VIa ZR 167/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIa ZR 167/23 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:040225UVIAZR167.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring und Dr. Vogt-Beheim, die Richter Messing und Dr. F. Schmidt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Januar 2023 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Er erwarb im Januar 2019 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz C 250 d 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug arbeitet die Abgasrückführung unter anderem temperaturgesteuert (sogenanntes Thermofenster). Weiter verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung
(KSR), bei der die verzögerte Erwärmung des Motors zu niedrigeren NOx-Emissionen führt, sowie ein SCR-System.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (Tenor zu 1) sowie Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Tenor zu 3), jeweils nebst Verzugszinsen verurteilt. Es hat außerdem den Annahmeverzug der Beklagten (Tenor zu 2) und die teilweise Erledigung des Rechtsstreits (Tenor zu 4) festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Dabei könne das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt werden, weil der Kläger keine tauglichen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln von Repräsentanten der Beklagten angeführt habe. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Vogt-Beheim Messing F. Schmidt Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 30.06.2022 - 29 O 69/22 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 17.01.2023 - 24 U 2060/22 - VIa ZR 167/23 Verkündet am: 4. Februar 2025 Bürk, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle