AnwZ (Brfg) 4/24
BUNDESGERICHTSHOF AnwZ (Brfg) 4/24 BESCHLUSS vom
23. Mai 2024 in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ECLI:DE:BGH:2024:230524BANWZ.BRFG.4.24.0 Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, die Richterinnen Dr. Liebert und Ettl sowie den Rechtsanwalt Dr. Lauer und die Rechtsanwältin Niggemeyer-Müller am 23. Mai 2024 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 5. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 12. Oktober 2023 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
Der Kläger ist seit 1972 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 10. Februar 2022 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28. Dezember 2023 zugestellt. Der Kläger hat mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Dezember 2023 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. März 2024, bei Gericht eingegangen am 12. März 2024, hat er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist beantragt und zugleich seinen Antrag auf Zulassung der Berufung begründet.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, er sei unverschuldet daran gehindert gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt die für die Ausarbeitung des Schriftsatzes zur Rechtsmittelbegründung erforderliche Zuarbeit zu leisten. Er leide chronisch, zuletzt mit akuten Verschlechterungen, an einer schweren kardiologischen Erkrankung und sei zuletzt lediglich sukzessive in der Lage gewesen, Besprechungen einschließlich der erforderlichen Vorarbeiten und Sondierung anhand des bisherigen Verfahrensverlaufs zur Fertigstellung der Rechtsmittelbegründung zu leisten. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger ein ärztliches Attest seines internistischen Hausarztes vom 17. Januar 2024 vorgelegt, wonach bei ihm ein schweres kardiologisches Krankheitsbild vorliege und er aufgrund der kardialen Situation und seines fortgeschrittenen Alters weiterhin verhandlungsunfähig sei (mindestens bis zum 15. April 2024). Der Kläger hat weiter den vorläufigen Entlassbericht eines Krankenhauses vom 8. Juli 2023 bezüglich einer dortigen stationären Behandlung vom 7. Juli 2023 bis zum 8. Juli 2023 vorgelegt mit dem Verweis darauf, dass hierin die Einzeldiagnosen des fortbestehenden Krankheitsbildes dargestellt seien.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, da dieser nicht fristgerecht begründet worden ist.
1. Der Zulassungsantrag war innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zustellung des vollständigen Urteils, vorliegend also bis zum Ablauf des 28. Februar 2024, zu begründen (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 4, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Zu diesem Zeitpunkt lag keine Begründung vor.
2. Wiedereinsetzung in die versäumte Frist ist dem Kläger nicht zu gewähren, da er nicht ohne Verschulden verhindert war, seinen Antrag auf Zulassung der Berufung fristgemäß zu begründen (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 60 Abs. 1 VwGO).
Die Erkrankung des Klägers und die damit einhergehenden Einschränkungen schließen ein Verschulden an der Versäumung der Antragsbegründungsfrist nicht aus. Eine Erkrankung der Partei rechtfertigt zwar eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Begründungsfrist, wenn die Partei wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage ist, ihren Rechtsanwalt sachgemäß zu unterrichten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. April 2013 - XI ZR 90/12, juris Rn. 7; vom 24. März 1994 - X ZB 24/93, NJW-RR 1994, 957; vom 11. Juli 1989 - XI ZB 2/89, juris Rn. 10; BVerwGE 163, 26 Rn. 34). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Zwar ist in dem Wiedereinsetzungsantrag das Bestehen einer schweren kardiologischen Erkrankung des Klägers dargetan, die seinen Vortrag, er habe die Vorbereitung sowie sachgemäße Unterrichtung seiner Prozessbevollmächtigten nur sukzessive leisten können, nachvollziehbar erscheinen lässt. Indes ergibt sich hieraus nicht, dass er hierdurch ohne Verschulden daran gehindert war, seinen Antrag auf Zulassung der Berufung rechtzeitig zu begründen.
