10 Ni 21/11
BUNDESPATENTGERICHT Ni 21/11 (Aktenzeichen)
…
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
4. Juli 2013 …
In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05 betreffend das deutsche Patent 44 31 505 hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2013 unter Mitwirkung der Richterin Püschel als Vorsitzende sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt,
Dipl.-Ing. Küest,
Dr.-Ing. Dorfschmidt und Prof. Dr. Dr. Ensthaler für Recht erkannt:
I. Das deutsche Patent 44 31 505 wird dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält:
„Gleisbaumaschine zur Durchführung von Gleisarbeiten, mit einem endseitig auf Schienenfahrwerken (3) abgestützten, einen nach oben gekröpften Abschnitt (11) aufweisenden Maschinenrahmen (2) und einer mit dem Maschinenrahmen (2) verbundenen, mit einem über einen Antrieb (24) der Höhe nach sowie in Maschinenquer- und -längsrichtung verstellbaren Lastaufnahmemittel (26) ausgestatteten Hubvorrichtung (22), gekennzeichnet durch eine unterhalb des Abschnittes (11) angeordnete, aus zwei in Maschinenquerrichtung voneinander distanzierten Teilen (17, 18) gebildete, einen Arbeitsbereich (14) für Arbeitskräfte zu deren Absicherung seitlich begrenzende, in Maschinenlängsrichtung verlaufende Abgrenzung (16) und durch einen unterhalb des gekröpften Abschnittes (11) befindlichen und zu dem begrenzten Arbeitsbereich (14) führenden Ein- bzw. Ausstieg (13) einer Fahr- bzw. Arbeitskabine (12) und dadurch, dass die Teile (17, 18) der Abgrenzung (16) in einem unterhalb eines Lichtraumprofiles (20) des Gleises (4) gelegenen, maximalen Abstand voneinander distanziert und zur Begrenzung des unterhalb des Abschnittes (11) positionierten Arbeitsbereiches (14) mit ihrem einen Ende im Bereich des Ein- bzw. Ausstiegs (13) der Fahr- bzw. Arbeitskabine (12) angeordnet sind und sich bis zum vorderen Schienenfahrwerk (3) erstrecken, und dadurch, dass der Zu- bzw. Abgang von Arbeitskräften zum bzw. vom Arbeitsbereich (14) ausschließlich über den Einbzw. Ausstieg (13) möglich ist, und dadurch, dass die Teile (17,18) der Abgrenzung (16) jeweils aus einem um eine in Maschinenlängsrichtung verlaufende Achse zur Seite hin verschwenkbar am Maschinenrahmen (2) befestigten Geländer (19) od. dgl. gebildet sind.“,
die Patentansprüche 2 und 3 entfallen und sich die Patentansprüche 4 bis 10 auf den geänderten Patentanspruch 1 rückbeziehen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. September 1994 angemeldeten deutschen Patents 44 31 505 (Streitpatent). Das Streitpatent betrifft eine Gleisbaumaschine zur Durchführung von Gleisarbeiten und umfasst in der erteilten Fassung 10 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind. Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
„Gleisbaumaschine zur Durchführung von Gleisarbeiten, mit einem endseitig auf Schienenfahrwerken (3; 43) abgestützten, einen nach oben gekröpften Abschnitt (11; 44) aufweisenden Maschinenrahmen (2; 42) und einer mit dem Maschinenrahmen (2; 42) verbundenen, mit einem über einen Antrieb (24; 53) der Höhe nach sowie in Maschinenquer- und -längsrichtung verstellbaren Lastaufnahmemittel (26; 52) ausgestatteten Hubvorrichtung (22; 50), gekennzeichnet durch eine unterhalb des Abschnittes (11; 44) angeordnete, aus zwei in Maschinenquerrichtung voneinander distanzierten Teilen (17, 18) gebildete, in Maschinenlängsrichtung verlaufende Abgrenzung (16; 48) und einem unterhalb des gekröpften Abschnittes (11; 44) befindlichen Ein- bzw. Ausstieg (13; 46) einer Fahrbzw. Arbeitskabine (12; 45).“
Wegen des Wortlauts der weiter angegriffenen, und unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift DE 44 31 505 B4 Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Letzteres gelte auch für die mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 verteidigte Fassung des Streitpatents.
Die Klägerin beruft sich als Stand der Technik in erster Linie auf zwei offenkundige Vorbenutzungen, nämlich zum einen auf die SUM-Q (eine Schnellumbaumaschine des Typs Q/ATW), eine von der Beklagten gebaute und seit 1987 in Deutschland eingesetzte Gleisbaumaschine zum Schienen- und Schwellenwechseln. Hierzu legt sie die Anlagen K4 bis K17 vor: Fotografien (K4 bis K11, K15), das Protokoll einer Probefahrt (K12), die Laufbescheinigung (K13), einen Einsatzplan aus dem Jahr 1987 (K16) sowie Zeitungsartikel K14, K17). Darüber hinaus stellt sie ihre Behauptung unter Zeugenbeweis.
Zum anderen beruft sie sich auf den Gleisumbauzug UH (Umbauverfahren Hochleistung), eine von einer Tochtergesellschaft der Beklagten gebaute und seit 1989 im Einsatz befindliche Gleisbaumaschine, u. a. mit einem Schwellenaufnehmer/-leger (SWAL) und einem Antriebswagen (ATW). Hierzu legt sie Fotografien und andere Unterlagen in den Anlagen K18 bis K23 vor sowie K24 Auszug aus Marx, u. a., Arbeitsverfahren für die Instandhaltung des Oberbaues, DB-Fachbuch, Band 8/13, 3. Aufl., 1991, Seiten 66 bis 73.
Ferner beruft sie sich auf folgenden druckschriftlichen Stand der Technik:
D1: EP 0 348 585 A1 D2: DE 34 24 682 A1 D3: DE 43 03 680 A1 D4: US 4 272 664 A. K24a Seiten 52/53 der Anlage K24.
Darüber hinaus macht die Klägerin geltend, dass der mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 verteidigten Fassung des Streitpatents bereits die Zulässigkeit fehle, weil die Merkmale 3c, 4b und 4d nicht ursprungsoffenbart seien. Zudem erhebt sie insoweit die Verspätungsrüge nach § 83 Abs. 4 PatG, da insbesondere das Merkmal 4d, das gegenüber dem mit Schriftsatz vom 26. April 2013 vorgelegten Hilfsantrag neu eingefügt sei, nicht bloß eine Klarstellung beinhalte, sondern evtl. weitere Recherchen zum Stand der Technik erforderlich mache.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 44 31 505 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in seiner verteidigten Fassung richtet, nämlich in der Fassung des Anspruchs 1 gemäß Schriftsatz vom 2. Juli 2013, auf den sich die Patentansprüche 4 bis 10 rückbeziehen.
Patentanspruch 1 in dieser Fassung entspricht der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung, wobei lediglich in der drittletzten Zeile eine sprachliche Unrichtigkeit korrigiert wurde: statt „im“ Maschinenlängsrichtung“ heißt es korrekt „in Maschinenlängsrichtung“.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in der mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 verteidigten Fassung, mit der ein neuer beschränkter Patentanspruch 1 anstelle der erteilten Patentansprüche 1 bis 3 tritt, für patentfähig. Die Vorbenutzungen SUM-Q bzw. UH/SWAL würden als solche aber nicht bestritten. Auch der Verspätungsrüge tritt die Beklagte entgegen, denn es handle sich bei den gegenüber dem bisherigen Hilfsantrag neu eingefügten Merkmalen um keine inhaltlichen Änderungen, sondern um Klarstellungen.
Der Senat hat den Parteien mit Schreiben vom 28. Februar 2013 einen frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG gegeben und zu der dortigen vorläufigen Einschätzung der Rechtslage eine Äußerungsfrist bis zum 30. April 2013 sowie eine Frist für eventuelle Gegenäußerungen bis zum 7. Juni 2013 gesetzt. Innerhalb der Frist hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. April 2013 einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag vorgelegt, auf den die Klägerin fristgerecht mit Schriftsatz vom 6. Juni 2013 erwidert hat. Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 hat die Beklagte einen neuen eingeschränkten Hauptanspruch 1 vorgelegt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze der Parteien mit sämtlichen Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig, sie hat aber nur teilweise Erfolg.
Soweit die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt hat, war dieses ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Patentinhaberin im Nichtigkeitsverfahren das Streitpatent im Umfang des Angriffs auch ausschließlich beschränkt verteidigen mit der Folge, dass das insoweit nicht mehr verteidigte Patent ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären ist, da eine sachliche Überprüfung nur im Rahmen der von den Streitparteien gesetzten Grenzen zu erfolgen hat (BGH GRUR 2005, 145, 146 - elektronisches Modul; BPatG GRUR 2009, 46, 49 - Ionenaustauschverfahren).
Das Streitpatent erweist sich jedoch in der von der Beklagten zuletzt verteidigten Fassung gemäß Schriftsatz vom 2. Juli 2013 als bestandsfähig, weshalb die Klage insoweit abzuweisen war. Hierbei hat der Senat die verkündete Urteilsformel wegen einer offenbaren Unrichtigkeit (§ 319 ZPO bzw. § 95 PatG) dahin berichtigt, dass die Ziffer I. um den Ausspruch ergänzt ist, dass die Patentansprüche 2 und 3 entfallen. Denn der neue Patentanspruch 1 tritt an die Stelle der erteilten Patentansprüche 1 bis 3.
I.
1. Das Streitpatent betrifft nach seiner Beschreibung in der Streitpatentschrift eine Gleisbaumaschine zur Durchführung von Gleisbauarbeiten nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 (Abs. [0001]).
Eine derartige, zum Auswechseln von Schwellen ausgebildete Gleisbaumaschine ist zufolge der Patentbeschreibung (Abs. [0002]) aus der US-Patentschrift 5,193,461 bekannt. Sie weise einen auf Schienenfahrwerken verfahrbaren Maschinenrahmen mit einem nach oben gekröpften Abschnitt auf. Unterhalb dieses einen Arbeitsbereich bildenden Abschnittes seien die Arbeitsaggregate untergebracht, die aus einer Schwellenwechselvorrichtung und einem Stopfaggregat bestünden. Der Zu- bzw. Abtransport von Alt- und Neuschwellen zum und vom Arbeitsbereich erfolge über einen Kran mit einem höhenverstellbaren Ausleger, wobei der Kran über in Maschinenlängsrichtung verlaufende, oberhalb des Maschinenrahmens angeordnete Schienen zwischen dem Arbeitsbereich und einem Schwellenladewagen verfahrbar sei. Der Maschinenrahmen weise in seinem den Arbeitsbereich überbrückenden, gekröpften Abschnitt eine Öffnung auf, die das Hindurchführen der Schwellen mittels des Kranauslegers ermögliche. Bei dieser Ausgestaltung sei nicht sichergestellt, dass die Bedienungsperson in einem völlig geschützten Raum arbeiten könne, den sie nicht aus irgendeinem Grund verlassen müsse.
Ferner bezieht sich die Beschreibung des Streitpatents (Abs. [0003]) auf die USPatentschrift 4,272,664. Daraus sei weiterhin eine Gleisbaumaschine bekannt, die als fahrbare Abbrennstumpfschweißmaschine ausgebildet sei. Sie weise einen an beiden Enden auf Schienenfahrwerken gelagerten Maschinenrahmen auf. Dieser sei in seinem Mittelbereich mit einem nach oben gekröpften Abschnitt versehen und trage einen geschlossenen Wagenkastenaufbau mit jeweils endseitig angeordneten Fahrkabinen. Der gekröpfte Abschnitt bilde den eigentlichen Arbeitsraum der Maschine und sei von einer der Fahrkabinen aus über einen Ein- bzw. Ausstieg zugänglich. Den Boden dieses Arbeitsraumes bilde eine über Antriebe hö- henverstellbare Arbeitsbühne, die sich in Form eines Laufsteges zwischen den Schienen in Maschinenlängsrichtung erstrecke. Ein Schweißaggregat und eine Schienentrennschleifmaschine seien im Bereich des Arbeitsraumes pendelnd am Maschinenrahmen aufgehängt und - ebenso wie eine am Maschinenrahmen angelenkte Abschervorrichtung - im Einsatz über Antriebe auf die Schienen absenkbar. Um die zu diesem Zweck erforderliche freie Zugänglichkeit der Schienen von oben her zu gewährleisten, sei der Steg, auf dem sich die Bedienungsperson während des Arbeitseinsatzes aufhalte, bezüglich seiner Breite nur relativ schmal ausgebildet.
Die AT 388 001 B wiederum beschreibe eine Anlage zum Ein- und Ausbau von Gleisjochen in Form eines Plateauladewagens mit einem langgestreckten und auf Schienenfahrwerken sowie wahlweise auch auf Raupenfahrwerken verfahrbaren Maschinenrahmen. Die Ladefläche des Plateauwagens sei als Montageplatz für den Zusammenbau bzw. das Zerlegen von Gleisjochen ausgebildet, wobei ein über Führungen längs des Maschinenrahmens verfahrbarer Kran für den Schwellen- und Schienentransport während der Montage diene. Die Schwellen seien auf dem Plateauwagen selbst vorgelagert, während die Schienen auf einem angekuppelten Ladewagen abgelegt seien und von dort mittels des Kranes herangebracht würden (Absatz [0004]).
2. Das Streitpatent stellt sich vor diesem Hintergrund die Aufgabe, eine Gleisbaumaschine der gattungsgemäßen Art zu schaffen, die mit konstruktiv einfachsten Mitteln eine Erhöhung der Sicherheit der Arbeitskräfte für die Durchführung verschiedenster Gleisbauarbeiten ermöglicht (Abs. [0005]).
3. Zur Lösung dieser Aufgabe wird in dem von der Beklagten verteidigten Patentanspruch 1 in der Fassung des Schriftsatzes vom 2. Juli 2013 eine Gleisbaumaschine mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen (entsprechend der Merkmalsgliederung der Klägerin in K30 zur erteilten Fassung, die die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 2. Juli 2013 für den neuen Patentanspruch 1 fortgeführt hat, wobei aber jegliche Bezugszeichen hinsichtlich der Figur 5 gestrichen sind):
1. Die Gleisbaumaschine zur Durchführung von Gleisarbeiten weist einen endseitig auf Schienenfahrwerken (3) abgestützten Maschinenrahmen (2) auf.
1.a Der Maschinenrahmen (2) weist einen nach oben gekröpften Abschnitt (11) auf.
2. Die Gleisbaumaschine weist eine mit dem Maschinenrahmen (2) verbundene Hubvorrichtung (22) auf.
2.a Die Hubvorrichtung (22) ist mit einem über einen Antrieb (24) der Höhe nach sowie in Maschinenquer- und -längsrichtung verstellbaren Lastaufnahmemittel (26) ausgestattet.
- Oberbegriff -
3. Die Gleisbaumaschine weist eine unterhalb des Abschnittes (11) angeordnete Abgrenzung (16) auf.
3.a Die Abgrenzung (16) verläuft in Maschinenlängsrichtung.
3.b Die Abgrenzung (16) ist aus zwei in Maschinenquerrichtung voneinander distanzierten Teilen (17, 18) gebildet.
3.c Die Abgrenzung (16) begrenzt seitlich einen Arbeitsbereich (14) für Arbeitskräfte zu deren Absicherung.
3.d Die Teile (17, 18) der Abgrenzung (16) sind jeweils aus einem um eine in Maschinenlängsrichtung verlaufende Achse zur Seite hin verschwenkbar am Maschinenrahmen (2) befestigten Geländer 819) od. dgl. gebildet.
4. Die Gleisbaumaschine weist einen unterhalb des gekröpften Abschnittes (11) befindlichen Ein- bzw. Ausstieg (13) einer Fahr- bzw. Arbeitskabine (12) auf.
4.a Der Ein- bzw. Ausstieg (13) führt zu dem begrenzten Arbeitsbereich (14).
4.b Der Zu- bzw. Abgang von Arbeitskräften zum bzw. vom Arbeitsbereich (14) ist ausschließlich über den Ein- bzw. Ausstieg (13) möglich.
4.c Die Teile (17, 18) der Abgrenzung (16) sind in einem innerhalb eines Lichtraumprofiles (20) des Gleises (4) gelegenen, maximalen Abstand voneinander distanziert und zur Begrenzung des unterhalb des Abschnittes (11) positionierten Arbeitsbereiches (14) mit ihrem einen Ende im Bereich des Ein- bzw. Ausstiegs (13) der Fahr- bzw. Arbeitskabine (12) angeordnet.
4.d Die Teile (17, 18) erstrecken sich bis zum vorderen Schienenfahrwerk (3).
- Kennzeichen -
4. Als zuständiger Durchschnittsfachmann ist ein mit der Entwicklung und Konstruktion von Gleisbaumaschinen befasster Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen.
II.
1. Der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, mit dem sie das Streitpatent in der aus dem Schriftsatz vom 2. Juli 2013 ersichtlichen Fassung beschränkt verteidigte, war trotz entsprechender Rüge seitens der Klägerin nicht gemäß § 83 Abs. 4 PatG als verspätet zurückzuweisen.
Zwar fällt die Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents ausdrücklich unter die Präklusionsvorschrift des § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG, wenn sie wie hier von der Beklagten erst nach Ablauf der nach § 83 Abs. 2 Satz 1 PatG gesetzten Frist vorgebracht wird. Eine Zurückweisung als verspätet kommt jedoch hier nicht in Betracht, da der geänderte Antrag der Beklagten ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden konnte.
Nach § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG kann neues Vorbringen dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn aufgrund dieses Vorbringens der bereits anberaumte Termin vertagt werden müsste, die betroffene Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt hat und über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist. Die in § 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG genannte Voraussetzung, dass die Berücksichtigung des neuen Vortrags eine Vertagung des Termins erforderlich machen würde, ist weiter als die der Verfahrensverzögerung im Sinne von § 296 ZPO, schließt diese aber mit ein. Eine Zurückweisung als verspätet kommt daher auch dann in Betracht, wenn die Verteidigung des Beklagten mit einem geänderten Patent tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand zu klären sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich verspätete Vorbringen dagegen noch ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor (BPatG, Urteil vom 15. November 2011 - 3 Ni 27/10 (EP)).
So liegt der Fall hier. Die erstmals mit Schriftsatz vom 2. Juli 2013 verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 unterscheidet sich von der mit Schriftsatz vom 26. April 2013 fristgerecht eingereichten Fassung gemäß Hilfsantrag, auf den die Klägerin fristgerecht erwidert hat, nur durch Folgendes:
- Das Merkmal 3d ist ergänzt (Ergänzung unterstrichen): Die Teile (17, 18) der Abgrenzung (16) sind jeweils aus einem um eine in Maschinenlängsrichtung verlaufende Achse zur Seite hin verschwenkbar am Maschinenrahmen (2) befestigten Geländer (19) od. dgl. gebildet;
- Das Merkmal 4d ist neu hinzugekommen: Die Teile (17, 18) erstrecken sich bis zum vorderen Schienenfahrwerk (3).
Die Verschwenkbarkeit um die Maschinenlängsrichtung ist implizit schon in dem vormaligen Merkmal 3d enthalten gewesen. Zwar sind theoretisch auch andere Möglichkeiten der Verschwenkungsrichtung des Geländers denkbar; die in dem geltenden Merkmal 3d getroffene Konkretisierung auf die Maschinenlängsrichtung als Bezugsachse kann jedoch für die Klägerseite keine überraschende sein, da sie als nächstliegende und auch im Ausführungsbeispiel der Streitpatentschrift dargestellte Variante einer Verschwenkungsmöglichkeit im hier vorliegenden Anwendungsfall für den Fachmann auf der Hand liegt.
Das Merkmal 4d ist vornehmlich nur eine weitere konkretisierende Ausgestaltung zu der in Merkmal 4b genannten Wirkung, wonach der Zu- bzw. Abgang zum bzw. vom Arbeitsbereich (14) ausschließlich über den Ein- und Ausstieg (13) möglich ist. Beide Merkmale bringen daher keinen wirklich neuen oder überraschenden Aspekt gegenüber dem bisherigen Hilfsantrag. Angesichts dieser geringfügigen Änderungen der schon im Verfahren befindlichen Anspruchsfassung ist es der Klägerin zumutbar gewesen, sich in der wenn auch kurzen Zeitspanne von knapp zwei Tagen bis zur mündlichen Verhandlung hierauf einzulassen, was sie in der mündlichen Verhandlung auch getan hat.
2. Die von der Beklagten verteidigte Fassung des Patentanspruchs 1 ist zulässig.
Insbesondere weist Patentanspruch 1 in dieser Fassung keine unzulässigen Erweiterungen gegenüber dem Inhalt der Anmeldung und gegenüber dem erteilten Patent auf.
So ist die Angabe in Merkmal 3c „für Arbeitskräfte zu deren Absicherung“ im erteilten Patentanspruch 2 in Verbindung mit der Aufgabenstellung in Absatz [0005] der Streitpatentschrift „Erhöhung der Sicherheit der Arbeitskräfte“ und der Be- schreibung in Absatz [0007] „… optimale Absicherung der an der Gleisbaustelle im Arbeitseinsatz befindlichen Personen“ offenbart. Gleichlautend finden sich diese Angaben auch in der ursprünglichen Anmeldung (Patentanspruch 2; Beschreibung Spalte 1, Zeile 65 bis Spalte 2, Zeile 1, sowie Zeilen 11 bis 20 der OS).
Soweit die Klägerin dagegen einwendet, diese Angabe sei an den angegebenen Offenbarungsstellen nur in Zusammenwirken mit dem Merkmal eines gekröpften Maschinenrahmens offenbart, geht dies deswegen ins Leere, weil dieser Bezug auch im geltenden Patentanspruch 1 obligat gegeben ist (Merkmal 1a i. V. m. Merkmal 3). Ferner trifft der Einwand der Klägerin hinsichtlich des Merkmals 3d, die auf das Geländer bezogene verallgemeinernde Angabe „od. dgl.“ sei so nicht offenbart, nicht zu, da diese sich wörtlich so im jeweiligen Patentanspruch 3 der Patent- wie auch der Offenlegungsschrift findet.
Soweit die Klägerin schließlich hinsichtlich des Merkmals 4b bemängelt, die diesbezügliche Offenbarungsstelle in Absatz [0019] der Patentschrift bzw. Spalte 3, Zeilen 40 bis 43 der Offenlegungsschrift beziehe mit der Angabe „daher“ die voranstehende Begrenzung durch das Geländer und die Kabine bzw. das Maschinenfahrwerk mit ein, was im geltenden Patentanspruch 1 in erweiternder Weise weggelassen sei, so sieht der Senat auch diesen Einwand als unberechtigt an. Die in den Merkmalen 3 bis 4a sowie 4c und 4d des Anspruchs 1 definierte Konstellation der den Arbeitsbereich allseitig begrenzenden Komponenten - Abgrenzung in Maschinenlängsrichtung mit einem Ende im Bereich eines Ein- und Ausstiegs angeordnet (3a, 4c) und sich bis zum vorderen Schienenfahrwerk erstreckend (4d), wobei der Ein- und Ausstieg von einer Fahr- bzw. Arbeitskabine zu dem begrenzten Arbeitsbereich führt (4, 4a) - lässt nämlich gar keine Alternative für die mit dem bemängelten Merkmal 4b angegebene Zielsetzung offen, den Zu- und Abgang ausschließlich über den Ein- und Ausstieg zuzulassen. Die Angabe „daher“ in dem als Offenbarungsquelle aufgezeigten Absatz [0019] der Patentschrift bzw. der entsprechenden Textstelle der Offenlegungsschrift ist deshalb nicht als einschränkend aufzufassen, sondern lediglich erklärender Art, so dass ihr Weg- lassen weder gegenüber der Ursprungsanmeldung noch gegenüber dem erteilten Patent zu einer Erweiterung des Patentgegenstandes führt.
3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung ist patentfähig.
a) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung ist neu. Keine der Vorbenutzungen oder Entgegenhaltungen zeigt eine Gleisbaumaschine mit allen Merkmalen dieses Anspruchs.
So fehlt bei der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung „SUM-Q“ jedenfalls das Merkmal 3d eines um eine in Maschinenlängsrichtung verlaufende Achse zur Seite hin verschwenkbar am Maschinenrahmen befestigten Geländers od. dgl. Die von der Klägerin als seitliche Abgrenzung im Sinne des Streitpatents angesehene, insbesondere auf den zugehörigen Fotos K7 und K11 sichtbare rote Stange unterhalb des schwarz-gelben Seitenblechs ist erkennbar nicht verschwenkbar befestigt, was auch von der Klägerseite nicht bestritten wird.
Bei der weiteren Vorbenutzung „UH“ bzw. „SWAL“ ist - sofern der u. a. in dem zugehörigen Foto K20 gezeigte Raum vor und zwischen den seitlichen schwarzen Matten überhaupt als „Arbeitsraum“ im Sinne des Streitpatents aufzufassen ist - dieser jedenfalls frei von außen zugänglich, so dass zumindest das Merkmal 4b des geltenden Patentanspruchs 1 fehlt. Gleiches gilt auch für die Entgegenhaltung K24/K24a, welche an keiner Stelle seitliche Abgrenzungen erkennen lässt, welche gemäß Merkmal 4b einen Zu- und Abgang von Arbeitskräften zu bzw. von einem Arbeitsbereich ausschließlich über den Ein- und Ausstieg einer Kabine ermöglicht.
Schließlich steht auch der übrige, in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffene Stand der Technik der in dem geltenden Patentanspruch 1 beanspruchten Merkmalskombination nicht neuheitsschädlich entgegen.
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der wesentliche Kerngedanke der Erfindung liegt, wie auch die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung gezeigt haben, in der Schaffung eines möglichst effektiven Unfallschutzes für die bei Arbeiten mit einer Gleisbaumaschine nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 (Merkmale 1 bis 2a) tätigen Personen. Dazu ist nach dessen kennzeichnenden Merkmalen unterhalb des nach oben gekröpften Abschnittes des Maschinenrahmens ein Arbeitsbereich zur Handhabung einer Hubvorrichtung durch beidseits des Arbeitsbereichs verlaufende seitliche Abgrenzungen gebildet, welche in Maschinenlängsrichtung von dessen einem Ende (Einund Ausstiegsbereich einer Arbeitskabine) zu dessen anderem Ende (vorderes Schienenfahrwerk) verlaufen. Damit ist für die dort arbeitenden Personen ein effektiver Schutz insbesondere dahingehend gegeben, dass ein unbedachtes Heraustreten aus dem Arbeitsbereich in den Gefahrenbereich weiterer, ggf. befahrener Gleise sicher verhindert wird, was durch die Wirkungsangabe des Merkmals 4b nochmals bekräftigt wird.
Die Schaffung einer derartigen Absicherung ist nach Überzeugung des Senats durch den aufgezeigten Stand der Technik nicht angeregt gewesen.
Zwar lässt der - von der Beklagten unbestritten - offenkundig vorbenutzte, in den vorgelegten Fotos K5 bis K11 abgebildete Arbeitswagen „SUM-Q“ / „ATW“ insbesondere auf den Fotos K7 und K9 eine Anordnung von seitlichen Gittern (gelb) und Geländerstangen (rot) erkennen, die rein optisch als eine Art Abgrenzung eines Bereichs unterhalb eines auch dort vorhandenen nach oben gekröpften Abschnittes des Maschinenrahmens aufgefasst werden kann. Ganz offensichtlich kann damit eine Absicherung eines Arbeitsbereichs im Sinne des Streitpatents aber nicht erreicht werden. Selbst wenn der dort den tiefstliegenden Teil einer angenommenen Abgrenzung bildenden Geländerstange tatsächlich die Funktion einer Begrenzung zukäme, so wäre diese nämlich zumindest in gebückter Haltung ohne weiteres seitlich zu verlassen, so dass die mit der Gesamtkonzeption nach dem Patentanspruch 1 erzielte Schutzfunktion nicht erreicht wäre. Wie auch die mündliche Verhandlung diesbezüglich ergeben hat, dient die besagte Anordnung bei der „SUM-Q“ / „ATW“ vielmehr als Haltestange, welche verhindern soll, dass Arbeitspersonen beim Festhalten in den Gefahrenbereich der ggf. darüberfahrenden Hubvorrichtung greifen. Eine Anregung zur Schaffung eines rundum geschützten Arbeitsbereichs mit den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 gibt diese Vorbenutzung daher nicht, vielmehr käme eine solche Sicht einer unzulässigen retrospektiven Betrachtung in Kenntnis der Erfindung gleich.
Entsprechendes gilt für die ebenfalls unbestritten vorbenutzte Maschine „SWAL“ des Gleisbauzugs „UH“. Die dort in den Fotos K20 und K21 sichtbaren seitlich in Maschinenlängsrichtung aufgehängten Matten (schwarz) bieten noch weniger Veranlassung zur Schaffung eines abgesicherten Arbeitsbereichs im Sinne des Streitpatents, schon da sie ganz augenscheinlich nur einen Teilbereich in Längsrichtung „begrenzen“. Zudem dienen diese Matten dem Schutz der dort eingesetzten Greifzangen vor bei den Arbeiten aufspritzendem Schotter, und haben keinerlei funktionellen Bezug zu irgendwelchen dort arbeitenden Personen. Auch diese Vorbenutzung vermittelt dem Fachmann daher keinerlei Anregung in Richtung der Lehre des Streitpatents.
Als noch weiter abliegend vom Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sieht der Senat die Entgegenhaltung K24/K24a an. Diesen Unterlagen ist lediglich eine nach außen aufschwenkbare Türe an einem Arbeitswagen zu entnehmen, welche nahezu über die gesamte Wagenhöhe reicht und keinerlei Beziehung zu einem Arbeitsbereich unterhalb eines Maschinenrahmens aufweist.
Der übrige, in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffene Stand der Technik liegt noch weiter ab und vermag ein Naheliegen der in dem geltenden Patentanspruch 1 beanspruchten Merkmalskombination ebensowenig zu begründen.
4. Mit dem somit gewährbaren Patentanspruch 1 sind auch die von diesem getragenen Unteransprüche 4 bis 10 (nach bisheriger Nummerierung) gewährbar.
Das Patent hat damit in der verteidigten Fassung Bestand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Soweit sich die Beklagte durch ihre beschränkte Verteidigung in die Rolle der Unterlegenen begeben hat, sind ihr anteilig die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, wobei der Senat die Verringerung des gemeinen Werts des Patents, wie sie durch die teilweise Nichtigerklärung des Patents eingetreten ist, als relativ deutlich ansieht. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Püschel Hildebrandt Küest Dorfschmidt Ensthaler Hu