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V ZB 67/24

BUNDESGERICHTSHOF V ZB 67/24 BESCHLUSS vom

9. Oktober 2025 in dem selbständigen Beweisverfahren Nachschlagewerk: BGHZ: BGHR: JNEU:

ja nein ja nein ZPO § 494a Abs. 1, § 571 Abs. 1 Satz 1 Eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt werden, ist im Beschwerdeverfahren auch dann aufzuheben, wenn die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird (insoweit Fortentwicklung von BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, NJW 2007, 3357).

ZPO § 97 Abs. 2, § 494a Abs. 2 Wird eine Kostenentscheidung nach § 494a ZPO im Beschwerdeverfahren aufgehoben, weil die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird, sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens regelmäßig nach § 97 Abs. 2 ZPO dem Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen.

BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2025 - V ZB 67/24 - OLG Hamm LG Münster ECLI:DE:BGH:2025:091025BVZB67.24.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel, Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Dr. Grau beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 5. Dezember 2024 wird auf Kosten der Antragsgegner zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller betrieben ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Antragsgegner. Nach dessen Abschluss setzte das Landgericht ihnen eine Frist von vier Wochen zur Klageerhebung. Am Tag des Fristablaufs reichten die Antragsteller die Hauptsacheklage bei Gericht ein, zahlten den angeforderten Kostenvorschuss aber zunächst nicht ein.

Das Landgericht hat den Antragstellern die den Antragsgegnern im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten auferlegt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das Oberlandesgericht, nachdem die Hauptsacheklage inzwischen zugestellt worden war, den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, den Antrag der Antragsgegner auf Auferlegung der Kosten zurückgewiesen und den Antragstellern die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Antragsteller beantragen, begehren die Antragsgegner die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

II.

Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in BauR 2025, 1108 veröffentlicht ist, meint, das Landgericht habe den Antragstellern zwar zu Recht nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO die Kosten der Antragsgegner aus dem selbständigen Beweisverfahren auferlegt, weil die Klage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nur anhängig und noch nicht rechtshängig gewesen sei. Wegen der verzögerten Einzahlung der Gerichtskosten wirke die spätere Zustellung nicht nach § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage zurück. Der Beschluss sei auf die Beschwerde der Antragsteller aber gleichwohl aufzuheben, weil die Klage inzwischen rechtshängig geworden sei. Die nach Erlass der Kostenentscheidung gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO eingetretene Rechtshängigkeit sei im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Denn das Beschwerdegericht habe gemäß § 571 Abs. 2 ZPO nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Beschlussfassung zu entscheiden. Da über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens nunmehr im Hauptsacheverfahren entschieden werde, hätten die Antragsgegner kein rechtliches Interesse mehr an einer isolierten Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO.

III.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde (§ 575 ZPO) ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht nimmt zutreffend an, dass die Kostenentscheidung des Landgerichts rechtmäßig ergangen ist, weil die Frist für die Erhebung der Hauptsacheklage im Entscheidungszeitpunkt abgelaufen und die Klage nur anhängig, aber noch nicht rechtshängig war.

a) Ist in einem selbständigen Beweisverfahren die Beweiserhebung beendet und kein Rechtsstreit anhängig, hat das Gericht gemäß § 494a Abs. 1 ZPO auf Antrag anzuordnen, dass der Antragsteller binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat. Kommt der Antragsteller dieser Anordnung nicht nach, hat es gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auf Antrag durch Beschluss auszusprechen, dass er die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen hat.

b) Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung vorlagen, weil die Hauptsacheklage den Antragsgegnern noch nicht zugestellt worden war. Eine Klage ist nach § 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1 ZPO nicht schon mit der Einreichung der Klageschrift bei Gericht, sondern erst mit ihrer Zustellung erhoben; dies gilt auch für die Klageerhebung im Sinne von § 494a Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, NJW 2007, 3357 Rn. 9). Zwar findet die Regelung in § 167 ZPO, nach der die Wirkungen einer demnächst zugestellten Klage bereits mit der Einreichung eintreten, auch insoweit Anwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, aaO). Die Zustellung der Klage ist hier jedoch nicht „demnächst“ erfolgt, da sie sich nach der rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des Beschwerdegerichts durch das mehrwöchige Abwarten der Antragsteller mit der Einzahlung des nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG zu leistenden Gerichtskostenvorschusses verzögerte (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, NJW 2015, 2666 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, aaO).

2. Richtig ist auch, dass die Entscheidung des Landgerichts gleichwohl im Beschwerdeverfahren keinen Bestand haben konnte, nachdem die Hauptsacheklage den Antragsgegnern zwischenzeitlich zugestellt und damit im Sinne von § 494a Abs. 1 ZPO erhoben worden war.

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass ein Beschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO nicht mehr in Betracht kommt, wenn die Hauptsacheklage nach Ablauf der gemäß § 494a Abs. 1 ZPO gesetzten Frist, aber noch vor einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO erhoben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, NJW 2007, 3357 Rn. 12; Beschluss vom 23. August 2007 - VII ZB 79/06, NJW-RR 2008, 330 Rn. 7; Beschluss vom 23. Juli 2025 - VII ZB 26/23, WM 2025, 1718 Rn. 14, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Ebenfalls ist geklärt, dass eine nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene, formell rechtskräftige Kostenentscheidung ihre Wirksamkeit verliert, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2025 - VII ZB 26/23, aaO Rn. 17 ff.).

b) Umstritten ist allerdings, ob eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt wurden, durch das Beschwerdegericht aufzuheben ist, wenn die Hauptsacheklage - wie hier - erst nach der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird.

aa) Nach einer Auffassung soll § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO erfordern, dass der Antragsteller der Anordnung zur Klageerhebung bis zur erstmaligen Entscheidung über die Kosten nachkommt. Mit einer Beschwerde gegen die Kostenentscheidung könne lediglich überprüft werden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Zeitpunkt der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vorgelegen hätten. Einer erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostengrundentscheidung erfolgten Klageerhebung komme für die Anwendung des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO keine Bedeutung mehr zu (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 1196 Rn. 8; OLG Koblenz, NJOZ 2015, 896 Rn. 8; OLG München, OLGR München 1996, 280; Zöller/Herget, ZPO, 36. Aufl., § 494a Rn. 4a; MüKoZPO/Schreiber, 7. Aufl., § 494a Rn. 8; Stein/Jonas/Berger, 23. Aufl., § 494a Rn. 29; Giesen, NZBau 2022, 147, 148 f.).

bb) Nach anderer Auffassung, der sich auch das Beschwerdegericht anschließt, ist für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich, sodass jede bis zu diesem Zeitpunkt erhobene Hauptsacheklage einer Kostenentscheidung gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO entgegen steht (vgl. OLG Köln, NJW 2022, 1537 Rn. 10 ff.; OLG Hamm, NJW-RR 2024, 935 Rn. 16 f.; LG Lübeck, NZBau 2021, 791 Rn. 22 ff.; Anders/Gehle/Bünnigmann, ZPO, 83. Aufl., § 494a Rn. 25; BeckOK ZPO/Kratz [1.9.2025], § 494a Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 5. Aufl., § 494a Rn. 49; Koeble in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium BauR, 6. Aufl., 14. Teil Rn. 216; Tschäpe in Motzke/Seewald/Tschäpe, Prozesse in Bausachen, § 2 Rn. 211; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2. Aufl., Kapitel 57 Rn. 43; Fischer, JuS 2024, 1131, 1133 f.).

c) Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu. Eine Entscheidung, mit der dem Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens die dem Gegner entstandenen Kosten gemäß § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO auferlegt werden, ist im Beschwerdeverfahren auch dann aufzuheben, wenn die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird.

aa) Es entspricht allgemeinen beschwerderechtlichen Grundsätzen, dass das Beschwerdegericht seiner Entscheidung die erst nach Erlass des erstinstanzlichen Kostenbeschlusses eingetretene Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage zugrunde zu legen hat. Die Beschwerdeinstanz ist, wie sich aus § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt, eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz, in der eine neue eigene Sachentscheidung zu treffen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Juli 2013 - V ZB 29/12, NJW-RR 2014, 125 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 7. Mai 2020 - IX ZB 84/19, WM 2020, 1118 Rn. 13 mwN). Das Beschwerdegericht hat deshalb die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung, neue Tatsachen und Beweise uneingeschränkt zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der erstinstanzlichen Entscheidung entstanden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - IX ZB 144/07, NZI 2008, 391 Rn. 6). Anders liegt es nur dann, wenn es verfahrensrechtlich ausnahmsweise auf einen früheren Zeitpunkt ankommt, wie etwa nach § 100 ZVG bei der Zuschlagsbeschwerde (vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 2020 - V ZB 20/19, WM 2020, 1432 Rn. 17; näher MüKoZPO/Hamdorf, 7. Aufl., § 571 Rn. 14).

bb) Eine solche abweichende Regelung trifft das Gesetz für die Entscheidung nach § 494a ZPO nicht. Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 494a ZPO ist zu entnehmen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Erheben der Klage die erstinstanzliche Entscheidung wäre. Einem Kläger steht es grundsätzlich frei, zu welchem Zeitpunkt er seine Rechte gerichtlich geltend macht. Wartet er zunächst zu, muss er deswegen bis zum Eintritt der Verjährung im Regelfall keine Rechtsnachteile befürchten. Dass er ein selbständiges Beweisverfahren betrieben hat, gibt keinen Anlass, ihn insoweit schlechter zu stellen. Zwar schränkt die in § 494a Abs. 1 ZPO vorgesehene Erhebungsfrist diese Freiheit faktisch ein. Dies ist aber lediglich unvermeidbare Folge, nicht Zweck der Vorschrift. Die in § 494a Abs. 2 ZPO vorgesehene Kostentragungspflicht soll nicht dazu dienen, eine verspätete Klageerhebung zu sanktionieren; die Vorschrift soll vielmehr die Lücke schließen, die dann entsteht, wenn es zu keiner späteren Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2025 - VII ZB 26/23, WM 2025, 1718 Rn. 15 ff. mwN). Sobald es zu einem Hauptsacheverfahren gekommen ist, in dem eine Kostenentscheidung ergehen kann, ist die Erstattungspflicht ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage nicht mehr gerechtfertigt und ist für eine Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO kein Raum mehr (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2007 - VII ZB 118/06, NJW 2007, 3357 Rn. 12; Beschluss vom 23. Juli 2009 - VII ZB 3/07, BGHZ 182, 150 Rn. 15; Beschluss vom 10. Januar 2007 - XII ZB 231/05, NJW 2007, 1282 Rn. 9). Deshalb darf auch das Beschwerdegericht die vor Klageerhebung getroffene Kostenentscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO in der Beschwerdeinstanz nicht bestätigen, wenn die Hauptsacheklage zwischenzeitlich erhoben wurde.

cc) Der Antragsgegner wird dadurch, dass die nach der erstinstanzlichen Entscheidung eingetretene Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen ist, auch nicht kostenmäßig unbillig benachteiligt. Wird die von ihm herbeigeführte Kostenentscheidung nach § 494a ZPO im Beschwerdeverfahren aufgehoben, weil die Hauptsacheklage erst nach Erlass der erstinstanzlichen Kostenentscheidung erhoben wird, sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens regelmäßig - wie es das Beschwerdegericht vorliegend getan hat - nach § 97 Abs. 2 ZPO dem Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen.

dd) Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, dass der Antragsgegner bei Aufhebung der isolierten Kostenentscheidung erst später einen Vollstreckungstitel erlange, als es § 494a ZPO ermögliche, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die dadurch bedingte zeitliche Verzögerung muss der Antragsgegner hinnehmen (näher BGH, Beschluss vom 25. August 2005 - VII ZB 35/04, NJW-RR 2005, 1688, 1689). Dies gilt umso mehr, als eine nach § 494a Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Kostenentscheidung ohnehin ihre Wirksamkeit verliert, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2025 - VII ZB 26/23, WM 2025, 1718 Rn. 17 ff.).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Brückner Göbel Hamdorf Malik Grau Vorinstanzen:

LG Münster, Entscheidung vom 24.02.2023 - 14 OH 1/20 OLG Hamm, Entscheidung vom 05.12.2024 - I-22 W 12/23 -

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