1 StR 156/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 156/24 URTEIL vom 2. Oktober 2024 in der Strafsache gegen wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:021024U1STR156.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Oktober 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Bär, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leplow, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Allgayer und Richterin am Bundesgerichtshof Munk,
Bundesanwältin beim Bundesgerichthof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 2023 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2023 (Az.
) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Teilfreispruch beschränkt und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, hat keinen Erfolg.
I.
1. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 2. März 2022 im Wesentlichen Folgendes zur Last gelegt:
Der Angeklagte betrieb als niedergelassener Vertragsarzt eine Praxis für Laboratoriumsmedizin. Um die mit der Praxis erwirtschafteten Einnahmen der Besteuerung und Zwangsvollstreckung durch die Finanzbehörden zu entziehen,
gründete er im Jahr 2007 den Verein „D.
e.V.“ (nachfolgend: Verein) und schloss mit diesem unter dem 27. Oktober 2007 einen „Geschäfts-Kooperationsvertrag“. In diesem Vertrag vereinbarte der Angeklagte die schenkweise Übertragung sämtlicher Geräte und Einrichtungen des von ihm betriebenen medizinischen Labors. Die Präsidentin des Vereins,
K. , war seit dem Jahr 2010 im Labor des Angeklagten beschäftigt; er selbst war Mitglied des Vereins. Der Verein sollte für alle in der Praxis des Angeklagten anfallenden Einnahmen und Ausgaben verantwortlich sein und in alle bestehenden Rechte und Pflichten außerhalb der ärztlichen Tätigkeit eintreten. Der Angeklagte selbst sollte für seine ärztlichen Leistungen eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 900 € pro Monat erhalten. Ebenfalls am 27. Oktober 2007 trat der Angeklagte alle Honoraransprüche für Praxisleistungen an gesetzlich Versicherte gegen die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (nachfolgend: Kassenärztliche Vereinigung) schenkweise an K. persönlich ab. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass er infolge der von ihm gewählten vertraglichen Gestaltung weder ein wirtschaftliches Risiko getragen noch über die räumlichen und sachlichen Mittel seiner Praxis habe disponieren können, so dass er nicht mehr als Arzt „in freier Praxis“ tätig, mithin nicht mehr berechtigt gewesen sei, vertrags- ärztliche Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen.
Dennoch habe der Angeklagte in der Folgezeit in neun Fällen quartalsweise mit einer von ihm unterzeichneten Sammelerklärung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ärztliche Leistungen abgerechnet und damit die ordnungsgemäße Erbringung der Leistungen erklärt. Für die Kassenärztliche Vereinigung sei nicht erkennbar gewesen, dass der Angeklagte tatsächlich nicht mehr
„in freier Praxis“ tätig und daher zur Abrechnung sozialrechtlich nicht mehr berechtigt gewesen sei. Durch die täuschungsbedingte Honorarzahlung von 1.412.408,29 € für neun abgerechnete Quartale (2015, 2016 und erstes Quartal 2017) habe der Angeklagte die Kassenärztliche Vereinigung jeweils geschädigt und sich zu Unrecht bereichert.
2. Das Landgericht hat demgegenüber im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte betrieb seine Praxis als alleiniger Inhaber mit ausschließlich nicht-ärztlichen, oft wechselnden Angestellten. Einzig die gelernte Biologin K. , mit der ihn eine langjährige, vertrauensvolle Freundschaft verband, arbeitete seit der Gründung der Praxis für ihn und nahm vielfältige administrative, buchhalterische sowie nicht-medizinische biologische Tätigkeiten im Labor wahr. Die ärztlichen Entscheidungen in der Praxis traf und verantwortete stets allein der Angeklagte, bei dem auch sonst die letzte Entscheidungskompetenz lag.
Aufgrund erheblicher Steuerschulden betrieb das Finanzamt seit dem Jahr 2004 wiederholt – allerdings weitgehend erfolglos – Zwangsvollstreckungsmaß- nahmen gegen den Angeklagten. Um sich der Besteuerung und dem Zugriff der Finanzbehörden auf seine Vermögenswerte zu entziehen, veranlasste der Angeklagte in der Zeit vor dem 3. Oktober 2007 sieben Personen, darunter K.
, zur Gründung des Vereins. Abgesehen von K. waren die Gründungsmitglieder mit dem Angeklagten eher lose freundschaftlich verbunden; eine intensive Beziehung pflegte er zu ihnen nicht. Am 10. Oktober 2008 wurde der Verein in das Vereinsregister eingetragen.
Unter dem 27. Oktober 2007 wurde zudem zwischen dem „medizinische[n] Labor M. " und dem Verein ein vom Angeklagten vorbereiteter „Geschäfts-Kooperationsvertrag" geschlossen. Der Vertrag beinhaltete unter anderem folgende Vereinbarungen:
„Die D.
e.V. übernimmt die wirtschaftliche Leitung des medizinischen Labors. Die erwirtschafteten Überschüsse können nach Abzug aller für das medizinische Labor notwendigen Kosten, Verbindlichkeiten und notwendigen bzw. geplanten Anschaffungen bis höchstens zum steuerfreien Betrag von derzeit 34.000 € für Vereinszwecke genutzt werden.
Im einzelnen gilt:
1. Sämtliche Geräte und Einrichtungen des medizinischen Labors werden ohne Kosten der D.
e.V. zur Erfüllung ihrer Aufgaben überlassen bzw. zur Verfügung gestellt. Die D. e.V. verpflichtet sich, die Geräte und Einrichtungen zu erhalten und den wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechend zu erweitern, anzupassen und zu verbessern. Die vorbestehenden Eigentumsrechte an der Laboreinrichtung bleiben davon unberührt.
2. Die D.
e.V. tritt in sämtliche für die Bewirtschaftung des Medizinischen Labors erforderlichen bestehenden Rechte und Pflichten zur Führung der Geschäfte, die nicht zur ärztlichen Tätigkeit gehören, ein.
3. In diesem Sinne ist die D.
e.V. für alle Einnahmen und Ausgaben, die im Zusammenhang mit der Kooperation stehen, verantwortlich. Sie garantiert den allgemeinen Betrieb der Praxis, indem sie insbesondere für die Bereitstellung der erforderlichen Reagenzien in ausreichender Menge sorgt und daß entsprechend den Erfordernissen die Geräteausstattung gestaltet und erhalten wird.“
Mit der Gründung und Eintragung des Vereins beabsichtigte der Angeklagte jedoch nicht, die Entscheidungsgewalt und wirtschaftliche Macht tatsächlich auf den Verein zu übertragen. Sein Ziel bestand allein darin, die Leitung der Praxis „auf dem Papier" an den Verein abzugeben, um die dort vereinnahmten Gelder der Besteuerung und dem drohenden Vollstreckungszugriff der Finanzbehörden zu entziehen. Dementsprechend hatte der Angeklagte von Anfang an vor, weiterhin alleine sowohl die medizinischen als auch nichtmedizinischen Entscheidungen in der Praxis zu treffen. Lediglich administrativ wollte er sich – wie gehabt – von K. unterstützen lassen, die damit einverstanden war.
Der Kassenärztlichen Vereinigung teilte der Angeklagte zusammen mit K. am 10. Oktober 2008 mit, dass er sämtliche ihm zustehenden finanziellen Forderungen, Vergütungen und Bezüge ohne zeitliche Beschränkung an K. vollständig abtrete und diese berechtigt sei, entstandene und entstehende Forderungen in seinem Namen einzuziehen. Weitergehende Rechte oder Pflichten, als in dieser Abtretungserklärung stünden, habe K. nicht. Diese Abtretung berühre daher seine sonstigen anderen Rechte und Pflichten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nicht. Die bisherige Bankverbindung bleibe gültig.
An den Abläufen in der Praxis wie auch an der verantwortlichen und beherrschenden Stellung des Angeklagten änderte sich in der Folgezeit nach der Eintragung des Vereins nichts. Der Angeklagte führte seine Praxis auch nach Gründung des Vereins und dem Abschluss des „Kooperationsvertrages" allein und traf alle relevanten Entscheidungen. Er allein erbrachte ärztliche Leistungen, über deren Art, Umfang, Zeit und Maß er bestimmte. Das von ihm eingesetzte Hilfspersonal unterstand seiner Weisung; an den Verein gab der Angeklagte weder Verantwortung noch Entscheidungskompetenz ab. Es hing mithin maßgeblich von der Arbeitskraft des Angeklagten ab, ob und in welcher Höhe Einkünfte erwirtschaftet wurden. Seine Leistungen gegenüber gesetzlich versicherten Patienten rechnete der Angeklagte in den Jahren 2013 bis 2016 über sogenannte Sammelerklärungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung ab, die das Honorar in der Folge antragsgemäß ausbezahlte.
Die Kassenärztliche Vereinigung leistete alle Zahlungen ab dem Jahr 2010 auf ein Konto der Kreissparkasse B.
, dessen Inhaberin K.
war. Der Angeklagte war darüber neben ihr verfügungsberechtigt. Ab Dezember 2015 erfolgten die Zahlungen auf ein Konto des Vereins, über das gleichfalls K. und der Angeklagte verfügungsberechtigt waren. Nach der mit K. getroffenen Absprache sollten die eingehenden Zahlungen dem Angeklagten zur freien Disposition zustehen. Als Dank und weil der Angeklagte K. versorgt sehen wollte, sollte allerdings auch K. befugt sein, private Ausgaben ohne Rücksprache mit dem Angeklagten über diese Konten zu tätigen.
Der Verein und dessen Mitglieder hatten keinen Zugriff auf die Konten. Die nach der Vereinssatzung geschuldete monatliche „Aufwandsentschädigung“ von 900 € wurde an den Angeklagten nicht entrichtet. Auch die jährliche Zahlung der Mitgliedsbeiträge durch die Mitglieder an den Verein blieb aus.
b) Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich bereits nicht von Täuschungshandlungen gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung hat überzeugen können. Namentlich sei der Angeklagte bei Erbringung der abgerechneten Leistungen nach sozialrechtlichen Gesichtspunkten als Vertragsarzt „in freier Praxis“ tätig gewesen; die von ihm geschaffene „Papierlage“ habe daran als bloße Scheingestaltung nichts geändert. Es fehle daher auch jeweils an einem entsprechenden Irrtum des Sachbearbeiters bei der Kassenärztlichen Vereinigung.
II.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Freispruch des Angeklagten ist rechtsfehlerfrei. Die von der Staatsanwaltschaft beanstandete Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand.
1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Deshalb ist es vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, weil der Tatrichter Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung bei einem Freispruch aber auch, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt und nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 16. Februar 2022 – 2 StR 399/21 Rn. 11; vom 21. November 2017 – 1 StR 261/17 Rn. 19; vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16 Rn. 7; vom 11. Mai 2017 – 4 StR 554/16 Rn. 6 und vom 12. Januar 2017 – 1 StR 360/16 Rn. 10).
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Entgegen dem Revisionsvorbringen erweist sie sich weder als widersprüchlich noch lässt sie die gebotene Gesamtwürdigung zur Frage der Täuschung über die Leistungserbringung als Vertragsarzt vermissen.
