35 W (pat) 437/13
BUNDESPATENTGERICHT W (pat) 437/13 An Verkündungs Statt zugestellt am
1. Dezember 2017 …
BESCHLUSS In der Beschwerdesache …
BPatG 154 05.11 betreffend das Gebrauchsmuster 298 18 178 hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie der Richter Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder beschlossen:
I. Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe I.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) ist eingetragener Inhaber des am 12. Oktober 1998 angemeldeten und am 11. Februar 1999 mit der Bezeichnung
„Saugfähige Faserstoffbahn“
und den Schutzansprüchen 1 bis 20 eingetragenen Gebrauchsmusters 298 18 178 (im Folgenden: Streitgebrauchsmuster), das die Prioritäten der Patentanmeldungen 197 40 890.1 vom 18. November 1997 und 198 24 825.3 vom 4. Juni 1998 in Anspruch nimmt. Das Streitgebrauchsmuster ist Ende Oktober 2008 nach Ablauf der Schutzdauer erloschen.
Der Hauptanspruch in der eingetragenen Fassung lautet:
Saugfähige Faserstoffbahn (100), bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst und in den Prägebereichen (3) Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusioniert sind.
Auf diesen Anspruch sind die weiteren Schutzansprüche 2 bis 20 rückbezogen.
Gegen das Streitgebrauchsmuster hatte die Antragstellerin am 11. März 2005 Löschungsantrag gestellt. Der Löschungsantrag wurde gestützt auf mangelnde Schutzfähigkeit gegenüber druckschriftlichem Stand der Technik und einer offenkundigen Vorbenutzung, nach Behauptung der Antragstellerin durch Export und Vertrieb von Slipeinlagen „Helen Harper Classic‘s“ nach bzw. in Deutschland vor dem Prioritätszeitpunkt.
Der Antragsgegner hat dem am 29. März 2005 zugestellten Löschungsantrag mit Schriftsatz vom 28. April 2005, per Fax eingereicht am selben Tag, widersprochen.
Mit in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2007 verkündetem Beschluss hatte die Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen Patent- und Markenamts das Gebrauchsmuster gelöscht. Sie hatte zur Begründung ausgeführt, der Gegenstand des Gebrauchsmusters sei mangels Ausführbarkeit nicht schutzfähig.
Gegen diesen Beschluss hatte der Antragsgegner am 5. Dezember 2007 Beschwerde eingelegt.
Auf diese Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 14. Januar 2009 den vorgenannten Beschluss aufgehoben und die Sache an das DPMA zurückverwiesen. Dabei hat der Senat sich nicht mehr mit der eingetragenen Fassung des Streitgebrauchsmusters befasst, nachdem der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2009 das Streitgebrauchsmuster im Rahmen einer neuen, in der mündlichen Verhandlung übergebenen Fassung mit einem geänderten Schutzanspruch 1 als Hauptantrag und mit Hilfsanträgen 1 bis 3 mit weiter geänderten Schutzansprüchen verteidigt hatte. Den Schutzanspruch 1 nach Hauptantrag hielt der Senat mangels Bestimmtheit seines Gegenstandes für nicht zulässig. Hingegen wurde der Schutzanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 für zulässig und sein Gegenstand auch für ausführbar gehalten. Ferner bejahte der Senat insoweit die Schutzfähigkeit gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik (Entgegenhaltungen A3 bis A8), war aber auch der Auffassung, es könne möglicherweise die geltend gemachte Vorbenutzung der Schutzfähigkeit entgegenstehen. Insbesondere mit Blick auf daher weitere, von der Gebrauchsmusterabteilung durchzuführende Ermittlungen hat der Senat die Sache an das DPMA zurückverwiesen.
Im weiteren Verfahren hat die Gebrauchsmusterabteilung zu der geltend gemachten Vorbenutzung eine Beweisaufnahme durchgeführt mit Einvernahme der Zeugen van I… und O… Ferner hat sich die Antragslage im weiteren Verfahren vor der Gebrauchsmusterabteilung erneut geändert. Der Antragsgegner hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 4. September 2013 als Hauptantrag das Streitgebrauchsmuster in der eingetragenen Fassung und sodann nach Maßgabe von Hilfsanträgen 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsätzen vom 24. und 31. Oktober 2011, verteidigt. Hinsichtlich des Hauptantrags ist die Gebrauchsmusterabteilung der Auffassung, dass dieser schon deswegen nicht zum Erfolg führe, weil der Antragsgegner das Streitgebrauchsmuster im Beschwerdeverfahren vor dem Senat nur noch in eingeschränktem Umfang verteidigt habe, was als Teilrücknahme des Widerspruchs gegen den Löschungsantrag aufzufassen sei. Hinsichtlich des Hilfsantrags 1, welcher dem Hauptantrag im ersten Beschwerdeverfahren entsprochen habe, sieht sich die Gebrauchsmusterabteilung an die Gründe des Senatsbeschlusses vom 14. Januar 2009 gebunden, wonach diese Fassung nicht hinreichend erkennen lasse, was unter Schutz gestellt werden solle. In Bezug auf Hilfsantrag 2, welcher dem Hilfsantrag 1 im ersten Beschwerdeverfahren entsprochen habe, bleibe der Löschungs- bzw. Feststellungsantrag, auf welchen die Antragstellerin umgestellt hatte, hingegen ohne Erfolg, weil der Antragstellerin der Nachweis einer relevanten Vorbenutzung nicht gelungen sei und entsprechend den Gründen im Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009 gegenüber dem weiteren entgegengehaltenen Stand der Technik die Schutzfähigkeit in Bezug auf diese Fassung zu bejahen sei.
Der Schutzanspruch 1 lautet in dieser Fassung:
Saugfähige Faserstoffbahn (100), bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst und in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei dergestalt fusioniert sind, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.
Gegen diesen, nunmehr verfahrensgegenständlichen Beschluss, der den Beteiligten jeweils am 30. September 2013 zugestellt worden ist, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2013, eingegangen am gleichen Tage, Beschwerde erhoben.
Die Antragstellerin begründet ihre Beschwerde zum einen damit, dass der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der maßgebenden, von der Gebrauchsmusterabteilung als schutzfähig erachteten Fassung gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert worden sei, nämlich in Bezug auf das Merkmal „so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst“.
Zum anderen sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters aus mehreren Gründen nicht schutzfähig. Bereits der druckschriftliche Stand der Technik gemäß den Entgegenhaltungen A3 bis A5 stehe dem Streitgebrauchsmuster neuheitsschädlich entgegen. Des Weiteren sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters durch Export bzw. Vertrieb des Produkts „Helen Harper Classic‘s“ nach bzw. in Deutschland im Wege einer offenkundigen Vorbenutzung neuheitsschädlich vorweggenommen worden. Die hierfür durchgeführte Beweisaufnahme vor der Gebrauchsmusterabteilung sei von dieser fehlerhaft gewürdigt worden.
Die Antragstellerin hat die folgenden Entgegenhaltungen und Dokumente in das Verfahren eingeführt:
A1 Streitgebrauchsmuster DE 298 18 178 U1 A2 Merkmalsanalyse A3 US 5,128,193 A A4 US 3,692,622 A5 US 3,426,750 A6 US 4,781,962 A7 US 4,111,744 A8 DE 2 333 732 A A9 Karton mit Slipeinlagen Helen Harper A10 Eidesstattliche Versicherung O… A11 Eidesstattliche Versicherung van I…
A12 Eidesstattliche Versicherung S…
mit Übersetzung A3a mit Übersetzung A4a mit Übersetzung A5a mit Übersetzung A6a mit Übersetzung A7a mit Übersetzung A10a mit Übersetzung A11a mit Übersetzung A12a A13 Eidesstattliche Versicherung van I…
mit Übersetzung A13a A14 CD ROM mit Film betreffend die Herstellung von Slipeinlagen A15 Rechnung O1… N.V. an Helen Harper Hygienic GmbH A16 Drei Rechnungen Helen Harper GmbH an E… Handelsgesellschaften A17 Gutachten 43859AC C…
mit Übersetzung A17a A18 Stellungnahme zum Gutachten 43859AC mit Übersetzung A18a A19 Angebot Prägewalze an O1… N.V.
A20 Abbildungen eines Kartons für Slipeinlagen Helen Harper A20.1 Eidesstattliche Versicherung S1…
mit Übersetzung A20.2 A20.3 Original Kartonverpackung zu A20.1 A20.4 Farbkopie der Kartonverpackung A20.3 und Kopie der Rückseiten von drei mit Stempel versehenen Slipeinlagen A20.5 Drei mit Stempel versehene Slipeinlagen A20.6 Drei ungestempelte Slipeinlagen A20.7 Zweites Gutachten C… 0709-038 mit Übersetzung A20.8 A20.9 EP 1 032 342 B1 (ursprünglich: „A19“)
A20.10 WO 99/25281 A1 (ursprünglich: „A20“)
A21 DE 102 60 137 B4 A22 DE 10 2006 050 831 A1 A21 Gutachten IVP Nr. 201005-01 A22 DIN EN ISO 12625-4 A23 Prüfungsbescheid DPMA vom 22.05.00 zu Az. 197 50 890.1 A25 Beweisbeschluss OLG Düsseldorf I-2 U 116/05 A26 Schriftsatz der Klägerin (hier: Antragstellerin) in I-2 U 116/05 A27 Beschluss OLG Düsseldorf Sachverständigengutachten I-2 U 116/05 A28 Schreiben OLG Düsseldorf an Sachverständigen Prof. S2…
A29 Beschluss OLG Düsseldorf Vorgaben zum Sachverständigengutachten A30 Schreiben OLG Düsseldorf an Sachverständigen Prof. S2…
A31 Sachverständigengutachten Prof. S2…
A32 Ehrenwörtliche Erklärung H…
mit Übersetzung A32a A33 Ehrenwörtliche Erklärung S3…
mit Übersetzung A33a A34 Ehrenwörtliche Erklärung Van H1…,
Übersetzung A34a A35 Ehrenwörtliche Erklärung D…
mit Übersetzung A35a A36 Beschäftigungsbescheinigung H…
mit Übersetzung A36a A37 Beschäftigungsbescheinigung S3…
mit Übersetzung A37a A38 Beschäftigungsbescheinigung Van H1…,
Übers. A38a A39 Beschäftigungsbescheinigung D…
mit Übersetzung A39a A40 Technische Zeichnung O1… Hygienic Disposables WD1 nr.07, 03.06.96 A41 Technische Zeichnung O1… CZ 01-SV4 slip 24.11.2005 Dabei wurden die Bezeichnungen „A21“ und „A22“ zweimal, die Bezeichnung „A24“ nicht vergeben.
Die Antragstellerin stellt in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2017 den Antrag,
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA vom 4. September 2013 aufzuheben und festzustellen, dass das Streitgebrauchsmuster 298 18 178.9 in vollem Umfang von Anfang an unwirksam war.
Der Antragsgegner stellt den Antrag,
1. die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen; 2. hilfsweise zu Ziffer 1 im Wege der Anschlussbeschwerde den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA vom 4. September 2013 aufzuheben und festzustellen, dass das Streitgebrauchsmuster in seiner eingetragenen Fassung von Anfang an wirksam war;
3. weiterhin hilfsweise zu Ziffer 2 im Wege der Anschlussbeschwerde den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA vom 4. September 2013 aufzuheben und festzustellen, dass das Streitgebrauchsmuster nur insoweit von Anfang an unwirksam war, als es über den Gegenstand der Schutzansprüche nach Hilfsantrag I gemäß Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 hinausging.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass in der Fassung des Schutzanspruchs 1, wie sie von der Gebrauchsmusterabteilung für schutzfähig erachtet wurde, keine unzulässige Erweiterung vorliege. Auch sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nach dieser Fassung gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik neu und weise insoweit auch einen erfinderischen Schritt auf. Eine neuheitsschädliche Vorbenutzung sei weder dargetan noch nachgewiesen. Im Übrigen würde das Produkt „Helen Harper Classic‘s“ die Merkmale des Streitgebrauchsmusters in der von der Gebrauchsmusterabteilung als schutzfähig erachteten Fassung nicht aufweisen.
Seine gemäß Schriftsatz vom 25. August 2017 und gemäß Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2017 hilfsweise erhobene Anschlussbeschwerde begründet der Antragsgegner, damit, dass er nach seiner Auffassung den Widerspruch gegen den Löschungsantrag nicht teilweise zurückgenommen habe, so dass er das Streitgebrauchsmuster in der eingetragenen Fassung noch geltend machen könne. Auch seien diese Fassung sowie der Gegenstand nach Hilfsantrag I gemäß Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 schutzfähig.
Der Antragsgegner hat die folgenden Unterlagen eingereicht:
AG1 Wikipedia Artikel „Papier“, undatiert, und: Fachwörterbuch Textil, DT-Fachverlag, 1988, ISBN 3-87150-284, Seiten 13, 64 AG2 Gutachten PTS Nr. 000907 Prof. W… 07.07.2005 AG3 Eklund, Dan: Paper Chemistry DT Paper Science Publications,
Finland 1991, Seite 90 AG4a Beschluss OLG Düsseldorf I-2 U 116/05 vom 19. Mai 2016 AG4b Aussetzungsbeschluss OLG Düsseldorf I-2 U 116/05 vom 2. Juni 2016 AG4c Hinweisbeschluss OLG Düsseldorf I-2 U 116/05 vom 8. Juni 2016 BF1 Artikel: Plastifizieren nativer Cellulose (undatiert, 2002 oder später)
BF2 Römpp Chemie Lexikon 1995, Artikel: „Fusion“
Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die angefochtenen Beschlüsse der Gebrauchsmusterabteilung, den Beschluss des Senats, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin war zurückzuweisen, da hinsichtlich des Gegenstands des Streitgebrauchsmusters in der geltenden Fassung weder festgestellt werden konnte, dass er über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG), noch dass er nicht schutzfähig ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG). Da somit dem als Hauptantrag gestellten Sachantrag des Antragsgegners bereits in vollem Umfang entsprochen wird, war über die Anschlussbeschwerde, die der Antragsgegner zulässigerweise nur hilfsweise erhoben hat (vgl. BGH NJW 1984, 1240 [1241]) nicht mehr zu entscheiden.
1. Die streitgegenständliche Erfindung betrifft, siehe die Gebrauchsmusterschrift (GS), Seite 1, Absatz 1, eine saugfähige Faserstoffbahn, die aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern besteht.
a) Gemäß der Beschreibungseinleitung, GS, Seite 1, Absatz 2, war bereits bekannt, saugfähige Faserstoffbahnen aus Cellulose-Fasern und Zusatzstoffen herzustellen, indem das Material zwischen zwei glatten Kalanderwalzen zu einem absorbierenden Produkt mit einer spezifischen Dichte von 0,2 – 1,0 g/cm³ komprimiert wird.
Als nachteilig wird dabei angegeben, dass ein solches Produkt eine zu geringe Reißfestigkeit besitze. Um die Reißfestigkeit zu erhöhen, müssten synthetische Zusatzstoffe hinzugefügt werden, insbesondere Thermoplaste, die ein Recycling der Zellstofffasern erschwerten. Dementsprechend ist als Aufgabe genannt, GS, Seite 1, Absatz 3, eine Faserstoffbahn anzugeben, deren Recyclingfähigkeit verbessert ist, und die eine erhöhte Reißfestigkeit aufweist.
Diese Aufgabe soll gemäß den Angaben in der Beschreibungseinleitung dadurch gelöst werden, dass bei einer Faserstoffbahn der genannten Art – nämlich einer saugfähigen Faserstoffbahn, bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern – die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (miteinander) verpresst und in den Prägebereichen des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und/oder bindemittelfrei fusioniert sind. Im Schutzanspruch 1 in der nunmehr geltenden Fassung ist darüber hinaus angegeben, das die Zellstofffasern in den Prägebereichen klebstoff- und bindemittelfrei fusioniert sein sollen, und zwar derart, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.
b) Der nach Hauptantrag des Antragsgegners maßgebende Schutzanspruch 1 in der von der Gebrauchsmusterabteilung als schutzfähig erachteten Fassung gemäß Hilfsantrag II, eingereicht mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2011, kann wie folgt gegliedert worden:
1. Saugfähige Faserstoffbahn (100), 1.1 bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern (1), 1.2 dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3)
miteinander verpresst 1.3 und in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei dergestalt fusioniert sind, 1.5 dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst.
c) Zuständiger Fachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitgebrauchsmusters und für die Beurteilung des Standes der Technik ankommt, ist für diesen Gegenstand ein Dipl.-Ing. Maschinenbau der Fachrichtung Verfahrenstechnik mit Kenntnissen in der Zellstoffchemie und in der Verarbeitung von Zellstoff.
d) Nach dem Verständnis dieses Fachmanns betrifft der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 gemäß dem Merkmal 1 eine saugfähige Faserstoffbahn. Mit dem Begriff „saugfähig“ ist die grundlegende Verwendung der anspruchsgemäßen Faserstoffbahn bezeichnet, nämlich das Aufnehmen und Binden von Flüssigkeit. Als aufzunehmende und zu bindende Flüssigkeit ist dabei im 4. Absatz auf Seite 2 GS ausdrücklich Wasser genannt; in Frage kommen auch Körperflüssigkeiten, wie sich aus der Angabe „als Saugkern für Hygieneartikel“ im selben Absatz ergibt. Die genannte Aufgabe, eine Faserstoffbahn anzugeben, die – bei bzw. trotz einer durch Verzicht auf Klebstoffe und Bindemittel verbesserten Recyclingfähigkeit – eine erhöhte Reißfestigkeit besitzt, wird vom Fachmann daher dahingehend verstanden, dass eine erhöhte Reißfestigkeit bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung zum Aufsaugen von Flüssigkeiten erreicht werden soll.
Laut Merkmal 1.1 bestehen anspruchsgemäße Faserstoffbahnen aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern. Als weitere Bestandteile kommen gemäß GS Seite 4, Absätze 3 und 4, Hilfs- und Füllstoffe wie beispielsweise Titandioxid, Superabsorber oder geruchshemmende Wirkstoffe in Frage.
Gemäß dem Merkmal 1.2 ist die erfindungsgemäße Faserstoffbahn dadurch gekennzeichnet, dass die Zellstofffasern in einem Prägemuster aus punkt- oder linienförmigen Prägebereichen (3) miteinander verpresst sind. Die Prägebereiche sind demnach in einer sich wiederholenden Anordnung, dem Prägemuster, vorgesehen.
Die Zellstofffasern sollen weiter nach Merkmal 1.3 in den Prägebereichen (3) des Prägemusters infolge hoher Druckbeaufschlagung klebstoff- und bindemittelfrei fusioniert sein. „Fusioniert sein“ ist in diesem Zusammenhang kein gängiger Fachbegriff, der dem Fachmann aus sich heraus eine bestimmte Bedeutung vermittelt. Er wird auf Seite 2 GS im zweiten und im letzten Absatz, wie nun auch in das letzte Merkmal 1.5 des Anspruchs 1 übernommen, als „sehr feste und innige Verbindung der Zellstofffasern miteinander“ beschrieben. Diese Verbindung der Fa- sern in den Prägebereichen soll frei von Klebstoffen und Bindemitteln sein und durch hohe Druckbeaufschlagung zustande kommen. Dabei ist kein Wert für die Höhe des Drucks genannt. Bei der Beschreibung des Ausführungsbeispiels ist angegeben, GS Seite 7, Zeile 14, dass die Prägebereiche fast durchsichtig sein sollen, was voraussetzt, dass die Hohlräume zwischen den Fasern und in den Fasern beseitigt sind, und so stark verdichtet wurde, dass keine Grenzflächen zwischen den Fasern verbleiben, an denen Licht gestreut werden könnte. Dieses Merkmal wurde jedoch nicht in den Anspruch 1 aufgenommen. Im Anspruch 1 ist im letzten Merkmal 1.5 angegeben, dass eine anspruchsgemäß infolge sehr hoher Druckbeaufschlagung sehr feste und innige Verbindung benachbarter Zellstofffasern im Prägebereich daran zu erkennen ist, dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst. In der Beschreibungseinleitung ist ausgeführt, dass auch eine nach dem Stand der Technik zwischen glatten Kalanderwalzen mit geringerem Druck als erfindungsgemäß vorgesehen kalandrierte Faserstoffbahn bereits eine gewisse, wenn auch zu geringe Reißfestigkeit besitzt, und dementsprechend diese Reißfestigkeit erhöht werden soll (GS Seite 1, Zeilen 17 bis 26). Deshalb versteht der Fachmann das Merkmal 1.5 nicht dahingehend, dass erstmals überhaupt ein Nicht-Lösen erreicht werden soll, sondern dahingehend, dass die genannte Verbindung benachbarter Zellstofffasern sich durch Einwirkung von Wasser auch unter solchen Einsatzbedingungen nicht löst, unter denen die Verbindungen von nach dem Stand der Technik kalandrierten Faserstoffbahnen sich lösen würden.
Die Frage, wie viele der Verbindungen eines Prägebereichs die Bedingung erfüllen müssen, dass die Verbindung sich durch Einwirkung von Wasser nicht löst, beantwortet sich für den Fachmann aus der weiteren Angabe der Beschreibungseinleitung (GS Seite 3 oben), dass die erfindungsgemäße Faserstoffbahn sich durch eine hohe mechanische Belastbarkeit auch im nassen Zustand auszeichnen soll. Das ist, weil die Fasern zwischen den Prägebereichen nur schwach aneinander haften (GS Seite 2, Zeilen 4 bis 7), nur möglich, wenn die Prägebereiche im nassen Zustand bestehen bleiben – es müssen also zwar nicht jede einzelne, aber so viele der Verbindungen zwischen benachbarten Zellstofffasern bestehen bleiben, dass der jeweilige Prägepunkt insgesamt bestehen bleibt.
Sowohl aus der Verwendung des bestimmten Artikels im Merkmal 1.3 („in den Prägebereichen“) als auch aus der genannten Aufgabenstellung, wonach die Faserstoffbahn insgesamt eine erhöhte Reißfestigkeit besitzen soll, und zwar auch im nassen Zustand, vergl. GS, Seite 1 Zeilen 24 bis 26 und Seite 3 Zeilen 1 bis 3, folgt weiter, dass das im Merkmal 1.5 für einen Prägebereich beschriebene NichtLösen der Verbindung benachbarter Zellstofffasern durch Einwirkung von Wasser grundsätzlich bei allen Prägebereichen des Prägemusters gegeben sein muss.
Die weiter aus der Beschreibung in das Merkmal 1.5 übernommene Angabe „bei Gebrauchstemperatur“ umfasst aus Sicht des Fachmanns wegen des auf Seite 2 GS angesprochenen Aufnehmens von Wasser und der Eignung als Saugkern für Hygieneartikel einen Temperaturbereich von Raumtemperatur bis Körpertemperatur.
