VIa ZR 619/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 619/21 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:161024UVIAZR619.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 27. September 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz und Dr. Rensen und die Richterinnen Wille und Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 4. Oktober 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers zurückgewiesen worden sind. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb von der Beklagten einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Der Kläger hat zuletzt Zahlung in Höhe von 28.923,24 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen an seine Rechtsschutzversicherung (Berufungsantrag zu 3) begehrt sowie hinsichtlich des ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrags den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge betreffend eine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, das in seinem Fahrzeug verbaute sogenannte Thermofenster sowie die KSR seien als unzulässige Abschalteinrichtungen einzuordnen, reiche dies - ebenso wie bezüglich der weiteren behaupteten Abschalteinrichtung in Gestalt eines Timers - nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Eine Prüfstandsbezogenheit der vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtungen sei nicht dargetan. Vielmehr räume der Kläger letztlich selbst ein, dass hinsichtlich Thermofenster und KSR der Prüfstand nicht erkannt werde und die Einrichtungen - bei Vorliegen entsprechender Bedingungen - auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktionierten, während es für eine Prüfstandsbezogenheit des Timers an hinreichendem Vortrag fehle. Sonstige auf eine Sittenwidrigkeit hindeutende Umstände habe der Kläger gleichfalls nicht dargelegt. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil die Bestimmungen der EG-FGV keine Schutzgesetze darstellten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring Wille Götz Rensen Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Magdeburg, Entscheidung vom 25.02.2021 - 10 O 967/20 OLG Naumburg, Entscheidung vom 04.10.2021 - 12 U 61/21 - Verkündet am: 16. Oktober 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle