VI ZR 178/25
BUNDESGERICHTSHOF VI ZR 178/25 Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein BESCHLUSS vom 17. Juli 2025 in dem Rechtsstreit GVG § 21f Abs. 1; ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 1 a) Die Vorschrift des § 21f Abs. 1 GVG, wonach den Vorsitz in den Senaten des Bundesgerichtshofs der Präsident oder ein Vorsitzender Richter führt, gilt nur für die Senate, die als ständige Spruchkörper eingerichtet sind, nicht jedoch für nur vorübergehend gebildete Spruchkörper, zu denen auch die Hilfssenate gehören.
b) Die vom Präsidium des Bundesgerichtshofs getroffenen Entscheidungen über die Einrichtung und den Fortbestand des VIa. Zivilsenats ("Dieselsenats") halten der im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde analog § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorzunehmenden Willkürkontrolle stand.
BGH, Beschluss vom 17. Juli 2025 - VI ZR 178/25 - BGH ECLI:DE:BGH:2025:170725BVIZR178.25.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2025 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin Müller sowie die Richter Dr. Klein, Dr. Allgayer und Böhm beschlossen:
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 2024 wird zurückgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis 65.000 €.
Gründe: A.
Die Kläger machen gegen die Beklagte Ansprüche in einer "Diesel-Sache" (Verfahren, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben) geltend. Gegen die für sie nachteilige Entscheidung des Berufungsgerichts haben sie Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen hat. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer "Nichtigkeitsklage", mit der sie den Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geltend machen und die Wiederaufnahme des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beantragen.
B.
Es kann dahinstehen, ob die als "Nichtigkeitsklage" bezeichnete Nichtigkeitsbeschwerde zulässig ist (I.). Jedenfalls ist sie unbegründet (II.).
I.
Gegen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde bestehen erhebliche Bedenken.
1. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist allerdings analog § 578 Abs. 1 ZPO statthaft. Nach dieser Vorschrift kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Vorschriften über die Wiederaufnahme auf urteilsvertretende und verfahrensbeendende Beschlüsse analoge Anwendung finden (BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2011 - XI ZR 379/09, juris Rn. 5; vom 21. Oktober 1994 - V ZR 151/93, NJW 1995, 335 f., juris Rn. 9), mithin auch auf einen Beschluss, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen worden ist (vgl. BVerfG, NJW 1992, 1030, 1031, juris Rn. 6 mwN; BAG, NZA 2012, 1319 Rn. 3). An die Stelle der Klage tritt dann ein entsprechender Antrag, im Fall der Geltendmachung der Nichtigkeit nach § 579 ZPO auch als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnet.
Entsprechend der Entscheidungsform im Ausgangsverfahren ist über die Nichtigkeitsbeschwerde durch Beschluss zu entscheiden (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2024 - XII ZR 93/23, juris Rn. 5; vom 11. September 2017 - IX ZR 209/17, juris Rn. 1; vom 20. Dezember 2011 - XI ZR 379/09, juris Rn. 6; vom 21. Oktober 1994 - V ZR 151/93, NJW 1995, 335 f., juris Rn. 9; jeweils mwN; Spohnheimer in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl., § 578 Rn. 18; Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl., vor § 578 Rn. 14). Anderes ergibt sich nicht aus dem von den Klägern angeführten Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 25. November 1999 - I K 1/98. Soweit es dort heißt, dass ein Beschluss, durch den eine Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wurde, einem Revisionsurteil gleichsteht (juris Rn. 7), wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei dem Beschluss um eine urteilsvertretende Entscheidung handelt. Darüber, in welcher Entscheidungsform der Bundesfinanzhof über die "Nichtigkeitsklage" entschieden hätte, wäre er selbst zuständig gewesen, sagt die Entscheidung nichts aus.
2. Ob der Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde der Subsidiaritätsgrundsatz entgegensteht, kann dahinstehen. § 579 Abs. 2 ZPO, wonach in den Fällen des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Klage nicht stattfindet, wenn die Nichtigkeit mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnte, greift vom Wortlaut her nicht, da Rechtsmittel (im engeren Sinne) gegen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht stattfinden. Auch § 582 ZPO, wonach die Restitutionsklage nur zulässig ist, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen, erfasst vom Wortlaut her die Nichtigkeitsklage nicht. Ob, wie die Beklagte meint, darüber hinausgehend die Kläger unter Subsidiaritätsgesichtspunkten gehalten waren, die behauptete nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu rügen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (vgl. dazu einerseits BGH, Vorlagebeschluss vom 30. März 1993 - X ZR 51/92, juris Rn. 12; andererseits BGH, Beschluss vom 14. März 1994 - AnwZ (B) 27/93, BGHZ 125, 288, 290 f., juris Rn. 10).
3. Die Kläger dürften die einmonatige Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO nicht gewahrt haben, die gemäß § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit dem Tag beginnt, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils (hier: nicht vor Zustellung des Beschlusses über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde).
a) Kenntnis liegt vor, wenn die Partei oder deren Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) über alle den Anfechtungsgrund bildenden Tatsachen ein auf sicherer Grundlage beruhendes Wissen hat; Kennenmüssen genügt nicht. Dem positiven Wissen stehen allerdings die Tatsachen gleich, deren Kenntnisnahme sich die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter bewusst verschließt. Auf die zutreffende rechtliche Einordnung der Tatsachen, also die Erkenntnis, dass die bekanntgewordenen Tatsachen einen Wiederaufnahmegrund ergeben, kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 22. November 1994 - X ZR 51/92, NJW 1995, 332, 333, juris Rn. 18 mwN, 22).
Die Tatsachen, die ergeben, dass die Klage (bzw. Beschwerde) vor Ablauf der Notfrist erhoben ist, sind glaubhaft zu machen (§ 589 Abs. 2 ZPO).
b) Die Kläger stützen den vermeintlichen Anfechtungsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darauf, dass über die Nichtzulassungsbeschwerde der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, also ein Hilfssenat, entschieden hat, dessen Vorsitz nicht von einem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof ausgeübt wird, und dass nach den Statistiken (monatliche Übersichten über den Geschäftsgang bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs) auf den VIa. Zivilsenat seit 2023 bei weitem mehr unerledigte Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden entfallen als auf jeden anderen Zivilsenat beim Bundesgerichtshof.
Es erscheint kaum vorstellbar, dass einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt, der, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger, nicht nur ganz vereinzelt mit den sogenannten Dieselverfahren zu tun hat, entgangen sein kann, dass diese Verfahren seit einigen Jahren dem VIa. Zivilsenat, also einem Hilfssenat, zugeteilt sind, und dass den Vorsitz in diesem Senat eine Richterin am Bundesgerichtshof führt, die, wie bei Hilfsspruchkörpern nicht unüblich, nicht Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof ist. Aus den Entscheidungen des VIa. Zivilsenats ist dies ohne Weiteres ersichtlich. Auch der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtene Beschluss weist als an der Entscheidung Mitwirkende "Richterin am Bundesgerichtshof […] als Vorsitzende" aus. Ferner kann einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt nicht entgangen sein, dass die sogenannte "Dieselwelle", also zigtausende Schadensersatzklagen der Käufer von Dieselfahrzeugen, deren Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein sollen, die gesamte deutsche Ziviljustiz "überrollt" hat und dass ein erheblicher Teil dieser Welle vor Jahren auch den Bundesgerichtshof erreicht hat. Dass die Geschäftslast beim wegen der "Dieselwelle" eingerichteten Hilfssenat - auch im Verhältnis zu den anderen Zivilsenaten - sehr hoch ist, ist eine notwendige Folge. Die genaue Kenntnis der diesbezüglichen Statistiken, anhand derer der Geschäftsanfall auch im Verhältnis zu den anderen Zivilsenaten genau beziffert werden kann, und die Durchführung einer entsprechenden Prozentberechnung sind entgegen der Auffassung der Kläger für die Geltendmachung des vermeintlichen Anfechtungsgrundes des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht erforderlich. Kenntnis von den hier relevanten Tatsachen dürfte der Prozessbevollmächtigte der Kläger, der diese auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vertreten hat, damit nicht, wie von ihm behauptet, erst am 8. Mai 2025 erlangt haben. Vielmehr dürfte die Monatsfrist bereits mit Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2024 begonnen haben.
II.
Die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde kann indes offenbleiben. Denn diese ist jedenfalls unbegründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, weil der über die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger entscheidende VIa. Zivilsenat ordnungsgemäß besetzt war. Dem steht nicht entgegen, dass den Vorsitz in diesem Senat nicht ein Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof führt, da dies bei einem Hilfssenat nicht erforderlich ist. Dass dieser auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde fortbestand, hält entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsbeschwerde der hier vorzunehmenden Willkürkontrolle stand.
1. Gemäß § 139 Abs. 1 GVG entscheiden die Senate des Bundesgerichtshofs in der Besetzung von fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden. Den Vorsitz in den Senaten des Bundesgerichtshofs führt gemäß § 21f Abs. 1 GVG der Präsident oder ein Vorsitzender Richter. Die Nichtigkeitsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die Richterin, die den Vorsitz im VIa. Zivilsenat führt, nicht Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof ist. Über einen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof verfügt der VIa. Zivilsenat seit seiner Einrichtung am 21. Juli 2021 nicht. Dies ist allerdings unschädlich, weil es sich bei dem VIa. Zivilsenat um einen Hilfsspruchkörper handelt. Die Vorschrift des § 21f Abs. 1 GVG gilt nur für die Senate, die als ständige Spruchkörper eingerichtet sind, nicht jedoch für nur vorübergehend gebildete Spruchkörper, zu denen auch die Hilfssenate gehören (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 - 4 StR 398/85, BGHSt 33, 303 f., juris Rn. 3 f.; vom 7. Juni 1983 - 4 StR 9/83, BGHSt 31, 389, 392 ff., juris Rn. 9 ff. mwN; zur Vorgängerregelung des § 62 Abs. 1 Satz 1 GVG schon BGH, Urteil vom 11. November 1958 - 1 StR 532/58, BGHSt 12, 104,
ff.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29. April 2025 - 2 BvR 1440/23, juris Rn. 46 mwN).
2. Dass der VIa. Zivilsenat - ohne Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof - auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde fortbestand, hält entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsbeschwerde der hier vorzunehmenden Willkürkontrolle stand.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zählt die Einrichtung eines Hilfsspruchkörpers wegen vorübergehender Überlastung eines ständigen Spruchkörpers zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen des Präsidiums nach § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG (BGH, Urteile vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268 Rn. 10; vom 22. August 1985 - 4 StR 398/85, BGHSt 33, 303, juris Rn. 3; vom 7. Juni 1983 - 4 StR 9/83, BGHSt 31, 389, 391, juris Rn. 6; jeweils mwN; Beschlüsse vom 25. März 2015 - 5 StR 70/15, NStZ 2015, 658 Rn. 9; vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, NStZ 2014, 287 Rn. 8; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29. April 2025 - 2 BvR 1440/23, juris Rn. 46 mwN). Voraussetzung ist, dass sie wegen Überlastung eines ständigen Spruchkörpers "nötig" im Sinne dieser Vorschrift ist. Zudem darf die Überlastung nur eine vorübergehende sein und der Hilfsspruchkörper nur vorübergehend bestehen (vgl. BGH, Urteile vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268 Rn. 10; vom 8. Dezember 1999 - 3 StR 267/99, NJW 2000, 1580, 1581 juris Rn. 11; vom 22. August 1985 - 4 StR 398/85, BGHSt 33, 303 f., juris Rn. 4; vom 7. Juni 1983 - 4 StR 9/83, BGHSt 31, 389, 391, juris Rn. 6). Er darf nicht die Stelle eines ordentlichen Senats einnehmen und zu einer ständigen Einrichtung werden. Stellt sich heraus, dass entgegen den Erwartungen die Überlastung nicht eine nur vorübergehende ist, wird in der Regel der Hilfsspruchkörper nicht einfach weiter bestehen dürfen. Vielmehr muss dann - um der Gefahr der Gleichstellung der Hilfsspruchkörper mit den ständigen Spruchkörpern zu begegnen - nach einer anderen Lösung gesucht werden (BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 398/85 aaO).
b) Die Entscheidungen des Präsidiums eines Gerichts über die Geschäftsverteilung und damit auch über die Einrichtung und den Fortbestand eines Hilfsspruchkörpers sind nur eingeschränkt überprüfbar. Als Gremium der Selbstverwaltung des Gerichts muss das Präsidium die ihm übertragenen Entscheidungen flexibel und zeitnah treffen. Die Entscheidungen über die Geschäftsverteilung hängen wesentlich von der Bewertung zukünftiger Entwicklungen ab. Solche vorausschauenden Einschätzungen lassen ihrer Natur nach eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - 3 StR 267/99, NJW 2000, 1580, 1581 juris Rn. 11; Beschluss vom 21. April 2022 - StB 13/22, StV 2022, 799 Rn. 25).
aa) Mit Ausnahme der Frage, ob die Geschäftsverteilung generell-abstrakten Regelungen folgt, ist die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG durch das Gerichtspräsidium nur dann zu beanstanden, wenn es diese unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat und seine Entscheidung objektiv willkürlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - StB 13/22, StV 2022, 799 Rn. 25 mwN; BVerwG, NVwZ 2019, 82 Rn. 23). Dies entspricht dem Maßstab, den auch das Bundesverfassungsgericht für die Anwendung und Auslegung der § 21e Abs. 3 Satz 1, § 21f Abs. 1 GVG durch das Präsidium im Zusammenhang mit der Einrichtung und Besetzung des VIa. Zivilsenats angelegt hat (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2025 - 2 BvR 1440/23, juris Rn. 40, 44 mwN).
Ein Einschätzungsspielraum steht dem Präsidium insbesondere bei der Beurteilung zu, ob die Überlastung eines ständigen Spruchkörpers von Dauer oder lediglich vorübergehender Natur ist und ob ihr folglich mit der Bildung eines Hilfsspruchkörpers abgeholfen werden darf. Ein durchgreifender Rechtsmangel durch Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter liegt erst dann vor, wenn offen zutage liegt, dass die Mehrbelastung von Dauer und nicht bloß vorübergehend ist, und daher die Entscheidung über die Bildung oder den Fortbestand des Hilfsspruchkörpers als objektiv willkürlich erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - 3 StR 267/99, NJW 2000, 1580, 1581 juris Rn. 11; Beschluss vom 21. April 2022 - StB 13/22, StV 2022, 799 Rn. 31).
bb) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG erfüllt, stellt die Vorschrift das weitere Vorgehen in das pflichtgemäße Ermessen des Präsidiums. Neben dem Entschließungsermessen hat es ein Auswahlermessen dahin, welche konkreten Maßnahmen es ergreift. Die Entscheidung ist auf beiden Ebenen nur auf Ermessensfehler zu überprüfen, wobei dem Präsidium auch hier ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum einzuräumen ist. Dieser ist erst überschritten, wenn für das Vorgehen kein sachlicher Grund besteht und die Verteilung der Geschäfte maßgeblich durch sachfremde Erwägungen geprägt ist, also objektive Willkür vorliegt. Die Kontrolle hat sich nicht darauf zu erstrecken, ob sich die getroffene Regelung als die zweckmäßigste darstellt oder sich bessere Alternativen angeboten hätten (BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - StB 13/22, StV 2022, 799 Rn. 28 f. mwN).
cc) Dieser für das Revisionsverfahren entwickelte eingeschränkte Maßstab für die Überprüfung von Präsidiumsbeschlüssen über die Geschäftsverteilung einschließlich der Einrichtung und den Fortbestand eines Hilfsspruchkörpers gilt auch und erst recht dann, wenn im Rahmen der Nichtigkeitsklage oder -be- schwerde ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren mit der Begründung wieder aufgenommen werden soll, das Gericht sei nicht im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ordnungsgemäß besetzt gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1994 - X ZR 51/92, NJW 1995, 332, 335, juris Rn. 37; Beschluss vom 5. Mai 1994 - VGS 1-4/93, BGHZ 126, 63, 70 f., juris Rn. 21; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 579 Rn. 3 mwN).
c) Nach diesen Maßstäben sind die Entscheidungen des Präsidiums des Bundesgerichtshofs über die Einrichtung und den Fortbestand des VIa. Zivilsenats nicht zu beanstanden.
aa) Die Nichtigkeitsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass die Welle der sogenannten Dieselverfahren, die den Bundesgerichtshof ab dem Jahr 2019 erreichte, zu einer Überlastung des zunächst zuständigen VI. Zivilsenats und später des dann zuständigen VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs führte. Sie macht auch nicht geltend, dass die Einrichtung des VIa. Zivilsenats mit Präsidiumsbeschluss vom 21. Juli 2021 rechtswidrig oder gar willkürlich gewesen sei. Mit diesem Beschluss wurde mit Wirkung zum 1. August 2021 vorübergehend der VIa. Zivilsenat als Hilfsspruchkörper eingerichtet, dem für die ab diesem Zeitpunkt neu eingehenden Verfahren die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zugewiesen wurde. Die Beschwerde ist aber der Auffassung, seit dem 1. Januar 2024 habe - für das Präsidium offenkundig - angesichts des Geschäftsanfalls im VIa. Zivilsenat, der den Geschäftsanfall jedes anderen Zivilsenats erheblich übersteige, nicht mehr von einer nur vorübergehenden Belastung ausgegangen werden können. Spätestens zum 1. Januar 2024 sei die Schaffung einer Planstelle für einen Vorsitzenden Richter im VIa. Zivilsenat möglich und notwendig gewesen. Die Beibehaltung des Zustands des VIa. Zivilsenats
- also ohne planmäßigen Vorsitzenden - sei willkürlich gewesen. Der Zweck des § 21f GVG schließe es aus, das "Gros des Geschäftsanfalls eines Gerichts" über Jahre hinweg von einem Hilfssenat ohne Vorsitzenden erledigen zu lassen.
bb) Es trifft zu, dass - gemessen an den Eingangszahlen und der Zahl der noch anhängigen Verfahren - die Belastung des VIa. Zivilsenats, auch im Vergleich zu den anderen Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs, sehr hoch ist. Die Eingänge beim VIa. Zivilsenat beliefen sich im Jahr 2021 (August bis Dezember) auf 761, im Jahr 2022 auf 1732, im Jahr 2023 auf 1175 und im Jahr 2024 auf 657 Verfahren. Diese Zahlen zeigen allerdings auch, dass die Eingänge seit 2023 deutlich zurückgehen. Dieser Trend hat sich bislang auch im Jahr 2025 fortgesetzt (Januar: 44, Februar: 39, März: 24, April: 28, Mai: 19, Juni: 30; zusammen: 184) und korrespondiert mit der rückläufigen Entwicklung, die in den sogenannten Dieselverfahren bei den Land- und Oberlandesgerichten zu verzeichnen ist. Noch anhängig im VIa. Zivilsenat waren zum Ende des Jahres 2021 631, des Jahres 2022 1.598, des Jahres 2023 2.089 und des Jahres 2024 1.730 Verfahren. Der deutliche Rückgang der anhängigen Verfahren im Jahr 2024 setzt sich in diesem Jahr fort; im Juni 2025 waren noch 1.528 Verfahren anhängig.
cc) Selbst wenn zugunsten der Kläger unterstellt würde, dass für das Präsidium des Bundesgerichtshofs der dargestellte Geschäftsanfall bereits bei Einrichtung des Hilfssenats im Juli 2021 und/oder bei den Entscheidungen am jeweiligen Jahresende über den Fortbestand des Hilfssenats im Folgejahr vorhersehbar war, hält seine Einschätzung, dass es sich bei der Welle der sogenannten Dieselverfahren nicht um ein dauerhaftes, sondern um ein vorübergehendes Phänomen handelt, dem nach wie vor mit einem Hilfssenat als vorübergehendem Spruchkörper ohne Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof begegnet werden darf, der hier vorzunehmenden Willkürkontrolle stand.
(1) Wie lange ein Spruchkörper in der vom Präsidium vorzunehmenden Prognose noch als vorübergehender und ab wann er als ständiger Spruchkörper anzusehen ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Art der Überlastungssituation, die Grund für die Einrichtung des Spruchkörpers ist, und von den Aufgaben und Funktionen, die das Gericht, dem er angehört, in dieser Situation zu erfüllen hat. Deshalb sind die Anforderungen, insbesondere die zeitlichen Grenzen, die von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs für Hilfsspruchkörper bei den Strafgerichten der unteren Instanzen entwickelt worden sind (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 398/85. BGHSt 33, 303, 304, juris Rn. 4), auf die Einrichtung und den Fortbestand eines Hilfssenats in Zivilsachen beim Bundesgerichtshof nicht ohne Weiteres übertragbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. April 2025 - 2 BvR 1440/23, juris Rn. 48).
Grund für die Einrichtung und den Fortbestand des VIa. Zivilsenats waren und sind mit den sogenannten Dieselverfahren Massenverfahren, die es in diesem Ausmaß in der deutschen Ziviljustiz einschließlich des Bundesgerichtshofs zuvor nicht gegeben hat und die in der Strafjustiz in dieser Form nicht vorkommen. Aufgabe und Funktion der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs ist es, Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, das Recht fortzubilden und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO). Sie haben dementsprechend nicht nur richtungsweisende Leitsätze und Orientierungshilfen aufzustellen, sondern auch sicherzustellen, dass in den ihnen jeweils anvertrauten Rechtsmaterien höchstrichterlich eine möglichst einheitliche Linie verfolgt wird (vgl. BVerfG aaO Rn. 50). Auch in den Dieselverfahren gilt es mithin, die in diesem Bereich aufgeworfenen und von den Instanzgerichten teils unterschiedlich beantworteten Rechtsfragen einheitlich zu klären. Einem Hilfsspruchkörper, der diese Aufgabe und Funktion zur Entlastung eines ständigen Spruchkörpers erfüllen soll, muss hierfür mit Blick auf die schiere Masse dieser Verfahren ausreichend Zeit eingeräumt werden. Soweit und sobald die jeweils auftretenden Rechtsfragen geklärt sind, kann vermehrt (wenn auch keineswegs immer) mit Vergleichen zwischen den Parteien, der Rücknahme von Rechtsmitteln oder mit einer Verfahrensbeschleunigung durch Einverständnis der Parteien mit einem schriftlichen Verfahren gerechnet werden. Ferner darf erwartet werden, dass die jeweilige Klärung dazu führt, dass die unteren Instanzen die Revision hinsichtlich der geklärten Rechtsfragen nicht mehr zulassen. Ohnehin sind die Zahlen der Neueingänge sowie der erledigten und noch anhängigen Verfahren in Massenverfahren beim Bundesgerichtshof anders zu beurteilen als in individuellen Verfahren. Zwar sind bislang in den sogenannten Dieselverfahren immer wieder neue Sachverhaltsgestaltungen und daran anknüpfend neue Rechtsfragen aufgetreten. Es ist aber hier, anders als bei individuellen Verfahren, häufig möglich, die Verfahren nach Fallgruppen zu sortieren, eine Pilotentscheidung in einem Fall zu treffen und diese, soweit es nicht infolge der Pilotentscheidung ohnehin zur anderweitigen Erledigung (Vergleich, Rücknahme des Rechtsmittels) kommt, auf andere Fälle derselben Fallgruppe zu übertragen.
Trotz der hohen Anzahl der Verfahren ist daher nach wie vor die prognostische Beurteilung des Präsidiums nicht willkürlich, dass der VIa. Zivilsenat nur ein vorübergehender Spruchkörper zur Bewältigung einer vorübergehenden Überlastung durch die sogenannten Dieselverfahren ist, weil zu erwarten ist, dass jedenfalls ein Großteil der sich stellenden Rechtsfragen in einem überschaubaren Zeitraum höchstrichterlich geklärt sein wird.
(2) Auch das Ermessen des Präsidiums bei der Entscheidung entweder für die Einrichtung bzw. den Fortbestand des Hilfssenats oder für alternative Möglichkeiten kann nicht unabhängig von der Art der Überlastungssituation und den Funktionen und Aufgaben des Gerichts ausgeübt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. April 2025 - 2 BvR 1440/23, juris Rn. 50). Ermessensfehler, die auf objektive Willkür schließen lassen, sind nicht ersichtlich.
(aa) Die Alternative, die sogenannten Dieselverfahren bei einem ständigen Zivilsenat zusätzlich zu seinem "normalen" Geschäftsanfall zu belassen oder - nach kurzem Bestehen des Hilfssenats - auf ihn rückzuübertragen, hätte alsbald zur Überlastung des ständigen Senats geführt, wie dies in der Vergangenheit bei den vor Einrichtung des Hilfssenats mit den Dieselsachen befassten Senaten der Fall war. Dies wäre angesichts des für alle Gerichtszweige geltenden (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) Gebots wirksamen Rechtsschutzes, das auch den Aspekt eines Rechtsschutzes innerhalb angemessener Zeit umfasst, verfassungsrechtlich bedenklich gewesen (vgl. BVerfG aaO Rn. 48). Die Alternative, die Zuständigkeiten eines ständigen Zivilsenats vorübergehend auf andere ständige Zivilsenate zu übertragen, um so bei ersterem Kapazitäten für die Bearbeitung der Dieselverfahren zu schaffen, kann schon angesichts des vorübergehenden Charakters der Überlastung durch die sogenannten Dieselverfahren, von dem das Präsidium, wie ausgeführt, ohne Willkür ausgehen durfte, nicht als sinnvoll, geschweige denn als zwingend angesehen werden. Die Alternative, die sogenannten Dieselverfahren auf mehrere oder alle ständigen Senate zusätzlich zu ihrem normalen Geschäftsanfall zu verteilen, hätte die Aufgabe des Bundesgerichtshofs erschwert, sicherzustellen, dass höchstrichterlich eine möglichst einheitliche Linie verfolgt wird (vgl. BVerfG aaO Rn. 50). Dass das Präsidium sich für eine dieser Alternativen hätte entscheiden müssen, macht die Nichtigkeitsbeschwerde auch nicht geltend.
(bb) Entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsbeschwerde hätte der Vorsitz im "Diesel-Senat" nicht inzwischen einem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof übertragen werden müssen.
Der erste Weg, dies zu bewerkstelligen, wäre es gewesen, dass der Vorsitzende Richter eines ständigen Spruchkörpers auch den Vorsitz in dem VIa. Zi- vilsenat übernimmt. Diese Möglichkeit dürfte angesichts der Masse der Verfahren, die der Vorsitzende dann zusätzlich zu dem Geschäftsanfall seines ständigen Senats zu betreuen hätte, praktisch ausscheiden und würde den mit der Bildung des Hilfssenats bezweckten Entlastungseffekt wieder zunichte machen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1983 - 4 StR 9/83, BGHSt 31, 389, 395, juris Rn. 13).
Es ist ferner nicht willkürlich, dass nicht der von der Nichtigkeitsbeschwerde als Lösung vorgeschlagene zweite Weg beschritten wurde, eine zusätzliche Planstelle für einen Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof schaffen zu lassen und diese dem VIa. Zivilsenat zuzuteilen. Das ergibt sich schon daraus, dass - wie oben unter 1. ausgeführt - in Hilfsspruchkörpern aufgrund ihres vorübergehenden Charakters der Vorsitz nicht von einem Vorsitzenden Richter geführt werden muss und die Auffassung des Präsidiums, dass es sich bei dem VIa. Zivilsenat um einen vorübergehenden Spruchkörper zur Bewältigung einer vorübergehenden Überlastung durch die sogenannten Dieselverfahren handelt, frei von Willkür ist (s.o. 2. c) cc) (1)). Auch der Haushaltsgesetzgeber, dem die Schaffung der neuen Planstelle eines Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof oblegen hätte, hätte sich dieser Sichtweise ohne Willkür anschließen dürfen. Zudem wäre der VIa. Zivilsenat, würde ihm die neu geschaffene Planstelle eines Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof zugeteilt, im Ergebnis kein Hilfssenat mehr, sondern ein zusätzlicher ständiger Senat, mithin der XIV. Zivilsenat. Abgesehen davon, dass die Bestimmung der Zahl der beim Bundesgerichtshof gebildeten (ständigen) Zivilsenate nicht dem Präsidium im Rahmen der gerichtlichen Selbstverwaltung, sondern gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 GVG dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz obliegt, hätte gegen die Einrichtung eines XIV. Zivilsenats zur Bewältigung der "Dieselwelle" ebenfalls deren willkürfrei als vorübergehend eingeschätzter Charakter gesprochen.
(3) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsbeschwerde schließlich nicht aus dem Ziel des § 21f GVG, die Führung der Senate Richtern anzuvertrauen, die vermöge ihrer besonderen Auswahl die Güte und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch den Senat, dem sie vorsitzen, in besonderem Maße gewährleisten (BGH, Urteil vom 12. März 2015 - VII ZR 173/13, NJW 2015, 1685 Rn. 34 mwN). Die Auswahl der beiden Richterinnen am Bundesgerichtshof, die nacheinander den Vorsitz im VIa. Zivilsenat übernommen haben, hat zwar das Präsidium im Rahmen der Geschäftsverteilung und nicht - wie vor der Ernennung eines Richters am Bundesgerichtshof zum Vorsitzenden Richter - der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz in einem Beförderungsverfahren vorgenommen. Bei Hilfsspruchkörpern wird dies aber im Hinblick auf deren vorübergehenden Charakter hingenommen (s.o. 1.). Dies ist aus den genannten Gründen auch unter Berücksichtigung des hohen Geschäftsanfalls beim VIa. Zivilsenat nicht willkürlich.
Seiters Allgayer Müller Böhm Klein Vorinstanz: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2024 - VIa ZR 382/24 -