2. Der Schutzanspruch 1 in der nach dem Hauptantrag des Antragsgegners geltenden Fassung ist zulässig, sein Gegenstand geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG).
a) Dabei kann dahinstehen, ob der Senat im Sinne einer besetzungsunabhängigen richterlichen Selbstbindung bezüglich der Frage, ob der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters über die Ursprungsoffenbarung hinausgeht, an den Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009 gebunden ist, da der Senat in dieser Frage nach erneuter Prüfung des Sachverhalts zum gleichen Ergebnis gekommen ist.
b) Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die Angabe des Merkmals 1.5, „dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, so dass sich die Verbindung bei Gebrauchstemperatur durch Einwirkung von Wasser nicht löst“, gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Sie hat zur Begründung angeführt, in der Anmeldung sei lediglich offenbart, siehe GS, Seite 2 unten, es werde „bei der Herstellung einer erfindungsgemäßen Faserstoffbahn erreicht, dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind. Diese wird bei Gebrauchstemperatur auch durch Einwirkung von Feuchtigkeit nicht gelöst.“ Darin sei lediglich von einem Nicht-Lösen unter Einwirkung von Feuchtigkeit die Rede. Mit der Angabe „Feuchtigkeit“ sei eine weniger hohe Belastung als mit Wasser bezeichnet, wie z. B. eine Belastung durch Luftfeuchtigkeit, ein Nicht-Lösen unter Einwirkung von Wasser sei davon nicht umfasst. Weiterhin bezöge sich der Satz „Diese wird … nicht gelöst“ auf die Faserstoffbahn, nicht dagegen auf eine Verbindung benachbarter Zellstofffasern. Dies ergebe sich daraus, dass im vorangehenden und im darauffolgenden Satz (GS Seite 3 oben) von der Faserstoffbahn die Rede sei. Das Wort „Verbindung“ komme dagegen in der gesamten Anmeldung nicht vor.
Dieser Argumentation kann nicht beigetreten werden. Schon mit der Bezeichnung „Saugfähige Faserstoffbahn“ ist klar ausgedrückt, dass die Faserstoffbahn zum Aufnehmen und Binden von Flüssigkeit vorgesehen ist, wobei im 4. Absatz auf Seite 2 GS ausdrücklich Wasser als aufzunehmende und zu bindende Flüssigkeit genannt ist. Für den Fachmann ist aufgrund dieser Angaben unmittelbar klar, dass von dem Begriff „Feuchtigkeit“ auf Seite 2 unten auch flüssiges Wasser umfasst ist. Dies ergibt sich auch aus dem darauffolgenden Satz (GS Seite 3 oben), wo von einem „nassen“ Zustand die Rede ist. Weiterhin ergibt sich für den Fachmann, der die Anmeldung im Zusammenhang liest, dass der Satz „Diese wird … nicht gelöst“ sich auf das bezieht, was direkt zuvor angegeben ist, nämlich dass benachbarte Zellstofffasern im Prägebereich sehr fest und innig miteinander verbunden sind, d. h. auf die – durch die Angabe
„miteinander verbunden“ explizit beschriebene – Verbindung der Zellstofffasern untereinander. Dem steht auch nicht entgegen, dass im darauffolgenden Satz (GS Seite 3 oben) von der erfindungsgemäßen Faserstoffbahn die Rede ist. Denn hier wird nach dem Verständnis des Fachmanns beschrieben, was aus der auch durch Einwirkung von Feuchtigkeit – einschließlich Wasser – sich nicht lösenden festen und innigen Verbindung benachbarter Zellstofffasern im Prägebereich folgt: Das Nicht-Lösen der Verbindung benachbarter Zellstofffasern führt dazu, dass der Prägebereich auch im nassen Zustand bestehen bleibt. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Faserstoffbahn insgesamt eine hohe mechanische Belastbarkeit auch im nassen Zustand besitzt. Dieser Zusammenhang wird auch durch die folgenden Erläuterungen auf Seite 3 gestützt, so durch die Angabe im sechsten Absatz auf Seite 3, dass die Fasern ausreichend lang sein sollten, um die Abstände zwischen den Prägebereichen überbrücken zu können.
Die weiteren Merkmale des nach Hauptantrag geltenden Schutzanspruchs 1 ergeben sich aus dem mit der ursprünglichen Anmeldung eingereichten Anspruch 1 mit dem Unterschied, dass die Angabe „klebstoff- und/oder bindemittelfrei“ im Merkmal 1.3 auf die Alternative „klebstoff- und bindemittelfrei“ beschränkt wurde.
Die geltenden Ansprüche 2 bis 20 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 20.
3. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der nach dem Hauptantrag des Antragsgegners geltenden Fassung ist neu gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik und weist insoweit auch einen erfinderischen Schritt auf (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GebrMG).
a) Auch insoweit kann dahingestellt bleiben, ob der Senat im Wege einer besetzungsunabhängigen richterlichen Selbstbindung an die Beurteilung der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters gemäß dem Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009 gebunden ist, da die erneute Prüfung des Sachverhalts insoweit zu keinem anderen Ergebnis geführt hat.
b) Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der nach dem Hauptantrag des Antragsgegners geltenden Fassung wird durch keine der in das Verfahren eingeführten druckschriftlichen Entgegenhaltungen vorweggenommen, insbesondere nicht durch die von der Antragstellerin als neuheitsschädlich geltend gemachten Entgegenhaltungen A3, A4 und A5.
aa) Die A3 offenbart eine saugfähige Faserstoffbahn entsprechend den Merkmalen 1, 1.1 und 1.2, bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern, die in einem Prägemuster aus punktförmigen Prägebereichen miteinander verpresst sind. Dazu siehe Spalte 3, Zeilen 10 bis 17 und 26 bis 30, sowie die Figuren 1 und 2, Prägebereiche 34.
Die Zellstofffasern sind in den Prägebereichen des Prägemusters mit einem Druck beaufschlagt worden, der ausreicht, um Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Fasern entstehen zu lassen, siehe Spalte 3, Zeilen 33 bis 35, und Spalte 6, Zeilen 5 bis 9 („a sufficient pressure to form … hydrogen-bonded compressed portions“), sowie weiter Spalte 3 Zeile 62, Spalte 4 Zeile 10, Spalte 5 Zeile 49, Spalte 6 Zeile 45, Spalte 11 Zeile 12 sowie Spalte 12 Zeile 7.
Die so entstandenen Wasserstoffbrückenbindungen weisen jedoch nicht die im Merkmal 1.5 geforderte Nassfestigkeit auf. Dem steht nicht entgegen, dass gemäß Spalte 8, Zeilen 12 bis 17, ein 30 Minuten lang gewässertes Muster in Streifen geschnitten werden konnte, also noch eine gewisse Integrität besaß. Denn wie in den vorangehenden Zeilen 8 bis 12 beschrieben ist, lagen die Muster während des Wässerns auf einem Drahtgitter („supported on a wire frame“), so dass selbst ein nicht druckbeaufschlagtes Vergleichsmuster „A“ (Spalte 7, Zeilen 29 bis 34) nach dem Wässern in Streifen geschnitten werden konnte. Im Übrigen verlieren auch Faserstoffbahnen mit Wasserstoffbrückenbindungen ihren Zusammenhalt bei Nässe nicht völlig, sie behalten einen geringen Rest von ca. 10 bis 20 % ihrer Festigkeit im trockenen Zustand, vergleiche das als Entgegenhaltung A31 in das vorliegende Verfahren eingeführte Gutachten, welches von Prof. Dr.-Ing. S2… für das Oberlandesgericht Düsseldorf erstattet wurde, siehe dort Seite 3, erster Spiegelstrich. Das entspricht jedoch nicht dem Merkmal 1.5 des Anspruchs 1, das nach dem Verständnis des Fachmanns eine gegenüber dem Stand der Technik erhöhte Reißfestigkeit bei Nässe verlangt.
bb) Die A4 offenbart eine weitere saugfähige Faserstoffbahn entsprechend den Merkmalen 1, 1.1 und 1.2, bestehend aus einem hohen Anteil miteinander verpresster Zellstofffasern, die in einem Prägemuster aus punktförmigen Prägebereichen miteinander verpresst sind, siehe Spalte 1, Zeilen 13 bis 16, und die Figur 2. Auch die A4 lehrt jedoch lediglich, die Zellstofffasern in den Prägebereichen des Prägemusters mit einem Druck zu beaufschlagen, der ausreicht, um Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Fasern entstehen zu lassen, siehe Spalte 4, Zeilen 58 bis 62 („sufficient pressure … to form hydrogen bonds“), und auch Spalte 5 Zeile 18 und Spalte 14 Zeile 7. Diese entsprechen, wie bereits unter aa) ausgeführt, nicht dem Merkmal 1.5 des Anspruchs 1.
