VIII ZR 293/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIII ZR 293/23 URTEIL Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
nein in dem Rechtsstreit Verkündet am: 15. Mai 2024 Reiter, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle GVG § 17a Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 a) Die in § 17a Abs. 5 GVG vorgesehene Beschränkung der Befugnis des Rechtsmittelgerichts, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu überprüfen, gilt nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs schon in erster Instanz gerügt worden ist und das Erstgericht nicht - wie gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG geboten - einen beschwerdefähigen Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs gefasst hat. In diesem Fall ist die Prüfung des Rechtswegs im Rechtsmittelverfahren nachzuholen (im Anschluss an BGH, Urteile vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 370 f.; vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 163 f.; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter I 2; vom 21. September 2017 - I ZR 58/16, GRUR 2017, 1236 Rn. 19).
b) Ist eine solche Nachholung der Prüfung des Rechtswegs durch das zweitinstanzliche Gericht unterblieben, weil dieses zu Unrecht eine Bindung an den beschrittenen Rechtsweg angenommen hat, ist ausnahmsweise das Revisionsgericht befugt, im Revisionsverfahren über den Rechtsweg zu befinden (im Anschluss an BGH, Urteile vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92,
ECLI:DE:BGH:2024:150524UVIIIZR293.23.0 aaO S. 370 ff.; vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, aaO; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, aaO; vom 21. September 2017 - I ZR 58/16, aaO Rn. 21).
c) In einem solchen Fall hat das Revisionsgericht jedenfalls dann die Kompetenz auch zur Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht des zulässigen Rechtswegs, wenn die Verweisung die rechtlich einzig mögliche Entscheidung ist, die nach einer Zurückverweisung das Berufungsgericht ebenfalls zu treffen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - III ZR 278/04, NJWRR 2005, 721 unter 2 c; BSG, NVwZ-RR 2000, 648; NZS 2021, 688 Rn. 15).
BGH, Urteil vom 15. Mai 2024 - VIII ZR 293/23 - KG Berlin LG Berlin Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 26. April 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bünger, den Richter Kosziol, die Richterin Wiegand sowie die Richter Dr. Reichelt und Messing für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden die Urteile des Kammergerichts - 8. Zivilsenat - vom 8. Mai 2023 und des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 56 - vom 8. Dezember 2020 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21. Januar 2021 jeweils im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Das erstgenannte Urteil wird darüber hinaus auf die Anschlussrevision der Klägerin insoweit aufgehoben, als in Höhe von insgesamt 12.872,98 € in Bezug auf die als Anlagenkonvolut K1 vorgelegten und dort mit den Nummern 5, 9 - 11, 13, 14, 17, 25 32, 36, 37, 45 - 47, 76, 88, 93 - 95, 115 - 120, 132, 137, 138 versehenen Rechnungen nebst den hierauf entfallenden Nebenforderungen zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist unzulässig. Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das zuständige Sozialgericht Berlin verwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin betreibt im Land Berlin verschiedene Unterkünfte zur Beherbergung wohnungsloser Personen. Sie gewährte dort einer Vielzahl von Personen - in der Regel Flüchtlingen - Unterkunft, die ein von dem beklagten Jobcenter ausgestelltes, an die jeweilige Einrichtung adressiertes formularmäßiges Schreiben vorlegten, das mit "Information über den Leistungsanspruch" überschrieben ist und den Namen der zu beherbergenden Person sowie den Zeitraum und den Tagessatz für die Beherbergung ausweist.
Dieses formularmäßige Schreiben enthält neben der Erklärung, dass die Kosten zu dem angegebenen Tagessatz - längstens für die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts in der Einrichtung - übernommen werden, unter anderem folgende Hinweise:
"Diese Information ist nicht übertragbar und begründet keinen eigenständigen Anspruch des Vermieters. […]
Durch diese Erklärung wird kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Wohnungsgeber begründet. […] Der Wohnungsgeber kann unter Vorlage dieser Bestätigung […] direkt mit dem Jobcenter N. abrechnen. Diese Bestätigung begründet jedoch keine Rechte des Wohnungsgebers gegenüber dem Jobcenter N.
, sondern dient nur der Information über die Höhe des Leistungsanspruchs des/der Leistungsberechtigten. Sofern dieser Leistungsanspruch wegfällt, sich mindert oder abgelehnt wird, obliegt es dem/der Leistungsberechtigten, dem Wohnungsgeber darüber Mitteilung zu machen. Das Jobcenter N.
übernimmt solche Mitteilungspflichten nicht." Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf (restliche) Entgeltzahlung für die Erbringung von Unterkunftsleistungen ab September 2017 aus insgesamt 151 Rechnungen in Anspruch.
Das Landgericht hat dem auf Zahlung in Höhe von insgesamt 85.216,15 € nebst Zinsen und einer Verzugspauschale in Höhe von insgesamt 6.040 € gerichteten Begehren in Höhe von 80.299,78 € nebst Zinsen und Verzugspauschale stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht das erstinstanzliche Urteil - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - abgeändert und dessen Verurteilung zur Zahlung lediglich in Höhe von 63.574,06 € nebst - hinsichtlich der Zinshöhe und des Zinszeitraums verringerter - Zinsen aufrechterhalten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht für den Beklagten zugelassenen Revision verfolgt dieser sein auf vollständige Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter, während die Klägerin mit der Anschlussrevision ihr Zahlungsbegehren über den ihr vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag hinaus insoweit weiterverfolgt, als das Berufungsgericht in Höhe von insgesamt 12.872,98 € in Bezug auf die im Tenor näher bezeichneten Rechnungen zu ihrem Nachteil erkannt hat.
Entscheidungsgründe:
Die Rechtsmittel der Parteien haben Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (KG, Urteil vom 8. Mai 2023 - 8 U 2/21, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
1. Die Eröffnung des Zivilrechtswegs sei gegeben. Zwar habe der Bundesgerichtshof mittlerweile geklärt, dass für die auf eine Erklärung der Behörde an den Vermieter gestützte Klage auf Zahlung der Kosten der Unterbringung von Personen, die nach dem SGB II einen Anspruch auf Kostenübernahme haben, nach § 51 SGG der Sozialrechtsweg (jedenfalls stets dann) eröffnet sei, wenn - wie hier - die Erklärung die Entstehung eines Vertragsverhältnisses ausdrücklich ausschließe.
Das Berufungsgericht habe die Rechtswegfrage nach § 17a Abs. 5 GVG jedoch nicht mehr zu berücksichtigen. Anders wäre dies nur, wenn das Landgericht eine nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG gebotene Vorabentscheidung unterlassen hätte. Ein solcher Fall sei hier indes nicht gegeben, weil der Beklagte den Rechtsweg erstinstanzlich nicht gerügt habe. Er habe lediglich die Ansicht vertreten, dass sich die Klägerin vor den Zivilgerichten nicht auf eine öffentlich-rechtliche Zusage berufen könne, da "die Zivilgerichte dann unzuständig wären". Darin liege keine Rüge im Sinne von § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG, die eine Vorabentscheidung über die Rechtswegfrage erfordert hätte. Zudem habe der Beklagte in der Berufungsbegründungsschrift eine entsprechende Rüge nicht erhoben, sondern vielmehr in einem späteren Schriftsatz das Vorbringen der Klägerin zur Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG als "richtig" bezeichnet. Daher könne dem Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der Berufungsverhandlung auf eine vermeintlich erstinstanzliche Rüge des Rechtswegs nicht gefolgt werden.
2. Die Klägerin könne den Beklagten auf Zahlung der Kosten für die erbrachten Unterkunftsleistungen in Anspruch nehmen. Denn die der Klageforderung zugrunde liegenden Schreiben des Beklagten seien gemäß §§ 133, 157, 242 BGB dahin auszulegen, dass der Klägerin eine verbindliche Zusage im Sinne einer einseitigen hoheitlichen Selbstverpflichtung mit dem Inhalt erteilt worden sei, der materiell-rechtliche Hilfeanspruch der Bewohner nach § 22 SGB II werde an die Klägerin im Wege der Direktzahlung zur Auszahlung gebracht.
Der Höhe nach stehe der Klägerin allerdings nur eine Gesamtforderung von 63.574,06 € nebst Zinsen zu, da die vom Landgericht zuerkannten Einzelforderungen aus den von der Klägerin an den Beklagten gestellten Rechnungen zum Teil nicht oder jedenfalls nicht in voller Höhe bestünden. Im Vergleich zu der vom Landgericht als berechtigt angesehenen Gesamtforderung in Höhe von 80.299,78 € ergebe sich ein Abzug von insgesamt 16.725,72 €.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsmittel beider Parteien sind statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere ist die Anschlussrevision der Klägerin trotz der vom Berufungsgericht nur zugunsten des Beklagten ausgesprochenen Revisionszulassung statthaft. Gemäß § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann eine Anschlussrevision auch dann wirksam eingelegt werden, wenn die Revision nicht zugunsten des Revisionsbeklagten zugelassen wurde. Unzulässig ist sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann, wenn sie einen Gegenstand betrifft, der mit demjenigen der Hauptrevision nicht in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang steht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Juni 2023 - VIII ZR 303/21, NJW-RR 2023, 1365 Rn. 44; vom 31. August 2022 - VIII ZR 233/21, NZM 2022, 922 Rn. 36; vom 25. Juni 2015 - IX ZR
142/13, ZInsO 2015, 1563 Rn. 28; vom 21. Februar 2014 - V ZR 164/13, NJW 2014, 1447 Rn. 30 f.). Das ist hier nicht der Fall. Gegenstand sowohl der Revision als auch der Anschlussrevision sind die (restlichen) Ansprüche der Klägerin aus den ihrerseits vorgelegten Rechnungen wegen der Unterbringung obdachloser Personen ab September 2017.
2. Die demnach im Umfang der Anfechtung durch die Parteien revisionsrechtlich zu überprüfende Beurteilung des Streitfalls durch das Berufungsgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, es sei an die - verfahrensfehlerhaft erfolgte - Bejahung der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs durch das Landgericht nach § 17a Abs. 5 GVG gebunden. In der Folge hat es - seinerseits verfahrensfehlerhaft von der gebotenen Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Sozialgericht abgesehen und stattdessen - trotz fehlender Rechtswegzuständigkeit selbst eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen.
a) Gemäß § 17a Abs. 5 GVG prüft ein Gericht, das über ein Rechtsmittel in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Beschränkung der Prüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts gilt allerdings dann nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs schon in erster Instanz gerügt worden ist. Hat das Erstgericht in einem solchen Fall nicht - wie gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG geboten - einen beschwerdefähigen Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs gefasst, ist die Prüfung des Rechtswegs im Rechtsmittelverfahren nachzuholen. Andernfalls wäre der Partei, die die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat, das von dem Gesetzgeber vorgesehene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG) allein deshalb abgeschnitten, weil das Gericht der ersten Instanz verfahrensfehlerhaft erst mit der Entscheidung über die Hauptsache ausdrücklich oder stillschweigend auch über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden hat (vgl. BGH, Urteile vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 370 f.; vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 163 f.; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter I 2; vom 21. September 2017 - I ZR 58/16, GRUR 2017, 1236 Rn. 19; Beschlüsse vom 23. September 1992 - I ZB 3/92, BGHZ 119, 246, 250; vom 4. März 1998 - VIII ZB 25/97, NJW 1998, 2057 unter II 1; vom 7. November 2019 - V ZB 12/16, NVwZ-RR 2020, 380 Rn. 8; BVerwG, NJW 1994, 956; BVerwGE 124, 321, 322).
