XII ZA 16/25
BUNDESGERICHTSHOF XII ZA 16/25 BESCHLUSS vom 23. Juli 2025 in der Betreuungssache ECLI:DE:BGH:2025:230725BXIIZA16.25.0 Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel beschlossen:
Den Beteiligten wird die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für das beabsichtige Rechtsbeschwerdeverfahren versagt.
Gründe:
Verfahrenskostenhilfe für das angestrebte Rechtsbeschwerdeverfahren ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Beteiligten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 76 Abs. 1 FamFG iVm § 114 ZPO).
1. Gegenstand des Verfahrens ist die Einrichtung einer Pflegschaft für unbekannte Beteiligte nach § 1882 Satz 1 BGB.
Nach dem Tod des Herrn M. (im Folgenden: Erblasser) schlugen zunächst seine beiden Kinder, sodann seine beiden Schwestern und schließlich auch seine Mutter die Erbschaft aus. Das Nachlassgericht bestellte für die unbekannten Erben des Erblassers einen Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis „Sicherung und Verwaltung des Nachlasses“. Dieser setzte sich mit der H. Versicherung (im Folgenden: Versicherer) in Verbindung, bei welcher der Erblasser eine Unfallversicherung unter anderem mit einer Todesfallsumme in Höhe von 6.000 € abgeschlossen hatte. Als Bezugsberechtigte im Falle seines versicherten Unfalltodes hatte der Erblasser seine „gesetzlichen Erben“ benannt. Der Versicherer teilte dem Nachlasspfleger durch Schreiben vom 21. Oktober 2022 mit, die Todesfallleistung falle nicht in den Nachlass und eine Auszahlung setze voraus, „dass nachweislich gesetzliche Erben vorhanden sind und das Erbe nicht ausgeschlagen wurde.“ Eine Auszahlung an den Nachlasspfleger sei daher nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund hat der Nachlasspfleger gegenüber dem Amtsgericht die Anordnung einer Pflegschaft für unbekannte Beteiligte angeregt. Sein Ziel ist es, sich von dem eingesetzten Pfleger den Anspruch der (vermeintlich) unbekannten Bezugsberechtigten gegen den Versicherer auf Auszahlung der Todesfallleistung abtreten zu lassen, um diese „in den Nachlass zu ziehen“. Das Amtsgericht hat die Anordnung der Pflegschaft abgelehnt.
Die dagegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass schon fraglich sei, ob überhaupt noch eine hinreichende Unsicherheit im Sinne des § 1882 Satz 1 BGB bestünde, nachdem ausweislich des Nachlassverfahrens alle bekannten gesetzlichen Erben die Erbschaft bereits ausgeschlagen hätten und mithin der Eintritt einer gesetzlichen Erbschaft (abgesehen von einer Erbschaft des Staates) so gut wie ausgeschlossen sei. Jedenfalls sei hier aber ein Fürsorgebedürfnis im Sinne von § 1882 Satz 1 BGB nicht festzustellen, weil der Nachlass selbst unter Berücksichtigung des Versicherungsanspruchs überschuldet sei.
2. Unbeschadet der für den Senat bindenden Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landgericht besteht im vorliegenden Fall kein Rechtsfortbildungsbedarf (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 FamFG). Weitere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
a) Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil der Fall Veranlassung gebe, Leitsätze für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 1882 BGB aufzustellen. Dabei ist es - offenbar aufgrund des Schreibens des Versicherers vom 21. Oktober 2022 - davon ausgegangen, dass die Bezugsberechtigten der Todesfallsumme diejenigen Personen sind, die letztlich als gesetzliche Erben des Erblassers festgestellt werden, und es wegen der Erbausschlagungen an einer solchen Feststellung fehle.
b) Dieser Ausgangspunkt des Landgerichts ist unzutreffend.
aa) Ist bei einer Unfallversicherung als Leistung des Versicherers die Zahlung eines Kapitals vereinbart, sind nach § 185 VVG die §§ 159 und 160 VVG entsprechend anzuwenden. Der Versicherungsnehmer kann Bezugsberechtigte für die Kapitalleistung benennen (vgl. § 159 Abs. 1 VVG). Unabhängig davon, ob die Bezugsberechtigung widerruflich oder unwiderruflich ausgestaltet ist, erwirbt der Begünstige das Recht auf die Kapitalzahlung des Versicherers spätestens mit Eintritt des Versicherungsfalles (vgl. § 159 Abs. 2 und 3 VVG). Soll die Leistung des Versicherers nach dem Tod des Versicherungsnehmers an dessen Erben erfolgen, sind nach § 160 Abs. 2 Satz 1 VVG im Zweifel diejenigen, welche zur Zeit des Todes als Erben berufen sind, nach dem Verhältnis ihrer Erbteile bezugsberechtigt. Eine Ausschlagung der Erbschaft hat gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 VVG auf die Berechtigung keinen Einfluss. Da die zuletzt genannte Vorschrift die Bestimmung der „Erben“ als Bezugsberechtigte nur als einen Modus zur Individualisierung der Forderungsberechtigten ansieht, wird durch diese Bestimmung das Bezugsrecht nicht davon abhängig gemacht, dass die im Todesfall berufenen Erben die Erbschaft auch tatsächlich annehmen (vgl. Langheid/ Wandt/Heiss VVG 3. Aufl. § 160 Rn. 15 mwN).
bb) Hier hat der Erblasser seine „gesetzlichen Erben“ als Bezugsberechtigte der Todesfallsumme benannt. Zu Erben des Erblassers waren zum Todeszeitpunkt seine beiden Kinder (§ 1924 Abs. 1 BGB) zu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 4 BGB) berufen, so dass sie hinsichtlich der Todesfallleistung jeweils zur Hälfte bezugsberechtigt sind (§ 160 Abs. 2 Satz 1 VVG). Da die Ausschlagungen der Erbschaft ihre Bezugsberechtigung nicht zu Fall gebracht haben, sind sie grundsätzlich auch weiterhin berechtigt, die Auszahlung der Todesfallsumme an sich zu verlangen. Mithin steht fest, wer die Bezugsberechtigten der Versicherungsleistung sind. Also ist nicht ungewiss, wer bei dieser Angelegenheit die Beteiligten sind, so dass es einer Pflegschaft nach § 1882 Satz 1 BGB nicht bedarf. Vielmehr kann der Nachlasspfleger die beiden Kinder des Erblassers auf Abtretung ihres Auszahlungsanspruchs gegen den Versicherer in Anspruch nehmen (vgl. LG Kassel NLPrax 2023, 32, 34; Staudinger/Halm/Wendt/Leithoff Versicherungsrecht 3. Aufl. § 160 VVG Rn. 10), nachdem er etwa in Vertretung der unbekannten Erben den Botenauftrag des Erblassers an den Versicherer nach § 671 Abs. 1 BGB widerrufen hat (vgl. dazu näher BGH Beschluss vom 10. April 2013 - IV ZR 38/12 - FamRZ 2013, 1220 Rn. 8 ff.).
c) Die Sache gibt somit keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung und Anwendung des § 1882 BGB aufzustellen, weil die Bezugsberechtigten der Todesfallsumme bekannt sind und daher der Anwendungsbereich der Vorschrift schon nicht eröffnet ist. Auch andere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
3. Ergeben sich somit keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen, die einer Klärung durch höchstrichterliche Entscheidung bedürften, kommt es nach der Rechtsprechung des Senats für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe allein auf die Erfolgsaussichten in der Sache an (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. September 2018 - XII ZA 10/18 - MDR 2018, 1393 Rn. 5 mwN und vom 15. August 2018 - XII ZB 32/18 - FamRZ 2018, 1766 Rn. 5 mwN). Diese sind hier nicht gegeben.
Das Landgericht ist zwar fehlerhaft von der Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 1882 Satz 1 BGB ausgegangen. Im Ergebnis hat es die Anordnung einer Pflegschaft für unbekannte Beteiligte aber zu Recht abgelehnt, weil die Bezugsberechtigten der Todesfallsumme bekannt sind und es schon deshalb keiner Pflegschaft bedurfte. Seine Entscheidung erweist sich mithin aus anderen Gründen als richtig, weshalb die beabsichtigte Rechtsbeschwerde zurückzuweisen wäre (vgl. § 74 Abs. 2 FamFG).
Guhling Pernice Günter Recknagel Nedden-Boeger Vorinstanzen: AG Neumarkt, Entscheidung vom 07.05.2024 - X 2/23 LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 17.04.2025 - 13 T 4094/24 -