2 Ni 9/11 (EP)
BUNDESPATENTGERICHT Ni 9/11 (EP) (Aktenzeichen)
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IM NAMEN DES VOLKES URTEIL Verkündet am 11. Oktober 2012
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In der Patentnichtigkeitssache BPatG 253 08.05 betreffend das europäische Patent 1 223 008 (DE 502 06 178.2)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2012 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Sredl sowie der Richter Guth, Dr.-Ing. Fritze, Dipl.-Ing. Univ. Rothe und Dipl.-Ing. Hubert für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand Die Beklagte ist Inhaberin des u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, am 9. Januar 2002 in der Amtssprache Deutsch angemeldeten europäischen Patents 1 223 008 (Streitpatent), das die Priorität des deutschen Patents 101 01 440 vom 15. Januar 2001 in Anspruch nimmt und die Bezeichnung "Presszange" trägt Das Streitpatent umfasst 37 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 2 bis 37 unmittelbar oder mittelbar auf den Anspruch 1 rückbezogen sind.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:
"1. Preßvorrichtung mit einer Preßzange und einer manuellen Antriebsvorrichtung (34) sowie einer motorischen Antriebsvorrichtung (48), von denen die Preßzange mindestens zwei Preßbacken (1, 2) aufweist, von denen wenigstens eine aus einer Schließ- in eine Offenstellung verstellbar ist, wobei mit der manuellen Antriebsvorrichtung (34) die Preßzange schließbar ist, wobei die Presszange einen Anschluss (32, 33; 32a, 32b; 102, 103) für die manuelle und einen weiteren Anschluss (47) für die motorische Antriebsvorrichtung (48) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die manuelle Antriebsvorrichtung (34) und die motorische Antriebsvorrichtung (48) wahlweise an die Anschlüsse (32, 33; 32a, 32b; 102, 103; 47) anschließbar sind." Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 37 wird auf die Patentschrift EP 1 223 008 B1 verwiesen.
Die Klägerin greift das Streitpatent in vollem Umfang an und macht den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit hinsichtlich des gesamten Streitpatents und den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Offenbarung hinsichtlich des Patentanspruchs 25, soweit dieser nicht auf Anspruch 16 rückbezogen ist, geltend. Die Klägerin stützt sich hierbei auf folgende Dokumente:
D1 Zwei Fotografien der Presszange "Velta" D2 Zwei Zeichnungen der Presszange "Velta", eine davon vom 29.03.1993 D3 Montageanleitung für Presszange "Velta" von Juli 1993 D4 DE 23 16 769 C3 D5 DE 21 49 167 C3 D6 US 3 903 725 A D7 US 4 751 862 A Außerdem bietet die Klägerin zur Frage der offenkundigen Vorbenutzung Beweis an durch die Vernehmung der Zeugen
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand des geltenden erteilten Anspruchs 1 insbesondere hinsichtlich der offenkundigen Vorbenutzung gemäß den Anlagen D1 bis D3 sowie gegenüber den Dokumenten D4 und D5 nicht neu sei und auch die Unteransprüche keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt aufwiesen. Für eine öffentliche Zugänglichkeit reiche es im Übrigen aus, dass ein Werkzeug mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents angekündigt bzw. angeboten worden sei.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend vom Prinzip der D7 und in Verbindung mit den von D4 und D3 offenbarten Lehren liege es im Belieben des Fachmanns, für die unterschiedlichen Antriebsvorrichtungen einen einzigen gemeinsamen oder jeweils getrennte Anschlüsse vorzusehen.
Die Gegenstände der abhängigen erteilten Ansprüche 2 bis 14 seien durch den vorgelegten Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder nahegelegt.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 123 008 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie ist der Auffassung, zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents seien lediglich Presswerkzeuge bekannt gewesen, die einen gemeinsamen Anschluss für manuelle und motorische Antriebsvorrichtungen aufgewiesen hätten. Auch habe es im Stand der Technik keinerlei Anregungen für eine Ausgestaltung mit den Merkmalen des Streitpatents gegeben. Bei dem Angebot bzw. der Ankündigung eines Werkzeuges mit den Merkmalen des Anspruchs 1 durch die Herstellerfirma habe es sich lediglich um interne Informationen zwischen Hersteller und Auftraggeber gehandelt, die nicht für einen weiteren Personenkreis bestimmt und einem solchen auch nicht zugänglich gewesen seien.
Zur Stützung ihres Vorbringens bezieht sich die Beklagte u. a. auf NKB1 Eingabe der Beklagten im EPA-Prüfungsverfahren vom 22.02.2005 NKB2 Schreiben des Herrn Hans-Jörg Goop an die Klägerin vom
21.06.2010 NKB3 Schreiben des Herrn Heino Stüfen an Rechtsanwalt Fügen vom
27.05.2011 NKB4 Fotografie einer Presszange mit weißen Hinweisschildchen NKB5 Prospekt "Eine optimale Verbindung von Fitting und Rohr", Fa. Mannesmann Pressfitting GmbH, März 1999 NKB6 Tabelle Messergebnis 12 Presszangen NKB7 Ansicht von 12 Presszangen NKB8 Abbildung zum Messvorgang und NKB9 bis NKB12 Fotografien von Presszangen der Wettbewerber.
Entscheidungsgründe Die auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Patentfähigkeit und teilweise auf den Nichtigkeitsgrund mangelnder Offenbarung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54, 56 EPÜ; Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Art. 54, 56 EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich jedoch nicht als begründet.
I.
A) Das Streitpatent betrifft gemäß Abs. [0001] der Streitpatentschrift (StrPS) eine Pressvorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, somit eine Pressvorrichtung mit einer Presszange und einer manuellen Antriebsvorrichtung sowie einer motorischen Antriebsvorrichtung, von denen die Presszange mindestens zwei Pressbacken aufweist, von denen wenigstens eine aus einer Schließ- in eine Offenstellung verstellbar ist, wobei mit der manuellen Antriebsvorrichtung die Presszange schließbar ist, wobei die Presszange einen Anschluss für die manuelle und einen weiteren Anschluss für die motorische Antriebsvorrichtung aufweist.
Presszangen würden hauptsächlich in der Sanitärinstallation eingesetzt, um zwei Rohre oder Rohrstücke über Verbindungsstücke, sogenannte Fittings, miteinander zu verbinden (vgl. Abs. [0002] StrPS). Hierzu würden die Verbindungsstücke über die Enden zweier Rohre geschoben und plastisch verformt, um eine feste Verbindung zwischen den beiden Rohren über das Verbindungsstück zu erreichen. Die Presszangen hätten hierfür zwei Pressbacken mit jeweils eingearbeiteter systemspezifischer Presskontur. Um die Pressbacken zu betätigen und insbesondere die Presskraft aufzubringen, werde die Presszange mit einem Anschluss an eine motorische Antriebsvorrichtung mit einem axial verstellbaren Stößel angeschlossen. Solche Antriebsvorrichtungen arbeiteten elektromechanisch oder elektrohydraulisch. Der Stößel trage Druckrollen, mit denen beim Ausfahren des Stößels die Presszange geschlossen und damit die Presskraft aufgebracht werde.
Auch seien handbetätigte Pressvorrichtungen in Form von Rohrzangen bekannt, bei denen die jeweilige Presskontur einstückig eingearbeitet sei (vgl. Abs. [0003] StrPS). Darum sei für jede Rohrgröße eine gesonderte Pressvorrichtung erforderlich. Es seien auch Wechseleinsätze bekannt, welche die Presskontur enthalten und in die Pressvorrichtung eingesetzt würden. Dann könne die Pressvorrichtung für einen begrenzten Durchmesserbereich der zu verpressenden Rohre bzw. Verbindungsstücke eingesetzt werden.
Weiter seien auch Antriebsvorrichtungen bekannt, die aus gelenkig miteinander verbundenen Hebeln bestünden, mit denen die Pressbacken direkt geöffnet bzw. geschlossen werden könnten [vgl. Abs. [0004] StrPS). Diese Presszangen seien im Vergleich zu den Presszangen für die motorischen Antriebsvorrichtungen unterschiedlich gestaltet. Der Benutzer der Presszangen benötige darum für den Einsatz der manuellen und der motorischen Antriebsvorrichtungen jeweils eigene Sätze von Presszangen.
Bei einer gattungsgemäßen Pressvorrichtung nach der US 5 758 729 A sei die Presszange als Greifzange ausgebildet (vgl. Abs. [0005] StrPS). Sie habe zwei Arme, von denen der eine Arm gehäuseartig ausgebildet und fest mit der einen Greifbacke verbunden sei. In diesem Arm sei eine motorische Antriebsvorrichtung untergebracht. Der andere Arm der Greifzange sei ein Schwenkhebel, der für den Pressvorgang in Richtung auf den anderen Hebel geschwenkt werde. Die beiden Arme der Pressvorrichtung bildeten die manuelle Antriebsvorrichtung, mit der das zwischen den beiden Greifbacken befindliche Werkstück verpresst werde. Um dem Installateur den manuellen Pressvorgang zu erleichtern, werde die im Gehäuse untergebrachte motorische Antriebsvorrichtung ab Erreichen einer bestimmten Presskraft zugeschaltet, so dass der Installateur von Hand nur einen Teil der notwendigen Presskraft aufbringen müsse. Die manuelle und die motorische Antriebsvorrichtung seien fest und unlösbar mit der Greifzange verbunden.
Eine weitere Pressvorrichtung sei bekannt (Montageanleitung der Firma Velta, 7/93), die eine Presszange mit zwei gegeneinander verschwenkbaren Pressbacken aufweise [vgl. Abs. [0007] StrPS). An die Presszange sei eine motorische Antriebsvorrichtung angeschlossen, mit der die beiden Pressbacken beim Pressvorgang betätigt würden. Die beiden Pressbacken seien jeweils mit einer Öffnung versehen.
Schließlich würden gemäß Abs. [0007] des Streitpatents bei einer weiteren Pressvorrichtung nach der EP 0 860 245 A2 die Pressbacken der Presszange beim Pressvorgang durch eine motorische Antriebsvorrichtung betätigt. Die Presszange sei hierfür mit einem entsprechenden Anschluss versehen, an den die motorische Antriebsvorrichtung angeschlossen werde. An der motorischen Antriebsvorrichtung sei ein Betätigungshebel angelenkt, der nach dem Pressvorgang in eine Freigabestellung verschwenkt werde, um die eine Pressbacke freizugeben. Über eine Koppelstange werde die Öffnungsbewegung der freigegebenen Pressbacke auf die andere Pressbacke übertragen, so dass sich beide Pressbacken öffneten. Der Betätigungshebel bilde somit eine Öffnungshilfe.
B) Daher liegt der Erfindung gemäß Abs. [0008] der Streitpatentschrift die Aufgabe zugrunde, die gattungsgemäße Pressvorrichtung so auszubilden, dass sie kostengünstig für unterschiedliche Pressaufgaben herangezogen werden kann.
C) Diese Aufgabe soll gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 gelöst werden durch eine a) Preßvorrichtung mit einer Preßzange und b) einer manuellen Antriebsvorrichtung (34) sowie c) einer motorischen Antriebsvorrichtung (48), d) von denen die Preßzange mindestens zwei Preßbacken (1, 2) aufweist, e) von denen wenigstens eine aus einer Schließ- in eine Offenstellung verstellbar ist, f) wobei mit der manuellen Antriebsvorrichtung (34) die Preßzange schließbar ist,
g) wobei die Presszange einen Anschluss (32, 33, 32a, 32b, 102, 103) für die manuelle und h) einen weiteren Anschluss (47) für die motorische Antriebsvorrichtung (48) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß i) die manuelle Antriebsvorrichtung (34) und die motorische Antriebsvorrichtung (48) wahlweise an die Anschlüsse (32, 33, 32a, 32b, 102, 103, 47) anschließbar sind.
D) Maßgeblicher Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Handwerkzeugen.
II.
A) Der Gegenstand des Streitpatents ist patentfähig, da er neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu, weil aus dem Stand der Technik keine Pressvorrichtung mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 bekannt ist.
a) Auch wenn das tatsächliche Vorbringen der Klägerin zu der Vorbenutzung gemäß D1 bis D3 sowie der Inhalt der Schreiben NKB2 oder NKB3 als wahr unterstellt werden, führt dies nicht dazu, die Patentfähigkeit des Streitpatents in Zweifel zu ziehen.
D1 bis D3 offenbaren eine Pressvorrichtung mit einer Presszange gemäß Merkmal a) des erteilten Anspruchs 1 (vgl. Titelblatt und S. 11, Fig. 3 der D3) und gemäß Merkmal c) mit einer motorischen Antriebsvorrichtung (vgl. S. 10, Fig. 1 bis 4 der D3).
Hierbei weist die Presszange gemäß Merkmal d) mindestens zwei Pressbacken auf (vgl. S. 11, Fig. 3 der D3), von denen (aus der gleichen Figur klar ersichtlich) gemäß Merkmal e) wenigstens eine aus einer Schließ- in eine Offenstellung verstellbar ist.
Die Presszange der Vorbenutzung D1 bis D3 weist schließlich gemäß Merkmal h) einen Anschluss für die motorische Antriebsvorrichtung auf (vgl. S. 10, Fig. 1 bis 4 der D3).
Die Presszange nach Anspruch 1 unterscheidet sich somit von derjenigen der Vorbenutzung D1 bis D3 durch die Merkmale b), f), g) und i), somit also durch die Anordnung eines weiteren Anschlusses für eine manuelle Antriebsvorrichtung. Denn aus den Unterlagen D1 bis D3 allein geht kein Hinweis auf einen zusätzlichen Anschlusses einer manuellen Antriebsvorrichtung hervor. In den beiden Abbildungen D1 wie auch in den beiden Zeichnungen D2 sind in den Hebeln der Pressbacken jeweils zwei gleichartige kreisrunde Öffnungen erkennbar. Die Funktion dieser Öffnungen ist in D1 bis D3 nicht explizit beschrieben, insbesondere gibt die Montageanleitung D3 (auch nach Auffassung der Klägerin) keinen Hinweis auf eine manuelle Antriebsvorrichtung.
Die Funktion dieser Öffnungen geht auch nicht aus NKB2 oder NKB3 hervor, auf die die Klägerin verweist und hinsichtlich der darin genannten Tatsachen Zeugenbeweis anbietet. Denn im Schreiben des Zeugen G… (NKB2) geht es zwar um die Entwicklung eines Handpressgerätes und um die Anordnung einer Bohrung im Bereich der Einlaufkurve zur Aufnahme für das Handpresswerkzeug. Allerdings nehmen die Ausführungen nicht explizit Bezug auf die Anlagen D1 bis D3. Diesem Schreiben ist daher nicht zu entnehmen, dass es sich bei dem damals in der Entwicklung befindlichen Handpresswerkzeug um den Gegenstand der D1 bis D3 handelte. Im Schreiben des Zeugen S… gemäß NKB3 wird die Funktion der Öffnungen der abgebildeten Presszange zwar ausdrücklich als nicht zur Aufnahme von Kunststoffschildchen mit der Herstellerbezeichnung beschrieben. Eine Aussage über die stattdessen vorgesehene Funktion dieser Öffnungen (dort Boh- rungen genannt) fehlt jedoch, weswegen auch die NKB3 keine konkrete Aussage über deren Funktion enthält.
Von der Klägerin wird weiterhin vorgebracht, dass durch eine Angebotserstellung der Fa. von A… an die Fa. W… auf Basis des gemäß den Dokumenten NKB2 und NKB3 beabsichtigten Entwicklungsprojekts die Offenkundigkeit eines Gegenstandes mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 eingetreten sei. Nach den Grundsätzen der Entscheidungen BGH NJW 1959, 384 - Heizpreßplatte, BGH GRUR 2008, 885 - Schalungsteil und BGH GRUR 2002, 609 - Drahtinjektionseinrichtung sei der Inhalt dieses Angebot der Öffentlichkeit zugänglich gewesen. Von der Beklagten unbestritten hat die Klägerin weiterhin vorgebracht, dass Grundlage des beabsichtigten Entwicklungsprojektes ein Vorschlag der Fa. W… ge wesen sei.
Der Ansicht der Klägerin vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach der o. g. Rechtsprechung kann offenkundige Vorbenutzung zwar auch durch Feilhalten eines körperlich noch nicht hergestellten Gegenstandes stattfinden, wenn das Angebot in eindeutiger Weise alle Einzelheiten enthält, die für die Herstellung durch andere Fachleute notwendig sind. Eine offenkundige Vorbenutzung durch Feilhalten setzt jedoch voraus, daß im Einzelfall die Weiterverbreitung der von dem Empfänger des Angebots erhaltenen Kenntnis an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung naheliegt (vgl. BGH a. a. O. - Heizpressplatte; entsprechend auch BGH a. a. O. - Schalungsteil, Rdn. 23).
Wenn ein Kunde (Presswerkzeuglieferant, hier die Fa. W…) einen Auf tragnehmer (Presswerkzeughersteller, hier die Fa. von A…) mit der Entwicklung eines Handwerkzeuges beauftragt, dann ist nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ohne druckschriftlichen Hinweis auf eine Geheimhaltungsverpflichtung diese implizit vereinbart. Denn der Kunde will sich mit einem neuen Produkt gegenüber seinen eigenen Wettbewerbern einen Vorteil verschaffen, weswegen er dies nicht vor Abschluss der Entwicklung und vor einer Markteinführung öffentlich gemacht haben will (vgl. hierzu auch Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 8. Auflage, § 3 PatG, Rdn. 32 m. Nachweisen; Benkard/Melullis, Patentgesetz, 10. Aufl., § 3 Rn. 68a). Die Entscheidung "Drahtinjektionseinrichtung" (BGH a. a. O., Rdn. 32) stellt ebenfalls als Grundsatz für die Beurteilung der Offenkundigkeit die Lebenserfahrung in den Vordergrund, setzt jedoch darüber hinaus auch noch das Vorhandensein aller technischen Einzelheiten für die Herstellung des Gegenstandes durch andere Fachleute im Angebot voraus. Auch daran fehlt es im vorliegenden Falle, denn zu einem alle Einzelheiten aufweisenden Angebot (insbesondere mit einem Verweis auf die Anordnung eines weiteren Anschlusses für die manuelle Antriebsvorrichtung) fehlt ein substantiierter Vortrag.
Somit hat die Klägerin also weder den genauen Inhalt des Entwicklungsprojektes noch dessen Weiterverbreitung an beliebige Dritte hinreichend substantiiert dargelegt oder konkret Beweis dafür angeboten. Eine Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen, die lediglich der Ermittlung von nicht vorgetragenen bzw. durch den Vortrag der Klägerin nicht nahegelegten Tatsachen oder der einer Beweiserhebung nicht zugänglichen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts hätte dienen können, war darum - auch unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes - nicht veranlasst.
Da außerdem die Funktion der Öffnungen als weiterer Anschluss für eine manuelle Antriebsvorrichtung auch nicht offensichtlich ist, kann der Fachmann dies auch nicht aus dem Gegenstand der Vorbenutzung D1 bis D3 automatisch mitlesen.
b) Auch die weiteren im Verfahren vorgelegten Druckschriften offenbaren keinen Gegenstand mit allen Merkmalen des Anspruchs 1.
Die Pressvorrichtungen der Druckschriften D4 und D6 besitzen einen kurzen Schaft 46 mit Bohrungen 47 (vgl. Fig. 6 und 7 sowie Sp. 4, Z. 51 und 52 der D4) und weiterhin einen Vierkant 56 (vgl. Fig. 6 und 9 der D4). Als manuelle Antriebsvorrichtung kann gemäß Fig. 6 und Sp. 4, Z. 45 bis 56 der D4 an den Schaft 46 ein Zangenschenkel 48 und darüber hinaus an den Vierkant 56 ein Ratschenschlüssel 45 angeschlossen werden. Weiterhin kann gemäß Fig. 9 und 10 sowie Sp. 4, Z. 52 bis 65 der D4 als motorische Antriebsvorrichtung ebenfalls an den Schaft 46 ein Antriebsgehäuse 50 und darüber hinaus ebenfalls an den Vierkant 56 die Vierkantöffnung 55 einer Getriebewelle 54 angeschlossen werden. Somit ist die Anordnung eines (neben dem vorhandenen Anschluss für eine manuelle Antriebsvorrichtung) weiteren Anschlusses für eine motorische Antriebsvorrichtung gemäß Merkmal h) durch die Pressvorrichtungen der Druckschriften D4 und D6 nicht offenbart.
Bei den Pressvorrichtungen der Druckschriften D5, D7 und D8 handelt es sich um rein manuell betätigte Presswerkzeuge ohne eine motorische Antriebsvorrichtung gemäß den Merkmalen c), h) und i).
Die Druckschrift D9 betrifft ein Handwerkzeug mit der Funktion eines Bolzenschneiders und damit schon kein Presswerkzeug.
2. Die Pressvorrichtung nach Anspruch 1 beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit.
a) Wie oben bereits ausgeführt, unterscheidet sich die Presszange nach Anspruch 1 von derjenigen der Vorbenutzung D1 bis D3 durch die Merkmale b), f), g) und i), somit also durch die Anordnung eines weiteren Anschlusses für eine manuelle Antriebsvorrichtung.
Wie oben ebenfalls bereits ausgeführt, sind in den Hebeln der Pressbacken des Gegenstandes der Vorbenutzung D1 bis D3 jeweils zwei gleichartige kreisrunde Öffnungen erkennbar. Mangels eines expliziten Hinweises auf die Funktion dieser gleichartigen Öffnungen ist bei der Interpretation der möglichen Funktion auf das Fachwissen des Fachmanns abzustellen.
Ersichtlich ist die jeweils näher zum Gelenk liegende Öffnung in den Hebeln der Pressbacken im dargestellten zusammengebauten Zustand der Presszange teilweise von benachbarten Bauteilen (im Streitpatent als Lasche 30 bezeichnet) verdeckt und somit für den Anschluss einer manuellen Antriebsvorrichtung auf den ersten Anschein ungeeignet. Wenn der Fachmann zunächst von derselben Funktion aller Öffnungen in den Hebeln der Pressbacken ausgeht, wird er vordergründig keinen Anlass haben, sich über einen weiteren Zweck der weiteren, jeweils vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen Gedanken zu machen. Er wird somit von einer Funktion der vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen als Anschluss für eine manuelle Antriebsvorrichtung weggeführt.
Darüber hinaus sind die jeweils vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen in den Hebeln der Pressbacken ersichtlich an einer für die Anordnung einer manuellen Antriebsvorrichtung ungünstigen Stelle angeordnet, denn sie liegen auf einer relativ dünnen Innenfläche innerhalb der verdickt ausgeführten Randkontur (im Unterschied hierzu liegen beim Patentgegenstand, die Öffnungen auf der verdickten und in diesem Bereich verbreitert ausgeführten Randkontur). Somit ist für den Fachmann bereits anhand der Lage dieser vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen in den Hebeln der Pressbacken gemäß D1 bis D3 klar erkennbar, dass sie aufgrund der kleinen Bohrungsinnenfläche, der daraus resultierenden hohen Flächenpressung und der großen Hebelarme in senkrechter Richtung zur besagten Innenfläche durch die wegen der erhabenen Randkontur notwendigerweise in relativ großem Abstand zur Innenfläche anzubringenden manuellen Antriebsvorrichtung (z. B. Hebelarme) für eine diesbezügliche Anordnung und die dabei auftretenden großen Kräfte nicht besonders gut geeignet sind.
Die Klägerin hat zur Vermeidung dieser Nachteile auf die bereits vom Anschluss für die motorische Antriebsvorrichtung bekannte mögliche Trennung von Befestigungsstelle und Kraftangriffsstelle auch bei der der manuellen Antriebsvorrichtung hingewiesen, die vom Wortlaut des Anspruchs 1 ebenfalls gedeckt wäre. Allerdings führt dieser Aspekt nach Überzeugung des Senats den Fachmann aufgrund der notwendigerweise komplizierteren konstruktiven Umsetzung der manuellen Antriebsvorrichtung gedanklich noch weiter weg von seiner Realisierung und spricht gegen eine für den Fachmann erkennbare Anregung der Anordnung einer manuellen Antriebsvorrichtung an den vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen.
Die Klägerin hat schließlich den Sinn und die Vorteile der getrennten Anschlüsse für die beiden Antriebsarten bezweifelt. Nach überzeugendem Vortrag durch die Beklagte ist der Sinn jedoch in der hierdurch jeweils beanspruchungs- und bedienungsgerecht möglichen Ausbildung der beiden unterschiedlichen Anschlüsse zu sehen.
Basierend auf den vorgenannten Ausführungen beruht nach Überzeugung des Senats somit die Interpretation der Funktion der gleichartigen Öffnungen in den Hebeln der Pressbacken der Vorbenutzung D1 bis D3 (oder auch die Interpretation der Funktion nur der jeweils vom Gelenk weiter entfernten Öffnungen) als zusätzlichem Anschluss für eine manuelle Antriebsvorrichtung auf einer rückschauenden Betrachtungsweise in Kenntnis des Streitpatents.
b) Auch aus den weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften ist keine Anregung zur Ausbildung eines Gegenstandes mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 ersichtlich.
Die Pressvorrichtung der D4 bzw. D6 kann zwar sowohl motorisch als auch manuell betrieben werden, allerdings über denselben Anschluss, wie oben ausgeführt. Für das Verlassen dieser technischen Lehre, also die Verwendung desselben Anschlusses für beide Antriebsarten, und für die Auftrennung in zwei separate Anschlüsse gemäß Anspruch 1 des Streitpatents gibt die D4 bzw. D6 keinerlei Anregung. Dies ist aus ihnen mangels Notwendigkeit auch nicht nahe gelegt.
Die Gegenstände der weiteren Druckschriften D5, D7, D8 und D9 können wegen ihres jeweils ausschließlichen manuellen Antriebs zur separaten Anordnung zweier Antriebsanschlüsse ersichtlich nichts beitragen.
Es ist auch nicht erkennbar, wieso der Fachmann allein aufgrund seines Fachwissens ausgehend von einer der im Verfahren befindlichen Pressvorrichtungen zu einem Gegenstand gemäß Anspruch 1 gelangen sollte.
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner Gesamtheit aus dem Stand der Technik nicht nahe gelegt und beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit. Anspruch 1 hat daher Bestand.
Mit Bestand des Anspruchs 1 haben die auf ihn rückbezogenen angegriffenen Ansprüche 2 bis 37 ebenfalls Bestand, da sie auf vorteilhafte, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Patentgegenstands gerichtet sind.
Mit Bestand der erteilten Patentansprüche nach Hauptantrag kommt es auf die Hilfsanträge I bis V der Beklagten nicht mehr an.
B) Der Gegenstand des Patentanspruchs 25 ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen kann.
Der Wortlaut des Patentanspruchs 25 spezifiziert in seiner erteilten Fassung die langen Schenkel der Arme der manuellen Antriebsvorrichtung dahingehend näher, dass ihre Breite in Richtung auf die kurzen Schenkel zunimmt. Durch den Rückbezug des Anspruchs 25 auf Anspruch 15 allein scheint die Bedeutung und Anordnung von langen und kurzen Schenkeln der Arme nicht genau definiert zu sein. Erst durch den Rückbezug des Anspruchs 25 auf Anspruch 16 wird dies durch die Angabe der L-Form der Arme auch im Wortlaut der Ansprüche klar. Wenn allerdings dem Fachmann die Bedeutung des Patentanspruchs 25 anhand des Wortlauts unklar ist, wird er zu seiner Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen des Streitpatents heranziehen. Aus Fig. 1 erkennt er problemlos die mit den Bezugszeichen 39 und 40 bezeichneten langen Schenkel sowie die mit den Bezugszeichen 41 und 42 bezeichneten kurzen Schenkel der Arme 37 und 38 der manuellen Antriebsvorrichtung, wie es auch in Sp. 5, Z. 6 bis 10 beschrieben ist. Die geometrische Ausbildung der Breite der langen Schenkel ist darüber hinaus auch in Sp. 5, Z. 23 bis 25 als von den kurzen Schenkeln ausgehend sich verjüngend beschrieben, was der in Patentanspruch 25 beanspruchten Zunahme der Breite der langen Schenkel in Richtung auf die kurzen Schenkel entspricht. Somit entnimmt der Fachmann dem Streitpatent unschwer die genaue Ausbildung der Arme 37 und 38 und kann den entsprechenden Gegenstand nachbilden. Er erkennt darüber hinaus genauso problemlos den Fehler im Rückbezug des Patentanspruchs 25, der auf einen der Ansprüche 16 bis 24 gerichtet sein muss, und korrigiert ihn gedanklich entsprechend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Sredl Guth Dr. Fritze Rothe Hubert prö