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VIa ZR 28/22

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 28/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 23. Januar 2023 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:230123UVIAZR28.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2023 durch die Richterin Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Dezember 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger kaufte nach seinem Vortrag im August 2012 von einem Händler einen gebrauchten VW Touran 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 31.979 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Das Kraftfahrt-Bundesamt

(KBA) bewertete diese Steuerung später als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten im Oktober 2015 auf, die Abschalteinrichtung zu beseitigen.

Ab Ende September 2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit darüber, dass Motoren der Baureihe EA 189 mit einer Abschalteinrichtung versehen seien, die vom KBA als nicht ordnungsgemäß angesehen werde und daher zu entfernen sei. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Website frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen sei, worüber sie die Öffentlichkeit ebenfalls informierte. Im August 2016 schrieb die Beklagte den Kläger an und unterrichtete ihn über die Betroffenheit seines Fahrzeugs.

Der Kläger hat die Klage, mit der er die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt hat, im Dezember 2019 anhängig gemacht. Auf die am 19. Dezember 2019 verfügte Anforderung des Kostenvorschusses hat er den Gerichtskostenvorschuss am 6. Januar 2020 eingezahlt. Die Klage ist der Beklagten daraufhin am 16. Januar 2020 zugestellt worden. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge in etwas reduzierter Form weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt:

Die in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche des Klägers seien mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Der Kläger habe vom sogenannten "Dieselskandal" im Allgemeinen schon im Jahr 2015 Kenntnis erlangt. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt habe sich ihm im Jahr 2015 ohne weiteres die naheliegende Möglichkeit aufdrängen müssen, dass das von ihm erworbene Fahrzeug vom sogenannten "Dieselskandal" betroffen sei. Er habe bei Beachtung naheliegender Überlegungen selbst oder unter Einschaltung eines Vertragshändlers der Beklagten anhand der von ihr eingerichteten Website ohne größeren Aufwand feststellen können, dass sein Fahrzeug von dem Skandal betroffen sei. Dem Kläger sei damit persönlich ein die Anspruchsverfolgung gegenüber der Beklagten betreffender schwerer Obliegenheitsverstoß vorzuwerfen, der die Anforderungen grober Fahrlässigkeit erfülle.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen davon ausgegangen, deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte seien jedenfalls verjährt.

1. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Hierzu genügt es in Fällen der vorliegenden Art, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten "Dieselskandal" im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 17; Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 17 mwN). Die Feststellung, ob und wann der Gläubiger Kenntnis von bestimmten Umständen hatte oder ob seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022, aaO, Rn. 18 mwN).

2. Danach hat das Berufungsgericht zu Unrecht eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs im Zeitraum bis Ende 2015 angenommen.

a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 20 mwN).

Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 21 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben war der Kläger nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit zur Prüfung gehalten, ob sein Fahrzeug vom sogenannten "Dieselskandal" betroffen sei. Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten "Dieselskandals" und der Freischaltung der Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass er in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers bis zum Ende des Jahres 2016 nicht schlechterdings unverständlich (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 396/21, VersR 2022, 899 Rn. 21 ff.; Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 23 mwN).

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Insbesondere steht der Rechtzeitigkeit der Hemmung der dreijährigen Verjährungsfrist, die mit Ablauf des Jahres 2016 anlief (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 20 ff.), nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht entgegen, dass die Klage der Beklagten erst am 16. Januar 2020 zugestellt worden ist. Die Zustellung der Klage wirkt hier gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt ihres Anhängigwerdens im Dezember 2019 zurück (vgl. zuletzt nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - VII ZR 492/21, juris Rn. 24 ff.; außerdem BGH, Beschluss vom 7. April 2022 - V ZR 165/21, NJW-RR 2022, 1167 Rn. 5 ff. mwN).

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Menges Wille Möhring Liepin Krüger Vorinstanzen: LG Limburg, Entscheidung vom 23.06.2020 - 2 O 438/19 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 02.12.2021 - 26 U 42/20 -

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