VIa ZR 203/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 203/21 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:180325UVIAZR203.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Zinsen in Höhe von 4 % aus 49.489,99 € vom 9. Mai 2015 bis zum 1. November 2019 - zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Sie erwarb im Mai 2015 einen von der Beklagten hergestellten MercedesBenz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die Klägerin hat behauptet, in dem Fahrzeug werde die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und ab 17 Grad Celsius zurückgefahren. Zudem verfüge das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die Grund für einen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) veranlassten Rückruf gewesen sei. Die Klägerin hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Delikts- und Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge insoweit weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Die Klägerin habe weder Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen noch Umstände vorgetragen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als sittenwidrig erscheinen ließen. Der Annahme, die Beklagte habe beim Einsatz der KSR in dem Bewusstsein gehandelt, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden,
stehe bereits ihre Darlegung entgegen, dass bei allenfalls 20 % der vom KBA untersuchten Fahrzeuge die KSR überhaupt kausal für das Bestehen der TypPrüfung gewesen sei. Einem Anspruch der Klägerin stehe zudem die bindende Tatbestandswirkung der Typgenehmigung entgegen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneint werden.
a) Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kann - wie der Senat erst nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 15, 34) eine Tatbestandswirkung oder Legalisierungswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB nicht entgegengehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, aaO, Rn. 34; Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22, VersR 2024, 1306 Rn. 22).
b) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist grundsätzlich indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Die Revision rügt deshalb zu Recht, dass das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht berücksichtigt hat, dass der Vortrag der Klägerin zur Prüfstandsbezogenheit der KSR mit Blick auf den angenommenen Rückruf auf der Darlegungsebene genügen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2022 - VII ZR 720/21, juris Rn. 23; Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 733/21, juris Rn. 24; Beschluss vom 21. September 2022 - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 16; vgl. auch Beschluss vom 8. November 2023 - VII ZR 629/21, juris Rn. 10 ff.), sofern die Indizwirkung nicht aus anderen Gründen entfällt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11).
2. Die Revision wendet sich weiter mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Zwar besteht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Anspruch auf Gewährung "großen" Schadensersatzes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Der Klägerin kann danach aber ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob in das streitgegenständliche Fahrzeug eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert ist, welche zudem eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indiziert, und sich gegebenenfalls mit den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB befassen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316). Weiter wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. März 2024 - VIa ZR 635/23, juris Rn. 9 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim Messing F. Schmidt Vorinstanzen: LG Darmstadt, Entscheidung vom 01.04.2020 - 8 O 259/19 OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 04.08.2021 - 24 U 116/20 - Verkündet am: 18. März 2025 Neumayer, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle