1 StR 92/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 92/24 BESCHLUSS vom 17. April 2024 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:170424B1STR92.24.1 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 17. April 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 20. November 2023 aufgehoben a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit er wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und mit Körperverletzung verurteilt worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten; b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung sowie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und mit Körperverletzung sowie wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat der Annahme niedriger Beweggründe weder den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt noch seine Wertungen ausreichend mit Tatsachen belegt.
1. a) Nach den Feststellungen trennte sich der Angeklagte im Juli 2022 von seiner Ehefrau M. , nachdem diese sich einem neuen Partner, dem Geschädigten K.
, zugewandt hatte. Wütend und verletzt zugleich zog der Angeklagte aus dem gemeinsam bewohnten, von ihm mühevoll mit großem Zeitaufwand renovierten Eigenheim aus. In den darauffolgenden Monaten bis hin zum Tattag verärgerte den Angeklagten zunehmend, dass seine Ehefrau mit dem gemeinsamen Sohn und ihrem neuen Partner nun in dem von ihm renovierten Haus lebte und zudem seit der Trennung das größere Auto, einen VW Caddy, für sich beanspruchte, wohingegen er sich mit dem kleinen Smart begnügen musste.
Äußerungen des Angeklagten über Tötungsgedanken betreffend den Geschädigten K.
gegenüber einem Arbeitskollegen führten Ende März 2023 zu einer Gefährderansprache durch die Polizei. In deren Rahmen wurden ihm „Handlungsalternativen in Bezug auf seine Probleme mit der Trennung“ (UA S. 35 f.) aufgezeigt.
Am 2. April 2023 überkamen den Angeklagten jedoch erneut und gesteigert Wut und Ärger, so dass er sich entschloss, dieser Situation nun ein Ende zu setzen und sowohl den VW Caddy, das Auto des Geschädigten K.
als auch das Haus in Brand zu setzen und zu zerstören. Er hatte „entschieden, dass für ihn das Ende der Welt gekommen war“ (UA S. 31). Weil ihn unüberwindlich ärgerte, dass seine Ehefrau mit dem Geschädigten K.
nun in „seinem Haus“ lebte und er dies beiden nicht gönnte, wollte er das Haus abbrennen und zerstören. Ob er selbst oder Dritte dabei körperlich zu Schaden oder sogar zu Tode kommen würden, war ihm gleichgültig.
Nachdem er zunächst die in der Tiefgarage unter dem Anwesen abgestellten Pkw seiner Ehefrau und des Geschädigten K.
mit Benzin und Brandbeschleuniger übergossen und entzündet hatte, brannten diese gänzlich aus. Der Angeklagte ging anschließend über den Garten zum Haus, schlug eine Fensterscheibe ein und schüttete Benzin in den Wohnraum. Nach seiner Vorstellung sollte das Reihenmittelhaus vollständig abbrennen. Die Anwesenheit seiner Ehefrau, des gemeinsamen Sohnes, des Geschädigten K.
und dessen Sohnes hielt er angesichts der in der Garage befindlichen Fahrzeuge jedenfalls für möglich. Auch die Gefahr, dass durch die Inbrandsetzung des Hauses die sich darin aufhaltenden Personen, die zwischenzeitlich alle zu dem Fenster geeilt waren, sterben könnten, war dem Angeklagten bewusst. Damit hatte er sich nach den Feststellungen ebenso wie mit seinem eigenen möglichen Tod abgefunden; die Folgen der Tat waren ihm „vollkommen egal“ (UA S. 33). Als er sich anschickte, sein Feuerzeug zu betätigen, hielt ihn der Geschädigte K.
von der Brandlegung ab. Nach mehreren Minuten des Kampfes an dem zerbrochenen Fenster verlor der Angeklagte die Kraft, gab zunächst jedoch nicht auf. Erst als etwa zehn Minuten später ein mittlerweile eingetroffener Polizeibeamter eingriff erkannte der Angeklagte, dass sein Vorhaben endgültig gescheitert war und ließ sich plötzlich zu Boden fallen.
Auf der Terrasse inmitten von Glasscherben liegend, ergriff der Angeklagte eine auf dem Boden liegende spitze Glasscherbe, um sich damit zu suizidieren. Dies wollte die Polizeibeamtin G. verhindern, beugte sich daher zu dem auf dem Boden liegenden Angeklagten und fixierte seine rechte Seite mit dem Knie. Der Angeklagte blickte der Polizeibeamtin daraufhin in die Augen und stach, um ein weiteres Eingreifen und eine Festnahme durch die Polizeibeamtin zu verhindern, mit dem spitzen Ende der Glasscherbe gezielt in Richtung ihres Brust- und Halsbereichs, wobei er tödliche Verletzungen billigend in Kauf nahm. Auch als schließlich Rettungskräfte eintrafen, wehrte sich der Angeklagte gegen eine medizinische Erstversorgung und konnte schließlich nur mit Mühe sediert werden.
b) Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe darin gesehen, dass der Angeklagte bei der Tat seinen Ärger und seine Missgunst über die Leben seiner Ehefrau M. und deren neuen Lebenspartner gesetzt habe und ihm auch das Schicksal der im Haus anwesenden Kinder egal gewesen sei. Aus dem Vorgehen des Angeklagten in der Tiefgarage, beim Versuch der Inbrandsetzung des Hauses und dem anschließenden Suizidversuch hat das Schwurgericht in Zusammenschau mit seinem zunehmenden Ärger geschlossen, dass für den Angeklagten im Tatzeitpunkt „das Ende der Welt“ gekommen sei und er daher ohne Rücksicht auf Dritte und sich selbst gehandelt habe (UA S. 36). In der Gesamtschau spreche der „Entschluss zur Tatausführung trotz aufgezeigter Handlungsalternativen und insbesondere die über das Leben unbeteiligter Dritter gestellte eigene Tatmotivation zur Überzeugung der Kammer insgesamt für die Annahme niedriger Beweggründe“ (UA S. 42).
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr; vgl. BGH, Urteile vom 14. Juni 2023 – 1 StR 399/22 Rn. 15; vom 30. März 2022 – 5 StR 358/21 Rn. 18; vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 Rn. 10; vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06 Rn. 9; vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 130 und vom 17. April 1991 – 2 StR 404/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20). Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18 Rn. 16; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 422/18 Rn. 20). Entbehrt indes das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren. Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 Rn. 10 mwN und Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 StR 150/19 Rn. 8 mwN). Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden (BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 1 StR 351/17 Rn. 10 mwN und Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 StR 150/19 Rn. 8 mwN).
Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06 Rn. 9; vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 130 und vom 17. April 1991 – 2 StR 404/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20). Die Beurteilung der Frage, welches Motiv handlungsleitend für die Tötung des Opfers war, setzt eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren voraus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127 und vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 131).
b) Diesen Anforderungen an eine vollständige Gesamtwürdigung wird das Landgericht nicht gerecht; es lässt für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht.
Das Schwurgericht hat die zugrunde gelegten Motive der Wut, der Bestrafung sowie der Rache wegen der Trennung und – vor allem – der Vermögensaufteilung weder hinreichend beweiswürdigend unterlegt noch widerspruchsfrei dargelegt. Die Gesamtwürdigung greift zu kurz, denn aus ihr wird nicht ersichtlich, weshalb die angenommenen Motive des Ärgers und der Wut ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen. Dies versteht sich angesichts der festgestellten Umstände nicht von selbst. Denn das Schwurgericht geht auch davon aus, der Angeklagte sei mit der Situation überfordert gewesen, was durch die Feststellung, der Tatzeitpunkt habe für ihn das „Ende der Welt“ bedeutet, belegt ist. Dazu fügen sich der anschließende Suizidversuch und das Nachtatverhalten des Angeklagten, welches das Schwurgericht – zutreffend – in seine Würdigung einbezieht. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Schwurgericht nicht mit der Erwägung begnügen dürfen, der Angeklagte habe „ohne Rücksicht auf Dritte und sich selbst gehandelt“ und seinen Ärger über das Leben unbeteiligter Dritter gestellt. Es hätte vielmehr erörtern und mit Tatsachen unterlegen müssen, aus welcher Motivation heraus dies geschah. Nur wenn das zugrundeliegende Motiv seinerseits als niedrig zu bewerten ist, liegen niedrige Beweggründe vor. Insoweit hat, obwohl sich nach den Feststellungen eine entsprechende Erörterung aufdrängte, das Schwurgericht nicht hinreichend erkennbar erwogen, ob für den Angeklagten weitere Tatmotive, die für sich genommen nicht auf sittlich niedrigster Stufe stehen, handlungsleitend waren.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und des an sich rechtsfehlerfrei getroffenen tateinheitlichen Schuldspruchs wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge (§§ 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB) und Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Soweit die Verurteilung wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge in der Variante des Versuchs der Erfolgsqualifikation konkrete Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich der Brandentwicklung und der zu erwartenden Folgen erfordert (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 4 StR 447/23 Rn. 14 mwN), vermag der Senat diese dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend zu entnehmen.
Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf, weil sie nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen. Die Feststellungen zum objektiven Geschehen, die von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Aufhebung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der hierfür ausgesprochenen Strafe, was die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich zieht.
Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Zur Fassung des Urteilstenors weist der Senat darauf hin, dass, auch wenn es sich bei einfach gelagerten Sachverhalten auch bei gleichartiger Tateinheit empfiehlt, dies im Urteilsspruch kenntlich zu machen, davon abgesehen werden kann, wenn – wie hier – der Tenor unübersichtlich würde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2023 – 3 StR 287/23 Rn. 8; vom 12. September 2023 – 5 StR 319/23 Rn. 2 und vom 10. März 2021 – 3 StR 13/21 Rn. 3, jew. mwN).
Jäger Fischer Bär Allgayer Vorinstanz: Landgericht Ulm, 20.11.2023 – 3 Ks 23 Js 7899/23 Munk