V ZR 67/25
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES V ZR 67/25 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:101025UVZR67.25.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel, Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Dr. Grau für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 10. März 2025 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen ihre Verurteilung zur Wiederherstellung der zwischen den Wohnungen 166/167 entfernten Zwischenwand zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Anfang 2020 veranlasste sie den Durchbruch einer tragenden Wand, um zwei in ihrem Eigentum stehende Einheiten zu verbinden. Über ihren auf einer Eigentümerversammlung im November 2021 unter TOP 5a) gestellten Antrag, den Durchbruch nachträglich zu genehmigen, wurde nicht abgestimmt; vielmehr wurde zu TOP 5c) folgender Beschluss gefasst: „Über den Antrag (…)
den Rückbau in der gegenständigen Wohnung zu verlangen wurde wie folgt abgestimmt. Dafür: Mehrheit. Dagegen: 11 (…)“.
Die gegen den zu TOP 5c) gefassten Beschluss gerichtete Anfechtungsklage hat das Amtsgericht abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage der Beklagten zur sach- und fachgerechten Verschließung der Zwischenwand und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre auf Ungültigerklärung des zu TOP 5c) gefassten Beschlusses sowie auf Abweisung der Widerklage gerichteten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist auf der Grundlage des zum 1. Dezember 2020 neugefassten Wohnungseigentumsgesetzes zu entscheiden. Es handele sich nicht um einen abgeschlossenen Sachverhalt, denn die bauliche Maßnahme sei zwar vor, aber in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) durchgeführt worden und habe weiterhin Auswirkungen. Zudem richte sich die Anfechtungsklage gegen einen im November 2021 gefassten Beschluss. Dieser Beschluss entspreche ordnungsmäßiger Verwaltung; insbesondere sei er nicht unbestimmt. In der Sache könnten die übrigen Wohnungseigentümer von der Klägerin den Rückbau verlangen, weil es an einem Gestattungsbeschluss nach § 20 Abs. 1 WEG fehle und dem Rückbaubegehren ein eventueller Gestattungsanspruch (§ 20 Abs. 3 WEG) nicht gemäß § 242 BGB entgegengehalten werden könne. Deshalb habe auch die Widerklage Erfolg.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht vollumfänglich stand.
1. Im Ergebnis richtig ist allerdings die Abweisung der Anfechtungsklage.
a) Zutreffend wendet das Berufungsgericht insoweit das Wohnungseigentumsgesetz in der ab dem 1. Dezember 2020 geltenden Fassung an. Denn eventuelle Beschlussmängel beurteilen sich nach dem zur Zeit der Beschlussfassung - hier: November 2021 - geltenden Recht (vgl. Senat, Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 215/21, NJW 2023, 2945 Rn. 9; Urteil vom 19. Juli 2024 - V ZR 226/23, NJW-RR 2024, 1333 Rn. 21).
b) Der zu TOP 5c) gefasste Beschluss ist weder nichtig noch weist er einen von der Klägerin innerhalb der Anfechtungsfrist geltend gemachten Anfechtungsgrund auf.
aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin hält die Annahme, dass der Beschluss hinreichend bestimmt ist, aus den von dem Berufungsgericht genannten Gründen der insoweit uneingeschränkten rechtlichen Nachprüfung (vgl. nur Senat, Urteil vom 18. März 2016 - V ZR 78/15, WuM 2016, 306 Rn. 20 mwN) stand.
bb) Der erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Einwand, dass die Anzahl der abgegebenen Ja-Stimmen nicht festgehalten sei, führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage. Richtig ist zwar, dass über die in der Versammlung gefassten Beschlüsse unverzüglich eine Niederschrift aufzunehmen ist, § 24 Abs. 6 Satz 1 WEG, und dass die Feststellung der Zahl der gültigen Ja- und Nein-Stimmen dem Versammlungsleiter obliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 23. August 2001 - V ZB 10/01, BGHZ 148, 335, 343; s.a. Urteil vom 29. Mai 2020 - V ZR 141/19, WuM 2020, 522 Rn. 14; MüKoBGB/Hogenschurz, 9. Aufl., § 24 WEG Rn. 70). Wie es sich auswirkt, dass hier nur die Anzahl der Nein-, nicht aber auch die der Ja-Stimmen festgehalten ist, kann allerdings dahinstehen. Denn jedenfalls führt ein eventuelles Versäumnis in diesem Zusammenhang nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses (§ 23 Abs. 4 Satz 1 WEG), und mit der erstmaligen Geltendmachung von Anfechtungsgründen ist die Klägerin nach Ablauf der Anfechtungsfrist ausgeschlossen (§ 45 Satz 1 WEG; vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2023 - V ZR 43/22, WuM 2023, 243 Rn. 16).
cc) Der Beschluss widerspricht schließlich nicht schon deshalb ordnungsmäßiger Verwaltung, weil der GdWE kein Rückbauanspruch zustünde. Darauf kommt es insoweit nicht an.
(1) Im Ausgangspunkt ist es den Wohnungseigentümern gestattet, durch Beschluss ihren Willen darüber zu bilden, ob sie bestimmte Verhaltensweisen einzelner Wohnungseigentümer für unzulässig halten. Sieht die Mehrheit bestimmte Nutzungen oder bauliche Veränderungen als unzulässig an, dürfen die betroffenen Wohnungseigentümer in dem Beschluss zur Unterlassung bzw. zum Rückbau aufgefordert werden. Wird dies dem Wortlaut nach als Ge- oder Verbot beschlossen, ist darin nächstliegend lediglich ein Aufforderungsbeschluss zu sehen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 215/21, NJW 2023, 2945 Rn. 21; Urteil vom 4. Juli 2025 - V ZR 77/24, NZM 2025, 815 Rn. 20).
(2) Im Rahmen einer gegen einen Aufforderungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage sind nur formelle Beschlussmängel zu prüfen, nicht jedoch, ob ein Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch besteht. Letzteres ist in einem gegebenenfalls anzustrengenden Unterlassungs- oder Beseitigungsverfahren zu klären. Hierbei ist das Gericht an die in dem Aufforderungsbeschluss niedergelegte Auffassung der Mehrheit der Wohnungseigentümer nicht gebunden (vgl.
Senat, Urteil vom 21. Juli 2023 - V ZR 215/21, NJW 2023, 2945 Rn. 21 f.; Urteil vom 4. Juli 2025 - V ZR 77/24, NZM 2025, 815 Rn. 21).
(3) Hier ist der angegriffene Beschluss als Aufforderungsbeschluss rechtmäßig. Bei der gebotenen objektiven Auslegung haben die Wohnungseigentümer eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie den Wanddurchbruch für rechtswidrig halten und davon ausgehen, einen Rückbauanspruch zu haben, den sie gegen die Klägerin geltend machen wollen. Formelle Beschlussmängel sind innerhalb der Anfechtungsfrist nicht geltend gemacht worden (s.o. Rn. 9).
2. Als rechtsfehlerhaft zu beanstanden ist indes die Bejahung des mit der Widerklage geltend gemachten Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Rechtswidrigkeit einer baulichen Veränderung, die zur Entstehung eines Beseitigungsanspruchs führt, beurteilt sich, wie der Senat allerdings ausdrücklich erst nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, nach dem Wohnungseigentumsgesetz in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung, wenn die bauliche Veränderung zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen war (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juli 2025 - V ZR 29/24, ZWE 2025, 367 Rn. 10; Urteil vom 21. März 2025 - V ZR 1/24, NJW-RR 2025, 586 Rn. 8, 33). So liegt es hier; die Wohnungen sind Anfang 2020 zusammengelegt worden. Dass der Durchbruch der tragenden Wand in zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten des WEMoG erfolgt ist und weiterhin besteht, spielt demgegenüber bei der Bestimmung des insoweit anwendbaren Rechts ebenso wenig eine Rolle wie der Zeitpunkt der Fassung des Aufforderungsbeschlusses.
3. Das Urteil ist auch nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO).
a) Der Durchbruch der tragenden Wand ist eine bauliche Veränderung, die sich, wie vorstehend ausgeführt (Rn. 14), noch nach § 22 Abs. 1 WEG aF beurteilt. Danach müssen alle Wohnungseigentümer, denen über das bei einem gedeihlichen Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus Nachteile i.S.d. § 14 Nr. 1 WEG aF erwachsen, zustimmen. An einer solchen Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer fehlt es.
b) Beurteilt sich die bauliche Veränderung nach dem bis zum 30. November 2020 anwendbaren Recht, kann der Störer dem Beseitigungsverlangen aber nach § 242 BGB einen nach Maßgabe von § 22 Abs. 1 WEG aF gegebenen Gestattungsanspruch entgegenhalten (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juli 2025 - V ZR 29/24, ZWE 2025, 367 Rn. 27). Mit einem solchen von der Klägerin auch geltend gemachten Gestattungsanspruch hat sich das Berufungsgericht - auf der Grundlage der (fehlerhaften) Anwendung neuen Rechts für sich genommen folgerichtig (vgl. insoweit Senat, Urteil vom 21. März 2025 - V ZR 1/24, NJW-RR 2025, 586 Rn.18 ff.) - nicht befasst.
III.
1. Demzufolge ist die Revision zurückzuweisen, soweit sie die Abweisung der Anfechtungsklage angreift. Aufzuheben ist das Berufungsurteil allerdings, soweit die auf die Widerklage erfolgte Verurteilung der Klägerin bestätigt worden ist. Insoweit ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil die Feststellungen nicht ausreichen, um über einen Gestattungsanspruch abschließend zu befinden.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Unter einem einen Gestattungsanspruch ausschließenden Nachteil ist jede nicht ganz unerhebliche konkrete und objektive Beeinträchtigung zu verstehen. Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann.
b) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung sind Durchbrüche einer tragenden Wand nicht ohne weiteres als in diesem Sinne beeinträchtigend einzuordnen. Ob andere Wohnungseigentümer durch derartige Eingriffe in die bauliche Substanz des Gemeinschaftseigentums beeinträchtigt werden, hängt vielmehr von einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab. Hierbei kann eine Rolle spielen, ob der Eingriff nach sachkundiger Planung und statischer Berechnung durch ein Fachunternehmen nach den Regeln der Baukunst erfolgt ist oder ob - eventuell auch nachträglich - die Standsicherheit oder die Einhaltung von Brandschutzvorschriften nachgewiesen werden kann. Entscheidend ist insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (vgl. Senat, Urteil vom 18. Juli 2025 - V ZR 29/24, ZWE 2025, 367 Rn. 27, 29; Urteil vom 21. März 2025 - V ZR 1/24, NJW-RR 2025, 586 Rn. 38 mwN).
Brückner Malik Göbel Grau Hamdorf Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.01.2024 - 290a C 154/21 LG Düsseldorf, Entscheidung vom 10.03.2025 - 25 S 14/24 - Verkündet am: 10. Oktober 2025 Rinke, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle