1 Ni 2/12
BUNDESPATENTGERICHT Ni 2/12 (Aktenzeichen)
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IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am
15. Januar 2013 …
In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05 betreffend das deutsche Patent 199 15 672 hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2013 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richter Voit, Dr.-Ing. Baumgart, Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. (Univ.) Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Ausfelder für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der im Register eingetragenen Inhaberin des deutschen Patents DE 199 15 672 (Streitpatent), das am 7. April 1999 angemeldet wurde. Das Streitpatent betrifft eine „Vorrichtung zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks“ mit mehreren Spanwerkzeugen und umfasst in der erteilten Fassung 10 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 4 angegriffen sind. Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
Vorrichtung zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks, insbesondere einer aus Holz, holzähnlichen Werkstoffen oder Kunststoffen bestehenden Platte mit separater, an die Platte angeleimter Kante, mit einem ersten Spanwerkzeug (1), das einen Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) aufweist,
einer dem ersten Spanwerkzeug (10) zugeordneten Tasteinrichtung (10) zur Führung der Vorrichtung am Werkstück (12), zumindest einem weiteren Spanwerkzeug (3), das den gleichen Werkzeug-Basisdurchmesser besitzt wie das erste Spanwerkzeug (1), aber eine zum ersten Spanwerkzeug (10) unterschiedliche Spanbearbeitung bewirkt, und das gegenüber dem ersten Spanwerkzeug von einer Ruhestellung, in der es nicht mit dem Werkstück (12) in Eingriff steht, in eine Arbeitsstellung bewegbar ist, in der es mit dem Werkstück (12) in Eingriff gelangt und in der die beiden Spanwerkzeuge (1, 3) so zueinander angeordnet sind, dass die beiden Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) zur Tasteinrichtung (10) die gleiche Lageposition einnehmen.
Wegen des Wortlauts der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2, 3 und 4 wird auf die Streitpatentschrift DE 199 15 672 C2 Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei, soweit angegriffen, wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Zur Begründung bezieht sie sich auf folgende Druckschriften:
Ni2 DE 37 32 810 C1 Ni3 DE 196 36 127 A Ni4 DE 196 49 568 A Ni5 DE-PS 38 188 Ni6 DE 23 48 731 A Ni7 DE 25 41 259 A Ni9 DE-PS 9 56 807.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent DE 199 15 672 im Umfang der Ansprüche 1 bis 4 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise verteidigt sie das Patent mit einem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag, der aus einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 2 und 3 besteht und hinsichtlich dessen Inhalts auf die Anlage zum Schriftsatz vom 3. Dezember 2012 verwiesen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Senat konnte nicht feststellen, dass dem Gegenstand des Streitpatents in seiner erteilten Fassung, soweit angegriffen, der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gemäß §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG entgegen steht.
Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedurfte es daher nicht.
I.
1. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks, insbesondere einer aus Holz, holzähnlichen Werkstoffen oder Kunststoffen bestehenden Platte mit separater, an die Platte angeleimter Kannte. Eine solche angeleimte Kante muss nach den Angaben in der Streitpatentschrift (PS) u. a. an ihrer Oberseite und Unterseite zur Werkstückfläche bündig gefräst oder mit einem anderen Spanwerkzeug bearbeitet werden (PS, Abs. 0001 bis 0004). Die Lage der Werkzeuganordnung zum Kantenrand wird bei einer bekannten Maschine über eine Tasteinrichtung mit zwei Tastelementen gesteuert, von denen eines als Tastrolle ausgebildet ist (PS, Abs. 0005).
Bei der Bearbeitung des Kantenrandes sind auch verschiedenste Profile anzubringen. Dazu muss jeweils das Werkzeug ausgetauscht werden (PS, Abs. 0004 und 0006). Nach den Angaben in der Streitpatentschrift sind bekannte Maschinen diesbezüglich mit dem Nachteil behaftet, dass bei einem solchen Werkzeugwechsel auch das zugehörige Tastelement aufwändig ausgetauscht werden muss (PS, Abs. 0006 und 0007).
Als der Erfindung zugrundeliegendes technisches Problem ist daher in der Streitpatentschrift angegeben, eine getastete – also durch eine Tasteinrichtung geführte – Vorrichtung zum Bearbeiten der Kanten eines Werkstückes bereitzustellen, mit der ohne aufwändige Einstellarbeiten verschiedene spanende Bearbeitungsvorgänge ausgeführt werden können (PS, Abs. 0011).
Dieses technische Problem soll durch eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst werden (PS, Abs. 0012), wobei der Erfindung nach den Angaben in der Patentschrift der Gedanke zugrunde liegt, mehrere Spanwerkzeuge gegeneinander und gegenüber einer Tasteinrichtung verschiebbar auszuführen, so dass eine einzige Tasteinrichtung für alle Spanwerkzeuge einsetzbar ist, und es ohne aufwändiges Austauschen des Werkzeugs möglich ist, verschiedene Fräsvorgänge an einer Kante eines plattenförmigen Werkstückes vorzunehmen (PS, Abs. 0014).
2. Der erteilte und gemäß Hauptantrag geltende Anspruch 1 weist die folgenden Merkmale auf:
1.1 Vorrichtung zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks, insbesondere einer aus Holz, holzähnlichen Werkstoffen oder Kunststoffen bestehenden Platte mit separater, an die Platte angeleimter Kante,
1.2 mit einem ersten Spanwerkzeug (1),
1.2.1 das einen Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) aufweist,
1.3 einer dem ersten Spanwerkzeug (1[0]) zugeordneten Tasteinrichtung (10) zur Führung der Vorrichtung am Werkstück (12),
1.4 zumindest einem weiteren Spanwerkzeug (3),
1.4.1 das den gleichen Werkzeug-Basisdurchmesser besitzt wie das erste Spanwerkzeug (1),
1.4.2 aber eine zum ersten Spanwerkzeug (1[0]) unterschiedliche Spanbearbeitung bewirkt, und
1.4.3 das gegenüber dem ersten Spanwerkzeug von einer Ruhestellung, in der es nicht mit dem Werkstück (12) in Eingriff steht, in eine Arbeitsstellung bewegbar ist,
1.4.4 in der es mit dem Werkstück (12) in Eingriff gelangt
1.4.5 und in der die beiden Spanwerkzeuge (1, 3) so zueinander angeordnet sind, dass die beiden Werkzeug-Basisdurchmesser
(WZBD) zur Tasteinrichtung (10) die gleiche Lageposition einnehmen.
3. Als Fachmann beschäftigte sich mit dem Gebiet des Streitpatents zum Anmeldezeitpunkt ein Maschinenbauingenieur (FH) der Fachrichtung Fertigungstechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Entwicklung von Werkzeugen und Maschinen zur spanenden Bearbeitung.
4. Zur Ermittlung der technischen Lehre, die sich aus Sicht dieses hier maßgeblichen Fachmanns aus dem Anspruch 1 ergibt, ist der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschreibung und Zeichnungen durch Auslegung zu ermitteln (vergl. BGH GRUR 2007, 410 – Kettenradanordnung).
Begriffe in den Patentansprüchen sind dabei so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht. Maßgeblich ist, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist. Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (vergl. BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher, m. w. N.).
Der angesprochene Fachmann versteht daher die einzelnen Merkmale des erteilten und gemäß Hauptantrag geltenden Anspruchs 1 wie folgt:
Merkmal 1.1 beschreibt eine Vorrichtung, die zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks geeignet und ausgebildet sein soll. Die folgenden Materialangaben sind optional. Mit dem Begriff „Kanten“ werden im Patent nicht geometrische Kanten bezeichnet, sondern auf die Schmalseiten der Platte geleimte Streifen. Nach dem Anleimen stehen beidseitig Ränder über und müssen abgefräst, abgesägt oder abgeschnitten und ggf. mit einem Profil versehen werden. Diese Ränder heißen im Patent „Kantenränder“, siehe PS, Abs. 0005.
Gemäß den Merkmalen 1.2 und 1.4 umfasst die Vorrichtung zwei zur spanenden Bearbeitung geeignete Werkzeuge.
Dass gemäß den Merkmalen 1.2.1 und 1.4.1 die zwei Spanwerkzeuge den gleichen „Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD)“ aufweisen bzw. besitzen sollen, sagt zunächst einmal aus, dass sie überhaupt einen Durchmesser besitzen; der Fachmann geht also davon aus, dass rotierende Werkzeuge wie z. B. Fräser gemeint sind.
