5 StR 388/25
BUNDESGERICHTSHOF StR 388/25 BESCHLUSS vom 2. Dezember 2025 in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2025:021225B5STR388.25.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Dezember 2025 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 10. Februar 2025 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „versuchten Mordes in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Herstellen eines Brandsatzes“ schuldig gesprochen und zu Jugendstrafen von sechs Jahren und sechs Monaten (Al.
) und sieben Jahren und sechs Monaten (A. M. ) sowie einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten (A. ) verurteilt. Die mit der Beanstandung formellen und materiellen Rechts begründeten Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat,
dringt die jeweils erhobene Rüge nach § 338 Nr. 6 StPO durch.
1. Nach den Feststellungen der Jugendkammer warfen die Angeklagten nach einem Streit mit einer Gruppe „Algerier“ am 12. Juni 2023 morgens um Uhr drei selbstgebastelte „Molotow-Cocktails“ in ein Reihen-Mehrfamilienhaus in C.
. Mehrere Bewohner erlitten Rauchvergiftungen, es entstand ein Sachschaden von etwa 150.000 Euro.
2. Die Angeklagten rügen in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind (§ 338 Nr. 6 StPO).
a) Folgender Sachverhalt liegt zu Grunde:
Am 31. Juli 2024, dem 8. Hauptverhandlungstag der an 26 Tagen durchgeführten Hauptverhandlung, betraten nachmittags fünf Zuschauer den Sitzungssaal. Einer davon war der Bruder des Angeklagten Al.
, A.
Al. . Dieser fertigte zwei Fotos mit seinem Mobiltelefon. Eine Wachtmeisterin wurde darauf aufmerksam und stellte ihn zur Rede. Er zeigte die Bilder (eines hatte er schon an die Frau des Bruders versandt) und löschte sie aufforderungsgemäß unverzüglich; seine Personalien wurden aufgenommen. Die Vorsitzende wurde am 1. August 2024 morgens per E-Mail über den Vorfall informiert.
Am 2. August 2024 erließ die Vorsitzende für die Fortsetzungstermine ab dem 9. August 2024 (fünf Tage waren bereits terminiert) „aufgrund der Vorkommnisse im Termin vom 31. Juli 2024“ unter Bezugnahme auf die E-Mail eine sitzungspolizeiliche Anordnung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung nach § 176 GVG, in der eine Einlasskontrolle angeordnet wurde, der sich alle Zuhörer (außer Rundfunk- und Pressevertreter) unterziehen sollten. Das Mitführen von Waffen und störungsgeeigneten Gegenständen wurde verboten, ein Abtasten der Kleider, Durchsicht der mitgeführten Behältnisse und die Zuhilfenahme eines Metalldetektors oder einer Metalldetektorschleuse angeordnet. Taschen und andere Behältnisse, Mobiltelefone, Computer und Fotoapparate sollten hinterlegt werden. Die Zuhörer sollten ihre Ausweispapiere an der Einlasskontrolle zur Fertigung von Ablichtungen an Wachtmeister aushändigen. Wer sich als Zuhörer nicht ausweisen könne oder sich weigere, beanstandete Gegenstände in Gewahrsam zu geben, erhalte keinen Zutritt. Weiter heißt es unter einer eigenen Ziffer: „Dem Zuhörer, der am 31.
Juli 2024 in der Hauptverhandlung Lichtbilder anfertigte und diese an eine dritte Person versandte (Herrn A.
Al. … [es folgen Adresse, Geburtsdatum und Nummer des Ausweispapiers]), ist der Zutritt zu versagen“. Begründet wurde diese Versagung nicht.
Aufgrund der sitzungspolizeilichen Anordnung wurde vor dem Sitzungssaal eine „Schleuse“ eingerichtet, die sitzungspolizeiliche Anordnung dort ausgehangen und von den Wachtmeistern umgesetzt. Am Fortsetzungstermin vom
29. November 2024 wollte A.
Al. an der öffentlichen Hauptverhandlung teilnehmen. Ihm wurde aber der Zutritt in Umsetzung der sitzungspolizeilichen Verfügung unter Hinweis auf seinen persönlichen Ausschluss verwehrt. Eine Kontaktaufnahme mit der Vorsitzenden erfolgte nicht, sie war für diesen Fall auch nicht vorgesehen. In dem Fortsetzungstermin äußerte sich unter anderem ein Angeklagter zur Sache und es wurden Videos in Augenschein genommen.
b) Damit liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO vor. Die begründungslose Anordnung, dem potentiellen Zuschauer A. Al. an allen Fortsetzungsterminen den Zutritt zu versagen, obwohl durch die Sicherheitsanordnung wirksame Vorkehrungen gegen das Fertigen von Lichtbildern durch das Publikum getroffen worden waren, verletzt § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG.
aa) Ein Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, das bei der Verhandlung der Jugendkammer gegen zwei Heranwachsende und einen Erwachsenen zu beachten war (vgl. § 109 JGG), liegt schon dann vor, wenn er hinsichtlich eines (potentiellen) Zuschauers gegeben ist (BGH, Urteile vom 13. April 1972 – 4 StR 71/72, BGHSt 24, 329; vom 13. Mai 1982 – 3 StR 142/82, NStZ 1982, 389). Dies gilt unabhängig davon, ob ein Zuschauer aus dem Sitzungssaal zu Unrecht entfernt oder ob ihm zu Unrecht der Zutritt zur Hauptverhandlung verwehrt wird. Prüfungsmaßstab der sitzungspolizeilichen Verfügung der Vorsitzenden ist, ob sie hierdurch ihr pflichtgemäßes Ermessen überschritten oder missbraucht (vgl. BGH, Urteile vom 10. April 1962 – 1 StR 22/62, BGHSt 17, 201; vom 17. Oktober 1973 – 3 StR 248/71) oder Rechtsbegriffe verkannt hat (BGH, Beschluss vom 27. August 2003 – 1 StR 324/03, NStZ 2004, 220).
bb) Die sitzungspolizeiliche Verfügung der Vorsitzenden lässt außer der Berufung auf § 176 GVG keinen Rechtsgrund für den Ausschluss des Zuschauers A.
Al. erkennen. Es erschließt sich nicht, weshalb dieser Ausschluss zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung (§ 176 Abs. 1 GVG)
erforderlich gewesen sein sollte, wenn gleichzeitig vor dem Sitzungssaal eine „Schleuse“ mit Metalldetektor zur wirksamen Kontrolle der Zuschauer hinsichtlich etwaiger Aufnahmegeräte eingerichtet wurde. Zwar hatte der Betroffene die Hauptverhandlung vom 31. Juli 2024 durch Bildaufnahmen gestört. Darauf angesprochen leistete er aber den Anweisungen ohne Weiteres Folge. Dass er angesichts dieses Verhaltens in Zukunft die Hauptverhandlung weiter stören würde,
lag daher nicht nahe. Es bleibt mangels Begründung unklar, ob die Vorsitzende den Ausschluss des potentiellen Zuschauers überhaupt auf diese Erwägung stützen wollte oder die Maßnahme lediglich der Ahndung ungebührlichen Verhaltens ohne Bezug auf künftige Störungen der Hauptverhandlung dienen sollte. Um Störungen der Hauptverhandlung durch Fotoaufnahmen zu verhindern (andere Störungen sind nicht ersichtlich), war die angeordnete Einlasskontrolle ausreichend. Eines weitergehenden Ausschlusses von Zuschauern bedurfte es zur Erreichung dieses Ziels nicht. Damit erweist sich die Anordnung der Vorsitzenden bezogen auf den Ausschluss des Zuschauers zumindest als Überschreitung des ihr bei Maßnahmen der Sitzungspolizei eingeräumten Ermessens.
3. Das Urteil obliegt damit – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – aufgrund des absoluten Revisionsgrunds eines Öffentlichkeitsverstoßes (§ 338 Nr. 6 StPO) der Aufhebung.
Cirener Mosbacher Köhler von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Chemnitz, 10.02.2025 - 2 KLs 253 Js 24259/23 jug