a) Zutreffend ist das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt davon ausgegangen, dass von einer gemäß § 263 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßigen Täuschung bei der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen auszugehen ist, wenn der Arzt nach dem maßgeblichen Kassenarztrecht nicht berechtigt war, seine tatsächlich erbrachten und an sich abrechnungsfähigen Leistungen gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen und in der Abgabe einer Sammelerklärung nach dem Empfängerhorizont die Erklärung liegt, die rechtlichen Abrechnungsvoraussetzungen lägen vor. Dazu gehört insbesondere die Zulassung als Vertragsarzt (vgl. BGH, Urteile vom 19. August 2020 – 5 StR 558/19 Rn. 22 f.; vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16 Rn. 10 und vom 10. März 1993 – 3 StR 461/92, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 12). Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht seine hieran anschließende Prüfung, ob der Angeklagte die abgerechneten ärztlichen Leistungen im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV „in freier Praxis“ erbrachte, an den geltenden sozialrechtlichen Maßstäben ausgerichtet.
Nach den im Tatzeitraum geltenden, insoweit inhaltsgleichen Fassungen von § 106a Abs. 1 und 2 SGB V (in den Fassungen vom 20. Dezember 2012 und vom 16. Juli 2015) prüfen die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Die Prüfung und Feststellung zielen darauf ab, ob die Leistungen im Einklang mit den maßgeblichen gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften erbracht worden sind; das schließt die Leistungserbringung in „freier Praxis“ ein (vgl. BSG, Urteile vom 29. November 2017 – B 6 KA 31/16 R, BSGE 124, 266, 275 Rn. 35 und vom 23. Juni 2010 – B 6 KA 7/09 R, BSGE 106, 222, 226 Rn. 26 ff. mwN; vgl. dazu BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16 Rn. 10). Ob die Tätigkeit eines Arztes – wie hier – „in freier Praxis“ erfolgt, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts normativ in Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis (§ 32b Ärzte-ZV) zu bestimmen. Eine Tätigkeit in „freier Praxis“ setzt danach zum einen eine wirtschaftliche Komponente – die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis – und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht voraus (vgl. BSG, Urteile vom 29. November 2017 – B 6 KA 31/16 R, aaO Rn. 35; vom 23. Juni 2010 – B 6 KA 7/09 R, BSGE 106, 222, 228 Rn. 36 ff. und vom 16. März 1973 – 6 RKa 23/71, BSGE 35, 247, 252 [betreffend – wie hier – Facharzt für Laboratoriumsmedizin]). Das wirtschaftliche Risiko trägt der Arzt, wenn ihn Chancen und das Risiko des beruflichen Erfolges oder Misserfolges persönlich treffen. Kennzeichnend für berufliche und persönliche Handlungsfreiheit ist es, dass der Vertragsarzt sein Personal selbst auswählt, das Hilfspersonal seinem Direktionsrecht unterliegt und ihm die Praxis mit den dort vorhandenen medizinischen Geräten grundsätzlich jederzeit persönlich zur Verfügung steht (vgl. BSG, Urteile vom 19. März 1997 – 6 RKa 39/96, BSGE 80, 130, 132 und vom 15. März 1995 – 6 RKa 23/94, NZS 1996, 90, 92). Hingegen sind die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Geräte- und Materialausstattung für die rechtliche Bewertung grundsätzlich unerheblich; wesentlich ist vielmehr, dass der Arzt in der Praxis seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen kann (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 1973 – 6 RKa 23/71, BSGE 35, 247, 250). Für die Bewertung all dieser Umstände, insbesondere das Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit, können zivilrechtliche Vereinbarungen, die der Arzt bezogen auf die Arztpraxis getroffen hat, Bedeutung haben (vgl. BSG, Urteile vom 23. Juni 2006 – B 6 KA 7/09 R, BSGE 106, 222, 229 Rn. 40 und vom 28. November 2007 – B 6 KA 26/07, BSGE 99, 218, 233; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16 Rn. 11). Zivilrechtliche Gestaltungen entfalten Rechtswirkung allerdings nur dann, wenn sie rechtswirksam begründet worden sind. Dies kann unter Umständen zu hinterfragen sein.
b) Die hieran orientierte Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
aa) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegt kein Widerspruch darin, dass das Landgericht in Ansehung des festgestellten Inhalts der Satzung des Vereins, des „Geschäfts-Kooperationsvertrags" und der Abtretungsvereinbarung mit K. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte sei auch nach der Vereinsgründung „in freier Praxis“ tätig gewesen. Denn das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht jeweils von einem Scheingeschäft (§ 117 BGB)
ausgegangen.
