Paragraphen in VIII ZR 355/20
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
2 | 42 | ZPO |
Sortiert nach dem Alphabet
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
2 | 42 | ZPO |
BUNDESGERICHTSHOF VIII ZR 355/20 BESCHLUSS vom 26. April 2022 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2022:260422BVIIIZR355.20.0 Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. April 2022 durch die Richterin Dr. Fetzer als Vorsitzende, die Richter Kosziol und Dr. Schmidt sowie die Richterinnen Wiegand und Dr. Matussek beschlossen:
Die Selbstablehnung von Richterin am Bundesgerichtshof Dr. L.
wird für begründet erklärt.
I.
Die Klägerin, die in den Vorinstanzen vergeblich Nachlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs aus der Serienproduktion der Beklagten, hilfsweise Nachbesserung des von der Beklagten erworbenen Fahrzeugs begehrt hat, wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht.
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. L. , die auf der Grundlage der senatsinternen Geschäftsverteilung zur Mitwirkung an der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin berufen wäre, hat in ihrer Anzeige gemäß § 48 Halbs. 1 ZPO mitgeteilt, dass sie den Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten persönlich gut kenne; zwischen ihnen und ihren Familien bestehe eine langjährige enge Freundschaft.
Die Parteien hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Die Klägerin hat durch ihre Prozessbevollmächtigten erklären lassen, sie sehe von einem eigenen Ablehnungsgesuch ab, gehe aber von der Besorgnis der Befangenheit und einer entsprechenden Entscheidung des Senats von Amts wegen aus. Die Beklagte hat durch ihre Prozessbevollmächtigten erklären lassen, der in der Selbstanzeige geschilderte Sachverhalt treffe zu; aus ihrer Sicht sei eine weitergehende Stellungnahme nicht veranlasst.
II.
Die in der Anzeige von Richterin am Bundesgerichtshof Dr. L. gemäß § 48 Halbs. 1 ZPO mitgeteilten Umstände rechtfertigen nach § 42 Abs. 2 ZPO die Besorgnis der Befangenheit.
1. Gemäß § 48 Halbs. 1 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch - wie hier - nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte.
a) Die in einer Anzeige des Richters gemäß § 48 Halbs. 1 ZPO mitgeteilten Gründe rechtfertigen nach § 42 Abs. 2 ZPO die Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 15. März 2022 - II ZR 97/21, juris Rn. 8; vom 28. Februar 2022 - AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 27; vom 7. Oktober 2021 - RiZ 2/16, juris Rn. 11; jeweils mwN). Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen (Senatsbeschluss vom 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20, BGHZ 226, 350 Rn. 34 mwN).
b) Solche Zweifel können sich etwa aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den Parteien ergeben. Maßgeblich sind die besonderen Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (BGH, Beschluss vom 15. März 2022 - II ZR 97/21 aaO, mwN). In der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist insoweit anerkannt, dass nahe persönliche Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten geeignet sein können, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. April 2013 - RiZ 4/12, juris Rn. 28; vom 29. Juni 2009 - I ZR 168/06, juris Rn. 5; vom 31. Januar 2005 - II ZR 304/03, juris Rn. 2). Dabei stellt eine bloße Bekanntschaft oder lockere Freundschaft regelmäßig zwar noch keine für eine Besorgnis der Befangenheit ausreichende nahe persönliche Beziehung dar. Anders ist es aber bei einer engen beziehungsweise langjährigen Freundschaft (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2021 - II ZR 97/21, NJW-RR 2021, 1360 Rn. 22; vom 19. November 2020 - V ZB 59/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2015 - RiZ (R) 1/15, juris Rn. 3; BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 2 C 35/18, juris Rn. 6 f.; BFH, Beschluss vom 5. September 2018 - XI R 45/17, juris Rn. 12; BVerfGK 3, 297, 298 ff.) oder im Fall einer in das familiäre Umfeld des Richters hineinwirkenden Verbundenheit (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2021 - II ZR 97/21, aaO).
2. Nach diesen Maßstäben ist in Anbetracht der in der Anzeige gemäß § 48 Halbs. 1 ZPO mitgeteilten langjährigen und engen, auch die jeweiligen Familien einbindenden Freundschaft der Richterin mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten die Besorgnis der Befangenheit begründet.
Im gegebenen Fall steht zwar nicht die Beziehung der Richterin (und ihrer Familie) zu der Beklagten selbst, einer juristischen Person, in Rede. Jedoch besteht das besondere persönliche Verhältnis zu einem Mitarbeiter der Beklagten,
der als Leiter der Rechtsabteilung eine besondere Beziehung zu dem Rechtsstreit und ein Interesse am Verfahrensausgang haben kann, so dass er der Beklagten als unmittelbare Rechtsträgerin gleichsteht.
Ob der Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten persönlich in die Bearbeitung des Streitfalls eingebunden ist, macht aus Sicht der Verfahrensbeteiligten keinen Unterschied, zumal sie einen dahingehenden Einblick in Vorgänge in der Sphäre der Beklagten nicht haben. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2012 - V ZB 102/11, NJW 2012, 1890 Rn. 11).
Dr. Fetzer Wiegand Kosziol Dr. Mattusek Dr. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 11.03.2020 - 2 O 1/20 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 27.10.2020 - 10 U 159/20 -
Urheber dieses Dokuments ist der Bundesgerichtshof. Nach § 5 UrhG geniessen Entscheidungen und Gesetze keinen urheberrechtlichen Schutz. Auflagen des Gerichts können aber die kommerzielle Verwertung einschränken. In Anlehnung an Creative Commons Lizenzen ist die Nutzung mit einer CC BY-NC-SA 3.0 DE Lizenz vergleichbar. Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung urheberrechtlich geschützte Abbildungen enthalten kann. Vor einer Nutzung - über die reine Wiedergabe der Entscheidung hinaus - sind in solchen Fällen entsprechende Nutzungsrechte bei den jeweiligen Rechteinhabern einzuholen.
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
2 | 42 | ZPO |
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
2 | 42 | ZPO |
Der nachfolgende Link führt Sie zum originalen Dokument. Aufgrund der technischen Natur des Internets ist es möglich, dass der Link zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gültig ist. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir nicht alle Links einer ständigen Prüfung unterziehen können.
Öffnen