VIa ZR 824/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 824/22 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 21. März 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin Möhring, die Richter Dr. Katzenstein, Dr. Ostwaldt, Dr. Tausch und die Richterin Pastohr für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage mit dem Berufungsantrag zu I in Höhe von 31.016,66 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und mit dem Berufungsantrag zu IV in Höhe von 1.698,13 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten abgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für die Revision wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im April 2013 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0 gebrauchten Audi, der mit einem V6-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 36.916,82 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), zur Zahlung von Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu II), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu III) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.832,01 € (Berufungsantrag zu IV) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision, als die Klage mit dem Berufungsantrag zu I in Höhe von 31.016,66 € (Kaufpreis von 41.932,77 € abzüglich Nutzungsvorteil von 10.916,11 €) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und mit dem Berufungsantrag zu IV in Höhe von 1.698,13 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (berechnet aus dem Wert von bis 35.000 €) abgewiesen worden ist, verfolgt der Kläger seine zweitinstanzlich gestellten Anträge im Umfang der Zulassung weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0 Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Es könne zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass es sich bei dem verbauten "Thermofenster" um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele, da es sich insoweit nicht um eine evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und von vornherein durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung handele. Unter diesen Umständen wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen Iießen. Solche habe der Kläger nicht dargetan und seien nicht ersichtlich.
Ebenso wenig könne der Kläger den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht im Aufgabenbereich der genannten Regelungen der EG-FGV.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insofern auch keine Einwendungen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0 mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0 daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer - bislang unterstellten - unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Möhring Katzenstein Ostwaldt Tausch Pastohr Vorinstanzen: LG Ingolstadt, Entscheidung vom 11.11.2021 - 52 O 3474/20 Die OLG München, Entscheidung vom 12.05.2022 - 3 U 8540/21 - ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0
-7VIa ZR 824/22 Verkündet am: 16. April 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2025:160425UVIAZR824.22.0