VIa ZR 678/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 678/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:180625UVIAZR678.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 23. Mai 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende sowie die Richter Messing, Dr. F. Schmidt, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. April 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juni 2018 von einem Dritten einen gebrauchten Transporter T6 Multivan Highline 2,0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
Der Kläger hat die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stünden gemäß §§ 826, 31 BGB keine Schadensersatzansprüche wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu. Er habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB nicht hinreichend dargelegt. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass dem Kläger ein Schaden entstanden sei, weil das Risiko der Nichtbenutzbarkeit des Fahrzeugs nicht einmal abstrakt bestanden habe, jedenfalls aber zukünftig sehr gering sei. Hinsichtlich des Thermofensters und der behaupteten Fahrkurvenerkennung fehle es an hinreichendem Vortrag des Klägers, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verknüpft mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ergebe. Dabei sei nicht entscheidend, ob die vom Kläger behaupteten Funktionen des Thermofensters und der Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtungen zu werten seien. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontroll-systems sei nicht von vornherein durch Arglist geprägt, weswegen zur Annahme der Sittenwidrigkeit weitere Umstände hinzutreten müssten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen besonders verwerflich erscheinen ließen; daran fehle es auch dann, wenn der vom Kläger behaupteten Temperaturbereich als wahr unterstellt werde. Auch die zu unterstellende Verwendung einer Fahrkurvenerkennung sei nicht sittenwidrig, weil der Beklagten nicht vorgeworfen werden könne, sie hätte in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie mit dem Ziel der Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) gehandelt. Das KBA habe exakt das streitgegenständliche Aggregat nach eigenen Angaben einer umfassenden Prüfung unterzogen und dabei keine unzulässigen Abschalteinrichtungen gefunden.
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bestünden wegen des Fehlens der Schutzgesetzeigenschaft der genannten Vorschriften nicht.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB kann zwar nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden, weil keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung bestehe oder bestanden habe. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 f. mwN).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und die vom Kläger gerügten Funktionen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2025 - VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237,
Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Ostwaldt Messing Tausch F. Schmidt Vorinstanzen: LG München I, Entscheidung vom 02.07.2021 - 24 O 11476/20 OLG München, Entscheidung vom 13.04.2022 - 5 U 5151/21 - VIa ZR 678/22 Verkündet am: 18. Juni 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle