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6 StR 100/22

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 100/22 (alt: 6 StR 280/20) (alt: 6 StR 199/21)

URTEIL vom 24. August 2022 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2022:240822U6STR100.22.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. August 2022, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander,

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Richter am Bundesgerichtshof Wenske, Richter am Bundesgerichtshof Fritsche, Richterin am Bundesgerichtshof von Schmettau als beisitzende Richter,

Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt W. als Verteidiger,

Rechtsanwältin K. als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 9. November 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen - Gründe:

Das Landgericht Magdeburg hatte sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtsgang die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf seine jeweilige Revision hat der Senat diese Urteile durch Beschlüsse vom 23. September 2020 (6 StR 280/20) und 19. Mai 2021 (6 StR 199/21) aufgehoben und die Sache zuletzt an eine Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen, allerdings bereits im ersten Rechtsgang die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. Diese Strafkammer hat nunmehr die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den bindenden Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen betrat der einige Tage zuvor in ein psychiatrisches Krankenhaus eingelieferte, zur Tatzeit 27-jährige Beschuldigte am 2. November 2019 das Zimmer der schlafenden Nebenklägerin und zog sich dort vollständig aus. Er versuchte – auch unter Einsatz seiner Körperkraft – mehrmals, sich auf sie zu legen. Die erwachte Nebenklägerin wehrte sich mit Tritten und schrie laut. Hierdurch alarmierte Pflegekräfte führten den Beschuldigten widerstandslos aus dem Zimmer (Anlasstat). Am Tag zuvor stimulierte der Beschuldigte seinen Penis, als er auf dem Flur den jugendlichen Töchtern der Nebenklägerin begegnete. Zudem griff er nach den Brüsten der ihn versorgenden Pflegerinnen. Am 12. November 2019 verletzte der Beschuldigte eine Pflegekraft oberflächlich, indem er mit der Scherbe einer von ihm zerstörten Plastiktasse nach ihr stach. Nachdem er von mehreren Pflegern überwältigt worden war, entschuldigte er sich für sein Verhalten.

Ergänzend hat die Strafkammer festgestellt, dass der Beschuldigte während seines Aufenthaltes im Maßregelvollzug Anfang 2020 zwei Mitarbeiterinnen und im Juni 2021 einem Patienten jeweils sein Geschlechtsteil zeigte.

2. Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Beschuldigte an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leide. Zur Tatzeit habe bei ihm krankheitsbedingt eine „destruktive Wahndynamik mit befehlendem Stimmenhören“ vorgelegen, was zu seiner nicht ausschließbar aufgehobenen Steuerungsfähigkeit geführt habe.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgelehnt, weil es nicht die für die Gefährlichkeitsprognose erforderliche Überzeugung hat gewinnen können, dass der Beschuldigte infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

3. Die Entscheidung des Landgerichts, den Beschuldigten nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Es fehlt an tragfähigen Feststellungen dazu, in welcher Weise sich die psychische Störung des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstat auf seine Handlungsmöglichkeiten und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Insoweit hat das Landgericht die Reichweite der eingetretenen Bindungswirkung (§ 358 Abs. 1 StPO) nicht hinreichend beachtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 – 3 StR 156/12; vom 19. Januar 2021 – 4 StR 449/20).

Der Senat hat nur die im ersten Rechtsgang vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. Hingegen sind die Feststellungen zur inneren Tatseite, insbesondere zur Tatmotivation und zum inneren Erleben des Angeklagten zur Tatzeit, von der Aufhebung umfasst gewesen. Die im zweiten Rechtsgang ergangene Entscheidung hat der Senat vollständig aufgehoben. Die zur Entscheidung im dritten Rechtsgang berufene Strafkammer hätte deshalb insoweit selbst Beweis erheben und eigene Feststellungen treffen müssen. Stattdessen hat sie im Anschluss an die Eingangsbemerkung – „Aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. September 2020 erwuchsen die Feststellungen der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg (...) zu den äußeren Tatumständen in Rechtskraft“ – dieses Urteil wörtlich auch insoweit zitiert, als es darin heißt: „In seiner Wahrnehmung befahl der Teufel, dessen Stimme er zu hören glaubte, ihm, das Zimmer der Nebenklägerin zu betreten und sich an ihr auch gegen ihren Willen zu befriedigen. Der Beschuldigte war krankheitsbedingt nicht in der Lage, das Unrecht seines Tuns einzusehen oder den von ihm als real wahrgenommenen Befehlen der Teufelsstimme entgegenzutreten.“ Damit hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft die nicht mehr existenten Feststellungen zur Schuldfähigkeit und zum motivatorischen Zusammenhang als für sich bindend angesehen.

b) Daran vermag die erneute Exploration des Beschuldigten durch die Sachverständige nichts zu ändern. Denn diese hat ihre Wertung – bei dem Beschuldigten habe zur Tatzeit eine „destruktive Wahndynamik mit befehlendem Stimmenhören vorgelegen“ – nicht auf eigene, sondern ausdrücklich auf die aufgehobenen Feststellungen des Landgerichts Magdeburg gestützt. Soweit die Sachverständige aus Beobachtungen während der Exploration und Auswertung der Behandlungsunterlagen den Schluss gezogen hat, dass der Beschuldigte aktuell Stimmen höre, lassen diese Ausführungen keine tragfähigen Rückschlüsse auf das Hören befehlender Stimmen im Tatzeitpunkt zu, zumal nähere Angaben hierzu fehlen.

c) Eigene Feststellungen waren schließlich nicht im Hinblick auf die Diagnose einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis entbehrlich, weil diese für sich allein genommen nicht die Annahme einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit begründet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07; vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12; vom 4. Dezember 2018 – 4 StR 443/18).

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass es nach § 78 StPO zu den Aufgaben des Tatgerichts gehört, dem erneut hinzuzuziehenden Sachverständigen (§ 246a StPO) mitzuteilen, von welchen Tatsachen er bei der Erstattung seines Gutachtens auszugehen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 1994 – 4 StR 494/94; vom 12. September 2007 – 1 StR 407/07).

Sander Tiemann Wenske Fritsche von Schmettau Vorinstanz: Landgericht Dessau-Roßlau, 09.11.2021 - 8 KLs (283 Js 15702/21)

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