VIa ZR 422/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 422/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:170924UVIAZR422.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 9. August 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, den Richter Liepin, die Richterin Dr. VogtBeheim und den Richter Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt vom 24. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu I in Höhe von 22.933,80 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Berufungsanträge zu II und zu III zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch. Er erwarb am 13. Januar 2012 von der Beklagten einen von ihr hergestellten Neuwagen BMW 325d, der mit einem Motor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse 5) ausgerüstet ist.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 22.933,80 € nebst Prozesszinsen und Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu I). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu II) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu III) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz mit Ausnahme der Deliktszinsen weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger könne seinen Schadensersatzanspruch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten, weil es sich bei diesen Bestimmungen nicht um Schutzgesetze handele, die den Schutz des hier maßgeblichen wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers, also des Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, bezweckten.
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger auf Grundlage seines Vorbringens ebenfalls nicht zu. Der Kläger habe für seine Behauptung, das in seinem Fahrzeug verbaute Aggregat enthalte eine unzulässige Abschaltlogik, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt. Auch bezüglich des Thermofensters habe der Kläger keinerlei Anhaltspunkte dargetan, die eine Beweisaufnahme rechtfertigten. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems sei nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) zugrunde liege. Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung wie im vorliegenden Fall fehle es an einem vergleichbaren arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre bei dieser Sachlage nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 - weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Greifbare Anhaltspunkte dafür seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des
§ 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang in Gestalt eines Thermofensters lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim Liepin Katzenstein Vorinstanzen: LG Darmstadt, Entscheidung vom 24.09.2020 - 29 O 1/18 OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 24.02.2022 - 12 U 274/20 - Verkündet am: 17. September 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle