5 StR 516/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 516/23 URTEIL vom 24. April 2024 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:240424U5STR516.23.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. April 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof Köhler, Richterin am Bundesgerichtshof Resch,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-3-
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 17. Mai 2023 mit den Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird und weitgehend Erfolg hat.
I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
In Umsetzung eines gegen Ende des Jahres 2018 gefassten gemeinsamen Entschlusses bauten die gesondert Verfolgten G. und S.
einen Online-Handel mit Betäubungsmitteln und rezeptpflichtigen Medikamenten auf.
S. programmierte unter Nutzung der Webseite www.C.
.to einen Online-Shop, in dem zahlreiche Betäubungsmittel und Medikamente angeboten,
Kunden registriert, Bestellungen bearbeitet und die Besteller über den Stand der Bearbeitung informiert wurden. Ebenso oblagen ihm die Wartung des Online- Shops und der technische Support. G. übernahm alle sonst anfallenden Aufgaben, wie Beschaffung, Lagerung, Verkauf, Verpackung und Versand der Betäubungsmittel und Medikamente, die Akquisition von Mitarbeitern sowie die Suche von sogenannten Arbeitswohnungen und Bunkermöglichkeiten.
Der Angeklagte hatte über ein Internetforum Kenntnis von einer Erwerbsmöglichkeit erlangt und war zu einem nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkt nach L. gereist, wo er den gesondert Verfolgten Mi. kennenlernte, der bereits als „Versandarbeiter“ für den Online-Handel des S.
und G. tätig war. Weisungsgemäß schloss der Angeklagte, wie Mi. auch, einen befristeten Mietvertrag über einen Raum in einem Apartmenthaus in L.
ab. Dort hielten sich beide auf und bearbeiteten nach genauen Anweisungen die Bestellungen aus dem Online-Shop (sogenannte Arbeitswohnungen).
5 Am 13. Juli 2019 bewahrten S.
und G. im bewussten und gewollten Zusammenwirken in einem „Bunker“ oder im oben genannten Apartmenthaus Betäubungsmittel und verschreibungspflichtige Arzneimittel auf, wobei sie die Vorräte durch Nachlieferungen aus unbekannten Quellen immer wieder auffüllten. Bei den Betäubungsmitteln mit weitgehend durchschnittlichen Wirkstoffgehalten handelte es sich um etwa zweieineinhalb Kilogramm Haschisch, rund 16,5 Kilogramm Amphetamin, knapp zwei Kilogramm MDMA, über dreihundert Gramm Kokain, über 5.700 Ecstasy-Tabletten, annähernd ein halbes Kilogramm Methamphetamin und mehr als 800 LSD-Blotter sowie verschreibungspflichtige Tabletten, unter anderem mit den Inhaltsstoffen Fentanyl, Zolpidem, Alprazolam, Bromazepam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Midazolam und Nitrazepam. Diese Substanzen, die von einer Vielzahl von Kunden bestellt worden waren, verpackten und versendeten der Angeklagte und Mi. im Zeitraum vom 13. Juli bis 14. August 2019 in Form von 471 Postsendungen an Abnehmer im gesamten Bundesgebiet und in andere Länder. Zudem bestellten sie Verpackungsmaterial unter Nutzung eigener Kundendaten. Der Angeklagte wusste, dass er mit seiner Tätigkeit den Handel der ihm nicht persönlich bekannten Shop-Betreiber mit illegalen Substanzen, namentlich Betäubungsmitteln unterstützte. Diese übernahmen die Miete für die Arbeitswohnungen und zahlten dem Angeklagten einen Lohn in Höhe von 1.500 Euro monatlich, den er von Mi. ausgehändigt bekam. Er war strikten Anweisungen hinsichtlich der Bedienung des Programms und Abarbeitung der Bestellungen unterworfen. Mit S. , der unter dem Namen „R. “ auftrat, kommunizierte der Angeklagte ausschließlich auf elektronischem Wege. Dieser überwachte zur Vermeidung von Diebstählen die Arbeitswohnung per Video. Der Angeklagte und Mi. mussten jede abgearbeitete Bestellung fotografisch dokumentieren, um eine lückenlose Kontrolle ihrer Arbeitstätigkeit zu ermöglichen.
2. Das Landgericht hat die Handlungen des Angeklagten als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet und die Strafe dem nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des minderschweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG entnommen.
II.
Die zulasten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg.
1. Das Landgericht hat seine Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1 StPO) verletzt. Es hätte eine tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, wegen Beihilfe zur Ausfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG iVm Anlage III zum BtMG, § 27 StGB und wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, § 27 StGB prüfen müssen.
a) Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so ist dies schon auf die Sachrüge hin beachtlich (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Dezember 2021 – 5 StR 236/21, NStZ 2022, 409, 410 mwN). So verhält es sich hier.
b) Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte nicht nur den Betäubungsmittelhandel der gesondert Verfolgten S.
und G. durch seinen Tatbeitrag unterstützte, sondern zugleich als Täter Besitz an Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgeübt haben könnte (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
Der Angeklagte packte nach den Feststellungen aus einem Vorrat verschiedener Betäubungsmittel, die jeweils für sich genommen schon den Grenzwert der nicht geringen Menge überschritten, Einzelverkaufsmengen ab und brachte sie zum Versand. Diese Handlungen konnten das von einem Besitzwillen getragene tatsächliche Herrschaftsverhältnis im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begründen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2018 – 3 StR 113/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 8; Urteil vom 5. Juli 2023 – 5 StR 17/23, NStZ-RR 2023, 282 mwN).
c) Soweit nach den Feststellungen Medikamente mit in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoffen Alprazolam, Bromazpam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam, Midazolam und Nitrazepam und den dort festgelegten Dosierungen auch ins Ausland geliefert wurden („in andere Länder“), wäre der Tatbestand der Beihilfe zur unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG in Verbindung mit Anlage III, letzter Spiegelstrich, Buchstabe b zum BtMG, § 27 StGB erfüllt (vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2019 – 1 StR 364/18; vom 2. November 2010 – 1 StR 581/09, NStZ 2011, 461 f.). Da das Handeltreiben mit den in der Anlage III des BtMG aufgeführten ausgenommenen Zubereitungen nicht dem BtMG unterfällt, würde die Beihilfe zur Ausfuhr von Betäubungsmitteln nicht von der Beihilfe zum (bandenmäßigen) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verdrängt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2010 – 1 StR 581/09 Rn. 28).
Das Landgericht hat insoweit keine konkreten Feststellungen bezogen auf die Ausfuhr der oben genannten Stoffe und den darauf bezogenen Vorsatz des Angeklagten getroffen, was sich ebenfalls als rechtsfehlerhaft erweist, da sich die Kognitionspflicht des Landgerichts auch hierauf erstreckte. Die von der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung vorgenommene Beschränkung nach § 154a Abs. 1 StPO betraf nur die in Bezug auf den angeklagten Sachverhalt nach dem Arzneimittelgesetz verwirklichten Straftaten.
d) Schließlich lässt das Urteil eine Auseinandersetzung mit der Frage einer Beihilfe des Angeklagten zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, § 27 StGB vermissen. Insoweit fehlt es schon an einer Prüfung des Bestehens einer Bande, die sich zum gemeinsamen Betäubungsmittelhandel unter Führung der Hintermänner S. und G. zusammengeschlossen haben könnte.
Wesentliches Merkmal einer Bande ist die auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von mindestens drei Personen zur gemeinsamen Deliktsbegehung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 325; Urteil vom 23. April 2009 – 3 StR 83/09, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 9 mwN). Ausweislich der Feststellungen hatten sich S.
und G. gegen Ende des Jahres 2018 dazu entschlossen, einen Online-Handel mit Betäubungsmitteln und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aufzubauen.
Dieses Vorhaben setzten sie 2019 plangemäß um und gewannen für die Bearbeitung eingehender Bestellungen Mi. . Als der Angeklagte seine Tätigkeit aufnahm, arbeitete er gemeinsam mit Mi. , wobei beide von den Hintermännern, die auch die Miete für die Arbeitswohnung erstatteten, entlohnt wurden. Jedenfalls zu einem dieser Hintermänner („R. “) hatte der Angeklagte (elektronischen) Kontakt. Danach hätte das Landgericht das Bestehen einer Bande prüfen müssen. Weil es dies nicht bedacht hat, fehlt es auch an Feststellungen zu einer Bandenabrede. Insoweit gilt:
Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der sogenannten Bandenabrede (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 – 1 StR 223/19, BGHR BtMG § 30a Bande 13; vom 22. Januar 2019 – 2 StR 212/18 Rn. 21). Eine Bandenabrede kann schon dadurch zustande kommen, dass sich zwei Personen einig sind, künftig im Einzelnen noch ungewisse Straftaten mit zumindest einem dritten Beteiligten zu begehen, und der von der Absprache informierte Dritte sich dieser Vereinbarung durch schlüssiges Verhalten anschließt (BGH, Urteile vom 5. Oktober 2022 – 6 StR 70/22, NJW 2023, 235 f.; vom 23. April 2009 – 3 StR 83/09 Rn. 9 mwN).
Das Landgericht hat dies nicht berücksichtigt und deshalb rechtsfehlerhaft auch zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten keine Feststellungen getroffen. Einer Bandenmitgliedschaft des Angeklagten stünde nicht entgegen, dass er nur eine weisungsgebundene und überwachte Tätigkeit „ohne Handlungsspielraum“ leistete. Bandenmitglied kann auch derjenige sein, der eine künftige (dauerhafte) Gehilfentätigkeit zugesagt hat. Einer Mitgliedschaft steht daher nicht entgegen, dass einzelne Beteiligte stets nur Gehilfen sein sollen (BGH, Urteil vom 12. Januar 2022 – 6 StR 388/21, NStZ-RR 2022, 114 f.; Beschluss vom 15. Januar 2002 – 4 StR 499/01, BGHR StGB § 244 Abs. 1 Nr. 2 Bande 5).
2. Die aufgezeigten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung des im Übrigen keinen begünstigenden Rechtsfehler aufweisenden Schuldspruchs wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, da dieser mit den neu zu prüfenden Straftatbeständen in Tateinheit stehen würde.
Die zum objektiven Geschehen getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen; hinsichtlich der subjektiven Tatseite sind ergänzende Feststellungen sogar geboten.
3. Gemäß § 301 StPO iVm § 354a StPO konnte der Schuldspruch auch insoweit keinen Bestand haben, als der Angeklagte für den Umgang mit 2,64 Kilogramm Haschisch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Denn am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109); danach unterfällt das Handeltreiben mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem KCanG (vgl. insoweit zur nicht geringen Menge BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24).
Cirener Gericke Mosbacher Köhler Resch Vorinstanz: Landgericht Leipzig, 17.05.2023 - 8 KLs 105 Js 34185/23