XI ZR 160/24
BUNDESGERICHTSHOF XI ZR 160/24 BESCHLUSS vom 23. September 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:230925BXIZR160.24.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Dr. Matthias, die Richterin Dr. Derstadt und den Richter Dr. Schild von Spannenberg am 23. September 2025 beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2024 in der Fassung des Beschlusses vom 24. Juni 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 30 Mio. €.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Darlehensvertrag nach erfolgter Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
Die Beklagte ist eine Projektgesellschaft, deren Geschäftsgegenstand die Verwaltung und Bewirtschaftung der Gewerbeimmobilie " " in Berlin ist. Sie war bis zum Jahr 2021 Eigentümerin des für das Projekt genutzten Grundstücks und der darauf errichteten Immobilie.
Im Zuge des Auslaufens der Erstfinanzierung des Projekts durch ein anderes Kreditinstitut nahm die Beklagte im März 2006 bei der Nebenintervenientin einen Kredit in Höhe von 127,5 Mio. € auf. Am 23. November 2006 wurde dieser Darlehensvertrag durch ein so genanntes Amendment Agreement teilweise abgeändert und der Kredit auf insgesamt 144,8 Mio. € aufgestockt. Der Darlehensvertrag basiert auf einem von der Nebenintervenientin in die Verhandlungen eingeführten Mustervertrag der Loan Market Association. Der Darlehensvertrag in der Fassung des Amendment Agreements enthält unter anderem in Ziffer 2.3 eine in ihrer Auslegung umstrittene Regelung zur Haftungsbeschränkung.
Zum Jahresende 2006 übertrug die Nebenintervenientin das Darlehen im Rahmen einer Verbriefung auf die Klägerin zu 1, die P.
Ltd. (im Folgenden: P.
) und die Pa.
(im Folgenden: Pa. ). Die Klägerin zu 1 trat im Rahmen der Verbriefung des Darlehens ihre Ansprüche aus dem Darlehensvertrag Ende 2006 an die jetzige U.S. Bank
(im Folgenden: U.S. Bank
) zur Sicherheit ab. Pa. und P. übertrugen ihre Rechte und Pflichten aus dem Darlehensvertrag mit Vertragsübernahme vom 29. November 2019 auf die Klägerin zu 2.
Mit Schreiben vom 3. November 2011 wurde der Darlehensvertrag von Klägerseite wegen Zahlungsrückständen der Beklagten gekündigt.
Mit ihrer Klage begehren die Klägerinnen von der Beklagten die Rückzahlung des Darlehens sowie die Zahlung von Darlehenszinsen, von Schadensersatz für Kosten der Zwangsvollstreckung und von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Mit ihrer hilfsweise für den Erfolg der Klage erhobenen Widerklage beantragt die Beklagte die Feststellung, dass sie wegen des titulierten Anspruchs, auch im Wege der Zwangsvollstreckung, ausschließlich mit näher bezeichneten Vermögensgegenständen hafte.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und die Hilfswiderklage als unbegründet abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und dies - soweit für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde von Bedeutung - wie folgt begründet:
Die Klägerinnen hätten einen Anspruch auf Rückzahlung der Darlehensvaluta aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieser Anspruch sei nicht nach Ziffer 2.3 des Darlehnsvertrags ausgeschlossen oder beschränkt. Maßstab für die Auslegung seien §§ 133, 157 BGB. Aus Wortlaut, Genese und Systematik der Haftungsbeschränkung ergebe sich, dass lediglich der Rückgriff nach einem Ausfall des primär Haftenden, nicht aber bereits die primäre Leistungspflicht eingeschränkt werden solle. Neben einem Ausschluss der Haftung von Komplementären und Kommanditisten habe die Änderung von Ziffer 2.3 mit dem Amendment Agreement bewirkt, dass sich die Haftungsmasse bei einem Ausfall der primär Haftenden nur auf bestimmte Gegenstände erstrecke. Aus dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin (21 S 12/18) ergebe sich nichts Abweichendes. Die dortige Beweisaufnahme habe nur bestätigt, dass eine persönliche Haftung der hinter der Beklagten stehenden Personen durch Ziffer 2.3 des Darlehensvertrags habe verhindert werden sollen.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfG, WM 2009, 671, 672; BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2010 - XI ZR 224/09, WM 2011, 924 Rn. 8, vom 21. Februar 2017 - VIII ZR 1/16, NJW 2017, 1877 Rn. 10 und vom 12. September 2023 - VI ZR 371/21, VersR 2024, 52 Rn. 9 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt zudem dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2021 - VII ZR 196/18, NJW 2021, 1593 Rn. 42 und Beschluss vom 10. Februar 2022 - I ZR 86/21, NJW-RR 2022, 775 Rn. 8 mwN).
2. Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
a) Die Beklagte trägt mit der Beschwerde vor, sie habe erst- und zweitinstanzlich vorgetragen, dass nach dem beiderseitigen Parteiwillen mit Ziffer 2.3 des Darlehensvertrags die primäre Haftung der Beklagten auf die Immobilie habe beschränkt werden sollen (Schriftsatz vom 5. August 2021, S. 33; Schriftsatz vom 25. November 2021, S. 60), und dafür Beweis durch Vernehmung der Zeugen G.
K. , B.
J.
, N. J.
und A. .
J.
angeboten.
Dieses Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der Zeugen ist erheblich. Die Beklagte hat damit eine für die Entscheidung des Berufungsgerichts wesentliche Tatsache, ein gemeinsames Verständnis der Parteien zur Bedeutung und Reichweite der haftungsbeschränkenden Vereinbarung nach Ziffer 2.3 des Darlehensvertrags, unmittelbar zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Sollte sich dieser Sachvortrag der Beklagten in der Beweisaufnahme als richtig erweisen, könnte der Vereinbarung materiell-rechtliche Wirkung zukommen und dies bei der Tenorierung zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1954 - VI ZR 82/53, BeckRS 1954, 31371162 unter IV und vom 18. März 1975 - VI ZR 228/73, DB 1975, 1117, 1118 unter III 1; Senatsbeschluss vom 17. März 2020 - XI ZR 226/19, juris Rn. 13).
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe die angebotenen Beweise nicht erhoben.
Das Berufungsgericht hat keinen der vier benannten Zeugen vernommen.
In Bezug auf die Zeugen B.
J.
und N.
J.
hat es hierfür keinen Grund angegeben. Soweit das Berufungsgericht die Aussagen der Zeugen G.
K. und A.
J. aus dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin (21 S 12/18) in seine Würdigung einbezieht, rechtfertigte dies nicht,
von der beantragten Zeugenvernehmung abzusehen. Die Verwertung der Niederschrift einer Zeugenaussage aus einem anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist zwar grundsätzlich zulässig. Sie setzt weder die Zustimmung der Parteien voraus noch steht der Widerspruch einer Partei gegen die Verwertung einer protokollierten Aussage deren Auswertung im Wege des Urkundenbeweises entgegen. Unzulässig wird die Verwertung der früheren Aussagen der benannten Zeugen im Wege des Urkundenbeweises anstelle von deren Vernehmung im anhängigen Verfahren aber dann, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung dieses Zeugen - wie hier die Beklagte beantragt. Die Parteien haben nach §§ 355, 373 ZPO einen gesetzlichen Anspruch auf eine mit den Garantien des Zeugenbeweises ausgestattete Vernehmung. Diesen Anspruch macht das Gesetz wegen der offenkundigen Schwächen der urkundenbeweislichen Verwertung von Zeugenaussagen - fehlender persönlicher Eindruck von den Zeugen, fehlende Möglichkeit, Fragen zu stellen und Vorhalte zu machen, fehlende Möglichkeit der Gegenüberstellung - nicht von der näheren Darlegung von Gründen abhängig (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1952 - IV ZR 25/52, BGHZ 7, 116, 121 f. und vom 12. Juli 2013 - V ZR 85/12, MDR 2013, 1184 Rn. 8 mwN).
3. Der angefochtene Beschluss beruht auf den Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil es nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es die übergangenen Beweisanträge berücksichtigt hätte.
4. Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg, weil die Rechtssache insoweit weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Ellenberger Derstadt Grüneberg Matthias Schild von Spannenberg Vorinstanzen: LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 19.08.2021 - 2-12 O 375/19 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 24.04.2024 - 23 U 189/21 -