Die Antragstellerin hat behauptet, bei den in A4 genannten Drücken von 13,7 bis 206 MPa (2000 bis 30.000 psi, Spalte 4, Zeilen 70 bis 74) entstünden zwangsläufig Verbindungen, die sich unter Einwirkung von Wasser nicht lösen. Dies ergebe sich daraus, dass in den beiden Patentanmeldungen, deren Priorität das Streitgebrauchsmuster in Anspruch nimmt, ein Druck von 100 MPa als ausreichend zur Erzielung fester und inniger Verbindungen, die sich unter Einwirkung von Wasser nicht lösen, bezeichnet werde.
Letzteres trifft indes nicht zu. Die Prioritätsanmeldungen, siehe DE 197 50 890 A1, Spalte 4, Zeilen 41 bis 44, und DE 198 24 825 A1, Spalte 2, Zeilen 51 bis 54, schlagen einen Druck von vorzugsweise oberhalb von 500 MPa, jedenfalls in einem Bereich von 100 bis 600 MPa vor, um eine innige Verbundenheit des Fasermaterials zu erreichen. Dabei wird jedoch nicht nur nicht behauptet, dass sich bereits mit einem Druck von 100 MPa (oder, wie in A4 genannt, 207 MPa) Verbindungen, die sich unter Einwirkung von Wasser nicht lösen, im Sinne des Merkmals 1.5, realisieren ließen. Vielmehr ist von einem Nicht-Lösen unter Einwirkung von Wasser in beiden Anmeldungen gar keine Rede. In der späteren, dem Streitgebrauchsmuster zugrunde liegenden Anmeldung wird dagegen zwar die Erzielung nassfester Verbindungen durch hohe Druckbeaufschlagung gelehrt, hier wird jedoch kein Zahlenwert für den dafür erforderlichen Druck genannt. Somit ergibt sich aus den in A4 genannten Druckwerten kein Hinweis auf andere Verbindungen der Zellstofffasern als die in A4 ausdrücklich angegebenen Wasserstoffbrückenbindungen.
cc) Die A5 offenbart, eine saugfähige Faserstoffbahn gemäß der A4, auf die in der A5 ausdrücklich Bezug genommen wird, siehe Spalte 1 Zeilen 22 bis 25, mit weiteren, anders hergestellten Bahnen zur Verstärkung zu verbinden, siehe Spalte 2 Zeile 45 bis Spalte 3 Zeile 4 und Figuren 1, 2. Im Hinblick auf Merkmal 1.5 offenbart sie nicht mehr als die A4.
dd) Die weiteren druckschriftlichen Entgegenhaltungen, insbesondere die A6 bis A8, liegen ersichtlich weiter ab und stellen daher im vorliegenden Fall ebenfalls keinen neuheitsschädlichen Stand der Technik dar.
c) Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der nach dem Hauptantrag des Antragsgegners geltenden Fassung beruht auch auf einem erfinderischen Schritt gegenüber dem vorgenannten druckschriftlichen Stand der Technik (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 GebrMG).
Den Druckschriften im Verfahren ist keine Anregung entnehmbar, beim Verpressen von Zellstofffasern zu Prägebereichen, wie sie aus A3 bis A5 bekannt sind, eine höhere Druckbeaufschlagung vorzusehen, als zur Erzeugung von Wasserstoffbrückenbindungen erforderlich.
aa) Die A3 betrifft saugfähige Faserstoffbahnen als Einlagen für Einwegartikel zum Aufnehmen von Körperflüssigkeiten, wie z. B. Windeln, siehe Spalte 1, Zeilen 20 ff. Dabei wird von einem Stand der Technik ausgegangen, bei dem entsprechende Faserstoffbahnen durchgehend verpresst wurden, siehe Spalte 1, Zeilen 34 bis 36. Dabei tritt laut A3 ein Zielkonflikt auf: Werden die Fasern in vergleichsweise hohem Maße verpresst, so kann Flüssigkeit in der Faserstoffbahn verteilt werden, jedoch verringert sich das Aufnahmevermögen. Außerdem ist die Faserstoffbahn steif. Werden die Fasern dagegen kaum verpresst, so kann Flüssigkeit nicht verteilt werden, siehe Spalte 1, Zeilen 38 bis 50.
Um eine saugfähige Faserstoffbahn mit sowohl hohem Flüssigkeitstransport- und verteilungsvermögen als auch hohem Flüssigkeitsaufnahmevermögen zu schaffen, schlägt die A3 vor, die Fasern der Faserstoffbahn in einem Prägemuster aus punktförmigen Prägebereichen miteinander zu verpressen, und zwar mit einem ausreichend hohen Druck zur Erzielung von Wasserstoffbrückenbindungen. Zwischen den Prägebereichen sollen Bereiche verbleiben, in denen die Fasern lediglich geringfügig verpresst sind, siehe Spalte 3, Zeilen 10 bis 21, und Spalte 6, Zeilen 5 bis 9.
Ausgehend von dieser Zielsetzung der A3, Flüssigkeitstransport- und aufnahmevermögen zu optimieren, besteht kein Anlass für den Fachmann, höhere Druckbeaufschlagungen der Fasern in den Prägebereichen zu erproben als zur Erzielung von Wasserstoffbrückenbindungen erforderlich. Dabei ist auch zu beachten, dass die Figuren 4 und 5 einen lediglich wenig höheren Verdichtungsgrad der Prägebereiche 34 im Vergleich zu den nur geringfügig verpressten Bereichen 36 dazwischen zeigen.
bb) Die A4 betrifft saugfähige Faserstoffbahnen für Wischtücher oder Binden und geht von hydrodynamisch, d. h. nass gebildeten („water laid“) Faserstoffbahnen als Stand der Technik aus. Nachteilig bei so hergestellten Faserstoffbahnen sei, dass sich beim Trocknen ein Übermaß an Bindungen zwischen den Fasern einstelle, so dass solche Faserstoffbahnen unvorteilhafte taktile Eigenschaften besäßen, nämlich hart, steif und dünn seien und darüber hinaus ein unzureichendes Flüssigkeitsaufnahmevermögen aufwiesen, siehe Spalte 1, Zeilen 12–50. Die A4 führt weiter aus, aerodynamisch gebildete („air laid“) Faserstoffbahnen seien ebenfalls bekannt, aber als ungeeignet für die genannten Verwendungen angesehen worden, weil sich dabei ein hohes Flüssigkeitsaufnahmevermögen und vorteilhafte taktile Eigenschaften nicht in Verbindung mit einer ausreichenden Festigkeit erreichen ließen, siehe Spalte 2, Zeilen 28 bis 40.
Als Aufgabe ist daher in der A4 angegeben, eine Faserstoffbahn mit einer wünschenswerten Kombination aus Festigkeit, Flüssigkeitsaufnahmevermögen und taktischen Eigenschaften bereitzustellen.
Wie bereits zur Frage der Neuheit ausgeführt, lehrt die A4 dementsprechend, die Zellstofffasern einer aerodynamisch gebildeten Faserstoffbahn in punktförmigen Prägebereichen eines Prägemusters durch Druckbeaufschlagung zu verbinden.
Dabei wird in Bezug auf die Höhe der Druckbeaufschlagung ausgeführt, dass zwar eine zu schwache Prägung zu einer unzureichenden Festigkeit der Faserstoffbahn führe, eine zu starke Prägung aber taktile Eigenschaften und Flüssigkeitsaufnahmevermögen negativ beeinflusse, siehe Spalte 4, Zeilen 27 bis 30 und 33 bis 36. Im Ergebnis wird deshalb gerade nicht eine Beaufschlagung mit möglichst hohem Druck gelehrt, sondern die Fasern in den Prägebereichen mit einem Druck zu beaufschlagen, der ausreicht, um Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Fasern entstehen zu lassen, Spalte 4, Zeilen 58 bis 62 („sufficient pressure … to form hydrogen bonds“).
In Spalte 4, Zeilen 69 bis 71, ist weiter angegeben, dass dazu der auf den Prägebereich ausgeübte Druck mindestens 2000 psi, d. h. 13,8 MPa, betragen sollte. Auch aus dem darauf folgenden Hinweis, Zeilen 71 bis 73, dass der maximal mögliche Druck durch die Fließgrenze des Walzenmaterials begrenzt sei, ergibt sich keine Anregung für den Fachmann, Versuche mit hohen Druckbeaufschlagungen bis zum Erreichen der Fließgrenze, d. h. letztlich bis zur Zerstörung der Walze, vorzunehmen. Denn noch im selben Satz wird ausgeführt, dass der Druck bei praktischen Anwendungen in der Regel 30.000 psi, d. h. 207 MPa, nicht übersteigt. Auch die weiteren Ausführungen im darauffolgenden Satz im Übergang von Spalte 4 auf 5, wonach es regelmäßig wünschenswert sei, als glatte Gegenwalze zur Prägewalze eine Walze aus nachgiebigem Material, z. B. Nylon, einzusetzen, lenken den Blick des Fachmanns gezielt darauf, die beabsichtigten Wasserstoffbrückenbindungen mit möglichst niedriger Druckbeaufschlagung zu erreichen, nicht dagegen darauf, hohe Druckbeaufschlagungen zu erproben.
Ein Anlass zur Erprobung hoher Druckbeaufschlagungen ergibt sich auch nicht aus der Angabe der A4, dass die mittels Wasserstoffbrücken gebundenen Prägebereiche allgemein höchstens 40 % der Dicke der restlichen Bahn haben sollen und üblicherweise höchstens 20 % der Dicke, siehe Spalte 5, Zeilen 18 bis 23. Denn bei dieser Angabe geht es nicht um den Verdichtungsgrad der Prägebereiche, sondern darum, dass die zwischen den Prägebereichen liegenden Bereiche möglichst gering verdichtet sein sollen, nämlich allgemein mindestens 2,5 mal so dick und üblicherweise mindestens 5 mal so dick wie die geprägten Bereiche, um die geforderten taktilen Eigenschaften und das geforderte Flüssigkeitsaufnahmevermögen der Faserstoffbahn zu erreichen, siehe Spalte 5, Zeilen 4 bis 28, insbesondere Zeilen 23 bis 28.
Soweit, wie bereits ausgeführt, gemäß der A4 in Kombination mit Flüssigkeitsaufnahmevermögen und taktilen Eigenschaften auch eine gewisse Festigkeit der Faserstoffbahn angestrebt wird, und angegeben ist, dass ein zu niedriger Prägedruck zu einer unzureichenden Festigkeit der Faserstoffbahn führt, Spalte 4, Zeilen 35 bis 36, ist darin für den Fachmann kein Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Prägedruck und einer Nassfestigkeit der Faserstoffbahn enthalten. Denn in der A4 wird begrifflich zwischen „Festigkeit“ („strength“, u. a. Spalte 1 Zeile 19, Spalte 2 Zeile 43, und Spalte 4 Zeile 36) und „Nassfestigkeit“ („wet-strength“, Spalte 5 Zeilen 29 ff.) unterschieden. Während jedoch für die Festigkeit auf den Zusammenhang mit dem Prägedruck hingewiesen wird, wird hinsichtlich der Erzielung einer Nassfestigkeit ausgeführt, dass dazu Additive hinzugegeben werden müssen, siehe Spalte 5 Zeilen 29 bis 36.
Im Ergebnis ergibt sich auch aus der A4 kein Anlass für den Fachmann, höhere Druckbeaufschlagungen der Fasern in den Prägebereichen zu erproben als zur Erzielung von Wasserstoffbrückenbindungen erforderlich.
cc) Die A5, die lehrt, eine saugfähige Faserstoffbahn gemäß der A4 zur Verstärkung mit weiteren, anders hergestellten Bahnen zu verbinden, offenbart hinsichtlich der Höhe der Druckbeaufschlagung in den Prägebereichen nicht mehr als die A4.
Auch eine Zusammenschau der druckschriftlichen Entgegenhaltungen liefert keinen Hinweis auf eine anspruchsgemäß hohe Druckbeaufschlagung.
Die weiteren druckschriftlichen Entgegenhaltungen A6 bis A8 liegen ersichtlich weiter ab und haben auch in der mündlichen Verhandlung keine Rolle mehr gespielt.
dd) Die Antragstellerin hat zur Frage der Höhe der Druckbeaufschlagung behauptet, eine Variation des Druckes zum Auffinden des gebrauchsmustergemä- ßen Druckbereichs nehme der Fachmann ohne erfinderisches Zutun vor. Das habe der Senat bereits selbst festgestellt, es sei die Voraussetzung für die Bejahung der Ausführbarkeit der Erfindung gewesen, siehe den Beschluss vom 14. Januar 2009, Seite 12. Dies trifft jedoch nicht zu. In dem genannten Beschluss wird zur Frage der Ausführbarkeit festgestellt, dass der Fachmann den zur Erzielung von anspruchsgemäßen Verbindungen erforderlichen Druck aufgrund der Angaben in der Gebrauchsmusterschrift, d. h. in Kenntnis der erfinderischen Lehre, durch Versuche auffinden konnte, ohne erfinderisch tätig zu werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Fachmann ohne Kenntnis der erfinderischen Lehre stets, auch ohne Anlass, Versuche zur Variation des Drucks vornimmt, und dabei ohne erfinderisches Zutun höhere Druckbeaufschlagungen als zur Erzielung von Wasserstoffbrückenbindungen erforderlich erprobt.
Die Antragstellerin hat weiter vorgetragen, eine Variation des Drucks könne auch deshalb keinen erfinderischen Schritt begründen, weil der Fachmann bei der Produktion saugfähiger Faserstoffbahnen ständig den Pressdruck justieren müsse. Dies betrifft jedoch ein Justieren des Drucks in geringfügigem Umfang zum Erzielen eines vorgegebenen, stets gleichen Ergebnisses, nicht dagegen eine Variation des Drucks über den gesamten technisch machbaren Bereich bis hin zur Karbonisierung des Fasermaterials oder der Zerstörung der Walzen.
4. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der nach dem Hauptantrag des Antragsgegners geltenden Fassung wird auch durch die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung nicht neuheitsschädlich vorweggenommen und dem Fachmann auch in Zusammenschau mit dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik nicht nahegelegt. (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GebrMG), und zwar auch dann, wenn man zugunsten der Antragstellerin unterstellt, dass Produkte „Helen Harper Classic’s“ vor dem maßgeblichen Zeitpunkt nach Deutschland exportiert bzw. in Deutschland vertrieben worden sind.
a) In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob der Senatsbeschluss vom 14. Januar 2009 festgestellt hat, dass der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters aufgrund der von der Antragstellerin behaupteten Vorbenutzung, ihr Vorliegen unterstellt, i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG nicht schutzfähig sei. Denn eine derartige Feststellung ist diesem Beschluss nicht in einer zu einer entsprechenden Selbstbindung des Senats führenden Weise getroffen worden. Zwar ist davon auszugehen, dass der Senat i. S. e. besetzungsunabhängigen richterlichen Selbstbindung in gleicher Weise an die genannte Vorentscheidung gebunden ist wie das DPMA bei der Zurückverweisung durch den Senat (vgl. z. B. Schulte, PatG, 10. Aufl., § 79, Rn. 48; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 79, Rn. 103; Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., § 79 PatG, Rn. 37). Jedoch beschränkt sich die Bindungswirkung der genannten Vorentscheidung auf diejenigen Punkte, deren rechtsirrtümliche Würdigung durch die Vorinstanz die Aufhebung ihrer ersten Entscheidung unmittelbar herbeigeführt hat (vgl. BGH GRUR 1972, 472, Tz. 16, 17 – Bindungswirkung). Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Bindungswirkung des Senatsbeschlusses vom 14. Januar 2009 auf die Bejahung der Zulässigkeit des Schutzanspruchs 1 gemäß dem damaligen Hilfsantrag I, zu der der Senat eingehend Stellung genommen hat und die als maßgeblich für die Aufhebung des Beschlusses der Gebrauchsmusterabteilung vom 11. Oktober 2007 zu erachten ist (s. insbes. S. 11/12 des Beschlusses vom 14. Januar 2009). Zu der von der Antragstellerin geltend gemachten Vorbenutzung hat der Senat dort jedoch nur ausgeführt, dass diese der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters entgegenstehen „könnte“, jedoch noch Klärungsbedarf bestehe, was vorbenutzt wurde, welche Eigenschaften der vorbenutzte Gegenstand hatte und wie er offenkundig geworden sein soll, weswegen er die Sache zur Durchführung der dafür erforderlichen Ermittlungen an die Gebrauchsmusterabteilung zurückverwiesen hat (vgl. S. 13 des Senatsbeschlusses vom 14. Januar 2009). Eine bindende Beurteilung der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters im Hinblick auf die geltend gemachte Vorbenutzung, die Richtigkeit des Sachvortrags der Antragstellerin unterstellt, ist hierdurch nicht erfolgt.
b) Es blieb daher Aufgabe des Senats, die Relevanz des Vorbringens der Antragstellerin zur Vorbenutzung und der eingereichten Unterlagen für die Beurteilung der Schutzfähigkeit nach dem zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegenden Sach- und Streitstand erneut zu prüfen, insbesondere dahingehend, ob eine relevante Vorbenutzung schlüssig vorgetragen wurde.
Dies ist jedoch nicht zu bejahen.
aa) Eine neuheitsschädliche Vorwegnahme durch Vorbenutzung setzt nicht nur voraus, dass ein gebrauchsmustergemäßes Erzeugnis vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag im Geltungsbereich des Gebrauchsmustergesetzes z. B. durch Veräußerung öffentlich zugänglich war, sondern auch, dass ein Fachmann diesem Erzeugnis die gebrauchsmustergemäße Lehre entnehmen konnte. Dies ist bereits dann der Fall, wenn die nicht nur theoretische Möglichkeit eröffnet ist, dass beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige und ausreichende Kenntnis von der betreffenden Erfindung erlangen (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 8. November 2016, I ZR 116/14, Rn. 25 m. w. N.). Ist ein die erfindungsgemäßen Merkmale tatsächlich aufweisendes Erzeugnis vor dem für den Zeitrang maßgebenden Tag am Markt kommerziell erhältlich, so ist grundsätzlich auch davon auszugehen, dass der Fachmann dadurch in die Lage versetzt wird, das entsprechende Produkt nachzuarbeiten (vgl. BGH GRUR 2011, 129, Tz. 45 – Fentanyl-TTS; GRUR 2015, 1091, Tz. 32 – Verdickerpolymer I). Vorauszusetzen ist insoweit aber stets, dass die Benutzung auch dem Fachmann tatsächlich eine Kenntnis i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG in Bezug auf die erfindungsgemäßen Merkmale vermittelt, wobei eine einzelfallbezogene Betrachtung angebracht ist (vgl. Loth, GebrMG, 2. Aufl., § 3, Rn. 190 – 193). Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass jedenfalls die streitgebrauchsmustergemäßen Merkmale 1.3 – 1.5 sich aus der von der Antragstellerin vorgetragenen Vorbenutzung weder aus der Inaugenscheinnahme des nach ihrem Vortrag vorbenutzten Gegenstands noch durch vom Fachmann im Rahmen seines üblichen fachmännischen Könnens liegende Untersuchungshandlungen in naheliegender Weise erge- ben. Vermag der Fachmann erfindungsgemäße Merkmale aus einem vorbenutzten Gegenstand mit seinem – zum jeweils maßgebenden Zeitpunkt vorhandenen – Fachwissen nicht zu erkennen, so werden diese Merkmale auch durch eine Vorbenutzung einschließlich der Veräußerung des jeweiligen Gegenstands nicht offenkundig (vgl. auch Schulte, PatG, 10. Aufl. § 3, Rn. 53 und 56). Letzteres ist hier der Fall.
Gegenstand der von der Antragstellerin vorgetragenen Vorbenutzung sind Slipeinlagen „Helen Harper Classic‘s“. Die Antragstellerin hat mehrere Muster eingereicht, u. a. mit Anlage A13 zwei Muster von Slipeinlagen, von denen nach ihrem Vortrag eine vor dem 18. November 1997 und eine im Jahr 2005 hergestellt sein soll. Sie hat geltend gemacht, diesen Mustern entsprechende Slipeinlagen seien im Jahr 1996 durch Verkauf in Deutschland der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Weiter befindet sich eine mit Anlage A20.5 eingereichte, nach dem Vortrag der Antragstellerin im zweiten Halbjahr des Jahres 1996 produzierte Slipeinlage bei den Akten.
Selbst bei Zugrundelegen dieses Vortrags als zutreffend wurde entsprechend den o. g. Ausführungen jedoch durch eine öffentliche Zugänglichkeit entsprechender Slipeinlagen nicht zugleich auch die gebrauchsmustergemäße Lehre der Öffentlichkeit zugänglich.
Die eingereichten Slipeinlagen weisen jeweils eine saugfähige Faserstoffbahn mit in einem Prägemuster aus punktförmigen Prägebereichen miteinander verpressten Zellstofffasern entsprechend den Merkmalen 1, 1.1 und 1.2 des Schutzanspruchs 1 nach Hauptantrag auf. Diese Merkmale waren auch für den Fachmann feststellbar. Um jedoch weiter zur Kenntnis der Merkmale 1.3 i. V. m. 1.5 zu gelangen, insbesondere der hohen Druckbeaufschlagung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen, hätte es Untersuchungen bedurft, zu denen für den Fachmann kein Anlass bestand.
Denn die mit Anlage A13 eingereichten Muster von Slipeinlagen weisen jeweils hinsichtlich der Stärke der Prägung erhebliche Schwankungen auf. So sind Bereiche mit starker Prägung vorhanden, aber auch Bereiche mit sehr schwacher und auch gar nicht erkennbarer Prägung. Das mit Anlage A20.5 eingereichte Muster weist insgesamt stärkere Prägungen auf. Hier sind die Prägungen überall wenigstens schwach erkennbar.
Die Antragstellerin hat eingewendet, die Muster könnten sich über die Zeit verändert haben. Es ist jedoch ohne weiteres erkennbar, dass die Ursache für die erhebliche Schwankung der Stärke der Prägung nicht in einem nachträglichen Lösen von Prägungen, sondern in einer entsprechenden Dickenschwankung der Faserstoffbahn bereits vor dem Prägen liegt: Dort wo die Faserstoffbahn sehr dünn ist, erfolgte dementsprechend nur eine sehr schwache bzw. gar keine Prägung.