a) Die in dem Wiedereinsetzungsantrag geschilderte krankheitsbedingte Beeinträchtigung bei der Erstellung der Antragsbegründung war sowohl für den Kläger als auch für dessen Prozessbevollmächtigte vorhersehbar. Denn die schwere Erkrankung des Klägers und die hieraus resultierenden Schwierigkeiten für die sachgerechte Vorbereitung und Unterrichtung seiner Prozessbevollmächtigen sind nicht unvorhergesehen eingetreten, sondern bestanden bereits seit längerer Zeit. So hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers schon in der Vorinstanz mit Schriftsatz vom 22. Februar 2023 zur Begründung eines Terminverlegungsantrags geltend gemacht, dass der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustands nur zeitlich begrenzt in der Lage sei, seine für das laufende Verfahren erforderlichen Angelegenheiten zu regeln. In der Vorinstanz wurde zudem mit Verweis auf seine kardiologische Erkrankung unter Vorlage von ärztlichen Attesten die längerfristige Verhandlungsunfähigkeit des Klägers geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2023 vor dem Anwaltsgerichtshof hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, dass sie zwar seit der Absetzung des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung Besprechungen mit dem Kläger gehabt habe, diese jedoch nur zeitlich eingeschränkt möglich gewesen seien. Das im Zulassungsverfahren vorgelegte ärztliche Attest bescheinigt auf Grund der fortbestehenden kardiologischen Erkrankung eine weitere Verhandlungsunfähigkeit seit 17. Januar 2024 bis mindestens 15. April 2024. Der zudem vorgelegte Entlassbericht vom 8. Juli 2023 bestätigt die langfristige und dauerhafte Erkrankung des Klägers.
b) Vor dem Hintergrund der vorliegenden durchgängigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und der damit bekannten einhergehenden Schwierigkeiten in der Unterrichtung seiner Prozessbevollmächtigten mussten sowohl der Kläger als auch seine Prozessbevollmächtigten damit rechnen, dass die für die Erstellung der Antragsbegründung erforderlichen Vorarbeiten sowie Besprechungen auf Grund der gesundheitlichen Situation des Klägers längere Zeit in Anspruch nehmen würden. Es oblag sowohl dem Kläger als auch dessen Prozessbevollmächtigter, sich hierauf einzustellen und mit der Vorarbeit für die Antragsbegründung und den erforderlichen Besprechungen so frühzeitig zu beginnen, dass diese dem Gesundheitszustand des Klägers entsprechend sukzessive durchgeführt werden konnten und eine rechtzeitige Fertigstellung der Antragsbegründung ermöglichten. Dass dies innerhalb der zweimonatigen Antragsbegründungsfrist nicht möglich gewesen wäre, ist nicht dargetan. Die bloße Behauptung, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen verhindert gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt, etwa zum 28. Februar 2024, die erforderliche Zuarbeit für die Ausarbeitung der Antragsbegründung zu leisten, genügt insoweit nicht. Gründe dafür, warum die Mitwirkung des Klägers zwar bis zur Erstellung der Antragsbegründung am 11. März 2024, nicht aber bis zum Fristablauf am 28. Februar 2024 möglich war, ergeben sich hieraus nicht. Der Kläger macht insbesondere nicht geltend, dass sich sein gesundheitlicher Zustand unvorhersehbar und kurzfristig dergestalt verändert hatte, dass hierdurch unverschuldet eine fristgerechte Antragsbegründung verhindert, deren Nachholung binnen weniger als zwei Wochen aber ermöglicht wurde. Der Kläger beruft sich vielmehr zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags allein auf den seit langem bestehenden, sich verschlechternden Krankheitszustand und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der für die Erstellung der Antragsbegründung erforderlichen Zuarbeit des Klägers. Dass und aus welchen Gründen eine rechtzeitige Fertigstellung der Antragsbegründung bei der gebotenen, an die bekannten Beeinträchtigungen angepassten rechtzeitigen Vorarbeit nicht möglich gewesen wäre, ergibt sich hieraus jedoch nicht.
3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hätte - seine Zulässigkeit unterstellt - auch in der Sache keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
a) Die Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung sind entgegen der Auffassung des Klägers auf den hier allein streitgegenständlichen Widerruf seiner Anwaltszulassung anzuwenden und die Beklagte war auf Grund seiner dortigen Kammermitgliedschaft für den Widerruf zuständig, der Anwaltsgerichtshof für die Anfechtungsklage hiergegen. Die weiteren Mitgliedschaften des Klägers in berufsständischen Kammern sind insoweit ebenso unerheblich wie der behauptete nicht-anwaltliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich in diesem Zusammenhang nicht.
