AK 2/19
BUNDESGERICHTSHOF AK 2/19 BESCHLUSS vom 20. Februar 2019 in dem Strafverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:200219BAK2.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Angeschuldigten und seines Verteidigers am 20. Februar 2019 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
Gründe: I.
Der Angeschuldigte wurde am 25. Juli 2018 festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2018 (ErmRi Gs 60/18) ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich als Jugendlicher mit Verantwortungsreife in zwei Fällen an der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Taliban" als Mitglied beteiligt, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord in elf tateinheitlichen Fällen, zum versuchten Mord in elf weiteren tateinheitlichen Fällen und zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 211 Abs. 1 und 2, § 308 Abs. 1 und 3, § 27 Abs. 1 StGB, §§ 1, 3 JGG).
Mit Beschluss vom 20. September 2018 (StB 42/18) hat der Senat die weitere Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2018, mit dem seine Beschwerde gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2018 verworfen worden ist, als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Angeschuldigten ist nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 14. November 2018 - 2 BvR 2334/18) worden.
Unter dem 30. November 2018 hat die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wegen der im Haftbefehl vorgeworfenen Taten Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Dieses hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich, § 122 Abs. 1 und 7, § 121 Abs. 1 und 4 StPO (Beschluss vom 14. Januar 2019, III-7 StS 4/18).
II.
Die Voraussetzungen der Anordnung der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
a) Die in Afghanistan operierenden Taliban haben sich - von radikalreligiösen Anschauungen geleitet - zum Ziel gesetzt, die aktuelle Regierung zu stürzen, alle ausländischen Streitkräfte vom Gebiet Afghanistans zu vertreiben und auf dem gesamten Staatsgebiet einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia als einziger Rechtsgrundlage zu errichten; dabei nehmen sie auch zivile Opfer in Kauf.
Die Vereinigung ist streng hierarchisch organisiert. An ihrer Spitze steht der uneingeschränkte politisch-religiöse Führer, der gleichzeitig auch militärischer Befehlshaber ist. Dabei handelte es sich zunächst um Mullah Mohammad Omar Mudjahed, der nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen entweder im Jahr 2013 oder 2015 starb. Sein Nachfolger Maulawi Akhtar Muhammad Mansur kam am 21. Mai 2016 bei einem amerikanischen Drohnenangriff im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan ums Leben. Aktueller Anführer der Organisation ist Maulawi Haibatallah Akhundzada, der von Sirajuddin Haqqani und Maulawi Muhammad Ya´qub (Sohn des ersten Führers Mullah Omar) vertreten wird.
In die Entschlussfassungen der Führung maßgeblich eingebunden ist ein Schura-Rat. Er besteht aus den - gegenwärtig etwa 22 - höchsten militärischen Kommandeuren und nichtmilitärischen Vertretern, von denen einzelne für verschiedene Aufgabenbereiche wie "Politik", "Militär", "Finanzen", "Angelegenheiten der Gefangenen" oder "Öffentlichkeitsarbeit" verantwortlich sind. Dem Schura-Rat sind zudem zehn Kommissionen angegliedert, in denen über spezielle Themen beraten wird.
Die Taliban verfügen über eine Vielzahl von Kämpfern auf der untersten Hierarchieebene, die teilweise von lokalen Paschtunen-Stämmen organisiert sind und als Kampfverbände handeln. Für die Planung und Durchführung der militärischen Operationen, die Rekrutierung von Mudschahedin in Afghanistan und die Ausbildung der Kämpfer in Trainingslagern ist die Kommission für militärische Angelegenheiten zuständig, der die Militärführer aller afghanischen Provinzen angehören.
Zur Umsetzung ihrer Ziele begehen die Taliban - räumlich auf das Staatsgebiet von Afghanistan beschränkt - Selbstmordattentate, Minen- und Bombenanschläge, Entführungen, Geiselnahmen und gezielte Tötungen. Angriffsziele sind sowohl die ausländischen "Invasoren", insbesondere die früheren ISAF-Kräfte, als auch die politischen und religiösen Führer des afghanischen Staates, die afghanische Armee sowie die Polizei. Bei den Aktionen der Taliban, die über moderne Waffen und Kommunikationsmittel verfügen, kommt es häufig auch zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, die von den Taliban zu Propagandazwecken genutzt werden.
Die Taliban finanzieren sich auf lokaler Ebene sowohl durch Spenden und Sachmittel der örtlichen Stammesstrukturen und religiösen Gemeinschaften als auch durch kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Schutzgelderpressungen und Entführungen. Auf überregionaler Ebene bildet neben Spenden aus dem In- und Ausland der Drogenhandel die Haupteinnahmequelle der Organisation.
b) Der Angeschuldigte schloss sich in der ersten Jahreshälfte 2014 den Taliban unter Eingliederung in deren Organisation an, nachdem unbekannte Personen in Afghanistan ihm erklärt hatten, es seien Ungläubige im Land, gegen die sie in den "Heiligen Krieg" ziehen müssten. Er begab sich freiwillig in ein Ausbildungscamp der Taliban und gliederte sich dort in das Leben der Organisation ein. Ihm war bewusst, dass er dadurch die Bestrebungen der Taliban förderte, und er wollte dies auch. Während seines sechsmonatigen Aufenthalts in dem Ausbildungscamp der Taliban wurde dem Angeschuldigten gezeigt, wie Bomben gebaut werden; gelernt hat er dies jedoch nicht. In dem Camp wurde über den "Heiligen Krieg" mit dem Ziel gesprochen, den Angeschuldigten und weitere Rekruten zu einer Teilnahme daran zu motivieren.
Am 2. Juli 2014 oder kurze Zeit davor erklärte sich der Angeschuldigte zur Mitwirkung an einem Anschlag bereit, nachdem er in dem Ausbildungscamp von unbekannten Mitgliedern der Taliban gefragt worden war, ob er und "zwei Jungs" in der Lage seien, einen Selbstmordanschlag zu begehen. Dem Angeschuldigten wurde daraufhin ein Koffer mit einer Sprengvorrichtung ausgehändigt, den er an eine unbekannte Person in Kabul überbrachte; dabei war ihm bekannt, dass sich eine Sprengvorrichtung in dem Koffer befand. Der unbekannte Empfänger näherte sich mit diesem Koffer einem Bus der afghanischen Luftstreitkräfte und zündete den Sprengsatz gegen 7:00 Uhr Ortszeit in der Nähe des afghanischen Landwirtschaftsministeriums im Stadtteil Khart-e Sakhi in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Durch die Explosion wurden acht Angehörige der afghanischen Luftstreitkräfte und drei zufällig anwesende Zivilpersonen getötet sowie elf Angehörige der Streitkräfte verletzt. Die Taliban bekannten sich im Anschluss zu dem Anschlag.
2. Der dringende Tatverdacht beruht im Hinblick auf die terroristische Vereinigung der Taliban auf den diesbezüglichen Auswerteberichten des Bundeskriminalamtes und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M. vom 19. März 2017. Ein Rechtfertigungsgrund für die Taten der Vereinigung liegt nicht vor (vgl. zur Rechtfertigung von Straftaten im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt Scheuß, ZStW 2018, 23 ff.).
Hinsichtlich der Mitgliedschaft des Angeschuldigten in der Vereinigung Taliban und seiner Beteiligungshandlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten aus seinen Angaben, die er im Rahmen einer Anhörung gemäß § 25 AsyIG bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 8. Mai 2017 in B. und in seiner Beschuldigtenvernehmung am 16. November 2017 gemacht hat. Darüber hinaus gründet der Tatverdacht auf den in der Anlage zur Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf angeführten Beweismitteln.
3. Danach hat sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Jugendlicher mit Verantwortungsreife (§§ 1, 3 JGG) in zwei tatmehrheitlichen Fällen als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord in elf tateinheitlichen Fällen, zum versuchten Mord in elf weiteren tateinheitlichen Fällen und zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 211 Abs. 1 und 2, § 308 Abs. 1 und 3, § 27 Abs. 1 StGB). Nach dem Stand der Ermittlungen ist mangels entgegenstehender Umstände davon auszugehen, dass der Angeschuldigte nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht seines Handelns einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. August 2018 - III-7 Ws 2/18).
Deutsches Strafrecht ist anwendbar (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung hinsichtlich der terroristischen Vereinigung Taliban liegt vor.
4. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 72 JGG). Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Jugendstrafe zu rechnen. Dem daraus resultierenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere verfügt der Angeschuldigte, der bis zu seiner Inhaftierung in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber untergebracht war, in Deutschland über keine persönlichen und sozialen Bindungen. In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass sich der Angeschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.
Zudem besteht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) daneben auf den Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) zu stützen ist. Eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder andere Maßnahmen (§ 72 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 4, § 71 JGG) sind nicht geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft in gleicher Weise zu erfüllen. Der Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 71 Abs. 2 JGG oder eine mit Auflagen nach § 116 StPO, § 2 Abs. 2 JGG verbundene Haftverschonung kommen nicht in Betracht. Diese Maßnahmen erfordern die Gewissheit, dass der Betroffene für sie zugänglich ist; davon kann im Hinblick auf den Angeschuldigten nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Heime der Jugendhilfe sind zudem nicht in gleicher Weise fluchtsicher wie Jugendhaftanstalten.
5. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 121 Abs. 1 StPO liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Nach Eingang eines medizinischen Sachverständigengutachtens am 15. Oktober 2018 hat die Generalstaatsanwaltschaft am 30. November 2018 Anklage zum 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf erhoben. Dessen Vorsitzender hat noch am selben Tag die Zustellung und Übersetzung der Anklage angeordnet, eine angemessene Stellungnahmefrist bis zum 21. Januar 2019 eingeräumt und angekündigt, dass nach deren Ablauf zeitnah über die Eröffnung entschieden werden soll.
Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren auch nach der Beschwerdeentscheidung des Senats weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
Schäfer Gericke Hoch