Die Nachholung der durch die Rechtswegrüge veranlassten Prüfung des Rechtswegs erfolgt dann in der Weise, dass das zweitinstanzliche Gericht die Zulässigkeit des Rechtswegs selbst in einem Vorabverfahren nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG prüft (BGH, Urteil vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, aaO; Beschluss vom 9. November 1995 - V ZB 27/94, BGHZ 131, 169, 171), das Verfahren also entweder - unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 17 Rn. 37 mwN) - in den aus seiner Sicht richtigen Rechtsweg verweist oder die eigene Rechtswegzuständigkeit ausspricht. Unter den Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG hat es in dieser Entscheidung die Rechtsbeschwerde zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2019 - V ZB 12/16, aaO). Ein Vorabverfahren erübrigt sich in einem solchen Fall nur dann, wenn das Berufungsgericht die eigene Rechtswegzuständigkeit bejaht und keinen Anlass für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß § 17 Abs. 4 Satz 4, 5 GVG sieht (vgl. BGH, Urteile vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, 247; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, aaO; Beschluss vom 9. November 1995 - V ZB 27/94, aaO).
Ist eine solche Nachholung der Prüfung des Rechtswegs durch das zweitinstanzliche Gericht unterblieben, weil dieses zu Unrecht eine Bindung an den beschrittenen Rechtsweg angenommen hat, ist ausnahmsweise das Revisionsgericht befugt, im Revisionsverfahren über den Rechtsweg zu befinden, um den Parteien in diesem Punkt eine Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Februar 1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 367, 370 ff.; vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, BGHZ 130, 159, 163 f.; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter I 2; vom 21. September 2017 - I ZR 58/16, GRUR 2017, 1236 Rn. 21; vgl. auch BVerwGE 124, 321, 322). Diese Prüfung ist durch § 545 Abs. 2 ZPO nicht ausgeschlossen, da die Regelung des § 17a Abs. 5 GVG insoweit vorgeht (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, aaO S. 164 [zu § 549 Abs. 2 ZPO aF]; vom 21. September 2017 - I ZR 58/16, aaO; jeweils mwN). Sie ist auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1995 - V ZR 118/94, aaO mwN; vom 20. Januar 2005 - III ZR 278/04, NJW-RR 2005, 721 unter 2 b; vgl. demgegenüber zu dem Erfordernis einer erneuten Rechtswegrüge in zweiter Instanz BVerwG, NJW 1994, 956; VGH München, NJW 1997, 1251, 1252).
b) Ein solcher Ausnahmefall, in dem der Bundesgerichtshof in einem Revisionsverfahren über den Rechtsweg zu befinden hat, liegt hier vor.
aa) Das Landgericht hat die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs verfahrensfehlerhaft erst mit der Entscheidung über die Hauptsache - stillschweigend - bejaht, anstatt hierüber - wie gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG geboten - vorab durch einen beschwerdefähigen Beschluss zu entscheiden.
Die Voraussetzungen, unter denen das erstinstanzliche Gericht über die Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtswegs eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG zu treffen hat, lagen im Streitfall entgegen der Auffas- sung des Berufungsgerichts vor. Denn der Beklagte hat - anders als vom Berufungsgericht angenommen - bereits in erster Instanz eine Rechtswegrüge im Sinne von § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG erhoben. Da es sich bei einer solchen Rüge um eine Prozesserklärung handelt, kann der Senat deren Auslegung durch das Berufungsgericht uneingeschränkt nachprüfen und die Erklärung in freier Würdigung selbst auslegen (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom 21. März 2018 - VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139 Rn. 27 mwN).
(1) Eine Rechtswegrüge im Sinne von § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG muss nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Erforderlich ist lediglich ein Vorbringen, das die Zulässigkeit des Rechtswegs eindeutig bestreitet (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 - I ZB 75/22, juris Rn. 18; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 17 Rn. 27; jeweils mwN); dies kann auch konkludent geschehen (vgl. Senatsurteil vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter I 1). Bloße Zweifelsäußerungen genügen insoweit allerdings nicht (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 9 S 2797/19, juris Rn. 3; OVG Bremen, DVBl 2019, 584, 585; OVG Bautzen, Beschluss vom 15. April 2015 - 4 A 657/13, juris Rn. 21 f.; Kissel/Mayer, aaO; jeweils mwN). Allgemein gilt, dass bei der Auslegung von Prozesserklärungen nicht allein auf deren Wortlaut abzustellen ist; vielmehr ist im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 25. Oktober 2017 - VIII ZR 135/16, NJW-RR 2018, 497 Rn. 16; Senatsbeschlüsse vom 13. Dezember 2022 - VIII ZB 43/22, WuM 2023, 224 Rn. 11; vom 27. September 2023 - VIII ZB 90/22, juris Rn. 21; jeweils mwN).
(2) Danach hat der Beklagte mit dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen in seinem Schriftsatz vom 27. Oktober 2020 eine Rechtswegrüge erhoben. Er hat - unter Verweis auf den Senatsbeschluss vom 5. August 2020 (VIII ZB 46/19, juris), der ein Rechtsbeschwerdeverfahren über den zulässigen Rechtsweg (zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Sozialgerichten) in einem mit der hiesigen Sache vergleichbaren Fall betrifft - ausgeführt, dass die Klägerin sich zwar nicht festlegen müsse, ob sie in den formularmäßigen Schreiben des Beklagten eine Schuldübernahme, eine Garantie oder einen Schuldbeitritt sehe, jedoch dann "ein Verwaltungsgericht anrufen" müsse, wenn sie sich auf eine öffentlich-rechtliche Zusage berufe, weil "die Zivilgerichte […] dann unzuständig" seien.
Damit hat der Beklagte die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs in hinreichender Weise bestritten. Die Ausführungen über die verschiedenen im Streitfall möglicherweise in Betracht kommenden - auch privatrechtlichen - Grundlagen für die von der Klägerin verfolgten Zahlungsansprüche stehen dem nicht entgegen. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass die Äußerung des Beklagten sich als bloßes Zweifeln an der Zulässigkeit des von der Klägerin gewählten Rechtswegs darstellte. Denn mit Blick darauf, dass es für die Frage des zulässigen Rechtswegs allein auf die - vom Gericht zu ermittelnde - wahre Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, und daher nicht auf die Bewertung durch die klagende Partei ankommt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, BGHZ 228, 373 Rn. 17, 21 f. mwN), kommt diesen Ausführungen in Bezug auf die Erhebung einer Rechtswegrüge keine einschränkende Wirkung zu.
bb) Demgemäß war das Berufungsgericht nicht nur befugt, sondern verpflichtet, die durch die Rechtswegrüge veranlasste Prüfung des Rechtswegs nachzuholen und hierüber vorab durch Beschluss zu befinden. Ein solches Vorabverfahren hat sich vorliegend auch nicht ausnahmsweise erübrigt. Denn dies wäre - wie aufgezeigt - nur der Fall, wenn das Berufungsgericht die eigene Rechtswegzuständigkeit bejaht und keinen Anlass für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß § 17 Abs. 4 Satz 4, 5 GVG gesehen hätte (vgl. BGH, Urteile vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, 247; vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter I 2; Beschluss vom 9. November 1995 - V ZB 27/94, BGHZ 131, 169, 171). Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil das Berufungsgericht ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass es sich nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, BGHZ 228, 373) vorliegend um eine sozialgerichtliche Streitigkeit, mithin um eine an sich nach § 51 Abs. 1 SGG der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesene Sache handelt. Richtigerweise hätte es den Rechtsstreit demnach - unter Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils im Umfang der Anfechtung - durch Beschluss (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 1998 - VIII ZB 25/97, NJW 1998, 2057 unter II 1 mwN; BAG, NZA 1992, 954, 957; OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1997, 1564; OLG Rostock, NJW 2006, 2563; OLG Hamm, Beschluss vom 5. November 2013 - 4 U 72/13, juris Rn. 50) an das zuständige Sozialgericht Berlin verweisen müssen.
(1) An einer solchen Verfahrensweise war das Berufungsgericht auch nicht etwa deswegen gehindert, weil der Beklagte die Unzulässigkeit des Rechtswegs in der zweiten Instanz nicht (erneut) gerügt hätte (zu diesem Erfordernis siehe BVerwG, NJW 1994, 956; VGH München, NJW 1997, 1251, 1252). Denn entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte mit der Berufungsbegründung die Unzulässigkeit des Rechtswegs erneut gerügt. Er hat darin ausdrücklich eingewandt, dass die - aus Sicht des Landgerichts die Ansprüche der Klägerin begründenden - Schreiben des Beklagten "eine ausschließlich hoheitliche Tätigkeit" darstellten, da in ihnen "etwaige zivilrechtliche Wirkungen ausdrücklich ausgeschlossen" worden seien, weshalb "der Rechtsweg zu den Zivilgerichten unter keinem Gesichtspunkt möglich" sei.
(2) Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass der Beklagte in einem späteren Schriftsatz - worauf das Berufungsgericht abgestellt hat - die allein an den Wortlaut der Regelung des § 17a GVG anknüpfende Rechtsauffassung der Klägerin, dem Rechtsmittelgericht sei eine Überprüfung des Rechtswegs verwehrt, als "richtig" bezeichnet hat, keine entscheidende Bedeutung zu. Denn diesem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass der Beklagte die mit der Berufungsbegründung bereits erhobene Rechtswegrüge hätte zurücknehmen wollen. Spätestens aber nachdem der Beklagte - wie das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt hat - in der mündlichen Berufungsverhandlung (erneut) auf seine - nach Meinung des Berufungsgerichts nur vermeintlich erhobene erstinstanzliche Rechtswegrüge Bezug genommen hat, konnte kein ernsthafter Zweifel mehr daran bestehen, dass der Beklagte an dieser Rüge auch in zweiter Instanz festzuhalten gedachte.
c) Die demnach ausnahmsweise vom Senat als Revisionsgericht vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs ergibt, dass es sich vorliegend - wie auch das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit (§ 13 GVG), sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist (§ 51 Abs. 1 SGG).
aa) Der Senat hat bereits entschieden, dass für einen Zahlungsanspruch, den ein Betreiber von Obdachlosenunterkünften aus einem an ihn gerichteten,
die Beherbergung eines Flüchtlings betreffenden "Kostenübernahmeschein" eines öffentlichen Leistungsträgers ableitet, in der Regel nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, BGHZ 228, 373 Rn. 13 ff. und Leitsatz 1, sowie VIII ZB 21/20, juris Rn. 13 ff. und Leitsatz 1). Das gilt insbesondere dann, wenn in dem als "Kostenübernahmeschein" bezeichneten Schreiben die Begründung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Leistungsträger und dem Unterkunftsanbieter ausdrücklich ausgeschlossen wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2021 - VIII ZB 20/20, aaO Rn. 27 ff., und VIII ZB 21/20, aaO Rn. 27 ff.). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Begründung im Einzelnen vollumfänglich auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
bb) Eine solche Fallkonstellation liegt dem vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls zugrunde. Auch hier leitet die Klägerin als Betreiberin einer Obdachlosenunterkunft die geltend gemachten Zahlungsansprüche aus an sie gerichteten Schreiben des - ausschließlich die Aufgaben des Landes Berlin als öffentlichem Leistungsträger (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 1 AG-SGB II Berlin) wahrnehmenden - Beklagten (§ 44b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB II; zur Parteifähigkeit und Prozessführungsbefugnis der Jobcenter vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 22/10, NJW-RR 2012, 898 Rn. 9 ff., 13; BAGE 152, 59 Rn. 11 ff.; BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 - B 14 AS 156/11 R, juris Rn. 12 f.; Korte in Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Aufl., § 44b Rn. 14 ff. mwN) ab, die eine Erklärung über die Übernahme der Kosten für die Beherbergung einer namentlich genannten obdachlosen Person sowie den Hinweis enthalten, dass durch diese Erklärung ein "Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Wohnungsgeber" nicht begründet wird. Demnach handelt es sich nach Maßgabe der vorbezeichneten Senatsrechtsprechung auch hier um eine der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesene Streitigkeit mit der Folge, dass der Zivilrechtsweg nicht eröffnet ist.
III.