b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats hat der Anwaltsgerichtshof das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Widerruf wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 VwGO) bejaht. Zu Recht ist er insbesondere davon ausgegangen, dass der Vermögensverfall auf Grund der im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung vorliegenden Eintragung im Schuldnerverzeichnis, der eine auch nach dem Klägervortrag jedenfalls nicht vollständig erfüllte Verbindlichkeit zu Grunde lag, gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vermutet wird und der Kläger diese Vermutung nicht widerlegt hat. Das Vorbringen des Klägers in der Zulassungsbegründung stellt dies nicht ernstlich in Frage. Insbesondere sind die dort vorgebrachten Entwicklungen nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung nicht erheblich; sie wären gegebenenfalls in einem Wiederzulassungsverfahren zu berücksichtigen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. April 2022 - AnwZ (Brfg) 2/22, NJOZ 2022, 861 Rn. 5 f.). Auch ist es für den Eintritt der Vermutungswirkung unerheblich, ob der Gläubiger seinen Eintragungsantrag nach erfolgter Eintragung widerrufen hat, wie der Kläger behauptet. Denn die die Vermutungswirkung begründende Eintragung im Schuldnerverzeichnis bestand unabhängig hiervon fort. Die Eintragung erfolgt bei Nichtabgabe der Vermögensauskunft gemäß § 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO von Amts wegen. Sie wird vor Ablauf von drei Jahren nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 882e Abs. 3 ZPO gelöscht und steht nicht zur Disposition der Parteien (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 - I ZB 56/16, NJW-RR 2017, 511 Rn. 16 ff.).
Ohne Erfolg macht der Kläger auch die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie des rechtlichen Gehörs wegen unterlassener Ermittlung oder unterbliebener Berücksichtigung der in der Zulassungsbegründung gegen das Vorliegen eines Vermögensverfalls vorgebrachten Umstände geltend. Denn weder sind derartige Verfahrensfehler hinreichend dargelegt noch ist das vermeintlich nicht ermittelte oder nicht berücksichtigte Vorbringen entscheidungserheblich.
c) Auch ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), ist nicht gegeben.
Soweit der Kläger das Vorgehen und die Argumentation im Zusammenhang mit den den Sofortvollzug des Widerrufs betreffenden Entscheidungen angreift, ist dies für das vorliegende Verfahren nicht erheblich, da diese Entscheidungen nicht streitgegenständlich sind.
Ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, der Anwaltsgerichtshof habe am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2023 ein Urteil verkündet, obwohl "das Gericht" zuvor mehrfach telefonisch vermittelt habe, dass der Termin nur der Erörterung diene und hiernach noch weiterer Sachvortrag möglich sei. Ein - zumal entscheidungserheblicher - Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist hiermit nicht dargetan. So ist bereits nicht vorgetragen, welche Person auf Seiten des Gerichts eine derartige Zusage ausgesprochen haben soll, so dass nicht prüfbar ist, ob der Kläger Anlass hatte, hierauf zu vertrauen. Unabhängig davon musste der Kläger mit einer Entscheidung in der Sache im Anschluss an die mündliche Verhandlung schon deshalb rechnen, weil der Vorsitzende des entscheidenden Senats mit Verfügung vom 11. Oktober 2023 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Beratung des Senats auf der Grundlage des anberaumten Termins ergeben werde, ob es zu einer Entscheidung in der Sache komme oder wie das Verfahren weitergeführt werde. Überdies hat der Kläger die Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Gehörsverstoßes nicht dargelegt und insbesondere nicht aufgezeigt, was er zusätzlich vorgetragen hätte, wenn am Tag der mündlichen Verhandlung keine Entscheidung in der Sache ergangen wäre. Der Kläger hat auch im Rahmen seines Zulassungsantrags keine neuen entscheidungserheblichen Umstände vorgetragen.
Soweit der Kläger weiter vorbringt, die Abfassung des Urteils habe entgegen § 117 Abs. 4 VwGO, § 112c Abs. 2 Satz 2 BRAO fast sieben Wochen gedauert, rechtfertigt dies eine Zulassung schon deshalb nicht, weil nicht dargetan ist, dass die Entscheidung auf diesem etwaigen Verfahrensmangel beruhte. Es ist insbesondere nicht dargelegt und angesichts der allenfalls kurzen Überschreitung der gesetzlich vorgegebenen Frist von fünf Wochen auch fernliegend, dass infolge der etwa verzögerten Abfassung der Urteilsgründe die zuverlässige Wiedergabe des Beratungsergebnisses und der für die Entscheidungsfindung maßgeblichen Erwägungen nicht mehr gewährleistet war (vgl. BVerwG, NVwZ 2017, 332 Rn. 11 mwN).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Schoppmeyer Lauer Liebert Ettl Niggemeyer-Müller Vorinstanzen: AGH München, Entscheidung vom 12.10.2023 - BayAGH I - 5 - 5/22 -