten, das den Angaben im Beispiel 1 der NK5 zur Folge chromatographisch aufgereinigt und schließlich mit Hilfe von Luftsauerstoff in oxidiertes Coenzym Q10 überführt wird (vgl. NK5, S. 8, Z. 23 bis S. 9, Z. 2 i. V. m. S. 6, Z. 30 bis S. 7, Z. 25). Diese verfahrenstechnischen Maßnahmen entsprechen den diesbezüglichen, allgemeinen Angaben in der patentgemäßen Alternative e2), so dass auch dieses Merkmal der Druckschrift NK5 unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.
2.5 Für die Neuheit des Verfahrens nach Patentanspruch 31 gemäß Hauptantrag kommt es demnach auf das Merkmal c) an, wonach die im patentgemäßen Verfahren verwendeten mikrobiellen Zellen reduziertes Coenzym Q10 in einem Verhältnis von nicht weniger als 70 mol% unter den gesamten Coenzymen Q10 enthalten sollen.
Die explizite Angabe eines solchen Prozentsatzes an reduziertem Coenzym Q10 fehlt in der NK5. Allerdings wird darin im Beispiel 3 mit Pseudomonas denitrificans ein Mikroorganismus verwendet, der auch im Streitpatent als ein für das Verfahren des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag geeigneter Mikroorganismus angesehen wird, da dieser den Angaben in der Tabelle 2 des Streitpatents zur Folge, 85 mol% an reduziertem Coenzym Q10 enthält (vgl. EP 1 466 983 B1, S. 16, Tabelle 2, Z. 15). Um einen solchen Gehalt an reduziertem Coenzym Q10 zu erreichen, sind laut Streitpatentschrift allgemein übliche Kultivierungsbedingungen ausreichend (vgl. EP 1 466 983 B1, S. 7/8, Abs. [0040] bis [0048] i. V. m. S. 14, Abs. [0114]). Wie bereits vorstehend unter Punkt 2.2 ausgeführt, entnimmt der Fachmann die ihm bekannten Standardbedingungen zur Kultivierung von Pseudomonas denitrificans auch der NK5. Demzufolge entspricht nicht nur der im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 zum Einsatz gelangende Mikroorganismus Pseudomonas denitrificans, sondern auch die Bedingungen seiner Kultivierung den diesbezüglichen allgemeinen Angaben im Patentanspruch 31 gemäß Hauptantrag. Dem Grundsatz folgend, dass gleiche Arbeitsweisen bei Verwendung identischer Edukte regelmäßig zu identischen Produkten führen, gilt das patentgemäße Merkmal c) somit nicht nur für die in der Streitpatentschrift EP 1 466 983 B1 sondern auch im Beispiel 3 der NK5 genannten Bakterien der Gattung Pseudomonas denitrificans.
Diese Bewertung steht im Einklang mit dem Vortrag der hiesigen Beklagten im Verletzungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf. Die Patentinhaberin stellt darin nämlich fest, dass ein Verhältnis von nicht weniger als 70 mol% an reduziertem Coenzym Q10 unter den gesamten Coenzymen Q10 keine speziellen Kultivierungsbedingungen erfordere, sondern dass ein Fachmann, der einen im Streitpatent genannten Mikroorganismus auswähle und diesen entsprechend den Vorgaben des Standes der Technik kultiviere, regelmäßig einen Anteil von nicht weniger als 70 mol% an reduziertem Coenzym Q10 erhalte (vgl. NK20, S. 4, Punkt a) bis S. 5, zweiter Abs.).
Zudem bildet nach § 3 Abs. 1 PatG bzw. Artikel 54 Abs. 2 EPÜ alles das den Stand der Technik, was der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag in irgendeiner Weise, sei es durch ausdrückliche oder implizite schriftliche Beschreibung, aber auch durch unmittelbare und zwangsläufige Ergebnisse der Nacharbeitung einer technischen Lehre zugänglich gemacht worden ist. Nach der BGH-Entscheidung „Terephthalsäure“ ist die Ausrichtung eines Verfahrens auf ein bisher nicht erkanntes Ergebnis dann kein neues Verfahren, wenn sich das erstrebte Ergebnis bei der unveränderten Ausführung des vorbeschriebenen Verfahrens von selbst einstellt (vgl. BGH GRUR 1980, 283 bis 287, 285, 3c, 285, 3c - Terephthalsäure). Denn durch die Beschreibung eines Verfahrens werden der Fachwelt auch diejenigen Kenntnisse zugänglich gemacht, die bei der Nacharbeitung unmittelbar und zwangsläufig offenbart werden. Sie sind daher bei der Neuheitsprüfung als Teil der vorbeschriebenen Lehre zu berücksichtigen. Für den neuheitsschädlichen Charakter der Druckschrift NK5 ist es demzufolge ausreichend, dass darin Bakterien der Gattung Pseudomonas denitrificans verwendet und diese entsprechend den patentgemäßen Merkmalen a), b) d) und e2) behandelt werden, da sich bei der Nacharbeitung der Beispiele 1 und 3 das patentgemäße Merkmal c) aus den bereits zuvor genannten Gründen, regelmäßig von selbst einstellt.
Der Bewertung des Beispiels 3 der NK5 durch die Beklagte, in der sie aufgrund der von ihr durchgeführten Nacharbeitung dieses Beispiels zu dem Ergebnis kommt, dass mit diesem Verfahren vermutlich nur oxidiertes Coenzym Q10 und kein reduziertes Coenzym Q10 als Zwischenprodukt isoliert werden könne, kann sich der Senat nicht anschließen (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 25. Oktober 2012, S. 6, erster und zweiter Abs.). Es mag zwar zutreffend sein, dass es der Beklagten bei der Nacharbeitung des Beispiels 3 nicht möglich war, reduziertes Coenzym Q10 zu isolieren. Da im Beispiel 3 mit Pseudomonas denitrificans jedoch Mikroorganismen verwendet und zu deren Kultivierung verfahrenstechnische Maßnahmen ergriffen werden, die - aus den zuvor genannten Gründen - der technischen Lehre des Streitpatents entsprechen, sieht der Senat keine Veranlassung an der technischen Realisierung des Beispiels 3 zu zweifeln. Zudem wird der Erhalt von reduziertem Coenzym Q10 im Beispiel 3 nicht nur beiläufig erwähnt, sondern auf dessen Isolierung gezielt hingewiesen, indem reduziertes Coenzym Q10 darin chemisch eindeutig als 2,3-Dimethoxy-5-methyl-6-decaprenylhydroquinon bezeichnet und auch die Menge (30g) und Reinheit (55 %) dieses Zwischenproduktes angegeben wird. An anderer Stelle wird in NK5 ferner darauf hingewiesen, dass zu den mit diesem Verfahren isolierten und gereinigten Verbindungen auch reduziertes Coenzym Q10 gehört, bei dem es sich um eine Vorstufe von Coenzym Q10 handelt (vgl. NK5, S. 2, Z. 24 bis 27). Die im patentgemäßen Merkmal c) adressierte Zwischenstufe in Form von reduziertem Coenzym Q10 wird im Beispiel 3 der NK5 daher in jedem Fall durchlaufen.
Auch das Argument der Beklagten, das Verfahren des Beispiels 3 der NK5 entspreche nicht dem erfindungsgemäßen Verfahren und offenbare damit auch das patentgemäße Merkmal c) nicht, weil bei diesem Verfahren chemische Reduktionsmittel verwendet würden, so dass reduziertes Coenzym Q10 dabei nicht wie im patentgemäßen Verfahren durch geeignete Kultivierungsbedingungen erhalten werde, sondern durch chemische Reaktion, vermag nicht zu überzeugen (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2012, S. 6, letzter Abs. bis S. 7, zweiter Abs.). Denn zum einen schließen die allgemein gehaltenen Merkmale des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag den Einsatz eines Reduktionsmittels, wie es im Beispiel 3 der NK5 verwendet wird, nicht aus. Zum anderen stellt das patentgemäße Merkmal c) darauf ab, dass in den kultivierten Zellen nicht weniger als 70 mol% an reduziertem Coenzym Q10 enthalten sind. Somit kann das im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 nach der Kultivierung zugegebene Reduktionsmittel Pyrogallol die während der Kultivierung in den Zellen gebildete Menge an reduziertem Coenzym Q10 nicht beeinflussen. Die in den Zellen gebildete Menge an reduziertem Coenzym Q10 hängt im Verfahren des Beispiels 3 - wie auch im patentgemäßen Verfahren - vielmehr davon ab, welche Zellen unter welchen Bedingungen kultiviert werden. Nachdem im Beispiel 3 der NK5 mit Pseudomonas denitrificans ein patentgemäßer Mikroorganismus verwendet und dieser wie im Streitpatent unter Standardbedingungen kultiviert wird, folgt daraus, dass der im Streitpatent für Pseudomonas denitrificans angegebene Wert von 85 mol% an reduziertem Coenzym Q10 in den Zellen, auch für die im Beispiel 3 der NK5 verwendeten Zellen gelten muss (vgl. EP 1 466 983 B1, S. 16, Tabelle 2 i. V. m. S. 8, Abs. [0048]). Demzufolge steht die Verwendung des Reduktionsmittels Pyrogallol im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 der Neuheitsschädlichkeit dieser Druckschrift für das patentgemäße Verfahren des Patentanspruchs 31 nach Hauptantrag nicht entgegen, da das patentgemäße Merkmal c) in der Druckschrift NK5 bereits durch die Kultivierung von Pseudomonas denitrificans implizit offenbart ist.
Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, der Einsatz von Natriumhydroxid zusammen mit dem Reduktionsmittel Pyrogallol sowie die Verwendung von Natriumhydrosulfit im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 spreche dafür, dass die Bakterien bei diesem Verfahren, anders als im patentgemäßen Verfahren des Patentanspruchs 31 gemäß Hauptantrag, unter teilweise anaeroben Bedingungen kultiviert worden seien, da die Verwendung dieser Substanzen zu einer Limitierung des Sauerstoffangebotes führe, teilt der Senat nicht. Denn der Einsatz der zuvor genannten Substanzen erfolgt im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 erst nach Beendigung der Zellkultur beim Aufschluss der Zellen, so dass daraus keine Rückschlüsse auf die während der Kultivierung eingehaltenen Bedingungen gezogen werden können. Andererseits erkennt der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens in dem darin verwendeten Bakterium Pseudomonas denitrificans einen Mikroorganismus der, wie viele andere ihm bekannte Mikroorganismen, während seiner Kultivierung Sauerstoff zum Überleben benötigt. Die NK2 bestätigt gutachtlich, dass lange vor dem für das Streitpatent relevanten Zeitpunkt eine Vielzahl von Mikroorganismen, die wie Paracoccus denitrificans eine aerobe Kultivierung erfordern, in Fachkreisen nicht nur bekannt sondern auch problemlos zugänglich waren (vgl. NK2, Sp. 1, Z. 35 bis Sp. 2, Z. 1 und Z. 18 bis 23). Die Kultivierung der im Beispiel 3 der NK5 genannten Bakterien verbindet der Fachmann daher ohne weiteres Nachdenken mit einer rein aeroben Kultivierung, wie sie auch im Streitpatent durchgeführt wird (vgl. EP 1 466 983 B1, S. 8, Abs. [0047]). Nach alledem kann auch das Merkmal c) die Neuheit für das Verfahren des Patentanspruchs 31 nach Hauptantrag gegenüber der Druckschrift NK5 nicht herstellen.
2.6 Das Verfahren des Patentanspruchs 31 in den gemäß Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 verteidigten Fassungen erweist sich mangels Neuheit ebenfalls als nicht patentfähig.
2.6.1 Der Patentanspruch 31 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 31 des Hauptantrags dadurch, dass die Kultivierung der Mikroorganismen aerob durchzuführen ist. Diese Maßnahme gilt für alle im Streitpatent genannten Mikroorganismen gleichermaßen. Wie bereits zuvor unter Punkt 2.5 ausgeführt, weiß der Fachmann aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnis, dass nicht nur Mikroorganismen wie Rhodotorula glutinis, Cryprococcus laurentii, Candida curvata oder Rhodosporidium dibovatum zu den aeroben Organismen zählen (vgl. gutachtlich NK2, Sp. 1, Z. 35 bis Sp. 2, Z. 1), sondern auch Bakterien wie Pseudomonas denitrificans. Nachdem diese Bakterienart im Beispiel 3 der Druckschrift NK5 zum Einsatz kommt, ist die weitere Ausgestaltung des patentgemäßen Verfahrens durch das Merkmal „areobe Kultivierung“ demzufolge nicht geeignet, die Neuheit des Verfahrens nach Patentanspruch 31 gemäß Hilfsantrag 1 zu begründen. Dieser Patentanspruch ist mangels Neuheit daher ebenfalls nicht gewährbar.
2.6.2 Der Patentanspruch 31 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich vom Patentanspruch 31 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass darin der letzte Verfahrensschritt auf die im Merkmal e2) genannte Vorgehensweise beschränkt wurde.
Allerdings lässt sich auch mit dieser Formulierung des Patentanspruchs 31 die Neuheit gegenüber der Druckschrift NK5 nicht herstellen. Denn im Verfahren der Druckschrift NK5 wird, entsprechend dem patentgemäßen Merkmal e2), die mit reduziertem Coenzym Q10 angereicherte Zwischenstufe zunächst einer Extraktion, danach einer Reinigung und zuletzt einer Oxidationsreaktion unterzogen, so dass das patentgemäße Merkmal e2) ebenfalls nicht geeignet ist, dem im Patentanspruch 31 gemäß Hilfsantrag 2 beschriebenen Verfahren zur Neuheit gegenüber dem Verfahren der Druckschrift NK5 zu verhelfen (vgl. NK5, Beispiele 1 und 3).
3. Die jeweils rückbezogenen Patentansprüche 32 bis 55 teilen das Schicksal des Patentanspruchs 31 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen, da die Beklagte diese jeweils als geschlossene Anspruchssätze versteht (vgl. BPatG GRUR 2009, 46 - Ionenaustauschverfahren). Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass in den nachgeordneten Patentansprüchen Merkmale enthalten seien, die eine Abgrenzung der patentgemäßen Lehre gegenüber dem Inhalt der Druckschrift NK5 ermöglichen würden.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Schramm Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Schell Dr. Münzberg Cl