1. Nach alledem kann das Berufungsurteil, soweit es infolge der Anfechtung durch die Parteien der revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt, keinen Bestand haben. Es ist in diesem Umfang bereits wegen des aufgezeigten Verfahrensfehlers aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Aber auch das Urteil des Landgerichts kann in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nicht bestehen bleiben, weil das Berufungsgericht dieses Urteil wegen des erstinstanzlichen Verfahrensfehlers insoweit ebenfalls hätte aufheben müssen. Eine darüber hinausgehende Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile kommt - obgleich bei ordnungsgemäßem Verfahren eine zivilgerichtliche Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen wäre - wegen der durch die jeweiligen Rechtsmittelanträge (§§ 528, 557 Abs. 1 ZPO) sowie das für den jeweiligen Rechtsmittelführer geltende Verschlechterungsverbot gezogenen äußeren Schranken nicht in Betracht.
2. Zudem ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig zu erklären und der Rechtsstreit im Umfang der Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile - mithin bezüglich der Verurteilung des Beklagten in Höhe von insgesamt 63.574,06 € und der Klageabweisung in Höhe von 12.872,98 € hinsichtlich der im Tenor genannten Rechnungen, jeweils einschließlich der hierauf entfallenden Nebenforderungen - an das zuständige Sozialgericht Berlin zu verweisen (§ 17a Abs. 2 GVG).
a) Diese Entscheidung kann der Senat selbst treffen. Hat ein oberster Gerichtshof des Bundes - wie hier - auf das gegen eine inhaltlich unrichtige Instanz- entscheidung eingelegte Rechtsmittel ausnahmsweise über die Rechtswegfrage zu befinden, so folgt daraus die Kompetenz auch zur Verweisung an das Gericht des zulässigen Rechtswegs (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - III ZR 278/04, NJW-RR 2005, 721 unter 2 c; BSG, NVwZ-RR 2000, 648; NZS 2021, 688 Rn. 15). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Verweisung die rechtlich einzig mögliche Entscheidung ist, die nach einer Zurückverweisung auch das Berufungsgericht zu treffen hätte. Ein solcher Fall ist hier insbesondere deshalb zu bejahen, weil sich das Berufungsgericht der Senatsrechtsprechung hinsichtlich des vorliegend eröffneten sozialgerichtlichen Rechtswegs in dem angefochtenen Urteil der Sache nach bereits angeschlossen hat. Daher widerspräche es (auch) dem Grundsatz der Prozessökonomie, die Verweisung nicht selbst auszusprechen, sondern dies dem Berufungsgericht in dem wiederzueröffnenden Berufungsverfahren zu überlassen (vgl. BSG, NVwZ-RR 2000, 648; vgl. auch BGH, Urteile vom 18. November 1998 - VIII ZR 269/97, NJW 1999, 651 unter II 2; vom 29. März 1996 - V ZR 326/94, BGHZ 132, 245, 249).
b) Die Entscheidung des Senats ergeht, da mit der Verweisung zugleich die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben werden und die Aufhebung eines Urteils wiederum grundsätzlich in Urteilsform erfolgt, in Form eines Urteils (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 - III ZR 278/04, aaO; vgl. auch BSG, NVwZ-RR 2000, 648).
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die in dem bisherigen Verfahren vor den Zivilgerichten entstandenen Kosten sind gemäß § 17b Abs. 2 GVG als Teil der Kosten zu behandeln, die nunmehr im weiteren Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit entstehen werden und über die dort zu entscheiden sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2012 - X ZB 5/11, NZBau 2012, 248 Rn. 26; BSG, NVwZ-RR 2000, 648; BSG, Beschluss vom
16. Juli 2020 - B 1 KR 3/19 B, juris Rn. 19; OVG Hamburg, BeckRS 2017, 120651 Leitsatz 1 und Rn. 18 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 5. November 2013 - 4 U 72/13, juris Rn. 69 ff.; OLG Rostock, Beschluss vom 8. September 2005 - 7 U 2/05, juris Rn. 16; VGH München, NVwZ 2002, 1392).
Dr. Bünger Dr. Reichelt Kosziol Messing Wiegand Vorinstanzen: LG Berlin, Entscheidung vom 08.12.2020 - 56 O 43/20 KG Berlin, Entscheidung vom 08.05.2023 - 8 U 2/21 -