Es war daher für den Fachmann nicht naheliegend, den Prägungen eine tatsächliche oder beabsichtigte technische Wirkung zuzuschreiben, bei der die Höhe der Druckbeaufschlagung eine Rolle spielt.
Sofern der Fachmann den Prägungen überhaupt eine technische Wirkung unterstellt hätte, konnte er jedoch nicht annehmen, dass damit eine Steigerung der Festigkeit der Faserstoffbahn beabsichtigt gewesen sei, weil die Prägebereiche dazu mit ca. 6,5 mm Abstand von einem zum nächsten Prägebereich bzw. ca. 2,4 Prägebereichen pro cm² bei weitem zu große Abstände aufweisen. Denn zu einer Steigerung der Festigkeit der Faserstoffbahn wäre es nach seinem Verständnis erforderlich, den Abstand von Prägebereich zu Prägebereich kürzer als die mittlere Faserlänge zu wählen, so dass eine Verbindung der Fasern stattfindet. Zellstofffasern für entsprechende Produkte sind jedoch wesentlich kürzer als 6,5 mm. Laut Vortrag der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung beträgt die Faserlänge von Zellstofffasern weniger als 1 mm, ein Prägemuster mit 1 bis 16 Prägebereichen pro cm² habe daher hinsichtlich der Festigkeit der Faserstoffbahn keinerlei Effekt.
Bei der Beantwortung der Frage, ob für den Fachmann ein Anlass zu Untersuchungen hinsichtlich Festigkeitseigenschaften bestand, ist auch zu berücksichtigen, dass bei der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ die Faserstoffbahn mit ihrer Unterseite auf eine Folienunterlage aufgeklebt und mit ihrer Oberseite mit der Innenseite einer schlauchförmigen Umhüllung verklebt ist, so dass die Faserstoffbahn nur einen geringen Beitrag zur Festigkeit der Slipeinlage insgesamt leisten kann.
Hätte der Fachmann trotzdem die Faserstoffbahn aus der Slipeinlage herausgetrennt und auf ihre Festigkeit untersucht, so hätten übliche Zugfestigkeitstests keinerlei Aussage über die Beschaffenheit der Prägebereiche erbracht. Denn bei solchen Zugfestigkeitstests, gleich ob im trockenen oder nassen Zustand, wäre aufgrund der großen Abstände von einem zum nächsten Prägebereich die Faserstoffbahn jeweils zwischen den Prägebereichen gerissen, vergl. das in Anlage A21 von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten, Seiten 15 und 16.
Ein Hinweis auf eine Untersuchungsmethode zur Untersuchung der Prägebereiche selbst in einer Art und Weise, die zur Kenntnis einer anspruchsgemäß hohen Druckbeaufschlagung benachbarter Zellstofffasern in den Prägebereichen geführt hätte, ist für die Zeit vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag weder dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik noch den weiteren Unterlagen zu entnehmen. Eine entsprechende Untersuchung konnte daher von einem Fachmann, dem Muster der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ vorlagen, nicht ohne erfinderischen Schritt ausgeführt werden.
Dem stehen die von dem vom Oberlandesgericht Düsseldorf beauftragten Gutachter, siehe Anlage A31, und die von den Gutachtern der Beteiligten vorgenommenen Untersuchungen von Prägebereichen der Faserstoffbahnen verschiedener Slipeinlagen-Muster hinsichtlich ihrer Nassfestigkeit nicht entgegen, da diese in Kenntnis der Lehre des Gebrauchsmusters erfolgten.
bb) Auch eine Zusammenschau mit dem druckschriftlichen Stand der Technik führte weder zu einem Anlass und einer Methode zur Untersuchung der Prägebereiche, die zur Kenntnis einer anspruchsgemäß hohen Druckbeaufschlagung der Prägebereiche geführt hätte, noch in anderer Weise ohne erfinderischen Schritt zur Lehre des Schutzanspruchs 1 nach Hauptantrag.
Die Entgegenhaltung A4 und die A5, die auf die A4 Bezug nimmt, lehren, dass zum Erzielen einer ausreichenden Festigkeit der in A4 vorgeschlagenen Faserstoffbahn der Abstand von einem Prägebereich zum nächsten kürzer als die durchschnittliche Faserlänge sein sollte, siehe A4, Spalte 4, Zeilen 45 bis 49, und A5, Spalte 6, Zeilen 29 bis 31. Die A4 schlägt explizit Abstände der Prägebereiche von 0,7 bis 1,7 mm vor (Spalte 4, Zeile 54, „15–35 areas per inch“), was 35 bis 190 Prägebereichen pro cm² entspricht.
Eine Zusammenschau von Mustern der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ mit der A4/A5 konnte den Fachmann daher nur in seinem Verständnis bestätigen, dass bei den Prägebereichen der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ mit ca. 6,5 mm Abstand bzw. nur ca. 2,4 Prägebereichen pro cm² – statt 35 bis 190 pro cm², wie in A4 vorgeschlagen – eine technische Wirkung hinsichtlich der Festigkeit der Faserstoffbahn weder tatsächlich gegeben noch beabsichtigt sein konnte.
Die Entgegenhaltung A3 lehrt, zum Erzielen sowohl eines hohen Flüssigkeitstransport- und -verteilungsvermögens als auch eines hohen Flüssigkeitsaufnahmevermögens von Faserstoffbahnen einen Abstand der Prägebereiche von ca. 6 bis 6,5 mm bzw. ca. 2,4 bis 2,8 Prägebereiche pro cm² vorzusehen, wie sich aus den Angaben zur Fläche und zum Flächenanteil der Prägebereiche (0,01 cm² bei 2,3 % Anteil bzw. 0,005 cm² bei 1,4 % Anteil) für die Ausführungsbeispiele ergibt, siehe Spalte 7, Zeilen 41 bis 45, und Spalte 10, Zeilen 6 bis 10.
Eine Zusammenschau von Mustern der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ mit der A3 zeigt eine Übereinstimmung hinsichtlich des Abstandes der Prägebereiche, was für den Fachmann den Schluss nahelegt, dass die gemäß A3 beabsichtigte Wirkung, sowohl ein hohes Flüssigkeitsverteilungsvermögen als auch ein hohes Flüssigkeitsaufnahmevermögen zu erreichen, auch im Fall der Slipeinlage „Helen Harper Classic’s“ gegeben und auch beabsichtigt sein könnte. Darüber hinaus führt der Vergleich der theoretischen Darstellung in A3 mit den praktisch ausgeführten Mustern „Helen Harper Classic’s“ aufgrund der bei letzteren gegebenen starken Schwankung der Stärke der Prägung jedoch für den Fachmann lediglich zu der Erkenntnis, dass es dabei auf den Grad der Verdichtung bzw. die Höhe der Druckbeaufschlagung in den Prägebereichen – tatsächlich oder zumindest nach zu unterstellender Auffassung der Hersteller der Slipeinlagen „Helen Harper Classic’s“ – nicht ankommt. Dies stimmt auch insoweit mit der Lehre der A3 überein, als diese vor allem lehrt, siehe Spalte 3, Zeilen 46 bis 50, Dichtegradienten, d. h. Änderungen der Dichte über die Fläche der Faserstoffbahn bereitzustellen, um die beabsichtigte Kombination von hohem Flüssigkeitsverteilungsvermögen und hohem Flüssigkeitsaufnahmevermögen zu erreichen.
c) Die abhängigen Schutzansprüche 2 bis 20 werden vom Schutzanspruch 1 getragen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.
III.
Rechtsmittelbelehrung Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, 2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, 3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, 4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, 5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder 6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu unterzeichnen und beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzureichen. Die Frist ist nur gewahrt, wenn die Rechtsbeschwerde vor Fristablauf beim Bundesgerichtshof eingeht. Die Frist kann nicht verlängert werden.
Metternich Dr. Krüger Ausfelder Fa