(1) Zwar sollte nach dem „Geschäfts-Kooperationsvertrag" der Verein an die Stelle des Angeklagten treten und die wirtschaftliche Leitung der Praxis sowie Kosten und Nutzen daraus übernehmen. Das gegenständliche Inventar der Praxis wie auch deren immaterielle Werte sollten in das Eigentum des Vereins übergehen. Während für den Angeklagten lediglich eine Aufwandsentschädigung von monatlich 900 € vorgesehen war, sollte der Verein über die erwirtschafteten Überschüsse für Vereinszwecke – ohne Anhörung oder Vetorecht des Angeklagten – frei verfügen können. Handelte es sich hierbei um eine rechtswirksame Gestaltung, läge eine Tätigkeit des Angeklagten „in freier Praxis“ nach den dargelegten Maßstäben fern.
(2) Das Landgericht hat jedoch sowohl die Errichtung des Vereins wie auch den „Geschäfts-Kooperationsvertrag" als rechtswirkungslose Scheingeschäfte bewertet; seine Überzeugungsbildung hiervon lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen. Die Praxiserträge standen dem Angeklagten zu. Anderenfalls wäre die sich darauf stützende – nunmehr rechtskräftige – Verurteilung wegen Einkommensteuerhinterziehung (Jahre 2013 bis 2016) nicht möglich gewesen.
(a) Ein Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die Parteien sich einig sind, dass die mit den Willenserklärungen an sich verbundenen Rechtsfolgen tatsächlich nicht eintreten sollen und damit das Erklärte in Wirklichkeit nicht gewollt ist. Entscheidend ist dabei, ob die Beteiligten zur Erreichung des erstrebten Erfolges ein Scheingeschäft für genügend oder ein ernst gemeintes Rechtsgeschäft für erforderlich erachtet haben. Die Beurteilung, ob ein Geschäft nur zum Schein abgeschlossen wurde, obliegt dabei grundsätzlich dem Tatrichter. Lässt das Urteil erkennen, dass der Tatrichter die wesentlichen für und gegen ein Scheingeschäft sprechenden Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt und in eine Gesamtwürdigung einbezogen hat, so dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht nur eine Annahme oder bloße Vermutung ist, ist dies vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 339/16 Rn. 75; vom 16. Juni 2016 – 1 StR 20/16 Rn. 41; vom 22. September 2016 – III ZR 427/15 Rn. 13 und vom 25. Oktober 1961 – V ZR 103/60, BGHZ 36, 84, 87 f.).
(b) Diese Maßstäbe hat das Landgericht beachtet und sich auf Grund einer umfassenden Würdigung der für und gegen ein Scheingeschäft sprechenden Umstände die Überzeugung gebildet, dass der Angeklagte und die Gründungsmitglieder bereits die Errichtung eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit von Beginn an nicht ernstlich vorhatten, sondern den geschaffenen Schein allein nutzen wollten, den Zugriff der Finanzbehörden auf die vom Angeklagten erwirtschafteten Einnahmen zu vereiteln. Dies trifft gleichermaßen auf den „GeschäftsKooperationsvertrag" und die Abtretungsvereinbarung mit K. zu. So hat das Landgericht etwa darauf abgestellt, dass sich die Abläufe in der Praxis auch nach der Vereinsgründung faktisch nicht änderten. Der Angeklagte blieb sowohl im Bereich der eigentlichen diagnostischen Behandlungstätigkeit als auch in deren tatsächlichem und rechtlichem Umfeld stets in vollem Umfang unmittelbar verantwortlich. Er gestaltete Inhalt und Umfang seiner ärztlichen Tätigkeit nach eigenem Ermessen, bestimmte über den Einsatz von Personal selbst und stand auch sonst nicht in einer Abhängigkeit gegenüber dem Verein. Dieser hingegen trat in dem drei Jahre umfassenden Tatzeitraum im Praxisalltag zu keinem Zeitpunkt in Erscheinung. Die ihm satzungsmäßig zustehende Entscheidungskompetenz nahm der Verein nie in Anspruch. Auch erfolgten weder die in der Satzung vorgesehenen jährlichen Zahlungen des Mitgliedsbeitrags durch die Vereinsmitglieder noch leistete der Verein dem Angeklagten die monatlich geschuldete Aufwandsentschädigung. Daneben kommt es nicht mehr maßgebend darauf an, dass die – wenn auch als Soll-Vorschrift ausgestaltete – gesetzliche Mindestmitgliederzahl von sieben Personen (§ 56 BGB) gerade erreicht, für die Vereinsmitglieder ein umfassender, das gesetzlich zulässige Maß (§ 31b Abs. 1 BGB) überschreitender Haftungsausschluss vorgesehen war und auch niemals eine Mitgliederversammlung stattfand. Die abschließende Wertung, es habe sich bei der Vereinsgründung wie auch dem „Geschäfts-Kooperationsvertrag" um bloße Scheingeschäfte gehandelt, mit denen keiner der Beteiligten eine rechtliche Bindung begründen wollte, erscheint nach alldem nicht nur möglich, sondern naheliegend.
bb) Auch die Bewertung des Landgerichts, der Angeklagte habe das mit der Praxis verbundene wirtschaftliche Risiko getragen, ist hinreichend tatsachenbasiert unterlegt. Die mit der Praxis erzielten Einnahmen waren maßgeblich von Art und Umfang der ärztlichen Leistungen abhängig, die der Angeklagte erbrachte. Aus ihnen wurden sämtliche Unkosten bestritten, die aus dem Praxisbetrieb resultierten. Zugleich standen sie dem ungehinderten Zugriff des Angeklagten zur Verfügung, der daraus seinen Lebensunterhalt bestritt. Die Chancen und Risiken des Laborbetriebs trafen mithin allein ihn. Dabei hat das Landgericht – entgegen dem Revisionsvorbringen – nicht übersehen, dass die von der Kassenärztlichen Vereinigung geleisteten Honorarzahlungen an K. abgetreten waren und auf Konten flossen, deren Inhaberin K. war. Denn auch insoweit hat sich das Landgericht die Überzeugung davon verschafft, dass es sich lediglich um eine Scheingestaltung im Einvernehmen mit K.
handelte. Mit Blick auf die konkret festgestellten Kontoverfügungen, die sich über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren erstreckten und den freien Zugriff des Angeklagten auf die Konten belegen, ist auch dieser Schluss des Landgerichts naheliegend. Die Beanstandung der Revision, der Angeklagte habe keine auf Dauer gesicherte Rechtsstellung gehabt, geht auf der Grundlage der sorgfältig abwägenden Würdigung des Landgerichts fehl.
cc) Schließlich trägt auch das Vorbringen der Revision nicht, eine Tätigkeit „in freier Praxis“ habe jedenfalls deshalb nicht vorgelegen, weil auf der vom Angeklagten gewählten rechtlichen Grundlage eine Zulassung als Vertragsarzt nicht hätte erfolgen können. Denn auch dies übersieht, dass es sich bei der vertraglichen Gestaltung um Scheingeschäfte handelte, die keine rechtliche Bindungswirkung entfalteten. Im Gegenteil ist das Vorliegen der rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen dadurch belegt, dass der Angeklagte vor der Gründung des Vereins unter tatsächlich unveränderten Umständen langjährig als Vertragsarzt zugelassen war.
Jäger Bär Leplow Allgayer Munk Vorinstanz: Landgericht Stuttgart, 20.10.2023 - 20 KLs 115 Js 37615/14