Der Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) ist laut Definition in Abs. 0007 und 0038 der PS ein virtueller Referenzdurchmesser, der für jedes Werkzeug einmal festgelegt wird. Durch den Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) wird der Abstand zwischen dem Werkzeug und der Tasteinrichtung festgelegt. Da die Tasteinrichtung das Werkzeug in Abhängigkeit von der Werkstückfläche führt, entnimmt der Fachmann diesen Angaben im Ergebnis, dass der Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) aussagt, in welchem Abstand von einer Werkstückoberfläche die Werkzeugachse angeordnet werden muss, um eine gewünschte Bearbeitung zu erhalten.
Dass also nach den Merkmalen 1.2.1 und 1.4.1 die zwei Spanwerkzeuge den gleichen Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) aufweisen bzw. besitzen sollen, sagt demgemäß aus, dass die Achse, um die sich das eine Spanwerkzeug dreht, und die Achse, um die sich das weitere Spanwerkzeug dreht, im gleichen Abstand von einer jeweiligen Werkstückoberfläche angeordnet sein sollen, was z. B. dann der Fall ist, wenn beide Spanwerkzeuge um dieselbe Achse drehen.
Soweit der Fachmann lediglich die Merkmale 1 bis 1.4.1 des Anspruchs 1 isoliert betrachtete, könnten die Spanwerkzeuge auch im jeweils gleichen Abstand von verschiedenen Werkstückoberflächen angeordnet sein. Das Verständnis des Fachmanns orientiert sich jedoch entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals, also daran, welchen Beitrag es zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern kann, das darin bestehen soll, es zu ermöglichen, ohne aufwendiges Austauschen des Werkzeugs verschiedene Fräsvorgänge an einer Kante eines plattenförmigen Werkstückes vorzunehmen (PS, Abs. 0014). Der Fachmann versteht daher die Merkmale 1.2.1 und 1.4.1 dahingehend, dass das erste und das zweite Spanwerkzeug um dieselbe Achse drehen sollen.
Gemäß Merkmal 1.3 ist dem ersten Spanwerkzeug eine Tasteinrichtung zugeordnet. Wie sich aus der Angabe „zur Führung der Vorrichtung am Werkstück“ ergibt, ertastet die Tasteinrichtung diejenige Werkstückoberfläche, gegenüber der die Werkzeugachse des ersten Spanwerkzeugs den gewünschten Abstand gemäß WZBD-Definition im Merkmal 1.2.1 einhalten soll. Aus der Formulierung „Kanten eines Werkstücks“ in Merkmal 1.1 ergibt sich dabei, dass auch die Kante, sobald sie angeleimt ist, ein Teil des Werkstücks ist. Gemäß Merkmal 1.3 könnte die Tasteinrichtung also auch die Oberfläche der angeleimten Kante ertasten.
Merkmal 1.4.2, wonach das weitere Spanwerkzeug eine zum ersten Spanwerkzeug unterschiedliche Spanbearbeitung bewirken soll, lässt für sich betrachtet offen, in welcher Hinsicht sich die Spanbearbeitung unterscheiden soll, so dass bei isolierter Betrachtung auch eine ansonsten gleiche Bearbeitung an einem anderen Ort gemeint sein könnte. Dies widerspräche jedoch dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck der Erfindung, ohne aufwändiges Austauschen des Werkzeugs verschiedene Fräsvorgänge an einer Kante eines plattenförmigen Werkstückes vorzunehmen zu können. Der Fachmann versteht deshalb Merkmal 1.4.2 dahingehend, dass nicht der Ort, sondern die Art der Spanbearbeitung unterschiedlich sein soll.
Gemäß den Merkmalen 1.4.3 und 1.4.4 ist das weitere Spanwerkzeug „gegenüber dem ersten“ bewegbar, die Vorrichtung ermöglicht also eine Bewegung des weiteren Spanwerkzeugs relativ zu dem ersten. Unter diese Formulierung fällt z. B. nicht eine Vorrichtung gemäß dem in der Beschreibungseinleitung genannten Stand der Technik, bei der sämtliche Werkzeuge nur gemeinsam bewegt werden können (PS, Abs. 0005).
Das weitere Spanwerkzeug ist außerdem „von einer Ruhestellung in eine Arbeitsstellung“ bewegbar. Dazu ist weiter angegeben, dass das weitere Spanwerkzeug in der Ruhestellung „nicht mit dem Werkstück in Eingriff steht“, aber in der Arbeitsstellung „mit dem Werkstück in Eingriff gelangt“.
Merkmal 1.4.5 gibt an, dass in der Arbeitsstellung des weiteren Spanwerkzeugs die beiden Spanwerkzeuge so zueinander angeordnet sind, dass die beiden Werkzeug-Basisdurchmesser (WZBD) zur Tasteinrichtung die gleiche Lageposition einnehmen. Die Tasteinrichtung ist, da im Anspruch 1 keine weitere Tasteinrichtung genannt wird, die dem ersten Spanwerkzeug zugeordnete Tasteinrichtung gemäß Merkmal 1.3. Zur der Angabe, dass die beiden Werkzeugbasisdurchmesser zu dieser Tasteinrichtung die gleiche Lageposition einnehmen sollen, entnimmt der Fachmann der Patentbeschreibung, PS, Abs. 0013, die weitere Erläuterung, dass eine Abweichung der Lageposition um wenige zehntel Millimeter jedoch erwünscht sei, damit in Arbeitsstellung des weiteren Spanwerkzeugs das erste Spanwerkzeug nicht „mitschleift“.
Im Ergebnis entnimmt der Fachmann dem Merkmal 1.4.5 unter Berücksichtigung des in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zwecks der Erfindung, dass die beiden Spanwerkzeuge in ihrer jeweiligen Arbeitsstellung im Wesentlichen an derselben Stelle zum Eingriff mit dem Werkstück kommen müssen.
Die Klägerin hat dagegen geltend gemacht, aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 ergäbe sich hinsichtlich des Merkmals 1.4.5 lediglich die Lehre, dass die beiden Spanwerkzeuge parallel in einer Ebene liegen müssten, von einer identischen Position sage der Wortlaut des Anspruchs dagegen nichts; eine zu diesem Ergebnis führende Auslegung anhand von Passagen aus der Beschreibung sei eine unzulässige Auslegung unterhalb des Anspruchswortlauts.
Hinsichtlich der Berücksichtigung der Patentbeschreibung ist bei der Auslegung eines Patentanspruchs jedoch zu unterscheiden zwischen – einerseits – Angaben zum Zweck und zu Vorteilen gegenüber dem Stand der Technik, die sich lediglich auf bevorzugte Ausführungsformen der Erfindung beziehen, und deren Verwendung zu einer einschränkenden Auslegung des Patentanspruchs tatsächlich unzulässig wäre, und – andererseits – Angaben des allgemeinen Beschreibungsteils zum Zweck und zu zwingenden Vorteilen der Erfindung, deren Berücksichtigung bei der Auslegung des Patentanspruchs nicht nur zulässig, sondern geboten ist,
und zu dem oben angegebenen Ergebnis führt (vergl. § 14, Satz 2, PatG und Schulte, PatG, 8. Aufl., § 14, Rdn. 28 m. w. H.).
II.
1. Der Gegenstand des erteilten und gemäß Hauptantrag geltenden Anspruchs 1 ist neu. Keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen offenbart eine Vorrichtung mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1.
Die von der Klägerin als neuheitsschädlich bezeichnete Entgegenhaltung Ni9 offenbart zwar eine Vorrichtung zum Bearbeiten von Kanten eines plattenförmigen Werkstücks, insbesondere einer aus Holz, holzähnlichen Werkstoffen oder Kunststoffen bestehenden Platte mit separater, an die Platte angeleimter Kante entsprechend dem Merkmal 1.1, siehe Ni9, Seite 1 und Abb. 1: Das in Ni9 offenbarte Gerät ist dazu vorgesehen und eingerichtet, mittels Säge- bzw. Frässcheiben die obere Furnierkante und die untere Furnierkante eines auf eine Spanplattenkante aufgebrachten Furnierstreifens gleichzeitig bündig zur jeweiligen Fläche der Spanplatte zu beschneiden. Dabei handelt es sich bei dem Furnierstreifen mit seiner oberen und unteren Furnierkante in der Terminologie des Streitpatents um die Kannte mit ihrem oberen und unteren Kantenrand.
Diese Vorrichtung besitzt auch ein erstes und ein zweites Spanwerkzeug mit Werkzeug-Basisdurchmessern entsprechend den Merkmalen 1.2, 1.2.1, 1.4 und 1.4.1: Von den drei Spanwerkzeugen c, d, e, kommt dabei das Spanwerkzeug e nicht als Spanwerkzeug im Sinne des Anspruchs 1 in Betracht, weil es nicht mit dem Werkstück in Eingriff gelangt, sondern lediglich einen Bewegungsraum für den Taster f freimacht, siehe Ni9, Abb. 1 und Anspruch 1. Von den verbleibenden Spanwerkzeugen c, d kommt nur das Spanwerkzeug d als zweites Spanwerkzeug im Sinne des Anspruchs 1 in Betracht, weil nur dieses bewegbar ist, nämlich mittels der Schiebestange i, siehe Ni9, Abb. 1. Somit verbleibt das Spanwerkzeug c als erstes Spanwerkzeug im Sinne des Anspruchs 1.
Da das erste Spanwerkzeug c und das zweite Spanwerkzeug d um dieselbe Achse b1 drehen, und diese parallel zu der Furnierabdeckung m verläuft, deren obere und untere Kante jeweils von dem ersten und zweiten Spanwerkzeug bearbeitet werden, können den zwei Spanwerkzeugen c und d auch gleiche WerkzeugBasisdurchmesser im Sinne der Merkmale 1.2.1 und 1.4.1 zugeordnet werden.
Sowohl die Auflage- und Gleitflächen a1, a2 als auch der Anschlagring c1 können als Tasteinrichtung entsprechend dem Merkmal 1.3 angesehen werden. Der Taster f dagegen stellt keine Tasteinrichtung im Sinne des Anspruchs 1 dar, weil er entgegen dem Merkmal M1.3 nicht dem ersten Spanwerkzeug c zugeordnet ist, sondern dem zweiten Spanwerkzeug d, mit dem gemeinsam er mittels der Schiebestange i bewegbar ist.
Das zweite Spanwerkzeug d ist weiter auch entsprechend den Merkmalen 1.4.3 und 1.4.4 gegenüber dem ersten Spanwerkzeug c von einer Ruhestellung, in der es nicht mit dem Werkstück n in Eingriff steht, in eine Arbeitsstellung bewegbar, in der es mit dem Werkstück n in Eingriff gelangt – dies ist jedenfalls möglich, wenn ausgehend von der Darstellung in Abb. 3 der Ni9 nur eine Platte n anstelle von drei gestapelten Platten n bearbeitet wird, dann ist mit Hilfe des Knaufs i2 das zweite Spanwerkzeug d von seiner Arbeitsstellung in eine Ruhestellung und wieder zurück in seine Arbeitsstellung bewegbar, in der es mit dem Werkstück n in Eingriff gelangt.
Jedoch sind entgegen Merkmal 1.4.5 in dieser Arbeitsstellung des zweiten Spanwerkzeugs die beiden Spanwerkzeuge c, d nicht so zueinander angeordnet, dass die beiden Werkzeug-Basisdurchmesser zur Tasteinrichtung die gleiche Lageposition einnehmen, denn sie kommen in ihrer jeweiligen Arbeitsstellung nicht an derselben Stelle des Werkstücks zum Eingriff, sondern gerade an zwei gegenüberliegenden Kantenrändern, um diese gleichzeitig zu bearbeiten.
Da somit das Merkmal 1.4.5 in Ni9 nicht offenbart ist, kommt es nicht darauf an, ob es sich nach dem Verständnis des Fachmanns bei dem mit dem Beschneiden des oberen Kantenrandes durch das erste Spanwerkzeug c gleichzeitig erfolgenden Beschneiden des unteren Kantenrandes durch das zweite Spanwerkzeug d um eine zum ersten Spanwerkzeug c unterschiedliche Spanbearbeitung im Sinne des Merkmals 1.4.2 handelt.
Die weiteren Entgegenhaltungen liegen weiter ab. Lediglich die bereits in der Beschreibungseinleitung des Patents genannte Ni2 offenbart eine Vorrichtung, die es ermöglicht, entsprechend dem in der Streitpatentschrift angegebenen Erfindungszweck mit Hilfe einer Tasteinrichtung und verschiedener Werkzeuge verschiedene Fräsvorgänge an einer Kante eines plattenförmigen Werkstückes vorzunehmen. Dies entspricht insoweit dem Merkmal 1.4.5, jedoch ist bei der Vorrichtung gemäß Ni2 entgegen Merkmal 1.4.3 kein Werkzeug gegenüber einem anderen bewegbar, sondern es können nur alle Werkzeuge gemeinsam bewegt werden, siehe in Ni2, Fig. 1, die drei Werkzeuge 1, 1 und 1.
2. Der Gegenstand des erteilten und gemäß Hauptantrag geltenden Anspruchs 1 ergibt sich auch nicht in für den Fachmann naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
Ein ausgehend von den im Verfahren befindlichen Druckschriften einzeln oder in beliebiger Zusammenschau in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führender Weg ist nicht ersichtlich.
Der Vortrag der Klägerin, der Fachmann gelange ausgehend von den Entgegenhaltungen Ni9 und Ni6 in naheliegender Weise zu einer Vorrichtung entsprechend dem Anspruch 1, vermag nicht zu überzeugen:
Die Lehre der Ni9 besteht aus Sicht des Fachmanns im Wesentlichen darin, das gleichzeitige Beschneiden der oberen Furnierkante und der unteren Furnierkante eines auf eine Werkstückkante, z. B. eine Spanplattenkante, aufgebrachten Furnierstreifens genau bündig zur jeweiligen Ober- bzw. Unterseite der Spanplatte trotz gegebener großer Dickentoleranzen solcher Spanplatten zu ermöglichen. Da- zu wird ein Gerät offenbart, das ein oberes Spanwerkzeug in Form einer Sägescheibe c mit Hilfe einer Tasteinrichtung a1, a2 an der Oberseite der Spanplatte führt, und das weiter ein unteres, gegenüber dem oberen Spanwerkzeug bewegbares Spanwerkzeug in Form einer Sägescheibe d mit Hilfe einer Tasteinrichtung f an der Unterseite der Spanplatte führt, siehe in Ni9 die Beschreibungseinleitung bis Seite 2, Zeile 32.
Die Ni6 offenbart dagegen ein Kanten-Bearbeitungswerkzeug in Gestalt eines Fräswerkzeugs, das nicht wie im Fall der Ni9 lediglich die obere Furnierkante und die untere Furnierkante eines auf eine Spanplattenkante aufgebrachten Furnierstreifens beschneiden soll, sondern das dazu vorgesehen und eingerichtet ist, die gesamte Spanplattenkante über die gesamte Dicke des Werkstücks, z. B. einer Spanplatte zu bearbeiten. Um beim Einsatz an Werkstücken, die über ihre Dicke einen unterschiedlichen Werkstückverschleiß verursachen, z. B. kunststoffbeschichteten Spanplatten, einen gleichmäßigen Verschleiß des Werkzeugs zu erreichen, besteht dieses aus zwei Teilwerkzeugen 6, 7, die in axialer Richtung gegeneinander verstellbar sind, siehe in Ni6 den ersten Absatz der Beschreibung und die Figuren 1, 2.
Auch die Ni7 offenbart ein Ni6 vergleichbares zweigeteiltes Fräswerkzeug zum Bearbeiten von Werkstücken, z.B. Spanplatten mit harten Beschichtungen, bei dem über die aus Ni6 bereits bekannte Funktionalität hinausgehend eine Verstellung der zwei Teilwerkzeuge gegeneinander im Betrieb möglich ist, siehe in Ni7 die Seiten 1 bis 3 der Beschreibung und die Figur 1.
Somit liegt nach dem Verständnis des Fachmanns im Fall der Ni9 einerseits und der Ni6 sowie Ni7 andererseits ein gerade entgegengesetzter Einsatzzweck vor: Im Fall der Ni9 geht es darum, die Werkzeuge c und d mit möglichst genauem, gleichbleibendem Bezug zu den Werkstückoberflächen zu führen, um die Ränder eines Furnierstreifens genau bündig zu diesen Werkstückoberflächen abschneiden zu können. Im Fall der Ni6 (sowie der Ni7) geht es dagegen darum, eine feste Positionierung der Teilwerkzeuge (6, 7 in Ni6, 21A, 21B in Ni7) gegenüber den Werkstückoberflächen und den dort befindlichen harten, verschleißträchtigen Kunststoffbeschichtungen zu vermeiden, um einen gleichmäßigen Werkzeugverschleiß erreichen zu können.
Angesichts dieses entgegengesetzten Einsatzzwecks ist kein Anlass für den Fachmann erkennbar, ein Werkzeug gemäß der Ni6 oder der Ni7 mit dem in Ni9 offenbarten Gerät zu kombinieren.
Die weiter angegriffenen Ansprüche 2, 3 und 4 des Streitpatents, die Ausgestaltungen des Gegenstands nach Patentanspruch 1 betreffen, werden aufgrund ihrer Rückbeziehung vom beständigen Hauptanspruch getragen, ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedürfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Schmidt Voit Dr. Baumgart Dr. Krüger Ausfelder Ko