VIa ZR 1458/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1458/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:300725UVIAZR1458.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 2. Juli 2025 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen sowie die Richter Dr. Katzenstein, Dr. F. Schmidt und Dr. Ostwaldt für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. September 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im März 2016 von einem Dritten einen gebrauchten VW Golf GTD 2,0 I kW, der mit einem Dieselmotor EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
Der Kläger hat Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs und der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe der weiter gezogenen Nutzungen verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stünden keine Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu. Hinsichtlich des unstreitig eingebauten Thermofensters habe das Verhalten des Herstellers jedenfalls ohne Hinzutreten zusätzlicher Umstände noch kein besonders verwerfliches Gepräge gemäß § 826 BGB. Dabei könne zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sei. Denn der Kläger habe nicht dargetan, dass die für die Beklagten handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt hätten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe zu dem streitgegenständlichen, im Fahrzeug des Klägers verwendeten Motor in einer förmlichen Auskunft in einem anderen Verfahren mitgeteilt, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien. Damit scheide die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung seitens der Beklagten aus. Es fehle auch an einem Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB, weil für das Fahrzeug des Klägers weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung drohe.
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere an dem fehlenden Schutzgesetzcharakter der vorstehenden Vorschriften. Der Kläger habe zudem nicht substantiiert dargetan, dass die Beklagte gegen das Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, zumindest fahrlässig verstoßen habe.
II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB verneint.
a) Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB kann zwar nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 f. mwN).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp umfassenden Untersuchungen unterzogen und die vom Kläger gerügten Funktionen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2025 - VIa ZR 282/22, juris Rn. 8 mwN).
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat.
a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, deliktische Ansprüche scheiterten unabhängig vom Schutzgesetzcharakter der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV jedenfalls daran, dass ein mindestens fahrlässiger Verstoß der Beklagten gegen diese Vorschriften nicht feststellbar sei, ist ebenfalls von Rechtsfehlern beeinflusst.
Das Verschulden des Fahrzeugherstellers wird innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet. Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59, 61 mwN; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13). Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen.
Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 63; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.). Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2018 - II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 Rn. 17).
Diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht, das seine Entscheidung vor dem Senatsurteil vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) gefällt hat, nicht gerecht geworden. Es hat keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, sämtliche Repräsentanten der Beklagten hätten sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einem Rechtsirrtum befunden. Es hat zudem verkannt, dass erst im Anschluss an die Darlegung und den Nachweis dieser Umstände Bedeutung gewinnen konnte, ob eine festgestellte Abschalteinrichtung entweder in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt war oder genehmigt worden wäre. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom 26. Juni 2023 (aaO, Rn. 59 ff.) kann deshalb ein Verschulden der Beklagten nicht ausgeschlossen werden.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823
-8Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer F. Schmidt Brenneisen Ostwaldt Katzenstein Vorinstanzen: LG Koblenz, Entscheidung vom 16.03.2022 - 8 O 146/21 OLG Koblenz, Entscheidung vom 22.09.2022 - 7 U 608/22 - Verkündet am: 30. Juli 2025 Breit, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle