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VIa ZB 1/24

BUNDESGERICHTSHOF VIa ZB 1/24 BESCHLUSS vom 29. Juli 2025 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2025:290725BVIAZB1.24.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juli 2025 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Brenneisen, die Richter Dr. F. Schmidt, Dr. Ostwaldt und Dr. Tausch beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 22. Februar 2024 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert beträgt bis 25.000 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung.

Im Mai 2015 erwarb der zwischenzeitlich verstorbene Ehemann der Klägerin, dessen Alleinerbin sie ist, von der Beklagten einen Neuwagen VW Golf Sportsvan, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. Die Klägerin hat im Wesentlichen verlangt, sie so zu stellen, als habe der Erblasser den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen erhobene Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nach vorausgegangenem Hinweis, zu dem die Klägerin Stellung genommen hat, als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht der nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO vorgeschriebenen Form genüge. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.

II.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin nicht unter Verweis darauf als unzulässig verwerfen dürfen, die Berufungsbegründung der Klägerin erfülle nicht die Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dies bedeutet, dass die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen muss, wenn das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt hat. Denn nur dann kann die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungserheblich sein (BGH, Beschluss vom 5. August 2020 - VIII ZB 18/20, NJW-RR 2020, 1132 Rn. 16). Diese Anforderungen sind gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus seiner Sicht in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen an diesbezügliche Darlegungen des Berufungsklägers bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Die Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO soll den Berufungsführer dazu anhalten, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Damit dient das Begründungserfordernis der Verfahrenskonzentration (BGH, Beschluss vom 16. November 2021 - VIII ZB 21/21, NJW-RR 2022, 449 Rn. 13-15 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin noch gerecht. Ihre Berufungsangriffe greifen die tragenden Erwägungen hinreichend an, soweit das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB im Hinblick auf die von der Klägerin behauptete "Prüfzykluserkennung" mangels Sittenwidrigkeit verneint hat.

aa) Das Landgericht hat seine Entscheidung im Hinblick auf die von der Klägerin behauptete "Prüfzykluserkennung" damit begründet, es fehle an Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte diese Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein verbaut habe, hiermit gegen Vorschriften zu verstoßen, und dies zumindest billigend in Kauf genommen habe. Die Verwendung einer Zykluserkennung sei nicht per se unzulässig, sondern nur dann, wenn sie dazu genutzt werde, um außerhalb des Testzyklus das Emissionsverhalten zu verändern; Anhaltspunkte für eine solche Funktionsweise habe die Klägerin nicht vorgetragen. Selbst wenn es sich hierbei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte, scheitere ein Schadensersatzanspruch daran, dass eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nicht drohe und im Zeitpunkt des Erwerbs absehbar gewesen sei, dass das Problem behoben werden könne. Der außerhalb des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) wirksame Modus sei genehmigungsfähig, weshalb der Beklagten nicht vorzuwerfen sei, dass sie sich im Hinblick auf die Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt gleichgültig gezeigt habe.

bb) Dem hat die Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine auf den konkreten Sachverhalt noch hinreichend zugeschnittene Berufungsbegründung entgegengesetzt.

(1) Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung die Auffassung des Landgerichts, es fehle hinsichtlich der "Prüfzykluserkennung" an einem vorsätzlich sittenwidrigen Verhalten der Beklagten, damit angegriffen, das Emissionsverhalten sei bei Erkennung der Fahrkurve anders als ohne Erkennung. Diese Funktion habe die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren nicht angegeben und sie sei dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch nicht bekannt. Zur Annahme eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten führt die Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25. Mai 2020

- VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316) aus, die Beklagte habe wesentliche Aspekte der Funktionsweise gegenüber dem KBA verschwiegen. Zudem handele es sich bei der "Prüfzykluserkennung" um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung, die offenkundig und eindeutig unzulässig sei. Die offensichtliche Unzulässigkeit indiziere, dass die für die Beklagte handelnden Personen gewusst hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und dass sie den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Sodann führt die Berufungsbegründung näher aus, weshalb die Klägerin von einer prüfstandsbezogenen Funktionsweise und einer offenkundigen Unzulässigkeit ausgehe.

Das Landgericht hat seine Entscheidung weiter selbständig tragend damit begründet, eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohe nicht und im Zeitpunkt des Erwerbs sei absehbar gewesen, dass das Problem habe behoben werden können, weil die Grenzwerte bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung nach dem außerhalb des NEFZ wirksamen Modus eingehalten würden. Auch hierauf geht die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung formal hinreichend ein. Sie führt aus, die Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand sei für die Qualifikation als unzulässige Abschalteinrichtung nicht notwendig. Die Grenzwerte würden innerhalb der Bedingungen des NEFZ ohne die Abschalteinrichtung nicht eingehalten. Damit aber wendet sich die Klägerin gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Modus der Abschalteinrichtung sei in jedem Fall genehmigungsfähig.

(2) Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass die Berufungsbegründung mehrfach Textbausteine und abstrakte Passagen verwendet und Erwägungen des Landgerichts teils unzutreffend wiedergibt, wie das Berufungsgericht richtig aufzeigt. Sie geht trotz des Vorhandenseins dieser Mängel nicht nur sporadisch (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - XI ZB 41/06,

NJW-RR 2008, 1308 Rn. 12) auf das angegriffene erstinstanzliche Urteil ein, sondern befasst sich noch hinreichend konkret mit dem angefochtenen Urteil und den darin enthaltenen tragenden Erwägungen des Landgerichts.

(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste sich die Berufungsbegründung nicht mit dem "Thermofenster" befassen. Für die Zulässigkeit der Berufung kommt es nicht darauf an, ob in der Berufungsbegründung die weitergehenden Ausführungen des Landgerichts zu Ansprüchen aus anderen Anspruchsgrundlagen und wegen weiterer behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen hinreichend angegriffen werden. Denn die gerügte Rechtsverletzung ist schon dann erheblich, wenn die auf eine der Anspruchsgrundlagen gestützte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts mit allen hierauf bezogenen, selbstständig tragenden rechtlichen Erwägungen insgesamt vollständig angegriffen wird, so dass bereits dieser Berufungsangriff das Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils in Frage stellt (BGH, Beschluss vom 5. August 2020 - VIII ZB 18/20, NJW-RR 2020, 1132 Rn. 16). Dies ist hier der Fall.

(4) Ob das Vorbringen der Berufungsbegründung geeignet ist, die Rügen inhaltlich zu rechtfertigen und die Argumentation des Landgerichts zu entkräften, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021 - VI ZB 22/20, NJW-RR 2021, 1075 Rn. 10), über die mit der Feststellung, die Berufungsbegründung erfülle die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, nicht vorentschieden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 2/21, juris Rn. 24 ff.).

c) Da das Landgericht die Abweisung der Klageanträge zu 2 und zu 3 ausschließlich mit dem Nichtbestehen der Hauptforderung begründet hat, erfasste der zulässige Angriff gegen die Hauptforderung sämtliche Klageanträge (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - III ZR 78/07, BGHZ 176, 99 Rn. 31 mwN).

III.

Der die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

C. Fischer Brenneisen F. Schmidt Ostwaldt Tausch Vorinstanzen: LG Braunschweig, Entscheidung vom 20.12.2021 - 3 O 3290/20 (368) OLG Braunschweig, Entscheidung vom 22.02.2024 - 7 U 39/22 -

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